„Gott“ oder „Der Gotteswahn“: Zwei Bücher – ein Thema – zwei Weltanschauungen

Gott, LützSo grundverschieden können zwei Bücher zum selben Thema
sein. Da ist das Buch von Manfred Lütz, „Gott- Eine kleine Geschichte des
Größten“. Er stellt sich die Aufgabe,
„eine Frage zu beantworten, der sich jahrtausendelang die gescheitesten und
weisesten Menschen gewidmet haben“
und nennt das selbst „etwas Größenwahnsinniges“. Er meint: „die Frage nach Gott ist unter uns gesagt
für jeden eine Frage auf Leben und Tod“
(S.XI-XII).

Gotteswahn, DawkinsDas andere Buch stammt von Richard Dawkins, „Der
Gotteswahn“. Dawkins kommt gleich auf dem Titel zur Sache, indem er dort
unmissverständlich Stellung nimmt: „Ich
bin ein Gegner der Religion. Sie lehrt uns, damit zufrieden zu sein, dass wir
die Welt nicht verstehen.“

Das Buch von Manfred Lütz war für mich nur schwer zu lesen.
Er selbst stellt es als persönliche Stellungnahme dar. Deshalb beginnt er auch
das Vorwort damit, nicht seinen Gott zu preisen, sondern sich selbst. Es ist
mehr als peinlich, reihenweise Selbstlob zu lesen. So meint der Autor
beispielsweise, „dass das intellektuell
eine viel größere Herausforderung“
(S.XV)sei, komplizierte Dinge einfach
auszudrücken, um dann festzustellen, dass er genau das mit seinem Buch leiste.
An anderer Stelle produziert er sich als Mensch mit „Lust am Leben“(SXVI). Oder er bescheinigt sich selber, dass er „sorgfältig alle gängigen Einwände gegen
die Existenz Gottes beachtet“
und „alle
überzeugenden Argumente für Gott“
(S.XV-XVI) darstellt.

Für mich hatte diese Selbstdarstellung schon etwas den
Geschmack des alten Spruches „Leere Dosen klappern am lautesten.“

Dementsprechend strotzt das Buch von Lütz auch von kleinen
Taschenspielertricks, wo immer wieder ohne jeden Beweis, die Notwendigkeit
Gottes unterstellt wird. Bereits im ersten Abschnitt des ersten Kapitels „Musik
und Kunst – Elton John und die nackte Venus“ beginnt Lütz damit. Er bezieht
sich auf die Beerdigung von Lady Diana, das Lied von Elton John als Totenklage
und meint: „Es war eine Totenklage ohne
Gott.“
Daher sei sie auch „ohne
Hoffnung“
(S.1)gewesen. Eine primitive Unterstellung: Menschen ohne Gott
sind Menschen ohne Hoffnung. Mit Begründungen und Beweisen gibt sich der Mann,
der „intellektuell eine viel größere
Herausforderung“
liebt, nicht ab.

Und weil es so einfach ist, nennt er es eine „simple Sicht der Dinge, die nur Messungen,
Wiegbares, Betastbares kennt, die also nur Physik und Chemie, Verwesung und
Würmer zu sehen vermag.“
(S.2) So schnell kann man mit dem gesamten
Materialismus fertig sein! Sehr sorgfältig!

Und so beweist er dann auch, dass es Übernatürliches geben
muss: „Aber das Erleben der Wirkung
dieser genial angehäuften Steine, die wir Parthenon nennen, vereinigt die
Menschheit in der Gewissheit, dass es über Steine, architektonische Tricks und
Kosten für die Erbauung eines Hauses für kultische Handlungen hinaus etwas
gibt, was man nicht messen und berechnen kann, das aber uns Menschen über das
rein Irdische erhebt.“
(S.3-4) Kunst als Beweis für Übernatürliches? Oder
gar als Beweis für Gott? Lächerlich! Denn auch der menschliche Geist ist ein
Ergebnis der materiellen Evolution und etwas Materielles. Materie ist nicht
gleichbedeutend mit messbar, anfassbar. Lütz stellt den Materialismus so
simpel, naiv und primitiv dar, dass er ihn leicht besiegen kann.

Allzu viel Mühe macht sich Lütz auch nicht mit dem berühmten
Materialisten und Atheisten Ludwig Feuerbach. Lütz behauptet bereits in seinen
ersten Worten, dass Feuerbachs Atheismus
„in ihrem entscheidenden Kern aber psychologisch“
(S.25) sei. Beweise?
Fehlanzeige! Dafür nutzt Lütz die einmal aufgestellte, unbewiesene Behauptung
um den großen Feuerbach im Handumdrehen klein zu machen und zu widerlegen. Lütz
redet viel von „den dunklen Seiten des
Atheismus“
(S.53), nennt Giordano Bruno, er am 17. Februar 1600 von der
päpstlichen Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde,  einen „halsstarrigen
Rebellen ohne wirklich schlüssige Argumente“
(S.53). Ja, so einfach ist das
lustige Verbrennen von Ungläubigen, wenn man nur tief genug gläubig ist. Die
ungläubigen Atheisten sind einfach halsstarrig und wollen ihrem Unglauben nicht
abschwören. Atheisten, deren „Moralität
in Frage stehe“
können zu einem „Alptraum“
werden, vermeldet der Autor dem erschreckten Leser. Gut, dass er uns davor
gewarnt hat. Er plappert munter von der „entsetzlichen
Angst des wirklichen Atheisten vor dem Nichts.“
(S.60) und macht Nietzsche
zum Oberherren aller Atheisten, und wer Nietzsche folgt, so Lütz, der hat „keine Argumente gegen die kraftvoll
skrupellose Macht eines Hitler…“
(S.62) Damit hat Lütz den Atheismus wohl
endgültig „erledigt“, zumindest auf seinem Niveau. Denn die Gleichung
„Atheismus = Nietzsche = Hitler“ ist so offensichtlich dumm und derb, dass man
schon sehr gläubig sein muss, um sie nicht zu hinterfragen. Wenn solche
Argumente den Atheismus schlagen sollen, dann könnte man sehr simpel den
Glauben an Gott mit Kinder schändenden Priestern, mit Kreuzzügen,
Hexenverfolgung und der ganzen riesigen Liste kirchlicher Verbrechen
widerlegen. Dazu schweigt Lütz.

Doch diese moralische Widerlegung des Atheismus reicht Lütz
nicht. Er will ihn auch „naturwissenschaftlich“ fertig machen. Er meint, dass
mit der Quantentheorie „über 2000
Jahre Atheismus krachend in sich zusammen“
gebrochen seien, weil: „Es wird plötzlich klar, dass die Natur
nicht von deterministischen Gesetzen beherrscht wird…“
(S.65) Auch die
Himmelfahrt Christi wird damit nach Lütz möglich, wenn auch sehr
unwahrscheinlich. Für den Atheismus sei dies eine „Katastrophe“. (S.66) Und: „später
sollte dann mit der Urknalltheorie noch die atheistische Überzeugung von der
anfanglosen Ewigkeit des Weltlass fallen.“
(S.66)

Das ist wirklich Kost für brave Gemüter, die nur wenig
Ahnung von der modernen Naturwissenschaft haben. Mit der Quantentheorie und der
Urknalltheorie krachen weder der Atheismus noch der Materialismus zusammen.
Schon Friedrich Engels äußerte 1878 im „Anti-Dühring“ über Chemie und Physik: „Die endgültigen Wahrheiten letzter Instanz
werden da mit der Zeit merkwürdig selten.“
Tatsächlich sind sowohl
Quantentheorie als auch Urknalltheorie zunächst einmal ganz bescheiden Theorien
– im Gegensatz zu dem wenig bescheidenen Herrn Lütz. Aber sie erklären eine
Reihe physikalischer, chemischer und kosmischer Erscheinungen. Mit der modernen
Quantentheorie lassen sich sehr gut exakte Vorhersagen treffen. Sie basiert
also auf Wissen aus der materiellen Welt und auf deren Gesetzmäßigkeiten. Wie
alle Wissenschaft ist auch die Quantentheorie nicht das Ende, sondern nur
Etappe auf dem Weg zu mehr Erkenntnis. Lütz jedoch will die Quantentheorie
nutzen, um das Ende der „Gottesfrage“ zu verkünden. Für ihn ist sein Gott damit
bewiesen und jeder Atheismus widerlegt. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn Lütz
meint, Gott habe in der Quantentheorie Platz, dann nur als erbärmlicher Zufall!
Und wenn Gott wirklich der Erschaffer der Welt und allen Lebens sein soll, dann
kann er ja wohl kaum ein Zufallsprodukt der physikalischen Welt sein. Wenn Lütz
so weitermacht, dann muss er aufpassen, dass nicht eines Tages bei ihm wie
bei Giordano Bruno die Inquisition auftaucht und ihn wegen Gotteslästerung auf den
Scheiterhaufen bringt.

Je länger das Buch umso langatmiger wiederholt Lütz seine
Plattheiten von „Gottesbeweisen“: „Musik
ist materiell nicht festzumachen, sie besteht nicht aus dem Notenpapier, es sei
denn man verwechselte die Speisekarte im Restaurant mit dem Menü, das auf dem
Teller serviert wird. Musik ist der existentielle Beweis, dass es etwas
Immaterielles gibt…“
(S.293)

Diese „Logik“ ist kurios. Denn wenn das Notenpapier das
Materielle und die Musik das Immaterielle ist, dann wäre wohl die Speisekarte
ebenfalls das Materielle und das Schnitzel auf dem Teller dann das
Immaterielle. Das ist die Taschenspielerlogik von Lütz. Beweisen lässt sich mit
solch billigen Analogien nichts!

Wie anders und herzerfrischend ist dagegen das Buch von
Dawkins „Der Gotteswahn“. Da gibt es kein überschwängliches Selbstlob und keine
billigen Analogien, dafür harte wissenschaftliche Abarbeitung der Fakten der
modernen Naturwissenschaften und der „Argumente“ und „Beweise“ der diversen
Weltreligionen. Nicht umsonst hat Anfang Dezember 2007 die Staatsanwaltschaft
Istanbul Ermittlungen gegen den türkischen Verleger von Dawkins wegen des
Verdachts der Verletzung bzw. ‚Beleidigung religiöser Werte‘ in „Der
Gotteswahn“ aufgenommen.

Zunächst einmal geht Dawkins sehr richtig davon aus, dass
nicht die Atheisten beweisen müssen, dass es keinen Gott gibt, sondern
umgekehrt die Gläubigen beweisen müssen, dass es ihn gibt. Er spricht sich
vehement dagegen aus, dass hier die Beweislast von den theologischen
Schönrednern immer wieder umgekehrt wird. Um die Unsinnigkeit einer solchen
Beweisforderung gegenüber den Atheisten zu entlarven und den Kreationismus
anzugreifen, hat der US-Physiker Bobby Henderson als Parodie die Glaubenslehre vom Spaghettimonster
erfunden, das angeblich die Welt erschaffen hat. Mittlerweile sind 250.000
US-Dollar für denjenigen ausgelobt, „der
den empirischen Beweis erbringen kann, dass Jesus nicht der Sohn des Fliegenden
Spaghettimonsters ist.“
(siehe Wikipedia) Mit Fug und Recht stellt sich die
Frage, ob derjenige, der nicht an grüne Männchen, Spaghettimonster, Zeus,
Wotan, Allah oder Gott glaubt, dafür einen Beweis erbringen muss? Oder müssen
nicht diejenigen, die an so etwas glauben, Beweise erbringen? Gewöhnlich wird
Menschen, die an grüne Männchen glauben, nicht geglaubt und sie werden einer
psychiatrischen Untersuchung unterzogen. Nur bei Gott soll das anders ein, weil
Millionen daran glauben?

Doch allein damit hält sich Dawkins nicht auf. Er nimmt die
„Gottesbeweise“ eines Thomas von Aquin systematisch auseinander. Auch mit dem
Argument der „immateriellen Musik und Kunst“ setzt er sich auseinander. „Natürlich sind Beethovens späte
Streichquartette erhabene Kunstwerke. Das Gleiche gilt für die Sonette von
Shakespeare. Sie sind erhaben, wenn es einen Gott gibt, und sie sind auch
erhaben, wenn es ihn nicht gibt. Sie beweisen nicht die Existenz Gottes,
sondern die Existenz Beethovens oder Shakespeares. Ein großer Dirigent soll
einmal gesagt haben: ‚Wenn man Mozart hören kann, wozu braucht man dann noch
Gott?’“
(S.120-121)

„Wenn irgendein
logisches Argument die Existenz großer Kunstwerke an die Existenz Gottes
bindet, dann wird es einfach von seinen Vertretern nicht ausgesprochen. Man
geht einfach davon aus, dass es offensichtlich sei, was es ganz sicher nicht
ist.“
(S.122)

Auch mit der Quantentheorie und dem damit angeblichen
Beweis, dass der Materialismus am Ende sei, setzt sich Dawkins detailliert
auseinander. Er vergleicht dabei die menschliche Erkenntnisfähigkeit mit dem
Sehschlitz einer Burka, der am wahrnehmen der Realität hindert. Er erläutert,
dass z.B. wir bei Wellen nur ein sehr, sehr kleines Spektrum wahrnehmen können.
Im Vergleich zum Schlitz der Burka wäre da der verhüllende schwarze Stoff viele
Kilometer lang. Die Wissenschaft, so beschreibt er, hilft mit diversen
Instrumenten auch lang- bzw. kurzwellige Strahlung für uns sichtbar zu machen
und erschließt uns so ein verborgenes Universum. Dawkins weist nach, dass die
Quantentheorie wie alle Wissenschaft nicht etwa verschleiert und dem Zufall das
Regiment überlässt, sondern erklärt und verborgene Welten für uns öffnet. Es
macht richtig Spaß, sich von Dawkins die moderne Wissenschaft erklären zu
lassen. Dawkins verschweigt dabei nicht die Komplexität der Welt und die Begrenztheit
der menschlichen Erkenntnis. Doch er weigert sich, daraus den Schluss zu
ziehen, an etwas Übernatürliches zu glauben. Mit Dawkins gibt es einen guten,
streitbaren Vertreter des Atheismus, der zudem auf der Höhe der heutigen
Naturwissenschaften argumentiert.

Beide Bücher sind lesenswert: Das eine als abschreckendes
Beispiel dafür, wie leicht und bequem man es sich machen kann; als Beispiel
dafür wie man Gegner mit Vorurteilen und Vereinfachungen „widerlegt“. Das
andere ist spritzig, lebendig und voller Wissen.

 

Manfred Lütz, Gott- Eine kleine Geschichte des Größten

ISBN: 3629021581, 19,95 Euro, Pattloch Verlag, September
2007 – gebunden – 320 Seiten

Richard Dawkins, Der Gotteswahn

ISBN-10 3550086881, Ullstein Verlag, Berlin 2007, Gebunden,
575 Seiten, 22,90 Euro