Gammelfleisch

Wieder einmal erschüttert ein Lebensmittelskandal die
Menschen in Deutschland. Es ist wieder einmal das Grundnahrungsmittel Fleisch,
aber diesmal stellt sich nicht die kritische Frage nach den
Produktionsumständen, so wie im Fall BSE, wo verseuchtes Tiermehl verfüttert
wurde oder in wieweit Pharmamittel zur Mastbeschleunigung eingesetzt wurden.
Nein, diesmal stellt sich die Frage: Was macht man mit den vielen Tonnen, die
man produziert hat, und vor allem, was macht man mit der Ware, die nicht
verkauft werden konnte?

Mitarbeiter von Minimal haben das Ablaufdatum von
Fleischkäse vom 24.11.2005 einfach auf den 4.12.2005 verlängert. Einer Kundin
in Köln war dies aufgefallen, da das Etikett nur überklebt wurde. Schon bei
REAL gab es ähnliche Betrügereien, doch dort wurde die Ware neu verpackt, so
dass es dem Gewissen der Mitarbeiter geschuldet war, dass die Sache an die
Öffentlichkeit gelangte. Ein Sprecher des NRW Landwirtschaftsministeriums
wiegelt ab und behauptet: „Der Vorfall stehe nicht im Zusammenhang mit dem
Gammelfleischskandal“. Das sehen wir anders, denn auch wenn es hier um
vergleichsweise kleine unappetitliche Gaunereien geht, so ist das Prinzip doch
das Gleiche: Warum verdorbene Ware teuer entsorgen, wenn man sie doch auch
verkaufen könnte?

Nach diesem Motto handelten offensichtlich viele. Einer von
ihnen ist der Gelsenkirchener Fleischhändler 
Uwe Domenz. Bei dieser Ein-Mann-Firma wurden allein 160 Tonnen nicht
mehr genießbare Ware beschlagnahmt. Gehandelt hat er im laufenden Jahr mit über
550 Tonnen, vor allem Putenhack, Kalbfleisch, Hamburger und Gulasch, womit er
nicht nur Kunden in ganz Deutschland belieferte, sondern auch Abnehmer in
Dänemark, Frankreich und Spanien. Das Fleisch, das die Firma Domenz in einem
Kühlhaus in Melle eingelagert hatte, wurde natürlich untersucht. Ein
Ministeriumssprecher fasst das Ergebnis mit den Worten zusammen: „Mit diesem
Fleisch kann sich der Verbraucher vergiften“.

Den Anfang nahm der Fleischskandal im Oktober in einem
Fleischbehandlungsbetrieb in Bayern, der Deggendorfer Frost GmbH. Dort hatte
man Schlachtabfälle einfach zu Lebensmitteln umetikettiert. So wurden Profite
von 100% möglich. Der zuständige Veterinäramtsleiter in Deggendorf Herr Dr.
Bullermann erklärte: „Wir haben das Material 
(…) ja nie mikrobiologisch untersuchen lassen. Also wenn Sie jetzt
dieses Material normal kochen, dann ist sicher keine Gesundheitsgefahr damit
verbunden. Aber allein schon vom Zustand des Materials, von dem Handling, von
der Verarbeitung her ist es natürlich ekelerregend – und kann bestenfalls als
Tiernahrung verwertet werden.“

Ein Fernsehteam des MDR macht sich die Mühe und entnimmt
Proben für eine mikrobiologische Untersuchung. Der Lebensmittel-Sachverständige
Prof. Dr. Ralf Erdmann fasst das Ergebnis zusammen und stellt zunächst fest,
dass „diese Produkte erst tiefgefroren wurden, als sie bereits so stark
verdorben gewesen sind“. Er erklärt weiter: „Wir haben bei diesen Proben zwei
Dinge festgestellt. Auf der einen Seite liegt eine Verunreinigung mit
Verderbniskeimen vor und mit pathogenen Mikroorganismen wie Salmonellen und
auch Lysteria monocythogenes. Lysteria monocythogenes kann Fehlgeburten bei
Mensch und Tier hervorrufen und auch eine eitrige Hirnhautentzündung
verursachen. Auf der anderen Seite haben wir bei diesem hochgradig verdorbenen,
verwesenden Material Umweltkontaminate festgestellt. Es liegt eine Verunreinigung
mit Schmieröl und Industriefetten vor.“

Tatsächlich  könnte
durch einen gründlichen Kochvorgang die Keimbelastung beseitigt werden, aber
die Industrierückstände nicht.  Es ist natürlich
weder für den Menschen genießbar, noch für Tiere und würde bei einer
Tierverfütterung sowieso wieder auf den Menschen zurückfallen.

Im Zuge des Gammelfleischskandals wurden große Mengen
beschlagnahmt, so in einem Neusser Tiefkühlager 36 Tonnen, in Gelsenkirchen 23
Tonnen, in einem Kühlhaus bei Osnabrück 56 Tonnen und andere Beispiele.  Das zeigt das 
Ausmaß der Verbreitung dieser gesundheitsgefährdenden „Lebensmittel“ und
wie wahrscheinlich doch der massenhafte Verzehr ist. Was mit solcher Ware zu
passieren hat, stellt Prof. Dr. Erdmann klar: „ Also muss dieses Material durch
Hitzebehandlung und eine anschließende Verbrennung entsorgt werden. Es muss, zu
gut deutsch, vernichtet werden!“ Müll zu Geld machen zu wollen, war nicht nur
die Maxime der jetzt aufgedeckten Verbrecher. In Bayern haben Behörden in
staatlichen Unterkünften Lebensmittelpakete mit Hühnchenbrust an Flüchtlinge
ausgegeben, deren Mindesthaltbarkeit schon wochenlang überschritten war. Erst
als ein Asylbewerber ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, fiel der
Vorfall auf. Daraufhin konnten noch 324 der abgelaufenen Produkte  sichergestellt werden. Ganz sicher werden wir
auch in 2006 wieder über einen Lebensmittelskandal berichten. (J.T.)