Mit dem Vorschlag einer 4-Tagewoche des IG Metall-Vorsitzenden Jörg Hoffmann (Süddeutschen Zeitung, 15. 8.2020) ist das Thema Arbeitszeitverkürzung, das unter den Kolleg/innen schon länger diskutiert und gefordert wird, nun auch zu einem offiziellen Thema der IG Metall-Führung geworden. Das finden wir gut.
„66 Prozent (der Arbeitnehmer) würden gerne vier Tage pro Woche arbeiten, solange sich ihr Verdienst nicht verringert. 15 Prozent würden auch Gehaltseinbußen in Kauf nehmen. Das sind die Ergebnisse einer aktuellen Befragung von Citrix unter 3.750 Teilnehmern…“ (Quelle: https://www.citrix.com/de-de/news/announcements/oct-2019/citrix-umfrage-vier-tage-woche-in-deutschland-beliebt-aber-unwahrscheinlich-de.html)
81% wollen eine drastische Arbeitszeitverkürzung auf vier Tage pro Woche. Die übergroße Mehrheit davon will vollen Lohnausgleich. In diesen Zahlen drücken sich die Bedürfnisse vieler Kolleginnen und Kollegen aus. Sie wissen, dass durch Rationalisierung und Digitalisierung mit immer weniger Arbeit immer mehr produziert wird. Sie sehen ihre Arbeitsplätze in Gefahr, auch wenn sie zugleich immer mehr materiellen Reichtum schaffen. Sie sehen daher auch die existentielle Notwendigkeit einer Arbeitszeitverkürzung – allerdings bei gleichem Lohn.
87 Prozent halten es für unwahrscheinlich, dass ihr Arbeitgeber eine Arbeitszeitverkürzung will. Dieses Interesse muss gegen die Arbeitgeber, gegen das Kapital durchgesetzt werden.
Daher werden wir jeden Kampf um Arbeitszeitverkürzung – auch wenn er noch so zaghaft ist – mit aller unserer Kraft unterstützen und darin zugleich die grundlegenden Forderungen der Arbeiter und Angestellten nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich mit allen Kräften vertreten.
Noch in der letzten Nummer kritisierte Arbeit Zukunft Hofmanns Politik: „Kein Wort zur Arbeitszeitverkürzung! IG Metall-Vorstände auf dem Holzweg!“
Kommt jetzt die Wende? Immerhin reagiert die IG-Metall-Führung auf den Druck der Basis und redet von der Arbeitszeit: Kurzarbeit sei dazu da, den Konjunktureinbruch abzufedern, die Vier-Tage-Woche aber „wäre die Antwort auf den Strukturwandel in Branchen wie der Autoindustrie. Damit lassen sich Industriejobs halten, statt sie abzuschreiben“. Weiter erklärt Hofmann, künftig solle allen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie dieser Weg offenstehen. Also bezieht er sich nicht mehr nur auf die Beschäftigten in der Autoindustrie! Das ist ebenfalls ein gewisser Fortschritt.
Auch die Lohnfrage spricht er an: „Mit einem gewissen Lohnausgleich für die Beschäftigten, damit es sich die Mitarbeiter leisten können“. Ihm ist bewusst, dass die Kolleginnen und Kollegen diesen Vorschlag selbst bezahlen müssten, wenn man keinen Ausgleich fordert. Aber Hofmann merkt, dass die Schwäche und Inkonsequenz an diesem Punkt nur zu klar sichtbar werden.
Das beweist seine Bemerkung, dass er für die kommende Tarifrunde trotz der Rezession eine Lohnerhöhung fordern will. Die IG Metall solle in den kommenden Wochen in ihren Gremien, in den Betrieben, in ihren Tarifkommissionen über Tarifforderungen diskutieren. Ab Herbst stehen in der Metall- und Elektroindustrie Tarifverhandlungen an, nachdem die Tarifrunde 2020 im Frühjahr wegen „Corona“ verschoben wurde.
Wir sind gegen Lohnverzicht! Das hat noch keine Arbeitsplatzvernichtung verhindert. Wenn rationeller produziert werden kann, dann wird eben mit weniger Arbeitskraft mehr produziert. Da hilft nicht Lohnverzicht, sondern Arbeitszeitverkürzung! Wir werden daher in der Tarifrunde jede Forderung nach Lohnerhöhung unterstützen!
Von einem Personalausgleich allerdings schweigt Hofmann. Kaum verständlich, stehen doch in jedem Fall jede Menge Entlassungen auf der Tagesordnung des Kapitals. Nicht nur in der Metallindustrie, sondern in der gesamten Wirtschaft. Die Frage der Beschäftigung ist eine Zukunftsfrage, diese bestimmt aber sichtlich nicht Hofmanns Denken.
Mehr Fragen als Antworten!
Was ist „ein gewisser Lohnausgleich“? Ein Festbetrag, eine Einmalzahlung, eine Prozent-Forderung? Was bedeutet eine 4 Tage-Woche? Meint Hofmann eine 32-Stunden-Woche (4×8 Stunden) oder 28 Stunden (4x7Stunden)? Hofmann macht keine genaueren Angaben! Sein ungenaues, unverbindliches Vorgehen zeigt, dass all das nicht wirklich ernst gemeint ist und lediglich der IG Metall Führung etwas Luft verschaffen soll, weil sie unter Druck steht.
Jörg Hofmanns Vorschlag ist durchaus ein gewisser Fortschritt, gesteht er doch unausgesprochen ein, dass die bisherige Politik des Co-Managements gemeinsam mit den Konzernherren, das Betteln um Verkaufsprämien und um eine zusammen mit dem Kapital betriebene „Transformation“ eine Sackgasse ist. Bekanntlich hatte die IG-Metall-Führung kürzlich noch SPD-Leute in Berlin bekniet, wieder Verkaufsprämien für Verbrenner zum Nutzen der Automonopole und für deren Profite durchzuboxen und sich dabei total verspekuliert.
Hinzu aber kommt die nackte Macht der Fakten, die den Druck auf den IG-Metall-Vorstand noch verstärkt: Es gibt immer kritischere Nachfragen und Forderungen von der Basis in den Betrieben, aber auch die zunehmende Aufklärungsarbeit durch Gewerkschaftslinke, nicht zuletzt auch durch Arbeit Zukunft. Umfragen zeigen, dass über 80% die Arbeitszeitverkürzung gut finden.
Die IG Metall-Führung muss sich bewegen! Da ist Hofmanns Vorschlag zumindest taktisch nicht so dumm…
Wahloption für das Kapital!
Ob dieser Vorschlag die Bewegung der arbeitenden Menschen für eine 30 Stunden-Woche für alle und überall, bei vollem Entgelt- und Personalausgleich, voranbringt, muss allerdings bezweifelt werden.
Die Homepage der IG Metall macht die Sache am 19. August 2020 endlich, 4 Tage (!!) nach Hofmanns Interview, offiziell (vgl.: https://www.igmetall.de/tarif/tarifrunden/metall-und-elektro/4-tage-woche-als-wahlmoeglichkeit ):
„Um die Folgen der Corona-Krise für die Beschäftigten abzufedern, um ihre Arbeitsplätze und ihre Einkommen zu sichern, setzt die IG Metall auf kürzere Arbeitszeiten … Außerdem denkt die IG Metall über neue Modelle zur Reduzierung von Arbeitszeiten nach, mit einem teilweisen Lohnausgleich für Beschäftigte.“ Der Erklärung zufolge schlägt Jörg Hofmann hierzu „etwa eine 4-Tage-Woche als Wahlmöglichkeit für Unternehmen vor“. Also eine Wahlmöglichkeit für das Kapital, kein tariflicher Anspruch, kein verbindliches Recht für Kolleginnen und Kollegen!
Damit steht Hofmann genau wieder auf dem Standpunkt des Kapitals! Sein Vorschlag läuft hinaus auf eine gewisse Arbeitszeitverkürzung, individuell, betrieblich, nach Interessenlage der Kapitalisten – ohne vollen Lohnausgleich! Das aber praktizieren Daimler, ZF Friedrichshafen oder Bosch und andere – mit Billigung oder Unterschrift der IG Metall – schon jetzt – ohne Lohnausgleich!
Hier erweist sich Hofmanns Bitten um einen gewissen Lohnausgleich als Feigenblatt, um diesen schnöden Sachverhalt zu vertuschen. Klar beweisen diese betrieblichen Regelungen, dass Arbeitszeitverkürzung Jobs sichert. Aber eben die Jobs, die das Kapital erhalten will. Und bezahlen müssen das die Kolleg/innen. Eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich ist ein Geschäft für das Kapital. Das gilt übrigens genau so für den Verzicht auf Personalausgleich.
Auch hier schafft die Stellungnahme auf der IG-Metall-Homepage übrigens mehr Klarheit: „mit einem teilweisen Lohnausgleich für Beschäftigte“, heißt es da. Klartext: Der Einkommensverlust ist gesetzt, er wird, siehe oben – etwas „abgefedert“. Aber auch hier kein Wort zum Personalausgleich.
So zeigt sich schon jetzt: Hofmann macht gar keinen ernsthaften Vorschlag zur notwendigen Arbeitszeitverkürzung für alle, auch über den Metallbereich hinaus. Außerhalb dessen kann die IG Metall zwar nichts regeln, aber ein echter Schritt bei der IG Metall wäre ein Signal an alle anderen. Stattdessen bettelt Hofmann um Abfederung der Verluste für die Beschäftigten, gegen die aber gar kein Widerstand organisiert wird.
Zudem versucht er, das Kapital mit Geldvorteilen zu locken. Sie könnte man Kündigungen vermeiden bzw. Fachkräfte halten und teure Sozialplankosten sparen.
Das sind keine Konzepte für einen geplanten, breit diskutierten und machtvoll organisierten Widerstand, sondern Taktiken, die den Widerstand umgehen sollen.
Lohnpolitische Geisterfahrt! Wie reagiert das Kapital auf Hofmanns 4-Tage-Woche?
Die Reaktion auf Seiten des Kapitals und der entsprechenden Medien war zunächst verhalten. Aber nach einem Moment der Überraschung legten die Vertreter des Kapitals los. Mit großem Getöse wird Front gemacht: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), das „seriöse“ Organ des deutschen Kapitals, wettert los: „Kurzsichtige Gewerkschaften : Die Vier-Tage-Woche ist ein gefährlicher Irrsinn“. So kommentiert ein Johannes Pennekamp und findet: „…eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass Mitarbeiter in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg bereit sind, den Gürtel enger zu schnallen, um den eigenen Job zu sichern…“ Er lobt deshalb die Keingewerkschaft der Lufthansa-Flugbegleiter, UFO, über den grünen Klee, deren soeben gebilligter Not-Tarif lobenswerter Weise „Nullrunden, weniger Flugstunden und damit geringere Gehälter“ vorsieht. So gehört das!
Dass die „lieben Mitarbeiter“ nichts für Krise und „Corona“ können, was interessiert es den Schreiber? Dass UFO-Arbeitgeber Lufthansa AG einen wirklich massiven Geschäftseinbruch zu verkraften hat, was in diesem Umfang für die Metallindustrie gar nicht zutrifft, was stört es ihn? Vielmehr tadelt er, dass sich das UFO-Modell anscheinend noch nicht überall rumgesprochen hätte „… Jörg Hofmann, forderte … allen Ernstes eine Vier-Tage-Woche in der Industrie mit `einem gewissen Lohnausgleich für die Beschäftigten´. Mit anderen Worten: Die Stundenlöhne sollen ausgerechnet jetzt in der Krise steigen und nicht sinken. Wer denkt, dass so Kündigungen verhindert werden und der Strukturwandel in der Autoindustrie gelingen kann, entlarvt sich als lohnpolitischer Geisterfahrer.“
Was kämpferische Kolleg/innen kritisieren, dass nur ein „gewisser Lohnausgleich“ gefordert wird, was ja auch ein Einmalbetrag von z. B. 200 Euro sein könnte – für die FAZ ist das schon der Sündenfall. Sie geht sogar noch einen Schritt weiter: Man dürfe zwar nicht vergessen, dass viele Arbeitnehmer durch Kurzarbeit und aufwendige Kinderbetreuung arg gebeutelt seien. Aber ihnen brächten „vorübergehend stabile Löhne nichts, wenn sie ein Jahr später auf der Straße stehen.“ Nutzlose, vorübergehend stabile Löhne? Runter mit dem Lohn, ganz klar! Die Krise ausnutzen! Sonst Straße, Hartz IV, das ganze Programm. Klare Ansage!
Da können andere Kapital-Funktionäre schlecht abseits stehen. Stellvertretend für viele der Merkel-Intimus Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA). Er erklärt, ebenfalls in der FAZ: „Die deutsche Wirtschaft erleidet gerade einen riesigen Produktivitätsschock. Eine Viertagewoche mit Lohnausgleich verschärft diesen Schock noch.“ Denselben Schwur „schwört“ auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie (vbm) im Handelsblatt. Allerdings kreuzt er den linken Zeigefinger und Mittelfinger hinter dem Rücken, aber seine einschränkende Bemerkung scheint uns wichtig: „Anders sähe es aus, wenn die Beschäftigten parallel zur Arbeitszeitverkürzung auf Lohn verzichten würden. `Die entsprechend der Arbeitszeit abgesenkten Löhne helfen den Unternehmen bei der Liquiditätssicherung´“. Abgesenkte Löhne, das wäre was anderes! Aha! Das Kapital bestätigt, was oben gesagt wird: Gegen eine Arbeitszeitkürzung ohne Lohnausgleich, zu den Bedingungen des Kapitals haben sie nix!
Es bleibt dabei: Tarif-Regelung für alle und überall!
30 Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
Die Arbeitszeitverkürzung a là Jörg Hofmann entspricht dieser notwendigen Forderung in keiner Weise!
Es handelt sich hier um ein gesellschaftliches Problem und kein Problem einzelner Betriebe. Aber in den Betrieben muss solch eine Forderung gleichwohl durchgekämpft werden, und gerade die Metallbetriebe und ihre kämpferischen Belegschaften spielen da die zentrale Rolle, wenn denn die Klasse sich von der Richtigkeit dieser Strategie überzeugt. Also ist diese Forderung zentral, gerade für die IG-Metall! Das durchzusetzen ist unser Ziel, daran arbeiten wir. Und dieses Ziel setzen wir allen kämpferischen Kolleg/innen und allen Kommunist/innen und Sozialist/innen im Land!
Alle erfahrenen und kämpferischen Kolleginnen und Kollegen wissen: Ohne geduldige Mobilisierung, ohne langen Atem, ohne einen massiven Streik kommt das raus, was Daimler, Bosch und andere jetzt schon praktizieren: Arbeitszeitverkürzung, individuell, betrieblich, auf Zuruf der Kapitalisten, ohne Lohnausgleich, vielleicht mit dem Sahnehäubchen einer betrieblich zu vereinbarenden Einmalzahlung oder so etwas Ähnliches. Wir kennen alle Tricks.
Deshalb bleibt es dabei: Die Frage der Arbeitszeitverkürzung für alle und Überall, bei vollem Personal- und Entgeltausgleich gehört in allen Branchen auf den Tisch! Sie muss zum Thema in den Gewerkschaften, unter ihren Mitgliedern werden, nicht nur in der IG Metall.
Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich ist unbezahlte Kurzarbeit, ist unbezahlte Arbeitslosigkeit! Dazu sagen wir: NEIN!
30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich überall und für alle!
Wir werden trotzdem jeden Schritt, jeden Kampf für Arbeitszeitverkürzung – egal wie klein oder groß – solidarisch unterstützen und dafür mobilisieren, ohne auf die Forderung nach 30-Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu verzichten.
Sozialpartnerschaft hat keine Zukunft. Die Kolleginnen und Kollegen müssen den Kampf um Arbeitsplätze und um ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen. Gemeinsam, unseres Ziels bewusst und solidarisch sind Arbeiterinnen, Arbeiter, Angestellte, alle Werktätigen aber eine Macht.
Letztes Wort: Wenn die Propagandisten der Kapitalinteressen in ihren Medien jammern und zetern, das alles könne sich das Kapital nicht leisten, das sei unmöglich, dann stünden alle auf der Straße etc., dann können wir uns nicht mehr um die Erkenntnis drücken: Der Kapitalismus ist offenbar nicht länger fähig, uns ganz normalen Menschen Auskommen, Frieden, gleiche Rechte, Arbeit, Zukunft zu sichern. Er gehört abgeschafft. Das können die arbeitenden Menschen nur selbst tun…