Die Pleite des Kapitalismus

FRankfurter Rundschau Marx triumphiertEine kernige
Schlagzeile, die aber unsere Leser nicht wirklich erschrecken dürfte. Doch das
Besondere daran ist, dass so die Frankfurter Rundschau am 9.Oktober aufmachte,
zudem ganz in rot mit einem Karl Marx der triumphierend die Faust zum Sieg
reckt. Das Bild ist das Gegenstück zu der bekannten Marx Karikatur, die ihn Schulter
zuckend zeigt mit dem Ausspruch: „Sorry,
habe mich geirrt“.
Doch die Frankfurter Rundschau nutzt nicht nur die
Bildersprache. Gleich daneben zitiert sie aus dem Kommunistischen Manifest,
eine Wahrheit, die in diesen Tagen jeder versteht, obwohl sie vor 160 Jahren
niedergeschrieben wurde: „Die moderne
bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel
hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten
nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.“

Mittlerweile
vergeht kein Tag ohne neue Schreckensmeldungen, keine Talkshow in der nicht
gestandene Investmentbanker hilflos einräumen, dass Suppenküchen wieder
notwendig werden könnten. Exemplarisch nur ein Zitat vom wohl zukünftigen
US-Vizepräsident Joe Biden. Der erklärte in einer Wahlveranstaltung in Seattle
am 19.10.: „Gürtet Eure Lenden. Wir
werden mit Eurer Hilfe gewinnen, so Gott will, wir werden gewinnen; aber es
wird nicht leicht. Dieser Präsident, der nächste Präsident, wird vor der
wichtigsten Aufgabe stehen. Mann, das ist wie die das Ausmisten des
Augiasstalls. Ach was, es ist noch viel mehr, es ist wie …, denken Sie
darüber nach, denken Sie … Es ist nicht nur eine Krise des Kapitals, es geht
um mehr als nur Märkte. Wir haben ein systemisches Problem mit unserer
Wirtschaft.“

Dass der
Kapitalismus ein krisengeplagtes System ist, steht in jedem Lehrbuch, auch wenn
es in Zeiten der New Economy, dem Internetboom oder in der Phase des
Erstarkens  neuer Märkte in China, Indien
und Russland  die Ansicht gab, der  Kapitalismus könne den Wirtschaftszyklus von
Aufschwung und Abschwung durchbrechen. Aber Joe Biden belässt es ja
ausdrücklich nicht bei einer Krise des Kapitalismus, sondern spricht von einem
„systemischen Problem“. Die Frankfurter Rundschau sagt es plakativer: Pleite!
Warum finden Zeitungen und Politiker diesmal so klare Worte, wo sie doch vor
kurzem kaum wagten, von Rezession zu sprechen und was macht sie so sicher?

Weltwirtschaftskrise: 32-jährige Mutter mit 7 KindernWenn eine
Familie oder Firma pleite ist, dann weiß jeder, dass von der Seite kein Geld
mehr zu erwarten ist. Wenn ein Staat pleite ist, dann sind seine
Schuldverschreibungen wertlos und letztendlich ist sein Geld wertlos. Der Wert
des Geldes war früher an eine Goldmenge gebunden, aber heutzutage sollte der
Wert einer Währung einer entsprechenden Menge von Waren und Dienstleistungen
entsprechen. Doch die Geldmengen, gerade von Dollar und Euro, haben sich durch
Zins und Zinseszins unglaublich vermehrt. Wäre der Gegenwert des Geldes,
nämlich die reale Wirtschaft, im selben Maß gewachsen, dann wäre das Geld noch
ziemlich wertstabil. Doch unbegrenztes Wachstum ist auf einem begrenzten
Planeten schon eine Illusion. Die Geldmenge wuchs in den letzten zehn Jahren
überproportional. Die Inflationsrate, die das Geld entsprechend entwertet,
müsste eigentlich dramatisch höher sein, um wieder eine Art Gleichgewicht
herzustellen. Überall aber wird auf der Welt noch mehr Geld geschaffen und gleichzeitig
gerät die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession. Das heißt es wird weniger
produziert und das Missverhältnis verschlimmert sich. Durch stark wachsende
Arbeitslosigkeit entgehen dem Staat genau die Gelder, die er ja eigentlich für
seine Rettungsaktionen bräuchte. Arbeitslosigkeit bedeutet weniger Konsum, hat
weniger Produktion zur Folge und führt zu Entlassungen.  Die Abwärtsspirale setzt sich in Gang,  bis zu dem Punkt an dem auch die
Sozialsysteme kollabieren. Ein Staat, der hunderte Milliarden für Not leidende
Banken hat, sollte auch Geld für Not leidende Menschen und Betriebe aufbringen.
Dies kann aber auch nur wieder über neue Schulden geschehen und so setzt sich
hier eine Spirale in Gang, die entweder zum Staatsbankrott führen wird oder in
eine Hyperinflation mündet, die 
letztendlich die angeblich so sicheren Spareinlagen der Bürger mehr oder
weniger vernichtet. Es gab in Deutschland eine Zeit, in der man für eine
Million Mark nur ein Brötchen kaufen konnte.

Viele Menschen
sorgen sich um ihr gespartes Geld. Vielen galt gerade die Immobilie als sehr
sichere Geldanlage, doch genau hier nahm die Krise ja ihren Anfang. Breitet
sich auch bei uns die Arbeitslosigkeit stark aus, dann werden auch in
Deutschland viele Wohnungen und Häuser notverkauft und die Preise werden
entsprechend einbrechen. Dann wiederholen sich hier die Ereignisse wie in den
USA. Dort kam es neben drastischen Kreditausfällen zu einer starken
Unterbesicherung der Hypothekendarlehn 
aufgrund der eingebrochenen Immobilienpreise. Massenentlassungen haben
wiederum den Ausfall von privaten Konsumkrediten zur Folge. Auch hier ist dann
das davon gekaufte Auto im Notverkauf faktisch nichts mehr wert, da massenweise
gebrauchte Autos angeboten werden. Entsprechend schwierig wird da natürlich der
Verkauf von Neufahrzeugen oder der Neubau von Häusern. Auch Betriebe haben
Darlehen oder gar selbst Schuldverschreibungen ausgegeben, deren einzige
Sicherheit in der laufenden Produktion liegt. Gelder die in
Lebensversicherungen eingezahlt wurden oder als private Altersversorgung dienen
sollten, wurden natürlich zum Zwecke der „Verzinsung“ entweder ausgeliehen oder
in Aktien und anderen nun im Wert dramatisch gesunkenen  Papieren angelegt. Wann die ersten
Versicherungen zahlungsunfähig werden, ist nur eine Frage der Zeit. So
vagabundieren weltweit Zahlungsversprechen in Billionenhöhe, die im Fall einer
tiefen Rezession kaum einen Wert mehr haben werden.

An dieser Stelle
sei vielleicht die Frage erlaubt, wo denn das ganze Geld herkommt? Bekanntlich
produziert die Zentralbank die Währung und dazu legt sie den Zinssatz fest und
kontrolliert die Geldmenge. Andere Banken können nun bei der Zentralbank Geld
leihen und dürfen dabei auch Geld aus dem Nichts schaffen, in dem sie bei der
Zentralbank eine Mindestreserve einlegen und dann z.B. das Zehnfache des
Betrages erhalten. Wenn jetzt eine Bank im Zuge des Merkelplans z.B. drei
Milliarden Euro Eigenkapitalaufstockung erhält, dann könnte sie für 30
Milliarden Euro Kredite vergeben. Das ist ein nicht unerheblicher Hebel, zumal
so jedem klar wird, dass Banken eben nicht allein von der Zinsdifferenz aus
Spareinlage und Kredit leben. Das Problem ist nur, dass das Geld für die Zinsen
ja auch irgendwo herkommen muss und das kann eben nur über weitere Kredite
geschehen. Daher verwundert es nicht, dass im Bundeshaushalt 2008, der sich
insgesamt über 283 Mrd. Euro beläuft, allein 43 Mrd. nur für Zinsen vorgesehen
sind.

Wem jetzt von
den vielen Milliarden Euro schon schwindelig ist, der sollte sich die Zahl von
600 Billionen Dollar kurz vor Augen führen. Diese Zahl nennt die Bank für
Internationalen Zahlungsausgleich für den Wert aller Derivate in 2007. Das ist
zehnmal so hoch wie der Wert aller Waren und Dienstleistungen, die in einem
Jahr weltweit erzeugt werden. Derivate sind abgeleitete Papiere, mit deren
Hilfe man auf Entwicklungen spekulieren kann, und zwar in alle Richtungen mit
einem vielfachen Hebel. Sie sind nichts anderes als Wettgeschäfte.
Leerverkäufe, die gerne von Hedgefonds betrieben werden, laufen auf das gleiche
Prinzip aus. Hier werden Aktien ausgeliehen und verkauft in der Hoffnung, dass
der Kurs sinkt und sie die Aktien dann billiger zurückkaufen können. Immerhin
waren die Aktien ja nur geliehen und müssen zurückgegeben werden. Die Differenz
ist dann der Gewinn. Im Juli dieses Jahres waren weltweit Aktien im Wert von
1,4 Billionen Dollar ausgeliehen. Dies sind nur grobe Einblicke in das
gigantische Kartenhaus, das die Finanzwelt errichtet hat. Angesichts der Summen
ist es wohl offenkundig, dass kein Staat der Welt dieses einstürzende Haus
retten kann.

Im Gegenteil
stehen schon jetzt erste Staaten vor der Pleite. Die schöne Insel Island zählt
nur 320.000 Einwohner. Die Gesamtverschuldung der drei größten isländischen
Banken beträgt das Zwölffache  der
Wirtschaftsleistung der Insel. Man muss kein Finanzfachmann sein, um zu
erkennen, dass der isländische Staat hier nichts retten kann. Dabei stellten
OECD und EU noch am 21. August eine Studie vor. Danach „zählt Island heute zu den modernsten und fortschrittlichsten Ländern der
Welt.“
Es könne mit Island nur weiter bergauf gehen, heißt es in der
EU-Studie, wenn es nur „wie bisher schon
in Banken und Wirtschaftsberatung investiert werde … Weit über die Grenzen
Islands hinaus“
(Die Welt, 9.10.2008, S. 27).  Man erinnert sich förmlich an die Fachleute,
die noch vor kurzem auch Deutschland rieten, auf die Produktion zu verzichten
und nur noch Dienstleistungsstandort zu werden.

Wenn nun nicht
nur Betriebe und Banken in eine Pleitewelle rutschen, sondern auch Staaten, dann
kann das auch ganze Währungen vernichten. Schon heute arbeiten die USA
unauffällig am „Amero“, dem Nachfolger des Dollar. Aber Pleite heißt eben auch
nicht Ende des Kapitalismus. Auch wenn unglaubliche Werte vernichtet werden,
Kriege und Hunger die Existenz der Menschen bedrohen und vernichten, so wird
der Kapitalismus wieder seinen Lauf nehmen. Der sogenannte Turbokapitalismus
oder Kasinokapitalismus hat den Niedergang nur beschleunigt, er ist aber nicht
die Ursache. Es gibt keinen Hexenmeister, der diese Gewalten zu beherrschen
vermag. Nur ein Begräbnis des Kapitalismus rettet die Menschheit vor weiteren
Alpträumen und die Totengräber müssen wir selber sein. (J.T.)