Tarifvertrag zur Altersteilzeit(ATZ) in Baden-Württemberg sind am Freitag, dem
27.06.2008 in Böblingen ergebnislos abgebrochen worden. Das ist ein Schlag ins
Gesicht der über dreihunderttausend Kolleginnen und Kollegen, die in den Wochen
zuvor in zahlreichen Streikaktionen ihre Bereitschaft zum Kampf für einen neuen
ATZ-Tarifvertrag bewiesen haben.
Südwestmetall-Verhandlungsführer Jan Stefan Roell ließ nach
dem Scheitern erklären, dass es in Baden-Württemberg, das als traditionell
kampfstarkes Gebiet der IG Metall gilt, keine weiteren Verhandlungen mehr geben
werde. Roell offenbarte die Taktik der Kapitalseite, die Verhandlungen in ein
vermeintlich schwächeres Tarifgebiet zu verschieben. Es erklärte, der
Bundesverband Gesamtmetall werde nun entscheiden, „wer wann wo und was mit
der IG Metall besprechen“ solle. Tags darauf erklärte IG Metall Chef
Bertold Huber, dass der Konflikt nun weiter verschärft werden solle.
Das ist zwar richtig, zeigt aber, wie die IG Metall unter
Zugzwang geraten ist. Südwestmetall, die baden-württembergische Dependance von
Gesamtmetall, hat, wie sich aus der Presse klar ergibt, die Verhandlungen
bewusst torpediert. Die Stuttgarter Zeitung schreibt, Roell habe „eine
Gesamtkonzeption auf den Verhandlungstisch gelegt.“ Von dieser, so Roell
heuchlerich, „haben wir geglaubt, dass sie für beide Seiten trägt“. Es
sei aber nicht gelungen, das Konzept gemeinsam zu verabschieden. Und jetzt
kommts: „Da kann man aber nicht nachbessern, weil sonst das gesamte Paket
wieder aufgeschnürt werden muss.“ Das heißt, schönrednerisch
verklausuliert, nichts anderes als dass Roell im Auftrag von Gesamtmetall
erpresserisch der IG Metall-Delegation sagte: „Unterschreibt unser Papier
oder macht Euch vom Acker!“ Ein Hammer, den die Kolleg/innen nicht
unbeantwortet lassen dürfen.
Am Montag, dem 30.6.08, tagt in Baden-Württemberg die Große
Tarifkommission der IG Metall, um über den Fortgang des Kampfes zu diskutieren.
Hier kann es unseres Erachtens nur eines geben, das Scheitern zu erklären und
beim IG-Metall-Vorstand die Urabstimmung zu beantragen!
Worum es geht:
Die Altersteilzeit(ATZ)-Tarifrunde steht im Zeichen der
Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre durch die Bundesregierung und der von
ihr geplanten Beendigung der Förderung von ATZ durch die Arbeitsagentur Ende
2009. Mit ATZ konnten mache Kolleg/innen dem Druck kapitalistischer Arbeit im vorgerückten
Alter einige Monate früher entkommen. Eine individuelle ATZ-Vereinbarung (z.B.
über vier Jahre) senkt über diesen Zeitraum die Arbeitszeit auf 50 % ab, die
Entlohnung aber auf ca. 80 %. Normalerweise werden die 4 Jahre dann bei ca. 80
% Lohn in 2 Jahre volle Arbeit und 2 Jahre Ruhephase aufgeteilt. Das ATZ-Gesetz
sieht nur eine der Arbeitszeitabsenkung entsprechend abgesenkte Entlohnung vor.
Die einschlägigen ATZ-Tarifverträge stocken deshalb die Entlohnung auf ca. 80%
auf. Auch wenn das (in unserem Beispiel) besser als 50 % ist, hat das Folgen
für die Rente(nbeiträge) und natürlich für den Lebensstandard. Die heute
praktizierte ATZ basiert auf dem Zusammenwirken von Altersteilzeitgesetz und
einem darauf aufbauenden Tarifvertrag, der die Aufstockung des Einkommens
regelt. Eine wichtige Bestimmung des ATZ-Gesetzes ist, dass die Bundesagentur
für Arbeit die ATZ mit 20 % dann bezuschussen kann, wenn der Unternehmer für
einen Kollegen in ATZ einen Arbeitslosen einstellt oder einen Azubi fest übernimmt.
Diese Bestimmung soll nach dem Willen der Bundesregierung Ende 2009 ersatzlos
entfallen. Ein früheres Ausscheiden eines Kollegen fördern, wenn ein
Arbeitsloser dann einen Job kriegt? Uninteressant! Brauchen wir nicht. Geht uns
am Arsch vorbei! Hier zeigt sich wie Schwarz-rot in Berlin wirklich denkt!
Die SPD versucht jetzt, sich aus dieser
Koalitionsvereinbarung heraus zu winden und unterstützt heuchlerisch die
IG-Metall-Forderungen. Natürlich stellt sich hier die Frage, ob die
Bereitschaft des IG-Metall-Vorstandes mit seinen vielen SPD-Mitgliedern sich
jetzt gerade hier zu engagieren, nicht mit der SPD schlicht abgesprochen ist,
um deren Chancen in der Bundestagswahl zu verbessern! Daher auch die
offenkundige Bereitschaft dieser Leute, die Auseinandersetzung mit einem faulen
Kompromiss zu beenden, wie er schon bei der Chemie-Gewerkschaft zu studieren
ist. Dort gilt bereits solch ein Kuhhandel(näheres unter http://www.labournet.de/branchen/chemie/alg),
und dieser wird in der IG Metall bereit als Lösungsmodell propagiert. Dort
finanzieren die Kolleg/innen ihre ATZ weitgehend selbst.
Aber wie dem auch sei – Merkel pochte vor zwei Wochen per
Machtwort auf den Koalitionsbeschluss, und so wird der ATZ der finanzielle
Boden entzogen werden, der dem Kapital auch so schon „viel zu teuer“ ist.
In den Tarifverhandlungen verlangt das Kapital deshalb, dass
- die
Unternehmen selbst bestimmen, wer in ATZ gehen darf, - maximal
2 % der Belegschaft (in den gängigen Tarifverträgen normalerweise 5 %)
gleichzeitig in ATZ sein dürfen, - dass
nur noch „besonders belastete Mitarbeiter/innen“ in ATZ dürften (in den
Tarifverträgen gab es eine solche Einschränkung nicht)
Würden diese Forderungen durchkommen, wäre die ATZ für die allermeisten
kaputt und unfinanzierbar. Mit keinem Wort verlangen die Kapitalisten, dass die
Förderung der Arbeitsagentur bleiben solle. Im Gegenteil: Kapitalistenboss
Hundt fiel über alle Versuche und Vorschläge her, die ATZ gesetzlich wieder
besser zu untermauern.
Auch deshalb die große Empörung in den Betrieben! Ein Gefühl
herrscht vor: Die Chefs, die Unternehmer, das Kapital – sie sahnen immer
größere Profite ab und lassen die Kolleg/innen verkommen, die Politik
sekundiert ihnen mit der bekannten Verarmungspolitik auf allen Ebenen.
Im Kern führt die Arbeiterklasse des Landes jetzt einen
defensiven Abwehrkampf gegen diesen gesellschaftlichen Skandal. Gegen den
Skandal, dass das Kapital in einem der reichsten imperialistischen Staaten der
Welt das Rentenalter für die Massen erhöhen, vorzeitige Ausstiegsmöglichkeiten
unmöglich machen bzw. mit drastischen Rentenabschlägen verbauen lässt. Längst
ist die so genannte Parität bei den Sozialversicherungen zu Lasten der
arbeitenden Menschen zerschlagen. Die
Politik der „Senkung von Lohnnebenkosten“ erweist sich als brutale Lohnsenkung,
Verarmung, Raub zwecks Steigerung der Profite des Kapitals.
Altersarmut ist nun eine reale Aussicht für Millionen, und
je jünger die Betroffenen sind, desto deutlicher spüren diese, dass es für sie
noch schlimmer kommen wird als für die heute Älteren. Sie werden laut IG Metall
bei fortgeltendem heutigem Rentenrecht später mehr als 34 volle
Rentenbeitragsjahre brauchen, damit ihre Rente auch nur die staatliche
Grundsicherung („Sozialhilfe“) übersteigt!! Und dabei bräuchte man 34 Jahre
lang einen halbwegs einträglichen Job. Was ist, wenn längere Zeiten prekärer
Beschäftigung im Niedriglohnsektor oder
Arbeitslosigkeit dazwischen kommen, was immer wahrscheinlicher wird??
Zwar versuchen Propagandisten der Versicherungen und des
Kapitals, darunter so „feine Herrschaften“ wie Ex-Bundespräsident Roman Herzog,
hier Jung gegen Alt zu hetzen, in eine widerwärtige Auseinandersetzung um die
angebliche Ausbeutung der Jugend durch Rentnerinnen und Rentner. Aber die
Tatsachen sind hartnäckig: Wer heut jung ist, ist morgen alt, in jedem Jüngeren
steckt also ein Alter, gegen den in zwei, drei Jahrzehnten dann sicherlich
schlimmer noch gehetzt würde, als die „Jung gegen Alt-Kampagne“ es den heute
Jüngeren aufschwatzen will.
Nur der Kampf hilft!
Deshalb ist es kein Wunder, dass Ältere wie Jüngere vereint
die Streikwelle durchführen, wie man in den Medien gut verfolgen kann, dass die
„Jung-gegen Alt“-Hetze dort nicht aufgeht, wo kämpferische Kolleg/innen gemeinsam
im Kampf stehen. So defensiv er auch sein mag, dieser Kampf stützt sich auf
große Sympathie in der Öffentlichkeit. Groß ist die Bereitschaft der
Belegschaften sich für eine neue ATZ zu engagieren.
Die „Gewerkschaftslinke“ beleuchtet in ihrem lesenswerten
„Tarifinfo Juni 2008“ die Perspektiven:
„Wenn Ende 2009 die Förderung durch die
Bundesagentur für Arbeit (BA) wegfällt (also -20 % und der ATZ-TV ist an diesen
Zuschuss gekoppelt), dann ist die ATZ für die Kolleg/innen nicht finanzierbar.
Es gibt … grundsätzlich drei
´Lösungsmöglichkeiten´: Entweder das Kapital übernimmt mehr oder weniger
den gesamten Aufstockungsbetrag oder aber das Kapital verspürt so viel Druck
durch eine kämpferische Gewerkschaft und durch aktive Belegschaften, dass es
bei der Regierung die Fortführung der Förderung durch die BA durchsetzt.
Oder die Beschäftigten tragen die Kosten selbst, was für uns natürlich
unannehmbar ist.
Wir können dies nur unterstützen! Es darf keine „Lösung“
geben, bei der die Kolleg/innen ihre ATZ selbst finanzieren!
Die Gewerkschaftslinke warnt in ihrem Info:
„Es drohen zwei Dinge:
Erstens
eine Einschränkung der Anspruchsberechtigten, wie von Kapitalseite gefordert
und zweitens Kompensationsgeschäfte. Gegenwärtig riecht es nach folgender Kompensation:
Die Beschäftigten verzichten auf Teile der so genannten Einmalzahlungen (also
Urlaubs- und Weihnachtsgeld) und finanzieren damit ihre Altersteilzeit selbst.
Eine weitere Komponente könnte die verstärkte Nutzung von Langzeitkonten sein,
also alles Dinge, die entweder an unser Portemonnaie gehen oder zu einer
Verlängerung der Arbeitszeit führt (Langzeitkonten), was uns letztlich noch
schneller kaputt machen wird.“
Die Frage lautet für alle: Was können die
klassenkämpferischen und aktiven Kolleg/innen, was können ihre Vertrauensleute,
was können Betriebsräte in der verbleibenden Zeit tun, um solche Zugeständnisse
zu verhindern?
Zunächst einmal unterstützen wir die von den
Gewerkschaftslinken aufgestellten Forderungen:
- Keine Kompensationsgeschäfte! Dem muss schon im Vorfeld des
Abschlusses der Kampf angesagt werden. - Klare Ergebnisse, keine Kompensationen, keine Rechentricks!
- Keine Eigenbeteiligung der Beschäftigten, volle Bezahlung durch
die Unternehmer. - ATZ-Regelungen für alle Berufs- und Beschäftigungsgruppen!
- Aufstockungsbetrag mindestens in Höhe der bisherigen
Gesamtförderung! - Besserstellung der unteren Entgeltgruppen bis mindestens zur
Eck-Entgeltgruppe (soziale Komponente)!
Aber bei diesen Forderungen kann man nicht
stehen bleiben. Machen wir Roell, Kannegießer und Hundt einen dicken Strich
durch ihr Kalkül. Alle kämpferischen Aktiven in den Betrieben und den
Gewerkschaftsgremien müssen sich für einen bundesweiten, gemeinsamen Kampf,
der unsere Kraft bündelt, für sofortige Urabstimmung und für den Streik
aussprechen und sich darauf vorbereiten. Gerade in der relativ guten Konjunktur
sieht es das Kapital nicht länger ein, warum es den „lieben Mitarbeiter/innen“
etwas vom sprudelnden Profit abgeben soll.
Jeden einzelnen Fortschritt für uns müssen
wir uns deshalb selber bitter erkämpfen. Aber wir haben auch eine ganz reale
Macht. Jeder Streik setzt das Kapital unter massiven Druck! Aber wir müssen
diese Macht auch nutzen, wir haben die Verantwortung selbst in der Hand.
Urabstimmung und Streik, das müssen wir sowohl dem Kapital, aber auch innerhalb
unserer Gewerkschaften den Vorständen signalisieren und zum aktiven und
aufopferungsvollen Kampf bereit sein! Für uns und unsere Kinder!
Es darf keinen schnellen Abschluss ohne
Urabstimmung oder Mitgliederbefragung geben. Dieses Thema ist zu wichtig; die
Mitglieder müssen bei einer Entscheidung einbezogen werden.
Abschließend geben wir noch einmal dem Info
der Gewerkschaftslinken das Wort, denn wir können deren abschließenden
Hinweis nur unterstützen. Er kommt heute
viel zu selten:
„Nach wie vor ist die übergroße Mehrheit
der Metaller/innen gegen die Rente mit 67 und die Bereitschaft ist groß,
den Unmut darüber auch durch Streik zum Ausdruck zu bringen. Die Dynamik der
Aktionen zur Altersteilzeit kommt größtenteils aus diesem Unmut heraus. Viele
Kolleg/innen haben kein Verständnis dafür, dass „nur“ die Altersteilzeit im
Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht. Die Rente mit 67 und die steigende
Altersarmut ist für die Menschen eine viel größere Bedrohung. Deshalb muss der
Kampf gegen die Rente mit 67 und gegen die wachsende Altersarmut neu belebt
werden.
Ziel muss es sein, diese Gesetzesänderung zu
kippen. Langfristig wollen wir erreichen, dass wir mit 60 Jahren ohne Abzüge in
Altersrente gehen können.“
Arbeit Zukunft fügt hinzu: Dies gilt nicht
nur für Metallerinnen und Metaller, dies gilt für alle Menschen dieser
Gesellschaft, die gegen das Kapital, die Reaktion und für soziale Gerechtigkeit
und für Fortschritt kämpfen.
Alle gemeinsam gegen das Kapital!
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