Festung Europa – dieser Begriff wurde
am Samstag, dem 4. April 09 in Kehl lebendig und für jedermann
greifbar. 16.000 Polizisten aus ganz Deutschland waren im Einsatz und
schafften die Demonstrationsfreiheit faktisch ab.
Nach Angaben der Organisatoren kamen
rund 15.000 (laut Polizei 6-7.000) zu dem Ostermarsch gegen die
60-Jahre-Geburtstagsfeier der NATO. Nach einem Marsch durch Kehl
wollte man zusammen mit den französischen NATO-Gegnern gemeinsam in
Straßburg gegen dieses Kriegsbündnis protestieren. Doch daraus
wurde nichts. Viele Teilnehmer blieben schon bei der Anreise in den
Polizeisperren hängen und kamen gar nicht erst an.
Sämtliche Zufahrten nach Kehl waren
gesperrt. Mit Maschinenpistole bewaffnete Posten standen an den
Kontrollstellen. Insbesondere Jugendliche wurden intensiv
kontrolliert und durchsucht, zeitweise von Mitreisenden abgesondert.
Ob per Bus, Bahn oder PKW – niemand entkam den Kontrollen. Wer
nachfragte oder sich beschwerte, erhielt eine Extra-Behandlung. Das
Fotografieren der MP-bewaffneten Posten wurde untersagt, da es sich
um Portraitfotos handele und damit das Recht des Polizisten auf sein
Bild verletzt werde. Wer dennoch zum Fotoapparat griff wurde extra
kontrolliert und die Bilder gelöscht. Somit wurde es unmöglich
gemacht, diesen massiven Polizeiterror für die Öffentlichkeit zu
dokumentieren. Fahnenstangen wurden beschlagnahmt, wenn sie zu lang,
zu dick, zu hart, zu kantig oder sonst-noch-was waren. Und da gab es
viele „Gründe“.
Einige Beispiele für die
Polizeistaatsmethoden:
-
Ein Bus mit Jugendlichen aus
Dänemark wurde bereits auf der Autobahn gestoppt und massiv
kontrolliert. Die Jugendlichen machten daraufhin 12 km Fußmarsch
über die Felder, um doch noch zur Demonstration zu gelangen. -
Ein Bus aus Bayern mit vielen
Jugendlichen wurde solange kontrolliert, dass die Teilnehmer erst
ankamen, als die Demonstration bereits am Aufgang zur Europabrücke
von der Polizei festgehalten wurde.
Auf dem Weg zur Kundgebung gab es viele
Bürger, die aus dem Fenster den Demonstranten zuwinkten.
Offensichtlich waren viele von ihnen wütend über den massiven
Polizeieinsatz, den sie tagelang über sich ergehen lassen mussten.
Wer glücklich bei der Auftaktkundgebung in Kehl landete, durfte mit
Polizeispalier einige Meter durch Kehl laufen. Nach rund einer halben
Stunde wurde der Zug am Aufgang zur Europabrücke von einem
Riesenaufgebot Polizei gestoppt. 4 Wasserwerfer wurden aufgefahren.
Besonders aggressiv verhielt sich der „schwarze Block“ der
Polizei, der völlig vermummt immer wieder Teilnehmer provozierte.
Die Stimmung heizte sich auf.
Dazwischen spazierten so genannte
Konfliktteams oder Kommunikatoren der Polizei, die aufriefen,
friedlich zu bleiben. Ein perfides Doppelspiel: einerseits die
faktische Abschaffung des Rechts auf Demonstrationsfreiheit und eine
bis an die Zähne bewaffnete und gerüstete Polizei, andererseits
heuchlerische Aufrufe, friedlich zu bleiben.
Leider ließ sich die
Demonstrationsleitung auf die Hinhaltetaktik der Polizei ein. So
marschierte eine Delegation der Demonstrationsleitung zu ewig langen
Verhandlungen auf die Europabrücke und zur französischen Polizei.
Währenddessen übernahm die Polizei faktisch die
Demonstrationsleitung, indem sie die Ansagen machte, was nun
geschehen sollte. Aus dem Lautsprecherwagen der Demoleitung kamen
zwar gelegentlich Aufforderungen an die Polizei, die Brücke endlich
frei zu machen und die abgesprochene Route zu ermöglichen. Das
war’s. Nach mehr als einer Stunde kam die Delegation von ihren
Verhandlungen zurück, während die Stimmung vor Ort durch die
Provokationen der Polizei bereits am Kochen war. Die Demoleitung
verkündete dann, dass die Polizei den Weg über die Europabrücke
endgültig verboten hatte. Dafür hatte man so lange verhandelt! Und
dann wurde angekündigt, dass man rechts abbiegen und in einiger
Entfernung eine Abschlusskundgebung durchführen werde.
Der Wagen der Demoleitung fuhr gefolgt
von einigen Hundert ab.
Die Demonstration blieb und die
Menschen verlangten lautstark, dass die Brücke freigegeben werden
solle. Die Polizei brachte sich in Kampfstellung. Die Wut der
Menschen über diesen Polizeistaat war groß. Zum Glück waren alle
so besonnen, nicht auf die Polizeiprovokationen einzugehen. Denn
angesichts der Übermacht der Polizei und ihrer Hochrüstung war dies
richtig. Offensichtlich lauerte die Polizei nur darauf, Schlagzeilen
über gewalttätige Proteste produzieren zu können.
Nach fast einer Stunde kam der Wagen
der Demoleitung wieder zurück und verkündete, man habe mit der
Polizei vereinbart, die Abschlusskundgebung hier durchzuführen. Ein
großer Lautsprecherwagen werde kommen, man solle sich nur gedulden.
Doch die Geduld vieler war zu Ende. Sie verließen den Platz
enttäuscht und demoralisiert. Hier gab es keine Demoleitung, die in
der Lage war, die Wut der Menschen über die staatlichen
Terrormaßnahmen aufzugreifen und zu einem politischen Protest
umzuformen. Hier gab es keine Demoleitung, die den Menschen beistand
und Orientierung gab gegen die Schikanen der Polizei. Damit wurde das
kämpferische und politische Potential der Demonstration verspielt.
Denn die Demo begann sehr bunt, vielfältig und voller Schwung. Nach
stundenlangem Warten zerbröselte sie. Mit ihrer Hinhaltetaktik hatte
die Polizei das Demonstrationsrecht ausgehebelt.