Dieses Bild stammt von Gerd Reusch, reusch-art auf facebook. Wir danken für die Überlassung!
Millionen neuer Arbeitslose, eine Viertelmillion Infizierte und Tausende Tote (Mittlerweile ist das rasant gestiegen, Anmerkung d. Red.) – die sozialen Folgen der Coronakrise treffen die US-amerikanischen Werktätigen mit voller Wucht. Dazu die Korrespondenz eines Werktätigen an den Red Phoenix, die Zeitung der American Party of Labor, vom 21. März 2020.
Freitagmorgens habe ich bei der Arbeit eine Besorgnis erregende E-Mail erhalten: Meine Firma werde wegen der durch COVID-19 verursachten Wirtschaftskrise Mitarbeiter entlassen. Eine Stunde später wurde ich aufs Büro bestellt, wo mir mitgeteilt wurde, dass ich vorläufig freigestellt sei. Als ich gefragt habe, ob ich nach dem Ende dieser Krise wieder zur Arbeit kommen könne, wurde mir mitgeteilt, dass es dafür keine Garantie gäbe. Mein Arbeitsverhältnis ist damit völlig unsicher. Ich weiß nicht, ob und wann mich die Firma zurückholt, vorausgesetzt sie überlebt die Krise.
Ich befinde mich damit jetzt in derselben Lage, in der sich unzählige andere US-Amerikaner auch befinden. So meldet die New York Times, dass 1.200 Beschäftigte der Flughäfen im Raum New York entlassen worden sind. Es gab Massenentlassungen in Kalifornien, Washington, Pennsylvania, New Jersey und anderswo. Laut einer Umfrage unter 17.000 Mitgliedern von Fishbowl – einem Social Network von Berufstätigen – haben 54 Prozent der Teilnehmenden Angst, wegen dieser Krise ihre Arbeit zu verlieren. Laut dieser Umfrage sind davon besonders Menschen in San Francisco, New York City und Atlanta betroffen.
Ich kann nicht für andere sprechen, ich kann nur darüber berichten, wie mich diese Krise trifft. Diese Entlassung ist eine enorme Belastung für mich. Meine Familie braucht mein Einkommen; verliere ich das, verlieren wir vielleicht unsere Wohnung. Die Krise macht es nur noch deutlicher, dass Werktätige nicht von den Launen der Börsen abhängig sein sollten, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Warum sollten Werktätige gerade dann von Obdachlosigkeit bedroht sein, wenn alle zu Hause bleiben sollen? Die naheliegenste Maßnahme wäre es, während dieser Krise alle Miet- und Hypothekenzahlungen auszusetzen. Und doch müssen wir weiter gehen als das, und das System überwinden, dass das Menschenrecht auf Wohnung vom räuberischen Verhalten von Banken und Vermietern abhängig macht.
Der nächste Schock war, dass ich neben meiner Arbeit auch meine Krankenversicherung verloren habe. Sollte ich jetzt erkranken, kann ich mir keine Behandlung leisten. Wie viele US-Amerikaner verlieren jetzt ihre Arbeit und werden krank? Die Zahl der nicht versicherten US-Amerikaner wird gerade dann in die Höhe schießen, wenn ein Krankenversicherungsschutz am allernötigsten ist. In einem verabscheuenswürdigen Fall wurde einem Amerikaner ohne Versicherungsschutz eine Rechnung von 34.927 USD für eine COVID-19-Behandlung gestellt. Wie viele Leute werden jetzt zu Hause bleiben, wenn sie sich infiziert haben?
Wir erkennen jetzt, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, Krisen zu überwinden. Im Gegenteil sind Wirtschaftskrisen wie die, die wir gerade erleben, untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden. Auch ohne das Virus sind die Börsen dazu verdammt, regelmäßig um der inneren Widersprüche des Kapitalismus willens zusammenzubrechen. Und gerade die USA sind wegen des Fehlens eines sozialen Netzwerkes unter allen kapitalistischen Staaten am wenigsten darauf vorbereitet, mit dieser Krise fertig zu werden.
Im Augenblick weiß ich nicht, was mir, meiner Familie, meiner Nation und der Menschheit die Zukunft bringen wird. Ich kann nur hoffen, dass all das als Wachruf dient. Wir müssen erkennen, dass die Grausamkeiten der freien Marktwirtschaft diese Krise verursacht haben. Wir alle sind dazu verdammt, uns wegen Nahrung, Wohnung und Medizin auf Kapitalisten zu verlassen. Sobald Kunden und Werktätige zu Hause bleiben, gleitet dieses System in Chaos – und wir werden der elementaren Menschenrechte beraubt. Wir brauchen etwas anderes, meine Familie braucht etwas anderes. Wir brauchen eine Planwirtschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, und nicht die Anarchie des freien Marktes.