GDL Abschluss: Klarer Erfolg der Streikenden – schaler Beigeschmack!


Foto von Frank Wittkowski; Pixabay

Plötzlich ging alles ziemlich schnell und ohne weiteren öffentlichen Bohai: Nach der dritten Streikwelle der GDL wurde verhandelt! Mit Erfolg! Und zwar unter „Moderation“ zweier Ministerpräsidenten – offensichtlich um Druck zu machen und um die lästige Affäre rechtzeitig vor der Bundestagswahl zu bereinigen. Am 16. September 2021 gab es einen Abschluss!

Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen!

Es stellt einen klaren Erfolg der streikenden Eisenbahn-Kolleginnen und -kollegen und ihrer Unterstützer dar:

* Dezember 2021: 1,5 Prozent Entgelterhöhung

* Dezember 2021: Corona-Beihilfe von 600 Euro für Arbeitnehmer mit mittleren Einkommen und von 400 Euro für Arbeitnehmer mit höheren Einkommen

* Januar 2022: Erhöhung sämtlicher Erschwerniszulagen für Handwerker/Werkstattmitarbeiter um zwölf Prozent

* März 2022: Corona-Beihilfe von 400 Euro für alle Arbeitnehmer!

* März 2023: weitere 1,8 Prozent Entgelterhöhung.

* Die Laufzeit des Tarifvertrages endet am 31. Oktober 2023.

* Der Geltungsbereich des Tarifvertrages erfasst alle Eisenbahnerinnen und Eisenbahner in allen Eisenbahnverkehrsunternehmen der DB, nicht aber in der so genannten Infrastruktur.

Das ist nicht schlecht. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass angesichts des wirklich massiven und konsequenten Drucks durch den Vollstreik in einigen Punkten sogar die Tarifforderung übertroffen wurde: So ergeben die beiden Entgelterhöhungen zusammen immerhin 3,3%, mehr als die geforderten 3,2 %. So gibt es die zweite Einmalzahlung (März 2022), durch die das Forderungsvolumen ein weiteres Mal übertroffen wird. Auch konnte durchgesetzt werden, dass die erste Einmalzahlung wie auch die erste Tranche der Entgelterhöhung noch in diesem Jahr (freilich nicht rückwirkend zum 1. April 21 wie gefordert) ausgezahlt wird, was die Bahn zuvor kategorisch ausgeschlossen hatte.

Das Ergebnis zeigt erneut, dass enschlossener Klassenkampf, ein konsequent geführter Streik die wirksamsten Waffen der Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten sind! Beim dritten, fünftägigen Streik wurden bis zu 24.000 Streikende gezählt. Die Streikaktionen konnten ca. 75 % der Fernzüge, zwei Drittel der Nah- und Regionalzüge sowie der S-Bahnen und den Großteil der Güterzüge der DB Cargo still legen. Die „Streikzeitung“, eine Initiative um Winfried Wolf, berichtet zudem, dass die DB in einem internen Papier nach der zweiten Streikwelle die „hohe Streikbeteiligung“ eingestand, auch die Teilnahme vieler Fahrdienstleiter, Weichenwärter, Wagenmeister und Disponenten. Das sind Bereiche der so genannten Infrastruktur, in denen die GDL bislang noch schwach organisiert ist, so dass bei ihnen auf Grund des üblen Tarifeinheitsgesetzes der neue Tarifvertrag eventuell gar nicht zur Geltung kommt. Deshalb ist die solidarische Unterstützung aus diesem Kreis besonders bemerkenswert.

Probleme bleiben!

Trotzdem muss man nüchtern die Probleme dieses Abschlusses sehen. Auf diese gehen weder die Medien noch (verständlicherweise) der GDL-Vorstand besonders ein:

1. Die Tarifforderungen waren von Beginn an sehr bescheiden. Die erkämpfte listenwirksame 3,3%ige Gesamterhöhung gleicht nicht einmal die aktuelle Inflationsrate von 4,1% aus.

2. Es bleibt bei einer sehr langen Laufzeit von 36 Monaten (bis 31.10.2023), von vollen 3 Jahren also. Zwar ist die provokative Forderung der Bahn nach einer 42-Monatigen Laufzeit(!) vom Tisch. Doch auch 3 Jahre sind immer noch ein Hammer für die Betroffenen. In dieser Zeit ist legal kein neuer Tarifkampf möglich.

3. Schamhaft wird mit einer unauffälligen Formulierung der größte Einbruch in diesem Abschluss vertuscht. Die GDL vermeldet zwar, sie habe „versprochen die Zusatzversorgung zu erhalten“ und habe das auch gehalten. Die Betriebsrente sei sicher, der Zusatzversorgungstarifvertrag wieder in Kraft. Das bedeute eine Betriebsrente „garantiert ein Arbeitsleben lang“ (GDL-Info) für alle Eisenbahner, die bis zum 31. Dezember 2021 eingestellt werden. Wer allerdings im Jahr 2022 bei der Bahn anfängt, bezieht von Beginn an „3,3 % vom DEVK-Pensionsfonds“ und kommt so „in den Genuss einer vernünftigen“ Betriebsrente. Klartext: Ab 2022 Eingestellte bekommen die „gerettete“ Betriebsrente nicht mehr. Die „Neuen“ sollen eine (verräterisch unklar formuliert!) „vernünftige“ Betriebsrente von dem privaten Pensionsfond DEVK erhalten, in den die DB 3,3 Prozent des Gehalts einzahlt. Diese Rente wird nicht die Höhe der bisher gültigen Betriebsrente erreichen. Offene Spaltung – immer wieder diese Tricks des Kapitals, um endlich eine verhasste Belastung – in diesem Fall durch die Sicherstellung der Betriebsrente – loszuwerden!! So sehr man den kämpfenden Kolleg/innen die Verteidigung ihrer Betriebsrente gönnt: Ihre Nachfolger werden sie nicht mehr in dieser Form und Höhe haben. Das ist der „Preis“ für den relativ hohen Abschluss im Volumen, den die Kolleg/innen erstreikt haben.

Gleichwohl muss der Abschluss insgesamt als ein wichtiger Erfolg der kämpferischen Kollegen gewertet werden. Der konsequente Streikkampf hat bei allen kämpferischen Kolleginnen und Kollegen, beileibe nicht nur bei der Bahn, große Sympathie, Solidarität und den Wunsch ausgelöst, es zukünftig den GDLern gleich zu tun. Das wollten sowohl die DB, als auch das gesamte Kapital und ihre Regierung verhindern.

Hetz-Kampagne!

Das gilt umso mehr, als der Arbeitskampf unter den Bedingungen einer wüsten Hetzkampagne stattfand. Aus allen Medienrohren wurde gefeuert, Vertreter des Kapitals, der DB und der Regierung zeterten und drohten. Die Medien verbreiteten Lügen und Drohungen gegen die streikenden Kolleg/innen. Viele Medien ließen (und lassen) sich vor den Karren der DB spannen und machten den Kampf der Gewerkschaft mies! Richard Lutz, Vorstandschef der Deutschen Bahn (DB), pöbelte die kämpfenden Kolleginnen und Kollegen öffentlich an, ihr Tarifkampf „sei absolutes Gift für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Eisenbahnerfamilie“. Welche Familie, fragen sich da viele Bahnkolleg/innen. Wer die z.T. schlimmen Arbeitsbedingungen der Betroffenen life miterleben darf, fragt sich ebenfalls, was das für eine „Familie“ sein soll! Wenn Bosse „Familie“ in den Mund nehmen, dann wird’s schmierig!

Das Tarifeinheitsgesetz muss weg!

Unter Hinweis auf die Kritik der GDL am Tarifabschluss der EVG wird bis heute die Behauptung vermittelt, dass es sich bei dem Tarifkampf der GDL vor allem um einen spalterischen Machtkampf zwischen EVG und GDL handelt. Die wirklichen Spalter sind freilich die Bahnbosse, die bis jetzt daran festhalten, das Tarifeinheitsgesetz (TEG) im Konzern anzuwenden.

Durch das von SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles 2019 durch den Bundestag gepeitschte, so genannte TEG (1) wird die Spaltung unter den Bahn-Kollegen vertieft und – schlimmer noch – in gesetzliche Normen gegossen, eine für klassenkämpferische Gewerkschafter/innen ernst zu nehmende Bedrohung. Nur der Tarifvertrag der in einem Betrieb stärksten Gewerkschaft soll gelten – und das ist in der Tat in großen Teilen der vielen DB-Betriebe die DGB-Gewerkschaft EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft). Und diese hat nach üblichem DGB-Muster 2020 (!!) einen viel niedrigeren Tarifvertrag („Krisenabkommen“) abgeschlossen: ab 1.1.2022 1,5% mehr Lohn, dazu einen Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und angebliche, größere Neueinstellungszusagen. Laufzeit vom 1.3.2021 bis 28.2.2023, 24 Monate, da ist die EVG ein wenig besser als die GDL. Trotzdem: Dieser Vertrag bedeutet realen Lohnabbau!

Aber die EVG hat in vielen DB-Betrieben deutlich mehr Mitglieder, freilich nicht überall. Es gibt auch Betriebe mit GDL-Mehrheit unter den organisierten Kolleg/innen.

Ein Skandal: EVG- und DGB-Spitze beteiligen sich an der Hetze!

Besonders übel: Die Führung der EVG, voran ihr Vorsitzender Hommel, aber auch DGB-Chef Reiner Hofmann beteiligten sich offen an der Hetze gegen die streikenden GDLer/innen! Damit unternehmen sie nichts gegen, sondern vertiefen zusätzlich die Spaltung. Sie sehen ihre Felle davonschwimmen, der kämpferische Auftritt der eigentlich zur Beamtenbund-Tarifgemeinschaft gehörigen GDL verkörpert das, was viele kämpferische Kolleg/innen an den DGB-Führungen vermissen: Nach der Urabstimmung die Kampfbereitschaft entschlossen und sofort zu nutzen: Konsequenter Vollstreik, Standhaftigkeit gegenüber der öffentlichen Hetze.

Unisono mit dem Bahnvorstand versuchte deshalb Hofmann, die GDL an den Verhandlungstisch zurück zu beordern mit dem abgedroschenen wie verlogenen Spruch: „Lösungen werden am Verhandlungstisch erstritten. An den sollte GDL-Chef Weselsky zurückkehren.“ So denken die DGB-Führer! Nein, Kollege Hofmann: Verhandlungsrunden spielen natürlich auch eine Rolle, aber erstritten haben das Tarif – Ergebnis die Kolleginnen und Kollegen mit ihren beeindruckenden Streiks.

Und dann Hofmanns in der rechten Presse abgeschriebene Anschuldigungen, der GDL gehe es „weniger um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. … Der Arbeitskampf wird durch die GDL instrumentalisiert.“ 95 % der GDLer/innen haben in der Urabstimmung für Streik gestimmt, Kollege Hofmann! Wie sollen die instrumentalisiert werden. Der Streik ist vielmehr ihr Instrument, ihre stärkste Waffe!

Hofmanns „Rat“ sollte nur eines bewirken: Den Streik abzuwürgen und den Kolleginnen und Kollegen nach dem Muster einiger DGB-Führer ein viel niedrigeres Ergebnis aufzunötigen! Klar, dass DB-Personalvorstand Martin Seiler ständig genau dieselbe Forderung wie Hofmann an die GDL richtete… Kollege Hofmann: Wie viele Mitglieder kehren denn heute schon den DGB-Gewerkschaften den Rücken?

Die EVG hat ein Problem!

Die DGB-Gewerkschaft EVG, bzw. ihr Chef Hommel haben jetzt ein Problem. Weil die GDL-Kollegen mit ihrem entschlossenem Streik deutlich mehr erreicht haben als die EVG-Führung, beruft sich Hommel nun darauf, dass der EVG-Tarifvertrag eine Sonderkündigungsklausel enthalte, dass im Falle eines besseren Abschlusses mit der GDL nachverhandelt werden müsste. Diese Option zieht die EVG jetzt. Die EVG erklärte sich nun plötzlich sogar vollmundig für streikfähig. „Die Tarifrunde ist zu Ende, wenn sie mit der EVG zu Ende ist“, spielt sich Hommel auf. Eilfertig stimmt Martin Seiler zu, dass jetzt kein Bahn-Kollege schlechter gestellt werden dürfe. Dies werde man rasch mit der EVG klären. Das hatte GDL-Chef Weselsky zu der Kritik getrieben: „Wir geben Millionen aus, gehen in den Streik, lassen uns beschimpfen, und am Ende des Tages dürfen wir zuschauen, wie der Tarifabschluss den anderen hinterhergetragen wird.“

Aber der EVG-Vorstand unterbreitet plötzlich (1. Oktober 2021!!) neue Forderungen:

* „Eine Corona-Beihilfe in Höhe von 1.500 Euro für alle… Auszubildende und dual Studierende sollen 750 Euro erhalten.

* Außerdem sei unverzüglich eine Überarbeitung des Entgeltsystems im gesamten Konzern sowie

* Die „Weiterentwicklung der arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altersvorsorge als ein wesentliches Standbein der Altersvorsorge – auch und insbesondere für jene Kolleginnen und Kollegen, die in den nächsten Jahren zur Deutschen Bahn kommen und die bisherigen Sicherungssysteme nicht mehr in Anspruch nehmen können“ (Quelle: https://www.evg-online.org/meldungen/details/news/9161/ )

Die EVG-Führung will offensichtlich Boden gutmachen und die verheerende Wirkung ihrer Politik auch für die EVG verwischen. Sie muss sogar ernsthaft aufpassen, dass ihre Gewerkschaft nicht in die Situation gerät, im Sinne des TEG in die Minderheitsposition zu geraten!! Dieses Gesetz ist Gift, es zersetzt mit voller Absicht Klasseneinheit und Solidarität…

Frage an die EVG-Führung: Wie wäre es, wenn Ihr den offensichtlich etwas besseren GDL-Tarifvertrag zunächst einmal auch für Eure Mitglieder durchsetzt und offenbar nötige weitere Verbesserungen des Tarifsystems (Entgeltsystem-Verbesserungen, Weiterentwicklung der arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altersvorsorge) dann gemeinsam mit den GDL-Kolleg/innen anpacken würdet?

Denn bei aller Kritik an den Praktiken solcher DGB-Führer sind wir für die Stärkung der Gewerkschaften, auch der EVG. Die Gewerkschaften sind eine wichtige Waffe im Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter. Allerdings müssen die kämpferischen Positionen in ihnen gestärkt und der negative Geist der Klassenzusammenarbeit bekämpft werden.

Mitglieder von GDL und EVG – gemeinsam für Einheit und Solidarität!

Nach positiven Kampferfahrungen der GDL (nicht zum ersten Mal!!) kann und wird es sicherlich keinen gemeinsamen Kampf geben, wenn es bei den ständigen Praktiken der Klassenzusammenarbeit bei der DGB-Gewerkschaft EVG bleiben sollte. Hier müssen die klassenkämpferischen Kolleginnen und Kollegen beider Gewerkschaften ihr Gewicht in die Waagschale werfen. Praktiziert gegenseitige Solidarität, auch wenn die EVG jetzt tatsächlich auch noch streiken sollte!

Fordern wir alle gemeinsam:

  • Weg mit dem Tarifeinheitsgesetz!
  • Schluss mit den irren Laufzeiten,
  • Schluss mit der ewigen Unterwerfung unter die Profitziele der Deutschen Bahn.

Die Lehre des erfolgreichen Kampfes der GDL-Kolleginnen und -Kollegen heißt:

Nur gemeinsamer Klassenkampf wird die Lage der Eisenbahner/innen weiter verbessern!

Nur gemeinsamer entschlossener Kampf um die gemeinsamen Interessen wird die Spaltung besiegen!

Anmerkung:

(1) GDL-Chef Weselsky weist zu Recht darauf hin, dass es sich in Wirklichkeit um den § 4a des Tarifvertragsgesetzes handelt. Ein eigenes Tarif-Einheitsgesetz gibt es nicht. Letzteres war 2015 ein so genanntes Artikel-Gesetz, durch das dieser § 4a ins Tarifvertragsgesetz eingefügt wurde.