Günther & Co., Frankfurt: Dirty Harry


Frankfurt: Eingang zur Walter AG, Mutterkonzern von Günther & Co.

Für Richard Harris, Vorstandsvorsitzender der Walter AG, ist die Entscheidung Günther & Co. in Frankfurt zu schließen, offenkundig durch: der Häuptling hat die Entscheidung gefällt und überlässt den Rest der Arbeit seinen Indianern. Die sitzen ohnehin näher am Brennpunkt als er, der im Tübinger Stammsitz der Walter AG ein eher seltener Gast ist, leitet er doch die Geschicke der AG lieber von einem englischen Provinznest nahe Birmingham.

Der Unerbittliche

So lässt der padrone seine capi von der Kette: den Personalvorstand Anette Skau-Fischer und den Geschäftsführer von Günther & Co., Oliver Thomas. Sollten die bei der Abwicklung von Günther & Co. versagen, verhagelt es Harris wenigstens nicht die Karriere.

Das mit Günther & Co. ein profitables Unternehmen geschlossen wird, vermag man selbst bei der wirtschaftsliberalen Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht recht zu verstehen. Gelten 20 Prozent Profit Kapitalisten mithin als Pfund, mit dem man wuchern kann. Nicht so bei Skau-Fischer! Die argumentiert gegenüber der FAZ: „Das mit der Profitabilität ist eine komplexe Sache, und diese Komplexität ist schwierig zu erläutern und transportieren“. Was nur heißen kann, dass sie den geringen Anforderungen der ersten Semester ihres BWL-Studiums nicht zu folgen vermochte, oder dass sie die Öffentlichkeit für dumm verkaufen will.

Oliver Thomas bemerkt, er sei kostengetrieben – und die Kosten steigen und somit sei der Standort nicht mehr zu halten. Von dieser trivialsten aller Erkenntnisse der Hauswirtschaft ist Thomas so berauscht, dass er sie für das von ihm erstmals formulierte Axiom der Betriebswirtschaftslehre hält. Dabei entgeht ihm freilich, dass dieses Axiom an allen Standorten gleichermaßen Wirkung zeitigt: Kosten sind immer und überall!

Das diesen Kosten in den vergangenen Jahren auch die höchsten Leistungen der Geschichte der Walter AG gegenüberstanden, verkommt bei dieser Perspektive denn auch zur reinen Nebensache. Wollte die Sandvik AB der fragwürdigen Logik eines Oliver Thomas folgen, müsste sie diesen sofort freistellen, verursacht er doch schon Kosten, wenn er morgens in seinen Firmenwagen steigt – seine Leistungen sind ja nebensächlich; die Sandvik AB müsste eigentlich jedes Werk schließen, denn dann wären die Kosten ja am niedrigsten. Die Belegschaft von Günther & Co. muss zu ihrem Leidwesen erkennen, dass die Geschäfte der Firma von einem Mann geführt werden, der seine Triebe für Wissenschaft hält.

Alle Werktätigen bei der Walter AG müssen sich nach solchen Äußerungen ernsthaft fragen, auf welchen Grundlagen der Vorstand Entscheidungen trifft, wenn die Mitglieder dieses Gremiums nicht imstande sind, diese Entscheidungen zu „erläutern und [zu] transportieren“, geschweige denn diese zu erklären. Wie hat der Vorstand dann wohl vor der Eigentümerin argumentiert? Mit einem Blick in die Glaskugel? Mit einer Lesung aus dem Kaffeesatz der letzten Vorstandssitzung? Oder aus Rücksicht auf die Triebe eines leitenden Angestellten?

Weiterhin deutet Skau-Fischer an, dass Günther & Co. keine Patente liefere. Unkenntnis oder dreiste Lüge? Wohl eher das Letztere. In den Jahren und Jahrzehnten vor dem Merger mit der Walter AG generierte Günther & Co. stets annähernd die Hälfte seines Umsatzes mit selbstentwickelten Neuprodukten. Wenn sich diese Zahlen nach dem Merger verschlechtert haben, so liegt die Ursache nicht in der mangelnden Innovationsbereitschaft der Frankfurter Belegschaft, sondern in der Entscheidung der Walter AG, die Entwicklungsabteilung in Frankfurt zu schließen!

Und schließlich hält die „strategische Entscheidung“, einen Fertigungsstandort in Europa zugunsten derer in Amerika und Asien zu schließen, um damit den „globalen Fußabdruck“ der Warenströme zu vermindern, selbst einer kurzen Prüfung nicht stand.

Amerika heißt USA, dieser Markt ist auf dem Kontinent mit Abstand der größte. Sandvik und Walter sind seit Jahrzehnten auf dem US-amerikanischen Markt tätig und haben während der vergangenen drei Jahrzehnte dort fast alle Werkzeugfabriken geschlossen, die sie akquiriert haben. Alle Pläne der Walter AG, in den USA so zu wachsen, dass sich eigene Fertigungsstätten rechtfertigen ließen, sind bislang gescheitert. Demonstriert wurde das vor wenigen Jahren, als die letzte Walter-Fabrik in den USA wegen mangelnder Profitabilität geschlossen wurde. Doch Profitabilität in seiner Komplexität ist ein zu ermüdendes Thema für die BWL-Überflieger im Vorstand!

In Asien wirtschaftet die Walter AG seit Ende der Neunzigerjahre im Windschatten der Sandvik AB, dabei ist allen bisherigen Vorständen der Walter AG das seltenen Kunststück gelungen, auf den erklärten Märkten der Zukunft niemals nennenswerte Eigeninitiative zu entwickeln. Es war stets die Sandvik AB, die die Walter AG zum Jagen nach Indien und China tragen musste – und so haben sich auch die Geschäfte dort entwickelt. Warum sollte sich dieser Zustand unter der Ägide eines Mannes ändern, der zu bequem ist, eine Firma von ihrem Firmensitz aus zu leiten?

Das Walter-Werk im indischen Pune ist um des Exports willen dort errichtet worden. Die Werkzeugkörperfertigung im chinesischen Wuxi konnte ihren Auslastungsgrad erst verbessern, als sie die Aufträge der geschlossenen US-amerikanischen Fertigung übernommen hat. Die Fertigung in Lang-Fang nahe Beijing produziert bereits seit Jahren Spiralbohrer, die sie aus der Frankfurter Fertigung übernommen hat. Der „Fußabdruck“ ließe sich folgerichtig in China reduzieren, nämlich durch die Rückverlagerung der Fertigung nach Europa. Aber ach! In den von Oliver Thomas geleiteten Firmen stiegen dann ja die Kosten! Diesen argen Druck wollen wir der zarten Seele dieses BWL-Wunderkindes doch lieber ersparen…

Das Todesspiel

Wenn Richard Harris also davon spricht, den „weltweiten Fußabdruck“ verringern zu wollen, so ist das beliebige Marketing-Prosa für aussagefreie Unternehmensbroschüren.

Die Sandvik AB selbst hat es erst im Vorjahr demonstriert, was ihr wirklich wichtig ist – und das gilt dem Führungspersonal bei Walter als Gesetz. Als im Laufe des letzten Jahres deutlich wurde, dass der EBIT zum Jahresende unter die 20-Prozent zu fallen droht, wurde die weltweite Belegschaft kurzerhand um über 2.000 Menschen reduziert. Kundenwünsche spielen bei solchen Entscheidungen keine Rolle.

Diesem Beispiel folgt Harris nun bei der Walter AG. Und er weiß, dass das am einfachsten zu erreichen ist, wenn ein großes Werk geschlossen wird, das zudem das beste Potential bietet, die freigewordene Immobilie zu veräußern. Bei leitendem Personal, das Profitabilität nicht erklären kann, oder Kosten als psychische Pein empfindet, lassen sich solche Pläne leicht durchsetzen.

Leiten lässt sich Harris dabei nicht von wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern von Kennzahlen. Deren Berechnung mittels der Grundrechenarten erfordern keine weiterführenden Kenntnisse irgendeiner Wissenschaft, sondern nur den Besuch einer allgemeinbildenden Schule. Ihre kryptischen Kürzel geben den Dummen Orientierung und den Faulen ersparen sie eigene Gedanken. An den Universitäten, in den Vorständen, in Managerseminaren und in der Presse werden sie wiederholt wie Glaubensbekenntnisse, den nur wer an sie glaubt, glaubt auch zu wissen, und so wird das Wissen durch Glauben ersetzt. Denn der Glaube erlaubt die Menschenopfer, die das Wissen verbietet.

Die IG-Metall

Im Dezember des Vorjahres zählte die IGM bei Günther & Co. unter 230 Belegschaftsmitgliedern weniger als hundert Mitglieder, mittlerweile sind nur noch echte Überzeugungstäter nicht in der Gewerkschaft. Das ist ein wirklicher Erfolg! Das dieses gewachsene Potential kaum genutzt werden konnte, ist Covid-19 und der arbeiterfeindlichen Gesetzgebung Deutschlands zu verdanken, die den Streik für den eigenen Arbeitsplatz verbietet.

Gescheitert ist auch das übliche Konzept der Gewerkschaft, den Erhalt wenigstens eines Teils der Arbeitsplätze mittels überzeugender betriebswirtschaftlicher Konzepte durchzusetzen; das wurde bis jetzt von der Walter AG blockiert. Und das sollte niemanden ernsthaft verwundern: Ein Vorstand, der sich in seinen Taten nicht von Tatsachen leiten lässt, wird sich von schlüssigen Argumente einer Gewerkschaft kaum beeindrucken lassen.

Die frischen Erfahrungen bei Voith sollten es der Gewerkschaftsführung klar machen, dass das Konzept des Co-Managements bei den Kapitalisten kein Interesse mehr weckt. Einmischungen sind nicht gewünscht, seien sie auch noch so gut begründet, wohlwollend, sozialverträglich und friedensstiftend. Es braucht keine prophetischen Gaben, um zu erkennen, dass die Unternehmen zu rechtsfreien Räumen verwandelt werden sollen; zu Orten, in denen der Unternehmerwillen für die Werktätigen ehernes Gesetz ist. Auf Spargelfeldern und in Schlachtbetrieben wird das heute schon vorgemacht.

Und Du, blonder, blauäugiger deutscher Arbeiter, Du brauchst dir nicht einzubilden, dass Du mehr zählst als der rumänische Spargelstecher oder der bulgarische Fleischer. Und Du bist auch nicht besser als der Türke und der Russe neben dir: Ein Prolet bist Du! Genau wie sie!

Zum Vorteil aller Kolleg/innen gibt es bei Günther & Co. keine rassistische Atmosphäre, sondern Solidarität!

Die Politik

Das politische Umfeld ist bestens bereitet. Die Mehrheiten im Bundestag lassen keinen anderen Schluss zu: Die CDU/CSU hat angesichts der Mehrheitsverhältnisse mehrere Optionen für eine Regierungsbildung und nutzt das, um jede Gesetzgebung im Interesse der Werktätigen zu verhindern. Und die SPD, die von sich stets behauptet, die Interessen der Werktätigen zu vertreten, vermeidet jeden Konflikt, bei dem nur annähernd die Gefahr bestünde, dass sie ihre Regierungstauglichkeit verlöre. Denn Mehrheiten vermag sie nicht mehr auf sich zu vereinigen.

Und die AfD? Spricht sie für die Werktätigen? Ist die AfD im Kampf für deinen Arbeitsplatz an deiner Seite?

Das Beispiel Günther & Co. macht es deutlich, dass dieses Wirtschaftssystem innerlich bereits so verrottet ist, dass selbst profitable Werke geschlossen werden, wenn nur irgendwo die entfernte Möglichkeit besteht, ein Jota mehr Profit aus den Werktätigen herauszupressen ist.

Du verlierst deine Arbeit – und den Arbeitern in den Ländern, wo deine Arbeit hinwandert, geht es keinen Deut besser. Denn um das Jota zu erarbeiten, das sie profitabler macht, müssen sie für weniger noch mehr schuften!