Voith Turbo Sonthofen: Ende des „unbegrenzten“ Streiks

Plakat vor dem Werkstor von Voith


Am Montag, den 25. Mai wurde der Streik um einen Sozialplan bei Voith in Sonthofen nach drei Wochen beendet. 87,1 Prozent der IGM-Mitglieder haben in einer Urabstimmung dem zwischen Geschäftsführung, GBR und IG Metall ausgehandelten Sozialplan zugestimmt.

Der 2. Bevollmächtigte der IGM Allgäu und Streikleiter wird in der Bekanntmachung der IGM wie folgt zitiert: „Ich bin tief beeindruckt und ziehe meinen Hut, wie die Mannschaft bei Voith über all die Monate und bis zuletzt zusammengehalten hat. Ich bedanke mich bei allen, die sich an unserem Arbeitskampf beteiligt und ihn unterstützt haben.“ Schöne Worte, doch leider machen sie nicht ungeschehen, dass sich das Voith-Management durchgesetzt hat und an die 250 Arbeitsplätze den Bach runter gehen.

Nochmal zur Geschichte: Im Herbst 2019 erfuhren die überrumpelte Belegschaft, der Betriebsrat vor Ort und die IG Metall, dass das Voith-Management die Schließung des Werks Sonthofen Ende 2020 plant. Nicht etwa, dass die Produktionsanlagen (Voith Turbo stellt Spezialgetriebe her) veraltet wären. Das Werk wurde erst vor 10 Jahren von der Firma BHS gekauft und neu ausgerüstet. Auch die Umsatzziele wurden 2019 und davor erreicht. Aber: die Produktion soll an andere Standorte verlagert werden, wo billiger produziert wird – z.B. ist in Indien in Gespräch. Dass rund 500 teilweise hochspezialisierte Malocher, die bis jetzt für die Profite des Voith-Konzern geschuftet haben, um ihre Existenz bangen, juckt die Herren im Vorstand nicht.

Das Angebot der IGM, gestützt durch ein Gutachten einer Unternehmungsberatung, den Standort mit 380 Beschäftigten und klaren Umsatzzielen zu erhalten, lehnte Voith ab. Darauf kam es am 16./17. April zur Urabstimmung über einen unbefristeten Streik und ab 23. April dann zum unbefristeten Streik. (AZ berichtete darüber)

Die Stimmung in der Belegschaft war von Anfang an auf Streik. Bei der Urabstimmung, an der 100% der IG Metall-Mitglieder teilnahmen, stimmten 98% für Streik. Streikposten waren rund um die Uhr und auch am Wochenende besetzt. Neben dem Haupteingang prangten eine Unmenge von Protestplakaten. Im Streikzelt hingen ebenfalls Protestplakate und Solidaritäts-Erklärungen.

Die Konzern setzte noch eins drauf: Anfang April, mitten in der Corona-Krise entschied die Konzernleitung in Heidenheim, den langjährigen Werksleiter zu ersetzen. Er hatte sich zuletzt gegenüber der Konzernleitung, besonders in Fragen des Gesundheitsschutzes im Werk, für die Belegschaft stark gemacht. Aus Solidarität haben die Voith-Beschäftigten über Nacht mehrere hundert Rote Karten am Werkszaun befestigt.

Die Stimmung war also durchaus kämpferisch. Allerdings orientierte die IG Metall und der Gesamtbetriebsrat immer mehr auf den Abschluss eines „Sozial“-Tarifvertrags und damit auf ein Ende des Streiks. Denn: „Du kannst hierzulande formal nicht für einen Werkserhalt streiken“, so Dietmar Jansen, der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Allgäu. Und diesen formalen Rahmen will die Gewerkschaftsführung auch gar nicht überschreiten, geschweige denn durchbrechen. Deshalb werden solche Kämpfe im Rahmen der bürgerlichen Legalität auch immer mit der „sozialen Abfederung“ der Entlassungen enden.

Die tarifliche Einigung auf einen Sozialplan, der immerhin wenigstens knapp 170 Beschäftigten (allerdings nur Angestellte) eine Beschäftigungssicherung und den Azubis die Beendigung ihrer Lehre zusichert, erhielt auch nicht die gleiche Zustimmung wie der Streik: Etwa 80 % der Mitglieder stimmten ab, davon 87,1 % für den Sozialplan.

Aus Teilen der Belegschaft kam Kritik: Ein fortgesetzter Streik hätte zu mehr Zugeständnissen der Kapitalseite geführt. Und die Informationspolitik von IGM und GBR in der Endphase der Sozialplan-Verhandlungen sei undurchsichtig gewesen.

In einem Interview der „Junge Welt“ vor dem Werkstor sagte ein Kollege:

„… Unser Streik hat gerade angefangen, Voith richtig wehzutun, und genau dann wird er abgebrochen.

Warum wurde der Streik jetzt abgebrochen?

Das ist, was viele Kollegen nicht verstehen. Viele glauben, wenn wir nur zwei Wochen weiter gestreikt hätten, wäre ein viel besseres Ergebnis drin gewesen. Aber die IG Metall fand, dass mehr nicht herauszuholen sei. Die Geschäftsleitung meinte wohl, dass das Angebot nur gilt, wenn wir sofort wieder anfangen zu arbeiten. Am Sonntag haben wir die Info bekommen, dass es eine Einigung gibt, Montag gab es per Videokonferenz eine kurze Information zu den Eckpunkten, und am Dienstag fand schon die Urabstimmung statt.

In der knapp zweistündigen Videokonferenz am Montag, in der nur die Verhandlungsleitung gesprochen hat, gab es weit über hundert schriftliche Fragen an das Podium. Die Diskussion hat sich dann aber sehr in Details verloren. Am Ende musste jeder zu Hause allein und in kurzer Zeit vor dem Bildschirm eine Entscheidung treffen.

Sollte so etwas nicht auf einer Streikversammlung entschieden werden?

Auf jeden Fall! Ohne Corona hätte es bestimmt auch eine große Versammlung gegeben, und da wären die Diskussionen anders gelaufen. In den Chatgruppen vieler Bereiche und Schichten hat sich gezeigt, dass die Bereitschaft zum Weiterstreiken vorhanden war.“

Diese Aussage belegt, dass es auch den Verhandlungsführern von IGM und GBR um einen schnellen Abschluss ging – aus welchen Gründen auch immer. Für die Kolleginnen und Kollegen war jedenfalls bei einem längeren Streik nichts zu verlieren.

Immerhin: Der Streik bei Voith Turbo hat gezeigt, dass die Arbeiter und Angestellten bereit und in der Lage waren, auch während der Corona-Krise für ihre Interessen zu kämpfen – sie haben Mut und Ausdauer bewiesen – Hut ab!

Wir wünschen ihnen auch weiterhin Mut und Ausdauer im Kampf gegen das Voith-Management.

S.N.