Hintergrundinformationen
über die politische Situation in Dänemark für das 20. Internationale
Antifaschistische und Antiimperialistische Jugendlager, 28. Juli – 5. August
2006 in Isterød, Dänemark
www.iul2006.net
Mai 2006
Dänemark
galt als Land, das nach Fortschritt, Toleranz und sozialer Gleichheit strebt –
ein Vertreter des nordeuropäischen „Modells des Wohlfahrtstaates“. Mittlerweile
wurden dänische Fahnen im gesamten Nahen und Mittleren Osten verbrannt. Der
Name unseres Landes wurde gleichgesetzt mit Islamfeindlichkeit und
Feindlichkeit gegenüber Einwanderern. Die Erfolge des Kampfes von Generationen
der Arbeiterschaft werden systematisch abgebaut.
Was ist
passiert? Eine Clique von Neokonservativen stellt seit November 2001 die
Regierung unter Anders FoghRasmussen. Sie haben das Land auf einen
katastrophalen Weg geführt.
Botschaft
von Unten – das andere Dänemark
Nach der
Veröffentlichung der provokativen rassistischen und anti-islamistischen
Karikaturen in Jyllands Posten, einer führenden neokonservativen Zeitung in
Dänemark, gingen Millionen Moslems aus Protest auf die Straßen. Auf dem
Höhepunkt der „Karikaturen-Krise“ schrieb der berühmte dänische Komponist und
Musiker Thomas Koppel (Savage Rose) einen offenen Brief an das ganze Dänemark,
in dem er aufrief, eine Volksbewegung zu schaffen, die die Fogh Rasmussen-Regierung
aus dem Amt treibt.
In diesem
Brief schrieb Thomas Koppel:
„Die
dänische neokonservative Bewegung vom Premierminister Fogh Rasmussen bis zur so
genannten Dänischen Volkspartei (ultrarechte Partei, deren Stimmen für die
Regierungskoalition notwendig sind) und der Jyllands Posten (führende Dänische
rechtsgerichtete Zeitung) haben uns auf der ganzen Welt als Nation ohne jede
Kultur bloß gestellt.
Die
heftigen weltweiten Volksproteste richten sich nicht nur gegen einige
Karikaturen und überhaupt nicht gegen unser Recht auf freie Meinungsäußerung.
Sie haben ihre Wurzeln in der Wut und Verzweiflung, die sich in Jahrzehnten
über die wachsende Verfolgung von Muslims in vielen Ländern mit Dänemark
unglücklicherweise als notorischer Speerspitze angestaut hat. Und der Wut über
den Genozid an den arabischen Völkern, wo seit 1991 fast 2 Millionen Männer,
Frauen und insbesondere Kinder ermordet wurden. Und der Wut über die
Ausradierung verschiedener unabhängiger Nationen. Die dänische Regierung und
ein großer Teil des Parlaments sind dafür aktiv verantwortlich.
Jyllands
Posten, die dänische Volkspartei und Anders Fogh Rasmussen haben diesen riesige
Wut auf Dänemark gerichtet.“ (8. Februar 2006)
Thomas
Koppel rief zur Bildung einer Volksbewegung „Botschaft von Unten“ mit unter
anderem folgenden Forderungen auf:
–
Rücktritt
der Fogh-Regierung und Durchführung einer unabhängigen Untersuchung ihrer Lügen
und ihrer Rolle bei der dänischen Kriegs-Beteiligung und der Karikaturen-Krise.
–
Sofortiger
Rückzug der dänischen Truppen von den illegalen Kriegen und Besetzungen des
Irak und Afghanistans.
–
Beseitigung
der Serie von rassistischen Gesetzen gegen Immigranten, die Dänemark zum Liebling
der europäischen und Weltreaktion gemacht haben.
–
Rücknahme
der undemokratischen und verfassungswidrigen Gesetze gegen Terrorismus (Die
Regierung hat im März ein neues Gesetz vorgelegt, das Dänemark in einen
Polizeistaat verwandelt.).
–
Eine
öffentliche Diskussion über die dänische Mitgliedschaft in der Europäischen
Union und ihre Konsequenzen.
Einige
hundert bekannte Persönlichkeiten – darunter viele Künstler und Intellektuelle
– unterzeichneten diesen Aufruf in folgenden Wochen – und dann starb plötzlich
Thomas Koppel am 25. Februar 2006, nur 61 Jahre alt in seinem und dem Haus
seiner Frau Annisette (Sängerin bei Savage Rose) in Puerto Rico.
Sein Tod
rief im ganzen Land Trauer hervor. Und seine Beerdingung am 11. März in
Kopenhagen wurde zu einer großartigen Manifestation für ein anderes, ein
fortschrittliches Dänemark – mit roten Fahnen und Friedensfahnen der
Anti-Kriegs-Bewegung unter Teilnahme fortschrittlicher Gewerkschaften und
Volksbewegungen.
Bei einem
Gedenkkonzert am 27. April 2006 wurde die Volksbewegung „Botschaft von unten“,
die er ins Leben gerufen hat, als Bewegung in ganz Dänemark gestartet.
Die
Neokonservativen an der Macht
Die
neokonservative Fogh-Regierung profitierte von einem Boom der dänischen Wirtschaft
mit einer sehr niedrigen Arbeitslosenrate, die teilweise verursacht wurde von
den riesigen Kriegsprofiten der A.P. Moeller-Maersk multinationalen
Gesellschaft, der Nummer Eins unter den dänischen Monopolen, einer großen
Schiffs- und Ölgesellschaft und der größte ausländische Geschäftspartner der
US-Armee. Ein nie zuvor gesehener Anstieg der Privatvermögen und eine „Steuer
Stopp“-Politik für die Reichen hat das Gefühl geschaffen, im Wohlstand zu
leben.
Anfang
2005 wurde die Fogh-Regierung wieder gewählt, obwohl eine deutliche Mehrheit
der Dänen das Ende der Teilnahme an dem illegitimen Krieg im Irak will und eine
Mehrheit gegen die Verfassung der Europäischen Union ist, die durch das
französische und niederländische Nein zurückgeschlagen wurde.
Als einer
der engsten Verbündeten wurde die Fogh-Regierung von George Bush als Gastgeber
für seinen Geburtstag auserwählt. Sein Besuch in Dänemark am 6. Juli 2005
führte zu den größten Demonstrationen seit Beginn des Krieges gegen den Irak.
Mehr als 35.000 marschierten von der US-Botschaft zum dänischen Parlament, wo
hervorragende Musikgruppen spielten – darunter Annisette und Thomas Koppel mit
Savage Rose.
Der
Wahlsieg der Neokonservativen war das Signal für die Durchsetzung einer
neoliberalen Offensive im Herbst 2005 und der ersten Jahreshälfte 2006. Eine
große „Reform“ der Verwaltungsstrukturen wurde vom Parlament angenommen, die
den Weg für weitere Privatisierungen und Entlassungen im öffentlichen Dienst
ebnet.
Eine
grundlegende Veränderung des gesamten Erziehungswesens von der Grundschule bis
zu den Universitäten wurde vorgeschlagen, aber noch nicht umgesetzt. Eine neue
Serie von „Anti-Terror“-Gesetzen wurde vom Parlament verabschiedet, die
traditionelle Bürgerrechte aufheben und der Polizei und den Geheimdiensten die
Macht für eine Überwachung geben, wie man sie nie zuvor gesehen hat.
Neoliberale
„Sozialreformen“
Am 4.
April 2006 wurde eine so genannte „Reform des Sozialstaates“ als Gesetzentwurf
im Parlament eingebracht – nach langer Vorbereitung durch die vereinigten
Medien, die die Dänen überzeugen wollten, dass wichtige soziale Rechte
abgeschafft werden müssen, um für die Zukunft einen „Sozialstaat“ zu sichern.
Das ist der Höhepunkt der neoliberalen Offensive der Europäischen Union –
angewandt auf Dänemark. Neben anderem soll das Rentenalter von 65 auf 67
heraufgesetzt werden und eine Möglichkeit des Vorruhestandes mit 60 auf 63
angehoben werden, wenn man mindestens 30 Jahre einbezahlt hat.
Das
Arbeitslosengeld wird reduziert. Nach 2,5 Jahren Arbeitslosengeld, in denen man
bereits gezwungen wird, als Billiglohnkraft ohne die normalen Rechte eines
Arbeiters für den öffentlichen und privaten Sektor zur Verfügung zu stehen,
wird man in die Sozialhilfe überführt und lebt auf niedrigsten Lebensniveau,
außer man findet für mindestens ein Jahr eine Arbeit (bisher 6 Monate), um dann
wieder Arbeitslosengeld zu beziehen.
Für die
Jugendlichen unter 25 Jahren gibt es Sonderregelungen, wenn sie arbeitslos
sind. Nach Abschluss der Ausbildung oder wenn sie keine Arbeit haben, werden
sie Löhnen zur Arbeit gezwungen, von denen man nicht leben kann. Bereits heute
sind mehr als 10% der Jobs im öffentlichen Dienst so genannte Arbeits-Training-Stellen
oder Aktivierungs-Stellen. Nun sollen diese diskriminierenden Sonderregelungen
auf alle unter 30 Jahren ausgedehnt werden.
Das ist
die Realität des so gepriesenen dänischen oder nordischen Wohlfahrtsstaates:
Fast alles wurde abgeschafft, was einmal selbstverständlich war. Das dänische
Modell ist das neoliberale Modell der Europäischen Union – auf die Bedingungen
unseres Landes angewandt.
Das
dänische Erziehungssystem wird systematisch auf eine neoliberale Basis
gestellt, entsprechend den Vorgaben der Europäischen Union.
Lars
Greena, Sekretär der PLS, der dänischen Organisation der Studenten der
Sozialpädagogik und Erziehung, und einer der Sprecher der Bewegung „Botschaft
von unten“, sagt dazu:
„Die
Politik der neokonservativen Fogh-Regierung gibt den Monopolen die Möglichkeit
bei ihrer Jagd nach Profiten alles und jeden zu kontrollieren. Das bedeutet
Krieg gegen andere Länder und Klassenkrieg hier. Die Regierung möchte die
Erziehungsinstitutionen privatisieren, die Schulen den Bedürfnissen der großen
Monopole ausliefern und alles Positive im dänischen Erziehungssystem loswerden.
Die Kinder der Reichen können sich 1.Klasse-Tickets kaufen, alle anderen müssen
selbst sehen, wie sie es schaffen – und zur Hölle mit dem Rest.“
Lars
Greena ist einer der Jugendlichen aus Dänemark, die an dem 20. Internationalen
Jugendlager gegen Faschismus und Imperialismus 2006 teilnehmen. Am 18. März
2003, als die Regierung ihre Teilnahme am Krieg gegen den Irak erklärte,
schütteten er und ein Freund im Parlament rote Farbe über Anders Fogh Rasmussen
und den Außenminister Per Stig Moeller. Lars rief: „Ihr habt Blut an euren
Händen!“ Diese Aktion war weltweit im Fernsehen zu sehen.
Sie
wurden anschließend für drei Monate inhaftiert. Diese Aktion zeigte der Welt,
dass die Dänen diesen Angriffskrieg nicht akzeptierten.
Volkswiderstand
und die Revolte in Frankreich
Dänemark
durchlebt einen bedeutenden Moment seiner Geschichte. Die
Pro-Bush-Kriegs-Politik, die neoliberale Offensive gegen die Rechte der
Arbeiter und des Volkes und die rassistische Politik der Regierung, die zur
Karikaturen-Krise führte, hat den traditionellen parlamentarischen Konsens
zwischen Regierung und Opposition aufgebrochen. Es hat zu einer Polarisation in
der dänischen Gesellschaft und einer Radikalisierung der Pole geführt, wie sie
selten zuvor auftrat.
Die der
Berlusconi-Regierung ähnliche Fogh-Regierung ist tief und weit verbreitet
verhasst. Die parlamentarische „Opposition“ aus Sozialdemokraten und linken
Parteien folgte dem Kurs des Kompromisses und stellt keine Alternative dar. In
dieser Situation verbreitet sich das Gefühl, dass die Zukunft Dänemarks nicht
im Parlament, sondern außerhalb, auf den Straßen, in den Volks- und
Massenbewegungen entschieden wird.
Schüler,
Studenten und Lehrer aller Ebenen haben gegen die Erziehungsreform protestiert.
Eine heftige Debatte über die Terror-Gesetze entfaltet sich. Und die neue
Sozialreform wird auf eine starke Opposition treffen.
In diesem
Zusammenhang hat die Revolte der französischen Jugend ein anfeuerndes Beispiel
gegeben. Die Entwicklung dieser Bewegung vom Nein zur Europäischen Verfassung
über die komplexen Aufstände in den Vorstädten zu den gezielten Massenprotesten
heute, die die Jugend und die Arbeiter im gemeinsamen Protest gegen die
neoliberale Politik von Villepin, Sarkozy und Chirac zusammenschließt, wird mit
großer Begeisterung verfolgt.
Am 28.
März 2006 organisierten die dänischen Studenten, Schüler und
Gewerkschaftsjugendorganisationen eine Demonstration zur Unterstützung des
Kampfes gegen den CPE vor der französischen Botschaft in Kopenhagen, an der
mehrere hundert Jugendliche teilnahmen.
17.
Mai 2006: Die größten Massenproteste in Dänemark seit 20 Jahren
Dänemark
hat eine Bevölkerung von 5,5 Millionen. Am 17. Mai gab es die größten
Massenproteste seit 20 Jahren, als mehr als einhunderttausend Arbeiter und
Jugendliche in Kopenhagen und den größeren Städten Arhus, Odense und Aalborg
aus Protest gegen die neoliberale Anti-„Sozialreform“ auf die Straße gingen.
Die
Demonstration wurde von den Gewerkschaften, den Studenten- und
Schülerorganisation und vielen anderen unterstützt. Die Forderungen waren der
Rückzug der vorgelegten „Reform“ einschließlich der Angriffe auf die Renten,
der Arbeitslosengeld- und Schulreform sowie der Kürzungen der Stipendien für
Studierende. Die Forderung nach dem Rücktritt der Fogh-Regierung kam sehr stark
zum Ausdruck.
Die
Jugendlichen hatten einen bedeutenden Platz in dieser Demonstration.
Zehntausende Schüler und Studenten schlossen sich diesen Forderungen an und
entschieden sich, den Kampf auch danach fortzuführen. Viele Schulen und
Erziehungseinrichtungen wurden geschlossen und von dort wurden Protestmärsche
zur Hauptdemonstration organisiert. Universitätsstudenten, Lehrlinge und andere
organisierten lokale Kundgebungen und schlossen sich den Arbeitern an.
Das ist
ein Kampf der Generationen, erklärten sie. Wir stehen zusammen, um die
Kürzungen als Ganzes zurückzuschlagen.
An den
folgenden Tagen wurden die Universitäten von Aalborg, Aarhus, RUC (Roskilde)
und Kopenhagen und das sozialpädagogische Kolleg Kopenhagen schrittweise von
den Studenten besetzt. Viele Aktionen fanden statt. Auszubildende errichteten
eine Mauer am Eingang des Erziehungsministeriums, sodass der entsetzte Minister
einmal fühlen konnte, wie es ist, wenn man aus dem Job ausgesperrt wird.
Der
Protest wird einen Höhepunkt erreichen, wenn die „Sozialreform“ von der
Mehrheit der Parteien einschließlich der sozialdemokratischen „Opposition“
angenommen wird. Große weitere Protestaktionen werden bereits für den Herbst
vorbereitet.
Internationales
Jugendlager 2006 in Dänemark
Vom 28. Juli bis zum 6. August 2006 wird das 20. Internationale
antifaschistische und antiimperialistische Jugendlager in Dänemark an einem
wunderbaren Platz nördlich von Kopenhagen stattfinden. Unter den Hauptthemen
wird genau der Widerstand der Jugend, der Arbeiter und der Volksbewegungen
gegen die vereinigte neoliberale Offensive der europäischen Monopole und ihrer
politischen Vertreter stehen. Die Erfahrungen aus Frankreich als Vorbild werden
einen bedeutenden Platz unter den Themen des Jugendlagers erhalten.
Es wird
ergänzt werden durch die dänischen Erfahrungen, den Kampf der dänischen Jugend
und ihrer Organisationen, der Bewegung „Botschaft von unten“, der Anti-Kriegs-
und Anti-imperialistischen Initiativen. Dazu kommen die Erfahrungen des Kampfes
aus ganz Europa und natürlich der ganzen Welt. Letztendlich ist es ein
gemeinsamer Kampf.
Dieser Text wurde von uns übersetzt. Er stammt von den dänischen Internet-Seiten für das Jugendlager 2006 in Dänemark und soll zur Vorbereitung des Jugendlagers und der Diskussion dort dienen.
siehe auch: www.iul2006.net