„Rekordgewinne für Konzerne und Milliardär*innen auf der einen, zunehmende Armut auf der anderen Seite. Booster-Impfungen hier, mangelhafter oder gar kein Zugang zu Impfstoffen und Gesundheitsversorgung dort. Die Corona-Pandemie verschärft Ungleichheiten dramatisch, innerhalb und zwischen Gesellschaften, und stellt die Weltgemeinschaft vor eine immer größere Zerreißprobe.
Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern die Folge struktureller Macht- und Eigentumsverhältnisse. Die Ursachen der sich verschärfenden Ungleichheitskrise liegen in unserem Wirtschaftssystem. Wenn Profite für Konzerne und ihre Eigentümer*innen mehr zählen als der Schutz von Menschenrechten und des Planeten, wenn aus Kostengründen eine notwendige medizinische Behandlung verwehrt wird, wenn das Geld nicht reicht, um sich gesund zu ernähren oder Arbeitsbedingungen krank machen, dann erfahren Menschen Gewalt.“
So beginnt die deutsche Kurzfassung der Mitte Januar 2022 vorgestellten Studie „Gewaltige Ungleichheit“ von Oxfam. Die Kurzfassung enthält alle schrecklichen Zutaten unseres kapitalistischen Systems.
Richtig stellt die Studie fest, dass die extreme Armut auf der einen und der unerhörte, unanständige Reichtum auf der anderen Seite „kein Zufall“ sind! Richtig wird gesagt, dass dies das Ergebnis „ struktureller Macht- und Eigentumsverhältnisse“ ist und seine Ursache „ in unserem Wirtschaftssystem“, dem Profitsystem hat.
Unter der leider unrichtigen Überschrift „Corona verschärft Ungleichheiten“ (denn Corona ist nicht die Ursache, sondern der Kapitalismus) folgt:
„Sowohl der Reichtum von Milliardär*innen als auch die Geschwindigkeit, mit der sie in der Corona-Pandemie ihr Vermögen mehren, sind in der Geschichte der Menschheit beispiellos. Seit März 2020 ist das Vermögen der aktuell 2.755 Milliardär*innen um fünf Billionen US-Dollar gestiegen, von 8,6 auf 13,8 Billionen.3 Sie haben ihr Vermögen damit während der Pandemie stärker vermehrt als in den gesamten vierzehn Jahren zuvor – vierzehn Jahre, die selbst schon einem Goldrausch für Superreiche glichen.
Schon seit 1995 hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung fast 20-mal mehr Vermögen angehäuft als die ärmsten 50 Prozent der Menschheit zusammen.“
Das trifft auch für Deutschland zu:
„Währenddessen erreicht die Armutsquote in Deutschland mit 16,1 Prozent einen Höchststand. 13,4 Millionen Menschen leben hierzulande in Armut. Frauen und Kinder sind überdurchschnittlich von Armut betroffen.“
Am stärksten leiden jedoch unter dieser Entwicklung Menschen in ärmeren Ländern, die sowieso oftmals schon am oder unter dem Existenzminimum leben.
„Als die Corona-Pandemie begann, lebte fast die Hälfte der Menschheit – 3,2 Milliarden Menschen – unterhalb der von der Weltbank definierten erweiterten Armutsgrenze von 5,50 Dollar pro Tag. Heute sind es aufgrund der Pandemie weltweit 163 Millionen Menschen zusätzlich.“
Auch hier ist anzumerken, dass es nicht „ aufgrund der Pandemie“ so ist, sondern aufgrund des kapitalistischen Systems. Trotzdem zeigt die Studie die harte und grausame Realität des Kapitalismus – durch eine Organisation, die keineswegs revolutionär ist, sondern sich im Gegenteil für den Erhalt des Kapitalismus einsetzt, nur eben „gerechter“.
Unterstreichen muss man dabei, dass – wie eigentlich immer in diesem System – besonders Frauen und Kinder von dieser Entwicklung betroffen sind.
Gesundheitswesen – sprudelnde Profitquelle: Jeden Tag mindestens 15.000 vermeidbare Todesfälle!
Die Notlage durch die Pandemie wurde von den großen Pharma-Monopolen gnadenlos ausgenutzt. Die Studie sagt dazu:
„Pfizer/Biontech, Moderna oder Johnson & Johnson haben ihre Marktmacht ausgenutzt und den profitabelsten Verträgen mit wirtschaftlich privilegierten Ländern den Vorzug zu geben. Sie verlangen für eine Impfstoffdosis das bis zu 24-fache des Produktionspreises. Pro Sekunde machen Pfizer/Biontech und Moderna über 1.000 US-Dollar Gewinn. Zusätzlich profitieren sie von vertraglich festgeschriebenen Ausgleichszahlungen, wenn z.B. die Bundesregierung von diesen Herstellern gekaufte Impfdosen an andere Länder spendet – die Regierungen zahlen somit doppelt für diese Impfdosen. Das Resultat sind einerseits fünf neue Milliardär*innen, darunter die Biontech-Gründer*innen Uğur Şahin und Özlem Türeci, andererseits eine schreiende Ungerechtigkeit bei der Impfstoffverteilung: Mehr als 80 Prozent der Impfstoffe von Pfizer/ Biontech sind an die G20-Länder gegangen, weniger als ein Prozent an Länder mit niedrigem Einkommen… Millionen Menschen in einkommensschwachen Ländern, die hätten gerettet werden können, sind deshalb gestorben.“
Laut Oxfam kämpfen seit mehr als einem Jahr über 100 Länder darum, dass die Patente für Covid-19-Impfstoffe freigegeben werden. Mehr als 120 Hersteller in ärmeren Ländern wären fähig, diese Impfstoffe billig herzustellen. Doch insbesondere die Bundesregierung und die britische Regierung blockieren dies, um die Profitinteressen der Pharmakonzerne zu schützen. Die neue, angeblich „soziale“ Ampelkoalition hat das nicht geändert! Profit geht vor Menschenleben, ist das Motto.
Doch das ist nicht neu. Nicht Corona ist die Ursache. Jetzt zeigt sich eben noch deutlicher, wie menschenverachtend und mörderisch das kapitalistische System ist. Oxfam schreibt in seiner Studie für die Zeit vor der Pandemie:
„Weil sie keine adäquate medizinische Versorgung erhalten, sterben in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen jedes Jahr 5,6 Millionen Menschen. Das sind jeden Tag mindestens 15.000 vermeidbare Todesfälle.“
Oxfam gibt gleich noch an, warum diese Entwicklung beständig so dramatisch voranschreitet: Viele der ärmeren Länder sind extrem verschuldet. Die Kreditgeber, große Finanzmonopole fordern dafür ihren Preis: Drastische Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor wie bei Gesundheit und Bildung, Privatisierung – also Gesundheit und Bildung nur noch gegen Geld!
Natürlich kennen die Herrschenden all diese Zahlen, die ja schon seit vielen Jahren bekannt sind. Oxfam schreibt:
„Auch die zunehmende Ungleichheit wirkt tödlich: Der Economist hat Dutzende Studien ausgewertet, die untersucht haben, warum einige Menschen an COVID-19 sterben und andere nicht. Soziale Ungleichheit hat durchweg eine hohe Erklärungskraft. Auch mehrere länderübergreifende Studien finden einen robusten empirischen Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und COVID-19-Mortalität.“
Der nette Herr Olaf Scholz, seine Außenministerin Baerbock, sein Wirtschaftsminister Habeck, der Finanzminister Lindner, Gesundheitsminister Lauterbach – sie alle wissen um die tödlichen Folgen der kapitalistischen Gesundheitsindustrie. Und? Sie schützen die Interessen des Kapitals!
Bildung für alle? Nicht im Kapitalismus!
Unter der Überschrift „Corona und Privatisierungen verschärfen Bildungsungleichheit“ (leider wieder falsch, da Corona nichts für den Kapitalismus kann) berichtet Oxfam:
„Vor der Pandemie lag der Anteil der zehnjährigen Kinder, die einen einfachen, altersgemäßen Text nicht lesen und verstehen können, in einkommensschwachen Ländern bereits bei über 50 Prozent. Aktuelle Prognosen gehen von einem Anstieg auf bis zu 70 Prozent aus. 20 Millionen Mädchen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen werden Schätzungen zufolge nie wieder in den Klassenraum zurückkehren, zusätzlich zu den 130 Millionen Mädchen, die schon vor der Pandemie nicht zur Schule gingen.“
Auch hier haben neoliberale Politik, Zerstörung öffentlicher Bildung und Privatisierung ihr Werk schon lange vor Corona verrichtet. Corona hat die krasse Situation nur noch krasser gemacht.
Ein System struktureller wirtschaftlicher Gewalt“
So lautet eine Überschrift, der wir nur voll und ganz zustimmen können. Richtig sagt Oxfam:
Wenn Profite für Konzerne und ihre Eigentümer*innen systematisch mehr zählen als der Schutz der Menschenrechte und des Planeten, wenn Menschen aus Kostengründen eine notwendige medizinische Behandlung verwehrt wird, wenn sie zu wenig Geld haben, um sich gesund zu ernähren oder Arbeitsbedingungen krank machen, dann erfahren Menschen Gewalt.“
Es ist gut, dass hier offen und klar gesagt wird, auch der „normale“ Kapitalismus ist bereits mit seiner Ökonomie nackte, brutale Gewalt, die Menschenleben kostet und auf elementarsten Menschenrechten herumtrampelt.
Weiter heißt es richtig:
„Kern dieses Systems und ein wesentlicher Treiber von Ungleichheit ist eine einseitige Ausrichtung auf die Interessen der – meist ohnehin schon vermögenden – Unternehmens- und Anteilseigner*innen. Die in unserem Wirtschaftssystem angelegte Orientierung am Profit wird durch die Doktrin des Shareholder Value ins Extrem getrieben.“
Ja sicher, das ist einseitig. Aber das kann im Kapitalismus nicht anders sein. Die Grundlage des Kapitalismus ist eben der Profit und nicht die Lebensbedürfnisse der Menschen.
Richtig beschreibt Oxfam auch, dass die Großkonzerne mit ihrer ökonomischen Macht herrschen, Regierungen unter Druck setzen, sich Lobbyisten und Fürsprecher einkaufen, Gesetze zu ihren Gunsten durchdrücken, kaum noch Steuern zahlen usw. Ein sehr realistisches Bild! Besser könnten auch wir kaum beschreiben, wie zerstörerisch und diktatorisch der Kapitalismus ist. Es ist eben selbst in demokratischem Gewand die Diktatur des Kapitals!
Sozialer Kapitalismus oder eine andere Gesellschaft?
Doch bei den Konsequenzen hört der Realismus bei Oxfam auf. Sie schreiben:
„Die Wirtschaft gerecht gestalten
Wollen wir die globale Zukunft sozial und ökologisch gerecht gestalten und zu einem guten Leben für alle kommen, brauchen wir ein gerechteres Wirtschaftssystem, in dem alle ihren fairen Beitrag leisten und das Gemeinwohl mehr zählt als Profitmaximierung um jeden Preis.“
Ihre Lösung:
„Eine höhere Besteuerung von Konzernen und sehr großer Vermögen… Eine ausreichende öffentliche Finanzierung… internationale Handelsregeln, die die Menschenrechte stärker gewichten als das Streben nach maximalem Profit…“
Und dann verlangen sie:
„Im Zentrum des Wandels aber müssen die Unternehmen selbst stehen, denn sie sind es, die ihre wirtschaftliche und politische Macht für die Beibehaltung der geltenden Regeln nutzen. Es gilt Rahmenbedingungen zu schaffen, die dazu beitragen, dass Unternehmen nicht mehr exzessiv die Profitinteressen Einzelner bedienen, sondern sich auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Allgemeinheit konzentrieren.“
Das jedoch passt überhaupt nicht zur vorherigen Analyse. Da wird deutlich gemacht, dass das Kapital mittels seiner ökonomischen Macht herrscht und wie brutal und grausam es herrscht. Wie soll dieses Kapital auf einmal lieb und brav für die „Befriedigung der Bedürfnisse der Allgemeinheit“ arbeiten? Das ist wohl die Quadratur des Kreises! Das Kapital hat doch bereits alle Macht! Sie haben Milliarden und Billionen im Überfluss! In der englischsprachigen Ausgabe der Oxfam-Studie erklärt Abigail E. Disney, selbst Millionärin und Mitglied der „patriotischen Millionäre“, dass die Reichen endlich höher besteuert werden müssen. Ja, sie ist wohl ehrlich und aufrichtig und möchte gern etwas von ihrem Reichtum über höhere Steuern abgeben. Das ist ehrenwert! Es löst aber nicht das Grundproblem dieses Systems! Denn dieses System beruht auf unbezahlter Mehrarbeit, auf dem Mehrwert und dem Profit. Höhere Steuern für die Reichen sind für uns ok! Sie können kurzfristig das Los der arbeitenden Klassen etwas lindern. Deshalb unterstützen wir auch solche Forderungen. Aber langfristig ändert sich damit nichts! Denn da viele Milliarden Menschen weltweit heute bereits im Unterkonsum leben, würde dieses Geld sowieso ganz rasch wieder in den Taschen der Reichen landen. Denn nur sie verfügen über die wichtigsten Produktionsmittel und über eine ungeheure ökonomische Macht. Selbst wenn alle Kapitalisten so nett wie Abigail E. Disney wären, würde sich langfristig nichts ändern.
Doch all die von Oxfam aufgezeigten Tatsachen sind seit Jahrzehnten bekannt. Tausende Konferenzen hat es dazu gegeben, wie man diese Probleme lösen kann. Die Lösungsvorschläge, die Oxfam nun wieder auf den Tisch legt, wurden bereits tausende Male gemacht. In jeder guten sozialdemokratische Predigt in jeder Rede der Linkspartei wird eine „gerechte Sozialpolitik“ angemahnt. Und? Die Probleme wurden immer schlimmer! Das Kapital als Ganzes (nicht einzelne gutmütige Kapitalisten) ist gezwungen, den Profitkreislauf in Gang zu halten. Das System ist der Fehler! Es ist menschenverachtend und mörderisch! Deshalb kann es eine wirkliche und dauerhafte Lösung nur geben, wenn der Kapitalismus beseitigt und eine neue sozialistische Gesellschaft geschaffen wird.
Oxfam beschreibt gut die Machtverhältnisse. Mit Wünschen nach einer „gerechten Welt“ ändern sich diese aber nicht! Das Kapital muss entmachtet werden, damit sich etwas grundlegend und dauerhaft ändern kann!
Dabei wissen wir, dass wir aus den Fehlern und Mängeln des ersten Anlaufs zum Sozialismus lernen müssen. Aber wir können lernen und es beim nächsten Mal besser machen. Der Kapitalismus hingegen hat sich trotz vieltausendfacher sozialdemokratischer und linker Predigten nicht zu einem „sozialen Verhalten“ bekehren lassen. Er ist per System unbelehrbar!
dm
Hier geht es zum englischsprachigen Originalbericht:
Und hier zum deutschsprachigen Kurzbericht:
https://www.oxfam.de/ueber-uns/publikationen/gewaltige-ungleichheit-fehler-liegt-system