Die „Meile der Demokratie“, Magdeburg, 18.1.2014
Wieso kann man diese Nazidemonstrationen nicht verbieten? Eine Frage die immer wieder gestellt wurde. Seit Jahren marschieren Faschisten durch Magdeburg (im Februar dann in Dresden) und „gedenken“ der Opfer der Alliierten Bombardierungen 1944/45. Über die Ursachen schweigen sie und das entrüstet die Magdeburger, die noch Opfer dieser Kriegsereignisse waren. Geschichtsrevision betreiben auch die heutigen Herren. Freilich müssen sie die Stimmung in der Bevölkerung berücksichtigen. Eine „Meile der Demokratie“ wurde inszeniert, um die Proteste in zu kanalisieren. 2 Bündnisse – „MD nazifrei“ und „Block MD“ gehen da schon weiter. Ziviler Ungehorsam verlangt, dass die Faschisten nicht durch Magdeburg marschieren und ihre Propaganda verbreiten können. Blockaden sind ein Mittel des Widerstandes. Etwa 50 Protestkundgebungen und Demonstrationen wurden angemeldet, um die ca. 700 Faschos in die Schranken zu weisen.
Einen Naziaufmarsch ohne die Unterstützung durch staatliche Organe ist seit vielen Jahren in Magdeburg nicht möglich. Das Demonstrationsrecht müsse durchgesetzt werden – so die Erklärungen der Polizei. Das es um das der Nazis geht, wird nicht erwähnt. Jede antifaschistische Äußerung und Aktivität wird und wurde verfolgt. Die Stadt befand sich am 18.1.14 im Ausnahmezustand. Ganze Stadtteile wurden abgeriegelt, die Möglichkeit, an den angemeldeten Protestdemonstrationen und –kundgebungen teilzunehmen, wurde polizeilich verhindert. Eine größere Antifa-Demo wurde in eine Straßenbaustelle gelenkt und eingekesselt. Eine Eskalation war vorprogrammiert – fand aber nicht statt. Von Seiten der Polizei war zugesagt „Proteste in Sicht und Hörweite des Naziaufmarsches zu gestatten“. Doch das wurde an diesem 18. Januar gebrochen. Von einer friedliche Polizei kann auch nicht gesprochen werden:
Aus einem Bericht der Sanizentrale
„Fünf Kopfverletzungen, die meisten davon Nasenbrüche und Platzwunden, verursacht durch Schläge mit Schlagstöcken und Polizeihandschuhen.
Extremitätenverletzungen waren Brüche an den Armen durch Gewalteinwirkung mit Schlagstöcken, so wie auch mehrere Knieverletzungen und offene Wunden von z.T. herbeigeführten Stürzen. Mehrere Gelenkverletzungen und Überdehnungen durch sogenannte Schmerzgriffe, ein Handgelenk wahrscheinlich dauerhaft geschädigt.
Es kam zu einer Verletzung im Bauchbereich wieder durch Gewalteinwirkung mit Schlagstock. Aufgrund der erlebten Gewalt musste eine Person psychologisch betreut werden. Viele Personen mussten aufgrund der Einwirkung von Pfefferspray versorgt werden. Gegen Abend gab es Verletzte durch Angriffe von Nazis, die sich als Zivilpolizisten ausgaben. Eine Polizistin wurde von Demosanitätern versorgt, diese war ausgerutscht und hatte sich dabei das Wadenbein gebrochen.“
Genossen von Arbeit Zukunft beteiligten sich aktiv an den Vorbereitungen des antifaschistischen Widerstandes im „Bündnis Magdeburg Nazifrei“ und in der „Roten Hilfe-MD“
In einer PRESSEMITTEILUNG –19.01.“ heißt es u.a.
„+++ Naziaufmarsch konnte zeitlich verzögert werden +++ Route kürzer als in den Vorjahren +++ Angereiste Nazis konnten getrennt werden +++ funktionierende Blockaden +++ Polizeigewalt setzt Nazidemonstration durch +++ Übergriffe auf Antifaschist_innen +++
Am gestrigen Samstag rief unter anderem das Bündnis “Magdeburg Nazifrei” dazu auf, den Gedenkmarsch der „Initiative gegen das Vergessen“ zu blockieren. Diesen Aufrufen sind mehr als 1.500 Menschen gefolgt. Nach den Protesten zieht “Magdeburg Nazifrei” eine erste Bilanz. Sara Lehmann, eine der Sprecher_innen des Bündnisses Magdeburg Nazifrei, stellt fest: „Die Versammlungsbehörde, und somit die Befehlshabenden der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord, haben wiederholt verhindert, dass ein direkter, gewaltfreier Protest gegen den Naziaufmarsch möglich wurde. Die Nazis wurden erneut durch die Polizei eskortiert, der rote Teppich lag bereit. Mit Hilfe der Deutschen Bahn konnten die Neonazis ihren Gedenkmarsch durchziehen. Denn auch in diesem Jahr stellten sie zum Transport der Nazis Sonderzüge zur Verfügung“. Zwei an den Protesten beteiligte Anwälte aus Hannover sind über die Zustände und das Vorgehen der Polizei schockiert und bereiten entsprechende Klageverfahren vor. „Im kommenden Jahr darf es nicht zum dritten Mal in Folge passieren, dass die Polizei uns daran hindert, zu angemeldeten Kundgebungen zu gelangen. Wir dürfen es ihnen nicht so einfach machen und müssen sie auf dem gerichtlichen Weg darauf aufmerksam machen, dass ihr Vorgehen nicht rechtskonform ist.“, so Lehmann weiter. 2015 jährt sich der Bombenangriff auf Magdeburg zum 70. Mal.
Durch viele gewaltfreie Aktionen und Blockaden ist es gelungen, den Naziaufmarsch um mehrere Stunden zu verzögern. Dass es am Ende nicht gelang den Aufmarsch komplett zu verhindern, bedauern wir. Für kritikwürdig halten wir vor allem die Desinformationspolitik der Polizeidirektion sowie das Vorgehen der Polizeieinsatzkräfte. Nichts desto trotz gelang es an mehreren Stellen in der Stadt erfolgreiche Aktionen und Blockaden umzusetzen. So konnte ein Zug am Bahnhof Neustadt mit mehreren Hundert Nazis über einige Stunden durch eine spontane Gleisblockade am Weiterfahren gehindert werden. Die Weiterfahrt der Gruppe in Richtung Süden konnte leider nicht verhindert werden. Zu diesem Zeitpunkt sammelte sich eine weitere Gruppe mit etwa 100 Nazis am Bahnhof Herrenkrug auf der ostelbischen Seite der Landeshauptstadt. Diesen gelang es auch im Laufe des Nachmittags nicht, den Anschluss an die große Gruppe Nazis auf der anderen Elbseite zu bekommen. Sie waren somit gezwungen im Herrenkrug eine eigene Spontandemo durchzuführen.
Magdeburg, 18.1.14: Polizeipferde im Einsatz
Nach einem stundenlangen Hin und Her zwischen Polizei, Nazis und Antifaschist_innen gelang es den ca. 700 Nazis einen verkürzten Gedenkmarsch im Stadtteil Leipziger Straße/Reform zu vollziehen. Mit insgesamt 800 Nazis waren deutlich weniger angereist als angekündigt. Noch während die Nazis marschierten gab es immer wieder Versuche, Blockaden auf der mittlerweile bekannten Route aufzubauen, es war inzwischen nach 16 Uhr. Zu dieser Zeit ging die Polizei bereits massiv gegen die Blockierer_innen vor, die versuchten in die Nähe der Route zu gelangen. Es gab Meldungen über Einsätze mit Schlagstöcken, Pfefferspray und körperlicher Gewalt durch Schmerzgriffe.“ (…)
„Der Ermittlungsausschuss meldete gegen 17:30 Uhr 33 Ingewahrsamnahmen, am Ende des Tages wurde die Zahl auf 36 erhöht. Dank des Einsatzes mehrerer Teams aus Jurist_innen konnten alle Festgehaltenen die Gefangenensammelstelle bis zum späten Abend verlassen. Vertreter_innen von beiden Bündnissen waren vor Ort um Entlassene zu empfangen, zu versorgen und z. B. die Heimreise zu vermitteln.“ (…)
Im nächsten Jahr müssen sich mehr Magdeburger und Magdeburgerinnen an den Aktionen und Blockaden beteiligen. Die Beteiligung der Anwohner_innen an den Protesten kann sicherstellen, den Aufmarsch komplett zu verhindern. Wir dürfen der Polizei nicht die Möglichkeit überlassen, den Nazis immer wieder Raum für ihren Aufmarsch zu geben. Aber auch mit anderen Strategien ist es möglich, den “Gedenkmarsch” zu blockieren. Das hat uns der gestrige Tag bewiesen. Deshalb gilt für uns auch 2015: ‚Nazis blockieren – was sonst?!’“
Wie bereits oben berichtet, beteiligte sich Arbeit Zukunft an dem antifaschistischen Widerstand. Wir haben über die Gründe der staatlichen Unterstützung für die Faschisten gesprochen und uns für ein Verbot aller Neofaschistischen Parteien und deren Propaganda ausgesprochen. Untermauert wurde das u.a. mit einem Flugblatt aus der Zeitung Arbeit Zukunft.
Neofaschisten bleiben Reserve des bürgerlichen Staates
Das Kapital betrachtet Menschen nur unter dem Aspekt, ob sie Profite bringen. Für diejenigen, die das Kapital nicht braucht, will es möglichst wenig ausgeben. Das ist die Wurzel der Hetze gegen Arbeitslose, Obdachlose usw., die als Schmarotzer angesehen werden. Die Nazis sind nur die Vollstrecker. Ihr Hass knüpft daran an, dass letztlich diejenigen, die nicht arbeiten, aus Lohnabzügen der Arbeitenden finanziert werden.
Der Kapitalismus produziert umso mehr Rassismus, je mehr sich die Konkurrenz verschärft bzw. sich die ökonomischen Bedingungen für das Kapital und die arbeitenden Menschen verschlechtern. Weltoffenheit und Toleranz sind auf der Basis des Kapitals und der so genannten „Marktwirtschaft“ nur in verkümmerter Form möglich.
Alle konkreten Maßnahmen des bürgerlichen Staates, den Rassismus in Taten zu bekämpfen bzw. faschistische Organisation zu verbieten, sind positiv. Auf dem Boden des Kapitalismus jedoch müssen sie inkonsequent bleiben. Selbst wenn alle faschistischen Parteien und die Äußerung faschistischer Ideen verboten würden (das streben wir an), könnte die faschistische Ideologie selbst nicht verboten werden. Ihr müsste der materielle Boden entzogen werden, der sie hervorbringt.
Wer den Rassismus besiegen will, der muss den Kapitalismus beseitigen wollen mitsamt der unerbittlichen Konkurrenz zwischen Menschen, die er erzeugt, der muss danach streben, dass Menschen als Menschen zählen und nicht nur als Ware Arbeitskraft, die auszubeuten ist. Die „Theorie von der Ungleichwertigkeit der Menschen“, ist ein Kernstück der Ideologie des Kapitals. Kampf gegen den Faschismus ist deshalb ein Teil des Kampfs gegen den Kapitalismus.
Der Staat unterdrückt mit Hilfe von Polizei und Gerichten seit Jahrzehnten die Zivilcourage gegen Nazis. Wie viele Antifaschisten wurden festgenommen, verprügelt, zu Geldstrafen oder sogar Gefängnis verurteilt, weil sie Veranstaltungen von Nazis verhindern wollten? Wie viele Demonstrationen gegen Nazis wurden vom Staat verboten? Es gibt kaum eine Naziveranstaltung, die nicht von der Polizei massiv verteidigt wird. Verfassungsschutz und Geheimdienste überwachen und registrieren Gegner des Faschismus. Und der Staat finanziert die Naziparteien mit den Steuergeldern der Bürger, die er zur Entschlossenheit gegen Nazis auffordert. Das alles hat sich bis heute im Prinzip nicht geändert. Wir brauchen Zivilcourage. Die aber ist letztlich eine Eigenschaft, die im Widerspruch zum Duckmäusertum steht, die das Kapital produziert. Das Kapital verlangt Unterordnung und bedroht Zivilcourage mit Existenzunsicherheit. Dasselbe macht sein Staat. Das alles produziert Gleichgültigkeit und Desinteresse. Zivilcourage ist gefragt, aber nicht nur gegen Nazis, sondern vor allem gegen das Kapital und seinen Staat.