Die Nachrichten vom Kampf um Norgren in Großbettlingen gingen durch die ganze Republik: die Nachrichten von dieser kleinen mutigen Belegschaft, die verzweifelt den Kampf aufnahm gegen die Schließung der Norgren-Fabrik, von der sie lebte. Am 30. August war ihr unter gruseligen Begleitumständen mitgeteilt worden, dass das profitable Werk, das ca. 100 Kolleginnen und Kollegen recht qualifizierte Arbeit bot, zum 31. Dezember 2013 geschlossen werde und die Produktion nach Brünn in Tschechien verlagert werde.
Terror und Einschüchterung gegen Kolleg/innen!
Schockierend: Sie musste auch den Kampf führen gegen den regelrechten Terror, den die Geschäftsführung von Norgren gegen die Belegschaft veranstaltete. Geschäftsführer Roland Otto scheute nicht davor zurück, eine offensichtlich von rechtsradikalen und Nazisympathisanten durchsetzte Security-Firma gegen die Belegschaft zu hetzen und diese zu schikanieren, sie aus dem Werk, von ihren Arbeitsplätzen zu drängen und Streikbrechern den Zutritt zu den Arbeitsplätzen zu sichern. Wes Geistes Kind viele „Mitarbeiter“ der Firma „Correctcontroll“ aus Chemnitz sind (so heißt diese Truppe), ergibt sich aus den Aufklebern und Spruchbändern, die an einem ihrer Fahrzeuge zu lesen sind: Eiserne Kreuze und die eindeutige Parole: „Jage nicht, was Du nicht töten kannst!“ Die Stuttgarter Zeitung bestätigte mit einem Foto zu ihrem umfangreichen Norgren Bericht am 5. Dezember 2013 diesen Sachverhalt. Als Arbeit Zukunft mehrmals in Großbettlingen vor Ort war, war uns ein Foto nicht gelungen.
Schon in der letzten Nummer in unserm Bericht schrieben wir dazu und wiederholen es jetzt nochmal: Jage nur, was Du töten kannst! Wenn Du dich in der Überzahl bist, wenn Du die Polizei im Rücken fühlst – dann sind wir mutig! Im KZ ist gut jagen und töten! Wenn Dein Gegenüber stark ist – verpiss Dich besser, Deutscher „Held“! Nazis und Faschisten haben ihre feige Gesinnung immer hinter schon hinter dröhnenden Sprüchen versteckt.
Es ist ein Skandal sondergleichen, dass die Geschäftsführung sich dieser Methoden bediente. Als der Geschäftsführer der überrumpelten und fassungslosen Belegschaft die Schließung des Standortes verkündete, ließ er sich von dieser Truppe begleiten. Die Betriebsratsvorsitzende Nevin Akar: „Ab dem Moment waren sie Tag und Nacht da“. Etwa 25 Werkschützer hätten die Schlösser ausgetauscht, illegaler Weise auch das in der Tür des BR-Büros, sich dann im ganzen Werk verteilt und jede Regung der Mitarbeiter überwacht, gefragt, was sie da täten, wenn sie nur das Fenster öffneten.
Kollegin Nevin durfte die Firma erst gar nicht mehr und dann mit Anordnung des Gerichts doch wieder, aber nur mit Begleitung betreten. Ein Security-Mann brachte sie zum Büro wartete vor ihrer Tür, um sie wieder hinauszuführen. Nevin Akar „Das war beklemmend. Man bekommt Angst an einem Ort, an dem man sich früher sicher fühlte“.
Auch der Bürgermeister des Ortes, Martin Fritz, klagte an, der Geschäftsführung fehle jede soziale Kompetenz, mit den Mitarbeitern richtig umzugehen. Solch eine Kaltschnäuzigkeit habe er in 30 Amtsjahren noch nicht erlebt.
Wenn sich der Herr Bürgermeister nur nicht täuscht! Wenn er „soziale Kompetenz“ vermisst, so sollte er sich in der Welt umschauen. Bereits bei der Firma Behr in Stuttgart Feuerbach 2011 ließ sich die Geschäftsführung von solchen Schwarzkitteln begleiten, als sie der Belegschaft die geplante Schließung des Werkes mitteilte. Diese Art Kapitalisten-Management betrachtet Einschüchterung und Terror gegen Arbeiter/innen und Angestellten ganz im Gegensatz in besonderen Situationen genau als die angemessene Form der „Kommunikation“, so zu sagen als höchste Form der sozialen Kompetenz. Man sollte Norgren-Geschäftsführer Roland Otto geradezu als Preisträger für den nächsten Unternehmenskommunikations-Preis vorschlagen!
Beharrlicher Kampf!
Die Kolleg/innen und Kollegen von Norgren wehrten sich mit wochenlangem „Warnstreik“, dann mit der Urabstimmung und offiziellem Streik über 9 Wochen. Eine unglaubliche Leistung: Wochenlang wurde das Werk rund um die Uhr bewacht, nachdem die Geschäftsführung im September versuchte eine Produktionslinie nach Tschechien zu schaffen. Die Eingänge wurden blockiert, ein Gewerkschaftssekretär und etliche Kolleg/innen parkten die Werkszufahrt einfach zu, bis der Landrat (CDU!) mit einer massiven Räumungsdrohung und ein Gericht mit Einzelstrafandrohungen bis zu 240.000 Euro pro blockierender Person (Ja! Richtig gelesen! Klassenjustiz!) die Freigabe erzwangen. Trotzdem ließ der IG-Metall Sekretär seinen Wagen noch länger dort stehen. Er riskierte ein Gerichtsverfahren. Ein Gewerkschaftsfunktionär, der seine Pflicht tut, ist in diesem Land mit Gerichtsverfahren bedroht! Eine sicherlich tiefsitzende Lehre für alle Beteiligten!
Solidarität vieler Kolleg/innen aus der ganzen Region!
Eine starke Solidarität vieler Belegschaften begleitete diesen Kampf. Es wurden große Geldbeträge in anderen Firmen gesammelt und der Streikkasse gespendet. Das war auch dringend nötig, hatten die Kollegen doch schon vor der ersten Urabstimmung tagelange Warnstreiks ohne jeden Cent hinter sich! Danach gab es immerhin Streikgeld, aber auch das reicht naturgemäß nur für das Nötigste.
Eine Menschenkette mit über dreihundert herbeigeeilten Kolleg/innen sowie eine sehr kämpferische Solidaritätskundgebung auf der Straße vor dem Werk ermutigten immer wieder die Norgren-Kolleg/innen. Tagaus, tagein, auch nachts, kamen Kolleg/innen, kamen Nachbarn vorbei, brachten Solidarität, Anteilnahme, Zuwendung, Spenden, Essen, Getränke mit. Die Nachbarschaft kämpfte sozusagen gleichfalls mit.
Der Kampf erreicht einen Teilerfolg! Und doch eine bittere Niederlage!
Nach neun Wochen Streik ist am 09.12.2013 Schluss! Ein so genannter Sozialtarifvertrag ist abgeschlossen worden, nachdem rund 88 Prozent der Streikenden in der Urabstimmung das Ergebnis annahmen. Damit wurde der Streik zum 9. Dezember beendet. Aber er konnte das Aus für das Norgren-Werk in Großbettlingen nicht abwenden. Es steht fest, dass das Werk zum Jahresende 2013 geschlossen wird. Tränen in vielen Augen.
Der erreichte Sozialplan bzw. Sozialtarifvertrag enthält
* Abfindungen in Höhe eines Monatsverdiensts pro Beschäftigungsjahr plus Zuschläge für Kinder und Schwerbehinderung. Im Vergleich kein schlechter Wert.
* Für die befristet Beschäftigten, die alle schon mehrere Jahre in Großbettlingen arbeiten, wurde ein Pauschalbetrag vereinbart.
* Rentennahe Beschäftigte erhalten eine Aufzahlung, die Nachteile bis zur Rente sowie Rentenabschläge weitestgehend ausgleicht.
* Alle festangestellten Mitarbeiter können zudem in eine Transfergesellschaft gehen und sich dort weiterqualifizieren. Die Verweildauer in dieser Transfergesellschaft beträgt je nach Alter und Ausbildung zwischen zwölf und 24 Monaten. Betriebsratsvorsitzende Nevin Akar: „Dies war uns besonders wichtig, da wir viele ältere Kolleginnen und Kollegen und viele ohne Ausbildung haben.“
Jetzt nach den Erlebnissen der letzten Wochen könnten sich sowieso die wenigsten vorstellen, weiter bei Norgren zu arbeiten, hörten wir immer wieder von Norgren-Kolleg/innen.
Lehren?
Man muss der offiziellen Mitteilung der Esslinger IG Metall Recht geben: Bei Norgren ist ein äußerst harter Arbeitskampf zu Ende gegangen…
Aber ob die Belegschaft erhobenen Hauptes aus der Auseinandersetzung herausgeht, wie es Jürgen Groß, der Verhandlungsführer der IG Metall Esslingen und deren zweiter Bevollmächtigter ausdrückt – da sind zumindest Zweifel angebracht. Schließlich konnte das Hauptziel, die Arbeitsplätze zu erhalten, nicht erreicht werden.
Die brutale Geschäftsleitung zeigte sich strategisch gut vorbereitet. Sie hatte aus zwei früheren erfolglosen Versuchen in den Jahren zuvor, das Werk zu schließen, gelernt. Der Betriebsrat mit seiner Vorsitzenden zeigte sich in allen Phasen des Kampfes hoch aktiv. Die Geschäftsführung sorgte deshalb dafür, dass die Vorsitzende und ihr Stellvertreter bei der Verkündung der Schließung hunderte Kilometer entfernt in der Firmenzentrale in Alpen (Nordrhein-Westfalen) waren, so dass die Belegschaft überrumpelt werden konnte.
Dann ließ die Geschäftsführung sich trotz des Einsatzes der Belegschaft und der großen Solidarität von allen Seiten nicht mehr von der Schließung abbringen.
Vor allem durch den Einsatz von Leiharbeitern und Werkverträgen ist es ihr gelungen, die Produktion so weit aufrecht zu halten, dass keine größeren Lieferengpässe bei Kunden entstanden, so musste Metaller Jürgen Groß in seiner Bewertung des Kampfes einräumen.
Blockieren als Taktik reichte nicht aus! Streikbrecher und Abtransport von Maschinen und Produktionsanlagen wurden mit Gewalt und Gerichten durchgesetzt.
Strategisch gesehen war es wohl der größte Mangel der Kampfführung, dass es der Geschäftsführung mit ihrem Terror gelang, die Streikenden aus dem Werk hinaus zu drängen. Dies ist verschiedentlich in den Diskussionen auf den Streikwachen angesprochen worden, manchmal wohl auch in einer Form, der die Kämpfenden verletzt hat. Aber es bleibt dabei, dass es besser gewesen wäre, wenn man den Betrieb hätte besetzen können. Betriebsversammlungen sind erfahrungsgemäß dabei ein gutes taktisches Mittel.
Schluss:
Ein für die heutige politische und wirtschaftliche Lage der Arbeiterklasse zentrales Problem in Deutschland wurde mit dem Kampf der Norgrener erneut bestätigt: Gerade weil sich die Kolleg/innen immer im Rahmen der Legalität zu halten versuchten, zeigte sich, dass es kein wirkliches Streikrecht in der BRD gibt. Mit Verlaub und ohne jeden Vorwurf: Der Einstig in den Kampf um einen Sozialtarifvertrag war der einzige Weg zu einem legalen Streik. Aber damit war die Verhinderung der Werksschließung schon so gut wie vom Verhandlungstisch verschwunden. Ab da ging es nur noch um eine „sozialverträgliche“ Regelung., Klartext um Geld, Abfindungen und die Transfergesellschaft. Auch das blieb angesichts der brutalen Härte der Kapitalvertreter eine Herausforderung! Deshalb: die Forderung nach einem vollen und politischen Streikrecht ist von höchster Aktualität. Wir brauchen das Recht, für unsere Interessen uneingeschränkt zu streiken!
Auch all die Unterstützer/innen müssen erkennen, wie viel stärker die Solidarität noch werden muss. Maximal 300 bis 400 Kolleg/innen ließen sich mobilisieren. Das war gewaltig und wichtig, aber mehrere Tausend hätten die Möglichkeit „kreativer Kampfformen“ vor Ort deutlich erhöht…
Trotz alledem: Es war ein wirklich großer Kampf einer – das darf nicht vergessen werden – kleinen Belegschaft! Vorwürfe dürfen nicht gemacht werden. Die IG Metall, die gleichfalls rund um die Uhr mit mindestens einem Sekretär vor Ort war, bot über weite Strecken – nicht selbstverständlich! – ein Bild, wie man sich eine Gewerkschaft wünscht! Man muss diese Erfahrung voller Gefühlen und Emotionen auswerten und nüchtern die Lehren daraus ziehen. Emotionen, Trauer und Trotz und Wut bei den Norgen-Kolleginnen und -Kollegen, aber auch bei den zahllosen Unterstützerinnen und Unterstützern, die in ihren Betrieben Solidarität organisierten. Dieser Kampf hat alle Beteiligten geschunden, aber auch verbunden und zusammengebracht. Solidarität erweist sich auch im 21 Jahrhundert als eine große Kraft.
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