Magdeburg: Prozesse gegen Kriegsgegner (GÜZ-Prozesse)


Besetzung des Gefechtsübungszentrums Colbitz-Letzlinger Heide, Fotos von GÜZ-abschaffen

„Kein Tag ohne Kriegshandlungen“

Im Rahmen der Gewaltfreien Aktion GÜZ (Gefechtsübungszentrum) abschaffen betrat die Studentin Paula Schumann, 22 Jahre, im Sommer 2019 den Truppenübungsplatz Altmark, um den Übungsbetrieb zu stören. Wegen des Betretens des militärischen Areals erließ die Bundeswehr einen Bußgeldbescheid, gegen den die junge Frau Einspruch einlegt hat. Deshalb kam es zu einer öffentlichen Verhandlung am AG Bonn. Vor dem Gericht protestierten 25 Mitstreiter im Rahmen einer Mahnwache mit Corona-Abstand gegen die Kriegsübungen der Bundeswehr und die Verhängung von Bußgeldern für Aktivisten.

Paula erklärte vor Gericht: „Ich bin 1999 geboren. In meinem gesamten bisherigen Leben gab es keinen einzigen Tag, an dem Bundeswehrangehörige nicht an Kriegshandlungen teilgenommen haben. Mit dieser entsetzlichen Tatsache kann ich mich nicht abfinden.“

Den Aktionsort, der ganz in der Nähe ihres Wohnortes liegt, bewertete sie so:

Die Colbitz-Letzlinger Heide ist ein Ort, an dem weder Nachhaltigkeit noch Respekt für Menschenleben irgendeine Bedeutung zu haben scheinen. Die Bundeswehr nutzt diesen Platz, der als FFH-Gebiet ausgewiesen ist, auf eine sehr rücksichtslose Art und Weise, um Völkerrechtsbrüche und Menschenrechtsverletzungen vorzubereiten.“ Die Bundeswehr verstoße mit ihren Auslandseinsätzen seit 22 Jahren gegen Artikel 25 und 26 Grundgesetz und gegen die UN-Charta.

Paula Schumann bezieht sich u.a. auf den völkerrechtswidrigen Nato-Einsatz unter Bundeswehrbeteiligung gegen die Volksrepublik Jugoslawien im Jahr 1999.

Im Rahmen der GA GÜZ abschaffen hatten 20 Kriegsgegner im Sommer 2020 das Gefechtsübungszentrum Heer (GÜZ) in der Altmark unerlaubt betreten und das ehemalige Dorf Salchau besetzt. Sie blieben mehr als 30 Stunden. Während dieser Zeit musste der Übungsbetrieb auf dem Platz eingestellt werden.

Die Bundeswehr erwirkte ein Bußgeld von 200€ bis 500€ gegen die Besetzer, dem aber 15 Betroffene widersprachen. Mit ihrer Aktion im Sommer 2020 hat die Aktionsgruppe den Lehren aus Afghanistan vorgegriffen:

Der desaströse Militäreinsatz in Afghanistan hat uns allen deutlich gezeigt, dass Kriege gegen den Terrorismus nicht mit Besetzung eines Landes und Waffengewalt geführt werden können. Das Üben in der Altmark für diese Out of Area Einsätze ist damit genauso überflüssig wie die Einsätze selbst“, erklärte Katja Tempel, Pressesprecherin der Aktion.

Die Aktivisten hatten mit ihrer Aktion die sofortige Schließung des GÜZ und die Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr gefordert.

Ihre Motivation, ihre Aktion und ihre Ziele, sowie die Unrechtmäßigkeit der Existenz des GÜZ werden die betroffenen Menschen in den nächsten Monaten vor Gericht erläutern. Sie sind zwischen 25 und 70 Jahre alt, für einige ist es die erste juristische Auseinandersetzung vor Gericht, andere haben schon wegen gewaltfreier Aktionen Ersatzfreiheitsstrafen im Gefängnis als Element der politischen Aktion abgesessen.

Das „Gefechtsübungszentrum Heer“ nördlich von Magdeburg ist mit seinen 232 km² und der genutzten Technik einer der modernsten Truppenübungsplätze Europas. Die Phantomstadt Schnöggersburg hat einen Sakralbau, ein Parlamentsgebäude, Hotels, Wohngebiete, eine U-Bahn, die einzige in Sachsen Anhalt übrigens, einen Kanal und ein Elendsviertel. Soldatinnen und Soldaten aus vielen NATO-Ländern werden dort auf ihre Auslandseinsätze vorbereitet, einschließlich Häuserkampf. Alle deutschen Soldaten, die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan eingesetzt wurden, haben dort das Töten geübt.

Der Platz wird auch von Polizeieinheiten als Übung gegen innere Aufstände genutzt: eine unsaubere Vermischung von Polizei- und Militärarbeit! Es gibt dort eine Stammbelegschaft, die bei diesen Übungen den Feind spielt. Das Gebiet gehört Schwedens Rüstungskonzern Saab, der von der Bundeswehr für die Nutzung bezahlt wird. 2020 wurde der Platz trotz Corona an 240 Übungstagen gebucht.

Die Kriegsgegnerin Katja Tempel, Hebamme aus dem Wendland: „Militäreinsätze dürfen laut UN-Charta nicht gegen terroristische Bedrohungen eingesetzt werden. Der Afghanistan-Krieg war nicht mit dem Völkerrecht vereinbar. Damit ist auch das Üben des Einsatzes auf dem GÜZ unrechtmäßig“. Dadurch ergebe sich die Notwendigkeit zum eingreifenden gewaltfreien Handeln.

Der Widerspruch gegen ein Bußgeld ist ein politisches Statement :„Über das Geschehen sowie darüber, dass man unsere Aktion für strafbar hält, darf nicht der Mantel des Schweigens gebreitet werden. Wir bezahlen keine Anwälte, sondern verteidigen uns vor Gericht selbst. Das hat mit Selbstermächtigung zu tun. Die Verhandlung ist öffentlich. Durch Öffentlichkeitsarbeit und die Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude können wir nochmals Menschen für unser antimilitaristisches Ziel erreichen: Das GÜZ muss stillgelegt werden.“

Viele Aktive sind auch in verschiedenen Kämpfen unterwegs, zum Beispiel für Klimagerechtigkeit, die Verkehrswende, gegen Atomkraft oder die US-Atombomben in Büchel. Die Antimilitaristen der Offenen Colbitz-Letzlinger Heide gehen davon aus, dass die jungen Klimaaktivistinnen und -aktivisten merken werden, dass das Militär zu den größten CO2-Emittenten gehört. Die schleichende Militarisierung der Gesellschaft muss verstärkt zum Thema werden.