Zum 8.Mai: Die Verbrechen der Nazis in den letzten Kriegstagen

Bis zum Kriegsende und darüber hinaus mordeten die Nazis hemmungslos. Die Opfer waren Antifaschisten, KZ-Häftlinge, Anstaltsinsassen, Menschen, die weiteres Blutvergießen verhindern wollten.

Die Täter: SS-Männer, Hitlerjungen, Werwölfe.

Im Folgenden greifen wir nur einige Beispiele der NS-Morde in den letzten Kriegstagen heraus und nennen Quellen zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema.

Dunkelnacht

Kirsten Boie, eine renommierte Autorin hat darüber jetzt ein mutiges Jugendbuch geschrieben.

Erstaunt hörten die Bürger Penzbergs plötzlich ganz andere Töne, wenn sie in ihrem Volksempfänger den offiziellen Sender anstellten, der bis dahin Nazipropaganda übermittelt hatte.

Die antifaschistische „Freiheitsaktion Bayern“ hatte in der Nacht vom 27. auf den 28. April 1945 drei Rundfunksender besetzt und forderte ihre Mitbürger auf, den Befehl „Nero“ der Nazis nicht zu befolgen, die Zerstörung von Fabriken, Infrastruktur und Bergwerken zu verhindern, die Nazis zu vertreiben und den Krieg zu beenden.

In Penzberg sammelte der von den Nazis abgesetzte Bürgermeister Hans Rummer zuverlässige Antifaschisten um sich, die meisten waren nach der Machtübergabe an die Nazis in Dachau gewesen, sie setzten den NS-Bürgermeister ab, sicherten das Bergwerk, befreiten die Zwangsarbeiter und beriefen eine demokratische Versammlung ein.

Ein versprengter Teil der Wehrmacht, der auf dem Weg in die „Alpenfestung“ war, machte halt in Penzberg, verhaftete und erschoss die im Rathaus versammelten Antifaschisten und setzte den Nazi-Bürgermeister wieder ein. Dieser hatte Angst vor den Bürgern Penzbergs und bat die Wehrmacht, ihn nicht ohne Schutz zu lassen. Daraufhin wurde die Werwolf-Gruppe des bekannten Nazi-Literaten Hans Zöberlein nach Penzberg beordert.

In der Nacht zum 29.4.45 wüteten etwa 100 Werwölfe in Penzberg. Sie hatten Namenslisten von bekannten Linken und durchkämmten das Dorf. Willkürlich verhafteten sie auch Unbeteiligte und zwei Frauen, die ihre Männer nicht gehen lassen wollten. Alle wurden sofort in der Ortsmitte erhängt.

Nach 45 wurden einige Täter zunächst verurteilt, letztendlich dann aber freigesprochen: „Sechzehn Ermordete und kein einziger Mörder. Das soll man verstehen.“ (Boie S. 118)

Akribisch hat die Autorin die grauenhaften Vorgänge in der Mordnacht recherchiert. Aber das Buch ist keine Dokumentation, sie hat drei jugendliche Identifikationsfiguren eingefügt, die deutlich machen, dass man sich auch in so einer Situation für eine Seite entscheiden kann. Der Stoff ist schwer zu ertragen, aber so ein Buch ist gerade heute so wichtig, um Jugendlichen zu zeigen, dass Faschismus Gewalt bedeutet. Sehr empfehlenswert, vor allem für Schulen. Mit einer Liste der Ermordeten und Begriffserklärungen im Anhang.

Kirsten Boie: Dunkelnacht.

Verlag Friedrich Oetinger 2021

ISBN 978-3-7512-0053-0

Erhängt in Brettheim

Der Bauer Friedrich Hanselmann traf in Brettheim am 7.4.1945 auf eine Gruppe Hitlerjungen, die mit Panzerfäusten die anrückenden Amerikaner aufhalten wollten. Er nahm den Jungen die Panzerfäuste ab und ohrfeigte einen, der frech wurde. Hanselmann wollte nicht, dass die Amerikaner angegriffen wurden und sein Dorf zerstörten.

Der SS-General Simon erfuhr davon und schickte seinen SS-Offizier Gottschalk: „Die Sache zu klären.“ Gottschalk ließ die männliche Bevölkerung zum Verhör aufs Rathaus holen. Er verhörte jeden einzelnen: „Reden Sie! Sagen Sie aus! Ich lege Sie um! Auf einen mehr oder weniger kommt es nicht an. Der Ort, wo so etwas passiert, gehört vernichtet.“ Er diktierte kaltblütig das Todesurteil gegen den Bauern Hanselmann. Aber der Ortsgruppenleiter Wolfmeyer weigerte sich, das Urteil zu unterschreiben und auch der Bürgermeister Gackstatter sagte; „Das unterschreibe ich nicht!“ Daraufhin wurden alle drei standrechtlich zum Tode verurteilt und am 10.April 1945 an den Linden am Eingang des Friedhofs erhängt. Die fanatischen Hitlerjungen feierten mit Musik und viel Alkohol die ganze Nacht unter den Erhängten und ließen die Leichen tanzen. Das eingeschüchterte Dorf stand unter Beobachtung. Niemand wagte es, eine weiße Fahne herauszuhängen und der ganze Ort wurde von den Amerikanern zerstört.Eine sehr ausführliche Dokumentation der unsäglichen Prozesse in der Nachkriegszeit, die die Opfer der NS-Justiz erneut kränkten und beleidigten.

Hans Schultheiß: Die Tragödie von Brettheim

Silberburg Verlag

ISBN 3-87407-522-2

In der Nacht im Steinbruch erschossen

Der Maschineneinsteller Eugen Spilger war mit seiner Firma, der kriegswichtigen Kugellagerfabrik Norma aus Stuttgart-Zuffenhausen nach Neckartenzlingen evakuiert worden und dort in den letzten Kriegstagen zum Volkssturm eingezogen worden. Seine Frau und der vierjährige Sohn waren in das Schwarzwalddorf Simmersfeld evakuiert worden. Zu ihnen versuchte er mit dem Fahrrad durchzukommem. Unterwegs wurde er von Tieffliegern angegriffen und vor französischen Panzern gewarnt. Nach Nackartenzlingen zurückgekehrt äußerte er sich gegenüber anderen Volkssturmmännern, dass der Krieg verloren sei und es um jedes weitere Opfer schade sei. Diese Äußerungen kamen den örtlichen Nazi-Behörden zu Ohren. Spilger wurde mit einem Schild um den Hals „Ich bin ein übler Gerüchtemacher“ durch die umliegenden Ortschaften geführt und in die Arrestzelle des Rathauses in Neuffen gesperrt.

Der Fall Spilger kam dem kommissarischen Kreisleiter Heinrich Häberle zu Ohren. Er war faktisch der erste Mann der Partei im Kreis und die höchste Instanz für den Volkssturm. Ohne Spilger angehört zu haben, entschied er, ihn ohne Standgerichtsverfahren beseitigen zu lassen. Der Mordbefehl wurde an den Kreisgeschäftsführer des Volkssturm und von diesem an zwei Männer weiter unten in der Nazi-Hierarchie weitergegeben. Diese zögerten und wollten einen schriftlichen Befehl. Dagegen wurde ihnen der Befehl noch einmal eingeschärft. Schließlich holten sie Spilger ab und verschwanden mit ihm in einem Steinbruch. Als sie am nächsten Morgen wie vereinbart den Vollzug der Tat melden wollten, hatte sich Haderer bereits aus dem Staub gemacht.

Eugen Spilger: Von Durchhaltefanatikern kurz vor Kriegsende erschossen. In: Stuttgarter Stolpersteine, Hrsg. Harald Stingele

Nach der Kapitulation Erschossen

Am 4. Mai 1945 unterzeichnete der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg, gegenüber den britischen Truppen eine Teilkapitulation für die Wehrmacht im Nordwesten. Am 5.5.45 lief das Minensuchboot M 612 entgegen den Bedingungen der Teilkapitulation von Sonderburg aus. Doch Teile der Besatzung wollten Ihr Leben nicht mehr aufs Spiel setzen, widersetzten sich den deutschen Befehlen und nahmen die Offiziere an Bord fest. Die Tatsache, dass im Funkverkehr mit M 612 kein Offizier zu sprechen war, erweckte Verdacht beim Kommandanten eines entgegenkommenden Kriegsschiffes. Ein eigens eingesetztes Schnellboot- Kommando verfolgte und enterte M 612 und beendete den Aufstand. An Bord wurden die Meuterer vor ein Standgericht gestellt. Marine-Oberstabsrichter Dr. Berns (Sonderburg) bestätigte 11 Todesurteile, die unmittelbar an Bord des Minensuchbootes vollstreckt wurden, und 4 Mal die Zuchthausstrafe. Das Grauen an Bord der M 612 kann Siegfried Lenz kaum wiedergeben. Eindringlich schildert er dagegen den Kriegsgerichtsprozess.

Siegfried Lenz: Ein Kriegsende.

Hamburg: Hoffmann und Campe 1984

Todesurteile nach der Kapitulation

In der Marine wurden sogar noch am 10.Mai 1945 Todesurteile gegen Deserteure vollstreckt , um „die Disziplin der Truppe“ auch über das Kriegsende hinaus zu erhalten. Insgesamt wurden während des Krieges 15.000 Todesurteile wegen Desertion und Wehrkraftzersetzung vollstreckt. Den wenigsten der Mörder und gnadenlosen Richter passierte nach 1945 etwas, während die Hinterbliebenen der Opfer oft keine Entschädigung oder Rente erhielten, weil der Straftatbestand der „Wehrkraftzersetzung erst am 25. August 1998 aufgehoben wurde. Die Hinterbliebenen des geschundenen Dorfes Brettheim kämpften lange vergeblich um Gerechtigkeit. Daran erinnert die Gedenkstätte „Die Männer von Brettheim.“

Freispruch für die Nazi-Justiz.

Reinbek: rororo 1983

Todesmärsche

Besonders grausam wurde mit den bis dahin überlebenden KZ-Häftlingen verfahren. Auf Todesmärschen wurden sie von östlichen Lagern nach Westen getrieben. Wer nicht mehr weiter konnte, wurde erschossen: Beim Todestransport von 12.000 Mann aus Ohrdruf nach Buchenwald fanden Tausende den Tod durch erschießen. Auf der Straße von Weimar nach Buchenwald, der letzten kurzen Wegstrecke, lagen am 5.April 74 Häftlinge in ihrem Blut, während vorher Hunderte durch aufgehetzte HJ, ja durch Frauen niedergeknallt worden waren. Die Zahl der Todesopfer aus dem Außenlager von Buchenwald Ohrdruf S III betrug über 1500.

Eugen Kogon: Der SS-Staat

München: Kindler 1974

Der Henker vom Emsland

Besonders makaber ist die Geschichte des „Henkers vom Emsland“, Willi Herold: Der 19-jährige Gefreite fand Anfang April 1945 in einer zurückgelassenen Offizierskiste die Uniform eines Hauptmanns dekoriert mit Abzeichen und Orden. Er gab sich von nun an als verdienter Offizier der Luftwaffe aus und sammelte weitere versprengte Soldaten um sich. Am 12.April 1945 erreichte die Mörderbande das Emslandlager Aschendorfermoor, wo sie, angeblich auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers ein Blutbad anrichteten. Mindestens 172 Häftlinge wurden von Herold und seinen Mordgesellen erschossen. Die marodierende Truppe zog weiter nach Norden und verbreitete Angst und Schrecken. In Papenburg erhängten sie einen Bauern, der die weiße Fahne gehisst hatte. In Leer exekutierten sie fünf Niederländer.

Der Henker vom Emsland. Ein deutsches Lehrstück

Köln Bund Verlag. ISBN 3766330616