Korrespondenz von einer Namibia-Reise: Endlich abgeräumt…
Windhoek, Namibia: Etwa 100 Jahre stand er auf einem Sockel etwas oberhalb der Stadt, der „Reiter von Südwest“. Als Standbild gefällt er mir eigentlich – und wenn er zu Ehren von Karl May oder als „Old Shatterhand“ in z.B. Radebeul stünde, hätte ich nichts dagegen. Doch er stand als Sinnbild für die blutige Kolonialgeschichte der deutschen „Schutztruppler“ im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika. Jetzt ist er (endlich !) beseite geräumt worden – in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ der schwarzen Bevölkerung, wie unser Reiseleiter berichtete. Das war so wohl notwendig, denn der wirtschaftliche und damit auch politische Einfluß der deutschstämmigen Weißen in Namibia ist immer noch groß…
Die deutsche Kolonialherrschaft in „Südwest“ war nur kurz, dafür aber um so blutiger. Schon die Landnahme war illegal. Die einheimischen Völker kannten keinen Privatbesitz an Grund und Boden, ihre Vertreter hatten bei der Abfassung von Verträgen eine ganz andere Rechtsauffassung als die späteren Kolonialherrscher, doch die setzten ihre Rechtsauffassung „mit Bibel und Flinte“ durch, mit dem sprichwörtlichen „heiligen Kanonenrohr“. Hendrik Witbooi III, ein Nachfahre des damaligen Führers der Witbooi, schildert das so: „Zum Beten mußten wir die Augen schließen. Als sie uns aufgingen, hatten wir noch die Bibel, aber unser Land war weg.“
Die Vertreibung von ihren Weidegründen, Einpferchung in Konzentrationslager, die Vernichtung ihrer Rinderherden durch eingeschleppte Seuchen – nicht nur das führte immer wieder zu Unruhen bei den einheimischen Völkern. Außderdem sollten vor allem zahlreiche Hereros als Arbeitskräfte nach Deutsch-Ostafrika zwangsumgesiedelt werden. Die von deutschen Kolonialstrategen in Erwägung gezogene Ausrottung der schwarzen Bevölkerung wurde nicht etwa aus humanitären Gründen gestoppt, sondern aus wirtschaftlichen: die weißen Herren brauchten lebende Schwarze als Arbeitsvieh…
Im Jahre 1904 begann der große Aufstand zunächst der Hereros. Henrik Witbooi hatte bis dahin einen Zusammenarbeitsvertrag mit den deutschen Kolonialherren abgeschlossen. Als er nun aber von seinen Spähern erfuhr, mit welcher Grausamkeit diese gegen die Hereros vorgingen, kündigte er zunächst diesen Vertrag auf und trat erst danach (!) an der Seite der Hereros in den Kampf ein. Führer der Hereros war Maharero. Es gab einen weiteren Führer auf schwarzer Seite in diesem Kampf: den Arbeiter Jakob Morenga, der mit etwa 400 Kampfgefährten die Übermacht der „Schutztruppler“ dreieinhalb Jahre in Atem hielt.
Die Brutalität dieser Schutztruppler will ich hier nur kurz andeuten. Zu Zehntausenden wurden Schwarze abgeschlachtet – nicht nur Kämpfer, sondern Kinder und Frauen, Alte, Kranke, Schwache. Sie wurden in die Wüste gejagt, wo viele von ihnen verdursteten. Gefangene oder abgemagerte, entkräftete Überlebende wurden z.B. auf der am kalten Benguelastrom liegenden „Haifisch-Insel“ bei Lüderitz gebracht. Allein hier sollen etwa 5000 Menschen – viele auf nacktem Felsboden untergebracht – umgekommen sein.
Der Aufstand der Unterdrückten verdient unsere Bewunderung, obwohl er im Jahr 1907 mit einer Niederlage und weiterer Unterdrückung endete. Er verdient unsere Bewunderung nicht nur wegen der Tapferkeit der unterjochten Völker, sondern vor allem wegen ihrer Kriegsführung. Die wird pikanterweise bezeugt durch eine Metall-Tafel, die die deutschen Kolonialherren zu Ehren der auf ihrer Seite im Aufstand umgekommenen Menschen am Sockel des „Reiters von Südwest“ anbrachten. Auf ihr sind aufgelistet:
– 1744 Männer
– 4 Frauen
– 1 Kind
Dies belegt: ganz anders als die „zivilierten, christlichen“ Weißen kämpften die „Eingeborenen“, die „Wilden“ und wie sie sonst noch verächtlich genannt wurden, nicht gegen Frauen und Kinder, sondern ausschließlich gegen Männer, „Krieger gegen Krieger“. Ihr Kampf war nicht rassistisch. Manchem Pazifisten mag die Formulierung mißfallen, aber ich wähle sie trotzdem: sie führten einen anständigen Krieg. Ich kenne nur wenige Beispiele aus der Geschichte der Menschheit, bei der eine der beiden Kriegsseiten dies von sich sagen kann.
Diese Tafel wurde nun leider auch „beiseite“ geräumt. Das Reiter-Standbild hat man in den Innenhof eines verfallenden Museum-Gebäudes der Südwest-Geschichte verfrachtet, die Tafel lehnt neben ihm an der Wand. Ich finde: den Reiter kann man da lassen (oder nach radeul ringen ?), doch die Tafel sollte – mit entsprechendem Text – im Nationalmuseum untergebracht werden, sie ist ein Ruhmesblatt aus der Geschichte des heutigen Namibia.
„Not yet Uhuru“ ist der Titel eines politischen Liedes aus dem heutigen Ostafrika. „Noch keine Freiheit“ – das meint: viele Staaten in Afrika sind zwar keine Kolonien mehr, aber deswegen noch nicht frei und unabhängig. Zum heutigen Namibia nur dies: man sieht den Klassenunterschied auch an der Hautfarbe. Für die meisten Schwarzen gibt es nur zwei Möglichkeiten:
entweder sie sind arbeitslos, arbeiten also nicht; dann bringen sie es auch zu nichts und sie leben unter ärmlichsten Verhältnissen („kein Wunder, wenn sie doch zu faul sind“)
oder sie „sind nicht faul“ und arbeiten – dann machen sie die Weißen reicher…
Das ist natürlich eine sehr vereinfachte Darstellung. Es gibt Ausnahmen, aber leider nur wenige.
Lesetip: „Morenga“ – Roman von Uwe Timm