Seinen wohl erfolgreichsten Film mit ersten Preisen in
Karlovy Vary und Sydney konnte er nicht allein vollenden. Während der
Dreharbeiten zu dem antifaschistischen Film „Die Verlobte“ (mit der
beeindruckenden Jutta Wachowiak) erkrankte er schwer und musste die Regie
zeitweilig seinem Freund und Autor Günther Rücker überlassen. Da lag ihr erster
Film schon ein Vierteljahrhundert zurück.
Zwischen zwanzig und dreißig waren Szenograf Alfred
Hirschmeier, Regisseur Günter Reisch und Autor Günther Rücker, als sie 1955
gemeinsam ihren ersten langen Spielfilm drehten, aber nicht deshalb hieß er
„Junges Gemüse“. Rücker hatte sich an Gogols „Revisor“
angelehnt und eine respektlose Groteske über die Kollektivierung der
Landwirtschaft geschrieben. Jugendfreund Reisch bekam Ärger, denn der fertige
Film war zu frech und musste mehrfach geglättet werden. Dass das Publikum
trotzdem herzlich lachte und froh über ein Lustspiel aus eigener Produktion
war, beflügelte Günter Reisch, auf diesem Gebiet fortzufahren.
Sein Handwerk hatte er zu lernen begonnen, als er
zwanzigjährig zum DEFA-Nachwuchsstudio kam und Meistern wie Gerhard Lamprecht
und Kurt Maetzig assistierte. Mit Maetzig zusammen zeichnete Günter Reisch für
„Lied der Matrosen“ über Matrosenaufstand und Novemberrevolution verantwortlich.
Das wurde die zweite Strecke des unermüdlichen Regisseurs: Filme über die
deutsche Geschichte und die Kämpfe der Arbeiterklasse. Nach dem Fernsehfilm
„Gewissen in Aufruhr“ über einen NS-Offizier, der erst spät zum
Widerstand gegen die Nazis fand (Erwin Geschonneck), drehte Reisch „Der
Dieb von San Marengo“, eins der wenigen DEFA-Musicals (mit Horst Drinda
und Helga Piur). Doch als er kurz darauf als großen Wurf die antifaschistische
Komödie „Karbid und Sauerampfer“ auf die Leinwand bringen wollte,
musste er sie seinem Kollegen Frank Beyer überlassen. Reisch war zu sehr
beschäftigt, den großen Liebknecht-Film „Solange Leben in mir ist“
mit dem überzeugenden Horst Schulze in der Titelrolle vorzubereiten. Die
Fortsetzung „Trotz alledem“ folgte einige Jahre später. Dazwischen
ein historisches und ein Gegenwartslustspiel.
Ungewöhnlich und doch konsequent im Werk von Günter Reisch
war der Film „Wolz – Leben und Verklärung eines deutschen
Anarchisten“ (1974), angelehnt an das Schicksal des unter Stalin zu Tode
gekommenen Revolutionärs Max Hoelz. Erstmals in der DDR setzte sich ein Film
ernsthaft – wenn auch spielerisch – mit der legitimen Möglichkeit
unterschiedlicher linker Positionen auseinander. (* siehe Anmerkung unten)
Unter den Gegenwartsfilmen von Günter Reisch ragen zwei
Produktionen mit Erwin Geschonneck heraus, die im Abstand von einem runden
Vierteljahrhundert entstanden: „Ach, du fröhliche …“ (1962) und
„Wie die Alten sungen“ (1987). Als einziges vergleichbares Projekt
bei der DEFA wurde die Handlung eines früheren Films mit der gleichen
Figurenkonstellation noch einmal aufgenommen. Der jüngere Film, der viele
Sequenzen aus dem älteren enthält, zeigt ein Stück Entwicklung von DDR-Bürgern,
wobei einige Illusionen der frühen Jahre verflogen sind. Die Gegenwart
erscheint zwischen dem Sich-abgefunden-haben und einer Unbekümmertheit, die aus
sozialer Sicherheit, aber auch dem Gefühl, sowieso nichts ändern zu können
resultiert.
Ebenfalls über Jahrzehnte hinweg erzählte Günter Reisch in
„Anton der Zauberer“ eine Schelmengeschichte aus dem Sozialismus über
einen Handwerker, der in der Mangelwirtschaft auch Organisator sein muss, einen
Schieber, der in der Haft Aktivist wird, einen Lebemann, der dem Sozialismus
dient. Für Ulrich Thein wurde diese kraftvolle Figur zum gefeierten
Leinwand-Comeback.
Wenn man heute auf Reischs vielgestaltiges Werk
zurückblickt, scheint es, als sei er mit diesem „Zauberer“ verwandt.
Er hat sich nicht nur der Kunst, sondern auch einer besseren Gesellschaft
verschworen. Er ist ein Aufklärer, der lernte, dass Aufklärung, bitterernst
vorgebracht, die Wirkung verfehlt, hat spielerische und komödiantische Elemente
verwendet, um die Augen seines Publikums zu öffnen. Streitbar ist er bis heute
geblieben, in vielen öffentlichen Auftritten, als Mitglied der Akademie der
Künste und in der Auseinandersetzung mit seinen Studenten an der
Bauhaus-Universität in Dessau. Doch die Anrede „Herr Professor“ hört
er nicht gern, Günter, der Film-Zauberer.
F.-B. Habel
Quelle: http://deanreed.de/onlinezeitung/
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
* Anmerkung der Redaktion:
Die Behauptung, dass Max Hoelz eines unnatürlichen Todes
gestorben ist und dass Stalin dabei seine Hand im Spiel gehabt haben soll,
stammt aus dem Buch eines Karl I. Albrecht: Der verratene Sozialismus, Zehn
Jahre als hoher Staatsbeamter in der Sowjetunion, Berlin 1938.
In diesem Buch behauptet besagter Albrecht, dass er von bekannten
Moskauer Bolschewisten erfahren habe, die von zwei Fischern erfahren hätten,
dass sie zwei Personen gesehen hätten, die Max Hoelz unter Wasser gehalten hätten.
Man erfährt keine Namen. Selbst in bürgerlichen Gerichtsverfahren wären solche „Beweise“
nichts wert. Wenn es um Stalin geht, soll man jedoch alles glauben, auch wenn
es vom Hörensagen über drei Ecken stammt.
Offiziell ist Max Hoelz beim Baden ertrunken. Er musste nach
mehreren Konflikten und einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem österreichischen
Journalisten auf Anraten der sowjetischen Polizei Moskau verlassen, um einem
Strafverfahren zu entgehen. Man wollte ihn als Repräsentanten der deutschen
Kommunisten vor einem solchen Verfahren schützen.
Bezeichnend ist, dass das Buch von diesem Albrecht 1938 in
Berlin erschien, wo es vom Goebbelsschen Reichsministerium für Volksaufklärung
und Propaganda in mehreren Auflagen herausgegeben wurde! Es ist ein Produkt der
antikommunistischen Propaganda der deutschen Faschisten. Albrecht, früher
Kommunist, war überzeugter Nationalsozialist und SS-Hauptsturmführer. So
beginnt sein Buch: „Wir alle, wir wissen: wir kämpfen für eine gerechte Sache,
für den Sozialismus gegen den Bolschewismus. … Wir kämpfen unter der genialen
Führung Adolf Hitlers, der nicht nur Feldherr und Staatsmann, sondern auch der
größte Sozialist aller Zeiten ist.“
Veröffentlicht wird der Bericht von Albrecht z.B. auf den
Internetseiten „http://www.etika.com/deutsch4/49an5.htm“, die von einer
Gruppierung „ETIKA Apostel der letzten Zeiten“ herausgegeben wird, die sich
unter anderem zum Ziel setzt, das Recht auf freie Meinungsäußerung
abzuschaffen. Aufgegriffen werden diese Thesen in zahlreichen anarchistischen
und trotzkistischen Publikationen und auf deren Internetseiten, ohne dass je
die Quelle genannt wird. Das „Deutsche Historische Museum“ ist da vorsichtiger:
„15. September 1933: Max Hoelz ertrinkt in der Nähe von Gorki. Ein gewaltsamer
Tod wird nicht ausgeschlossen.“ (http://www.dh-museum.com/lemo/html/biografien/HoelzMax/index.html)
Wir sind der Meinung, dass mit historischen Fakten sorgsam
umgegangen werden muss und nicht einfach nicht nachprüfbare Behauptungen
wiederholt und dadurch zu „Fakten“ gemacht werden können. Selbstverständlich
bedeutet das auch, alle nachprüfbaren Fakten über Fehler, Mängel, Abweichungen,
Ungerechtigkeiten in dieser Zeit ebenso sorgsam zur Kenntnis zu nehmen und sich
damit auseinanderzusetzen.