Zum Tarifabschluss im öffentlichen Dienst:
Im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen ging ein kämpferischer, aber im Vergleich kurzer Tarifkonflikt zu Ende. Nach Angaben der Gewerkschaft ver.di nahmen rund 300.000 Kolleginnen und Kollegen an den Warnstreiks dieser Tarifrunde teil! Diese beeindruckende Streikwelle unterstützte die ver.di-Forderungen nach 100 Euro, tarifwirksam (also keine Einmalzahlung!) für alle, zuzüglich 3,5% mehr Lohn! Es gab zusätzlich noch eine ganze Reihe weiterer Forderungen!
In der dritten Verhandlungsrunde am 1. April 2014 konnte vor dem Hintergrund dieser massiven Streikbereitschaft der Abschluss erzielt werden.
Erneut hatte ver.di mit der Kernforderung nach listenwirksamen 100 Euro für alle neben der 3,5-Prozent-Forderung für Aufsehen gesorgt. Nachdem bereits in der Handelstarifrunde des letzten Jahres erstmals ganz auf eine Festgeldforderung von 1 Euro pro Stunde für alle gesetzt wurde (die dann freilich nicht erreicht wurde), stellte ver.di erneut eine Festgeldforderung für alle auf, freilich kombiniert mit der Prozentforderung.
Festgeldforderungen für alle sind in dieser Kombi-Form neu. Das ist zu begrüßen, verringert doch deren Durchsetzung für die unteren Entgeltgruppen den strukturellen Abstand zu den höheren. Allerdings war die beschlossene Festgeldforderung mit 100 Euro maßvoll. Zum Vergleich: In der letzten Metalltarifrunde 2013 wurden von den kämpferischeren Teilen der Metaller/innen mindestens 220 und mehr Euro gefordert! Allerdings wurde diese breite Forderung von der Gewerkschaftsführung stets bekämpft und dann folgerichtig auch nicht aufgestellt.
Was kam raus?
In nur drei Verhandlungsrunden wurde mit ver.di ein neuer Tarifvertrag ausgehandelt. Als „gutes und faires Ergebnis“ bezeichnete der Verhandlungsführer des Bundes, Bundesinnenminister Thomas de Maizière, den gefundenen Kompromiss, recht kleinlaut angesichts der großen Streikbereitschaft des Öffentlichen Dienstes. Trotzdem ist zu fragen, warum er sich so zufrieden äußerte! Es war sicherlich die Tatsache, dass aus der massiven Kampfbereitschaft, die sich in den Warnstreiks gezeigt hatte, keine Urabstimmung und kein Streik gemacht worden war.
So sah dann das Ergebnis aus:
* Erhöhung der Tabellenentgelte ab 1. März 2014 um 3,0 %, mindestens aber 90 Euro.(laut ver.di-Chef Frank Bsirske durchschnittlich 3,3 Prozent mehr!).
* Weitere Erhöhung der Tabellenentgelte um 2,4 % ab 1. März 2015.
* 40 Euro mehr für Auszubildende und Praktikant/innen ab 1. März 2014, weitere 20 Euro ab März 2015.
* Laufzeit 2 Jahre.
* Die bisher gestaffelte Urlaubsdauer wird für alle Beschäftigten ab sofort unabhängig vom Lebensalter auf 30 Arbeitstage 5 Tagewoche) festgelegt, für Azubis auf 28 Tage.
Nicht erreicht werden konnten:
* ein tarifvertraglicher Ausschluss sachgrundloser Befristungen, einer Pest im öffentlichen Dienst! ver.di konnte immerhin den Formelkompromiss erreichen, dass die Auswirkungen von Befristungen im öffentlichen Dienst „wissenschaftlich untersucht“ werden sollen, was immer das dann heißt. D.h. aber konkret: von dem üblen Brauch, Menschen, auch hochqualifizierte, nur befristet einzustellen und ihnen damit jede planbare Perspektive zu rauben, die Befristung systematisch als Lohnsenkungsinstrument zu nutzen, wollen die öffentlichen Arbeitgeber keinesfalls lassen.
* Ebenfalls nicht erreicht wurde eine Verbesserung der Nachschichtzulagen…
Das ist ein sehr bescheidenes Ergebnis! Trotz der hohen Kampfbereitschaft!
Es muss betont werden: Für alle einen Festbetrag plus eine Prozenterhöhung durchzusetzen ist eine ganz andere Nummer als eine Prozentforderung, „abgefedert“ mit der „sozialen Komponente“ eines Mindestbetrages von 90 Euro!
Allein die 100 Euro bedeuteten bei einem Tarifentgelt von ca. 1700 Euro eine Erhöhung um 5,9%, die Erfüllung der gesamten Forderung, hätte ca. 8,5% bedeutet. Bei 4000 Euro bedeuten die 100 Euro immer noch 2,5%, die Gesamtforderung 6%. Da aber der Festbetrag in den Verhandlungen unter den Tisch fiel, fehlen dessen Prozentsätze ganz in der Rechnung. Es bleiben für alle Tarifentgelte über 3000 Euro die 3 % mehr, alles darunter bekommt die 90 Euro! Wäre die Streikbereitschaft besser genutzt worden, es wäre sicherlich mehr drin gewesen.
Der 90-Euro Sockelbetrag – trotzdem ein wichtiger Erfolg!
Gewürdigt werden muss trotzdem, dass mit dem garantierten Sockelbetrag von 90 Euro erstmals eine soziale Strukturkomponente erstritten werden konnte, die das Entgeltgefüge strukturell zu Gunsten der unteren Lohngruppen verändert. Das ist in der bundesdeutschen Tariflandschaft alles andere als selbstverständlich! Das ist ein Erfolg dieser Tarifbewegung. Es ist ein Erfolg, der nur auf dem Hintergrund der Streikbewegung, der greifbar gewordenen Kampfbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen zu erreichen war. Aber es ist eben nicht die Tarifforderung!
Einige Zahlen dazu von ver.di (Flyer ver.di TARIFBEWEGUNG extra 05/1 vom 1. April 2014) illustrieren trotzdem, dass dieser Sockelbetrag seine Wirkung entfaltet:
* Ohne den 90-Euro- Sockelbetrag würde bei 3% die unterste Einkommensgruppe nur einen Zuwachs von ca. 46 Euro bekommen, jetzt fast doppelt so viel! Das Entgelt dieser Kollegen, die bislang weniger als 1.600 Euro brutto bekamen, wächst damit um etwa 5,8 Prozent.
* Ein Facharbeiter in der EG 5 Stufe 3 erhält in 2014 monatlich 90 Euro mehr, das entspricht laut ver.di einer prozentualen Erhöhung von 3,7 Prozent.
* Eine Verwaltungsangestellte in der EG 3 Stufe 2 erhält in 2014 monatlich 90 Euro mehr, das entspricht bei ihr einer Erhöhung um 4,7 Prozent.
* Eine Beschäftigte in der EG 9 Stufe 4 erhält eine Erhöhung von 96,24 Euro, das sind 3,0 Prozent.
Auf alle neuen Beträge kommen dann ab 1. März 2015 noch 2,4 Prozent oben drauf.
Wie ist der Abschluss zu bewerten?
Es bleibt (wie immer!) ein zwiespältiger Eindruck: Es wäre mehr zu erreichen gewesen, wenn die ver.di-Führung die hohe Kampfbereitschaft der Kolleg/innen in Anspruch genommen hätte. Wie so oft wurde die eigentlich wichtige Zuspitzung durch Urabstimmung und Streik umgangen.
Trotzdem ist der Sockelbetrag ein wichtiger Schritt voran. Damit soll vor allem betont werden, dass dieser Erfolg keine Eintagsfliege bleiben sollte. Bei ver.di darf das kein isoliertes Einzelereignis bleiben. Aber auch die IG Metall und andere Gewerkschaften müssen ihre Ablehnung dieser Politik aufgeben, kämpferische Kolleg/innen können sich dies zum Vorbild nehmen. Ihre jahrelangen Bemühungen und innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen um diese Fragen – sie sind sichtlich nicht umsonst und haben einen ersten Erfolg erzielt!
Reaktionen des Kapitals!
Entsprechend empört und aggressiv reagieren die klassenbewussten Ideologen des Kapitals! Stellvertretend und voller Abscheu die Frankfurter Allgemeine (FAZ), das Zentralorgan der deutschen Kapitalisten zum ausgehandelten Kompromiss:
„Tatsächlich aber ist Verdis neue Sockeltarifpolitik zugunsten der unteren Tarifgruppen … eine Ansage, dass hier die Gewerkschaft der Müllwerker, Straßenbahn- und Busfahrer auftritt, hinter deren Mehrheitswillen die Belange anderer Gruppen zurückstehen sollen. Das ist zwar verständlich, da die Genannten für Verdi eben die dominierende Mitgliederklientel sind – und nicht etwa IT-Spezialisten oder Verwaltungsjuristen. Doch genau hier ist auch der wunde Punkt: Je stärker der Mehrheitswille der eigenen Klientel den Interessenausgleich in der Belegschaft in den Hintergrund drängt, desto mehr wird aus der Branchen- eine Spartengewerkschaft. […]
Das führt aber auch dazu, dass eine unausgewogene Tarifpolitik viel eher die zu kurz Gekommenen frustriert. Ihnen bleibt im öffentlichen Dienst in letzter Konsequenz nur ein Weg, sich der Knute der Mehrheitsgewerkschaft zu entziehen – die Gründung einer Spartengewerkschaft, die dann höhere Tariflöhne speziell für sie erstreikt.“ (Quelle: http://oeffentlicher-dienst.info/tvoed/tr/2014/ 4.04.2014 )
„IT-Spezialisten oder Verwaltungsjuristen“, im öffentlichen Dienst – für deren Entgeltsteigerungs- und Karrierewünsche hat die FAZ großes Verständnis! Aber Müllwerker, Straßenbahn- und Busfahrer? Alles was Recht ist! Und nach denen sollen sich diese armen geplagten Spezialisten richten? „Niemals!“ raunt die FAZ den „zu kurz Gekommenen“ zu, die sie zu ihrer ureigensten Klientel ernannt hat.
Spaltungsversuche des Kapitals!
Hier wird offen mit der Spaltung von ver.di gedroht – und zugleich deutlich gemacht, was oft bei der Gründung von „Spartengewerkschaften“ mitspielt: die gezielte Schwächung der Kampfkraft der Werktätigen durch ihre Klassengegner! Wie sagt´s die FAZ? „Sich der Knute der Mehrheitsgewerkschaft entziehen“! Hier versucht das Kapital, seinen Einfluss bei den besser bezahlten Funktionsträgern zu stärken. Diese Anstrengungen unserer Gegner dürfen nicht unterschätzt werden!
Angesichts der oft gemachten Erfahrung, dass viele besser bezahlte Gewerkschaftsmitglieder durchaus großes Interesse und Verständnis für eine Besserstellung der unteren Entgeltgruppen aufbringen, müssen klassenbewusste Kräfte ihre Aufgabe klar erkennen. Dieser angedrohten Spaltungspolitik des Kapitals bewusst entgegentreten mit einer Politik des Bündnisses, einer einheitlichen, gemeinsamen Front: durch weitere Überzeugungs- und Enthüllungsarbeit für die Besserstellung der schlechter bezahlten Kolleg/innen, durch gute Argumente und breite Aktion möglichst vieler Gewerkschafter/innen! Gemeinsame Aktion verbindet!
Dazu gehört aber auch, einen ernsthaften, lebendigen Dialog mit besser bezahlten Angestellten zu führen mit dem Ziel, die gewerkschaftliche Einheit möglichst zu stärken. Dabei ist auch wichtig, dass sich viele besser entlohnte Kollegen, die sich gewerkschaftlich organisieren, dies nicht selten aus demokratischen, oft auch antifaschistischen Anschauungen heraus tun, aus gesellschaftlichem und sozialem Gerechtigkeitsempfinden, nicht nur aus materiellem Interesse. Das ist eine Grundlage für gemeinsames Vorgehen!
ft