Leserbrief aus Chemnitz: „Blühende Landschaften“

Hallo Genossen!

Habe heute bei der ARGE meinem neuen jungen, smarten und
dynamischen Fallmanager gleich eine AZ-Zeitung gegeben. Er hat sie genommen! Er
wird sie schon lesen, denn solch eine www-Adresse zieht doch alle jungen Leute
an!? So nach dem Motto:

Da muss ich doch mal reinschauen!? Schaden wird es ihm
bestimmt nicht! Oder?

Zu Beginn hatte ich etwas Zoff mit ihm, weil ich die Dinge
beim Namen nenne. Er hatte dabei immer die Hand an seiner Computermaus! Es
wurde meinerseits recht heftig… und plötzlich kam seine Kollegin rein! War
wohl „Stiller Alarm“. Man weiß ja nie, wenn so ein Parasit
ausflippt!? Hat sich aber dann wieder beruhigt, weil ich etwas einlenkte…

Nach dem ARGE-Besuch habe ich paar Fotos vom verkommenden
Stadtviertel BRÜHL gemacht. Dort haben wir gewohnt, nachdem wir in den 50ern
aus Bayern in die DDR kamen. Erschreckend, was heutzutage aus diesem in den
70ern total sanierten Ort geworden ist!!! An der Schule, wo ich das erste Schuljahr
verbrachte, steht zwar immer noch ROSA LUXEMBURG OBERSCHULE,
Rosa-Luxemburg-Schule Chemnitz

aber das
Schildchen daneben besagt, nun ist sie Grundschule. Bildungsrückgang!? Die
Tafel zur Pionierorganisation ist aber noch da!!!

Pioniere

Es sind nur noch wenige Geschäfte am Brühl, die machen nach
und nach dicht, mangels Publikum! Wo keiner mehr wohnt, kauft keiner ein!
Der Schule werden dann wohl die Kinder ausgehen!? Ruinen haben sich auch
schon gebildet!!!
Leere Geschäfte

Ein Geschäft hat ein Schild am Fenster, auf dem steht
trotzig geschrieben „WIR BLEIBEN HIER“. Viel Glück kann ich da nur
sagen.

Eine Entdeckung habe ich auch gemacht: Beim Blick durchs
Schaufenster eines verlassenen Ladens sah ich folgenden aSpruch mit schwarzer
Farbe auf die kahle Wand geschrieben:

„Wofür

Die Arbeit liegt nieder,

die Fabrik steht still, verkommt,

seit dem Tag, lang ist es her.

Es wurde gesagt, zur Zeit,

für eine kurze Weile,

wäre es besser, andere

Helme zu tragen.

Helme aus Stahl.

So fanden unsere Träger

neue Beschützer

und kehrten nie zurück.“

Leerstehende Wohnungen Chemnitz

Als ich nachdenklich auf dem Rückweg war, kam ein kleiner
alter Mann seitlich auf mich zu und fragte zaghaft mit dünner Stimme: „Ich
habe noch nichts Warmes gegessen, habe kein Geld.“
– Nun ich auch
nicht. Dies ist mir zum ersten Mal seit der „Wende“ passiert.

Ich bin fremd in diesem imperialistischen System BRD.

Tschüß!

H