Korrespondenz: Berlin, Charité:

„Eine starre Definition von Besetzungsschlüsseln oder eine pauschale Aufstockung des Personalbestandes sowie deren Verankerung in Tarifverträgen erscheint weder sachgerecht noch wirtschaftlich.“

 

Am 11.06.2013 hat sich in Berlin ein Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ gebildet, welches den örtlichen Betriebspersonalrat und die Pflegerinnen und Pfleger im Berliner Universitätsklinikum Charité bei gegenüber der Klinikleitung durchgesetzten Tarifgesprächen für eine Mindestbesetzung der Stationen und Abteilungen und für mehr Gesundheitsschutz der Beschäftigten unterstützen will.

Veränderung tut Not in bundesdeutschen Krankenhäusern:

Täglich gehen bei den Personalräten Überlastungsanzeigen unterbesetzter und personell überforderter Stationen ein, die nicht mehr in der Lage sind, Grundpflege und Versorgung der Patienten und die Gesundheit ihres eigenen Pflegepersonals sicherzustellen.

1,1 Mio. Menschen arbeiten in den ca. 2000 Krankenhäusern bundesweit, davon 410.000 in der Pflege.

Aufgrund vermehrter Teilzeitarbeit entspricht dies in etwa 310.000 Vollzeitstellen.

Von 1995 bis 2006 wurden über 87.000 Stellen in den bundesdeutschen Kranken­häu­sern abgebaut, davon allein über 40.000 Stellen im Pflegedienst.

Auf der Grundlage einer Befragung in 200 Krankenhäusern im Jahr 2013 hat ver.di errechnet, dass 162.000 Stellen in den Krankenhäusern bundesweit fehlen, davon allein 70.000 im Pflegebereich.

 

Die Situation der Pflege in bundesdeutschen Krankenhäusern stellvertretend am Beispiel der Berliner Charité

Schon vor über einem Jahr, im Juni 2012, hatten die Beschäftigten an der Berliner Charité mit einem vielbeachteten „Betten und Stationsschließungsstreik“ stellvertretend für viele Einrichtungen auf die unhaltbare Situation auf den Stationen aufmerksam gemacht – 50% der Betten, einige Stationen und 90% der OPs wurden symbolisch stillgelegt – geschehen ist seitdem von Seiten der Charité-Leitung faktisch jedoch nichts.

Die Charité ist mit annähernd 13.000 Beschäftigte und mehr als 3.000 Betten das größte Krankenhaus Europas mit einer Supramaximalversorgung, das heißt, hier werden mit einem Budget von ca. 1 Mrd. Euro nach Krankenhausplan alle Fälle behandelt, die Charité darf als staatliches Krankenhaus keine PatientInnen abweisen. Um diese kümmern sich rund 3.500 Vollzeitpflegekräfte.

Seit den 1990er Jahren wurde die Patientenfallzahl kontinuierlich erhöht, die Liegezeit wurde verkürzt, und die Schwere der behandelten Fälle hat zugenommen (ge­messen im sogenannten „Casemix“-Index).

Abhängig von der Station, können auf einen Pfleger/ eine Pflegerin mehr als 15 PatientInnen pro Tagschicht oder mehr kommen, in den Nachtschichten können es für den diensttuenden Pfleger/die diensttuende Pflegerin auch schon mal 30 Patienten sein, wie Stichproben des Notfalltelefons des Vertrauenskörper­gre­miums der Kol­legInnen ergeben haben.

Die generelle Tendenz des Patienten-Pflegepersonalschlüssels ist von Jahr zu Jahr steigend.

Die Dauerbelastung der Pflegekräfte kommt in dem Anstieg von Überlastanzeigen zum Ausdruck, die der Personalrat (PR) seit einigen Jahren verzeichnet. Jeden Monat gehen über 30 Überlastanzeigen beim PR der Charité ein.

Seit 2003 wurden ca. 200 Pflegestellen alleine an der Charité abgebaut, infolgedessen hat sich die Anzahl der Überstunden in Form von außerplanmäßiger Mehr­arbeit der Pflegekräfte auf 160.000 Stunden oder 80 Vollzeitstellen im Jahr 2012 e­rhöht.

Dabei kamen bisher auch verstärkt Leih-Pflegekräfte zum Einsatz, um den hauseigenen Personalmangel zu kompensieren. Ungefähr 90 festangestellte Pflegekräfte wurden so im Laufe der Jahre durch Leih­arbeitskräfte mit teilweise ge­rin­ger Erfah­rung ersetzt, die auf den Stationen erst in die Abläufe eingearbeitet werden müssen.

Auch durch den verstärkten Einsatz von Servicekräften mit einer 200-300 Stunden-Ausbildung können auf den Stationen keine Pflegepersonen ersetzt werden, denn mit der Vergabe von pflegefremden Tätigkeiten an Servicekräfte wird keine Entlastung für die eigentlichen pflegerischen Tätigkeiten geschaffen. Dazu be­dürf­te es zumindest qualifizierter Pfle­ge­hel­ferInnen oder Pflegeassi­stent­In­nen, die Grundpflegetätigkeiten durchführen könnten und über eine solide Ausbil­dung von min­destens 1 beziehungsweise 2 Jahren ver­fügen.

Nach Berechnungen des Personalrats der Charité müssen monatlich rund 1000 Beschäftigte aus ihrer Freizeit geholt werden, um den Betrieb aufrecht zu erhalten.5

Nach Berechnungen von ver.di müssen mehr als 300 Pflegekräfte allein in der Charité eingestellt werden, um den realen Personalbedarf zu decken, im Verbund mit Vivantes und Virchow sind es circa 500 Vollzeitstellen.

Vor diesem Hintergrund fordert ver.di ein neues Gesetz zur Personalbemessung in den Krankenhäusern.

Nach Auskunft der Personalräte betreut eine Schwester im Schnitt bis zu 20 Patienten. In Skandinavien und den USA kümmert sich eine Pflegekraft in der Regel um etwa zehn Patienten. Dieses Verhältnis strebt auch Verdi an2.

 

Politische Reaktionen

Die damalige Streikaktion in der Charité machte auch die etablierten Parteien – von der Linkspartei bis zur CDU – wieder einmal auf die desaströsen Kranken­haus­zu­stän­de im Allgemeinen und die alarmierenden Arbeitsbedingungen der Stations­be­leg­schaften in der Berliner Charité und den mit ihr verbundenen Krankenhäusern Vivantes und Virchow insbesondere aufmerksam.

Während die SPD für eine Kommission aus Krankenkassen, Kliniken und Gewerk­schaften plädiert, die Personal-Besetzungen verbindlich regeln und auch über ein Sank­tionsinstrumentarium verfügen soll, will die Partei die Linke (PdL) einen Personal­schlüssel per Gesetz festschreiben lassen.

Im Bundesgesundheitsministerium hält man „generelle Regelungen zu einer personellen Mindestbesetzung, gleich auf welcher Grundlage, nicht für sinnvoll“, also auch nicht Verträge mit den gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Bewertung der Personalausstattung könne „sinnvollerweise nur für das einzelne Krankenhaus vorgenommen werden“, sagte ein Sprecher von Bundesge­sund­heitsminister Daniel Bahr (FDP).

In einer Antwort auf eine Anfrage der Linken erklärte das Ministerium, es gebe „keine belastbaren Erkenntnisse, die auf einen generellen Zusammenhang zwischen einer personellen Unterdeckung und daraus resultierenden Folgen für die Versorgung“ der Patienten schließen lasse (!)2.

Auf weitere Anfrage einiger Abgeordneter und der Fraktion der PdL kam es im Juni 2013 zu einer wissenschaftlichen Anhörung im Gesundheits­ausschuss des Bundestags. Dabei bestätigten alle gehörten Expertenmeinungen – selbst ein Professor für Pflegewissenschaften an der Kölner FH, als Vertreter der katholischen Kirche, die ja ansonsten nicht unbedingt für die Verteidigung von Mitarbeiterrechten hervortritt, die skandalösen Verhältnisse in der bundesdeutschen Pflegelandschaft3.

Vor diesem Hintergrund fordert ver.di ein neues Gesetz zur Personalbemessung in den Krankenhäusern. Dieser Forderung hat sich die Bundesregierung jedoch bisher verweigert.

 

 

Finanzierung der Krankenhäuser

Zwei-Säulen-Modell der Krankenhaus­fi­nanzierung:

Die Krankenkassen zahlen für die Behandlung der Patienten nach dem sogenannten Fallpauschalensystem (DRG) und sollen so die Betriebskosten der Kranken­häu­ser decken.

Die Bundesländer und Kommunen müssen die Investitionen der Kranken­häuser nach dem sog Krankenhausplan finanzieren.

Von 1992 bis 1996 wurde der Bedarf an Pflegestellen in den Krankenhäusern auf einer gesetzlichen Grundlage berechnet – der Pflegepersonalregelung (PPR). Dieses Instrument eingeführt, um den Pflege­not­stand zu beheben, wurde bereits 1996 ausgesetzt und 1997 endgültig abgeschafft. Das Kalkül hinter dieser Abschaffung: die Kran­kenhäuser sollten mehr unternehmerischen Spielraum bekommen, um die Konkurrenz im Gesundheitssystem anzufachen.

Konkurrenzverschärfend und existenzbedrohend wirkte sich die Einführung des Fallpauschalensystems DRG (Diagnosis Related Groups) aus, das ab 2002 freiwillig eingesetzt und ab dem Jahr 2004 verpflichtend eingeführt wurde. Mit dem DRG-System erhalten die Krankenhäuser einen festen Betrag für die Behandlung der PatientInnen, je nach Diagnose und unabhängig davon, welche Kosten die Be­hand­lung eines Patienten real verursacht.

 

Investitionslücke und Privatisierung

Die Situation für die Krankenhäuser verschlimmert sich noch zusätzlich dadurch, dass viele Bundesländer ihren Verpflichtungen zur Übernahme von Investitionskosten nicht nachkommen. Viele Krankenhausleitungen versuchen deshalb, die Investitionen aus den Personal- und Betriebskosten selbst zu erwirtschaften. Die Investitionslücke in den Krankenhäusern wird auf 50 Mrd. Euro geschätzt.

In die Lücke, die dieser Investitionsstau verursacht, stoßen zudem seit mehreren Jahren zunehmend private Krankenhaus­an­bieter.

Seit 2002 hat sich der Anteil der Betten in privaten Krankenhäusern verdoppelt, während die Zahl der Betten in öffentlichen Krankenhäusern um 54.000 zurückgegangen ist.

Insbesondere die Krankenhausunte­rneh­men drängen auf den Markt mit dem Versprechen, den Investitionsstau abzubauen. Dabei greifen sich die Privaten die Krankenhäuser heraus, die als besonders gewinnträchtig erscheinen. Das führt dazu, dass ein Teil des Geldes, das die privaten Krankenhäuser von den Krankenkassen be­kommen, nicht für die Behandlung der Patienten ausgegeben, sondern als Gewinn an die Krankenhauskonzerne ausgeschüttet werden muss.

Die Krankenhäuser in öffentlicher Hand müssen dagegen den öffentlichen Ver­sor­gungsauftrag erfüllen – notfalls auch, wenn es nicht lukrativ ist.

Damit sind sie im Wettbewerb strukturell benachteiligt.

 

Situation für Patientinnen und Patienten

Auch für die PatientInnen bedeutet die Situation in den Krankenhäusern eine zu­neh­mende Belastung. Das Pflegepersonal hat kaum noch Zeit für die Grund­ver­sorgung der PatientInnen. Eine Korrelation von steigenden Infektionskrankheiten durch Krankenhauskeime und einem Rückgang des allgemeinen Hygiene­auf­wands im Krankenhaus ist anzunehmen. Pflegekräfte berichten, dass sie kaum noch die notwendige Sorgfalt (beispielsweise bei der Medikamentengabe oder der Dokumentation, etc.)aufbringen können.

Die oberen Zahlen zeigen unbestreitbar ein eklatantes multikausales Systemver­sa­gen im Pflegebereich auf, welches an der Charité exemplarisch in einer Überlastungsanzeige der Stationen 45/46 vom März 2013 zum Ausdruck kommt4 (siehe den unten angehängten „Offenen Brief an den vorstand und die Personalräte).

Soweit der Hilferuf der Charité beschäftigten, der deutlich macht, dass wesentliche Ursache für die Misere in deutschen Krankenhäusern die Einführung des sogenannten DRG-Fallpauschalen-Systems ist.- Dieses wirtschaftsliberale Modell der Krankenhausfinanzierung zwingt die Krankenhäuser, nach von den Kranken­kas­sen für bestimmte Arzt- und Pflege­lei­stun­gen unterschiedlich bemessenen Kosten­sät­zen zu arbeiten; die notwendige Ver­weildauer der Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern und die sich daraus objektiv ergebende notwendige Bereit­stellung von benötigten Pflege-Resourcen spielt dabei keine Rolle mehr.

Die oben beschriebene Situation der auf vielen Stationen bundesweit herrschenden Unterbelegung – der Ausfall von Mitar­bei­tern durch Krankheit, die Unüber­sicht­lichkeit der Dienstplanung außerhalb des sogenannten „Gesicherten Dienstplans“, die mangelhafte beziehungsweise Nicht­be­rücksichtigung von Überstunden zum Ausgleich von Mehrleistung der Mitarbei­ter­Innen in Freizeit, Urlaubs- und Wochen­end­regelungen, die Heranziehung von jugendlichen Auszubildenden zu examinierten Pflegearbeiten, unterschiedliche Qualifikation und Status der Mitarbei­ter­In­nen einer Schicht zur mehr schlechten als rechten Aufrechterhaltung des regulären Dienstbetriebs – scheint einem zunehmend systemimmanenten Primat kapitalistischer Mehrwertproduktion unterworfen zu sein.

Um schwarze Zahlen zu schreiben, haben sich die Krankenhäuser in den letzten 10 Jahren verstärkt in eine ruinöse Wettbewerbssituation zur Neubelegung immer schneller freigemachter Betten hineintreiben lassen, die – in der Logik zu­neh­mend vom Bedarfsdeckungsprinzip wegführend und immer mehr einer wirtschaftsliberalen Doktrin folgenden Kran­kenhausfinanzierung – folgerichtig nur einhergehen kann mit dem Abbau von Personal zur Erwirtschaftung von Überschüssen beziehungsweise Profiten.

Eine solche Politik zeitigt auch im Krankenhausbereich und insbesondere auch in der Charité den abzulehnenden Ne­ben­effekt, dass dort zunehmend Leiharbeits-Pflege- und sonstige Service­kräf­te zur Kompensation wegrationalisierter, festangestellter und gut ausgebildeter Vollzeitkräfte eingesetzt werden, obwohl gesamtgesellschaftlich, in den Gewerk­schaften und Betrieben hierzu Debatten geführt werden, wie Leiharbeit generell eingeschränkt und zurückgeführt werden kann. Über die Koordination und Dispo­si­tion des Leiharbeitereinsatzes auf den Sta­tionen entscheidet die Klinikleitung der Charité gemäß einer Anweisung an die Pflegeleitungen eigenmächtig und ohne Rücksprache mit den Stationen.

Auf diese Art und Weise konnte seitens der Leitung der Charité dem Aufsichtsrat schon 2011 Vollzug gemeldet werden: Nach einem Defizit von 57 Mio. Euro 2008 konnte 2011 wieder ein Jahresüber­schuss von 1 Mio. Euro vermeldet werden, 2012 waren es immerhin schon 5,3 Mio. Euro – erkauft mit Arbeitshetze, Er­schöpfungszuständen und Krankheits­symp­tomen der Beschäftigten.

Seit 1995 sind bundesweit im Pfle­ge­bereich etwa 40.000 Vollzeitarbeitsstellen abgebaut worden, obwohl der demographische Faktor zu einer wachsenden Anzahl immer älter werdender und dadurch auch qualitativ anspruchsvolle Pflege benötigender Patienten und Patientinnen auch in den Krankenhäusern geführt hat.

 

Devise? – Ignoranz!

In der Berliner Charité hat die Geschäftsführung das Problem der Unterbesetzung bisher mehr oder weniger ignoriert, erschwerte sogar Erleichterungen aus Vereinbarungen zwischen Beschäf­tig­ten-Vertretern an der Charité und ihr selbst, die den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen unmittelbar zugute kämen, etwa den problemlosen Zugang zum Charité internen Zeit- und Dienstplanungssystem PEP, die ord­nungsgemäße Erfassung der abgeleisteten Dienstzeiten der über dieses System registrierten gesicherten Dienstpläne und sonstige Dienstzeiten der MitarbeiterInnen und damit die Kontrolle dieser über ihre tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten und die diskriminierungsfreie alleinige Verfü­gung über die angesammelten Zeitgut­haben.

Allein bis Ende des Jahres 2012 hatten die Pflegekräfte der Charité 132.000 Überstunden angesammelt. Um diese abbauen zu können, müssten 80 Vollzeitkräfte eingestellt werden5.

„In allen Bereichen der Charité gibt es eine zu dünne Personaldecke, was dazu führt, dass vielerorts Mehrarbeit/Überstundenanhäufung tarifvertragswidrige Zustän­de herbeiführt. Die Charité ist nachweislich nicht mehr in der Lage in vielen Bereichen im Jahresdurchschnitt die 39-Stunden Woche einzuhalten und den tariflichen Urlaubsanspruch zu gewähren.

Die Brutalisierung der Arbeitsbe­din­gun­gen ist der Preis, den wir alle für die bejubelte Wende, die Konsolidierung oder den ‚Turnaround‘ zahlen.

Wirtschaftlichkeit ist mittlerweile oberstes Prinzip geworden. Arbeitsbedingungen, Patientensicherheit und Arbeitsaufkommen, werden diesem Prinzip nachgeordnet.“6

Die Ver.di-Betriebsgruppe hatte aus diesem Grunde im Sommer 2012 den Betten- und Stationsschließungs-Streik mit einer Mindestbelegungs- und Gesundheitskam­pag­ne (MGM) für die MitarbeiterInnen der Cha­rité verbunden und bereits damals die Krankenhausleitung zu Tarifverhandlungen aufgefordert, da die Prüfung der Forde­run­gen durch ver.di und den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages bestätigte, dass ein Tarifvertrag zur Mindestbesetzung zulässig und streikfähig sei, da die Frage der Min­destbesetzung die direkten Arbeitsbe­din­gun­gen der Kolleginnen und Kollegen betrifft.

Die Krankenhausleitung konterte die Auf­forderung zu Tarifgesprächen mit dem Verweis auf das Grundgesetz (!) und zögerte mit der Androhung rechtlicher Schritte die Aufnahme von direkten Gesprächen mit der Gewerkschaft und den KollegInnen nochmals um mehr als ein Jahr hinaus. Dabei sind ihre Drohungen letztendlich in der Angst vor einem Streik begründet, mit dem die Be­schäftigten innerhalb von Tarifver­hand­lun­gen ihren Forderungen Nachdruck verleihen könnten.

Infolge des Druckaufbaus durch Grün­dung eines breiten gesellschaftlichen Bünd­nis­ses aus Beschäftigten, Mitgliedern anderer Gewerkschaften, Parteien und interessierten Einzelpersonen sowie der erneuten Androhung eines Warnstreiks für den 29.07.2013 musste sich die Kranken­haus­lei­tung letztendlich beugen und stimmte der Aufnahme von Tarifverhandlungen noch im Juli zu, nicht ohne nochmals nachzutreten, indem sie ihre Pressesprecherin vor Annah­me der förmlichen Einladung mit der Be­mer­kung vorschickte, dass es sich bei den drin­genden, in den Forderungen zum Aus­druck kommenden Problemen der Kollegen und Kolleginnen um „gewerkschaftspoltische Inszenierungen“ handele.

Dementsprechend tauchte auch beim zwei­ten Zusammentreffen der Personal­rats­vertreter mit der Geschäftsführung Anfang August das Wort „Mindestbesetzung“ nicht in der Tischvorlage des Vorstands auf, in der Tischvorlage der Kolleginnen und Kollegen dafür umso deutlicher:

Mindestbesetzungsschlüssel (Personal-Patienten-Schlüssel) in der Pflege

1:2 auf der Intensivstation

1:5 in der Normalpflege

Nachtdienste nur noch mit zwei Pflegerinnen/Pflegern (anstatt wie bisher in der Regel einem Nachtdienst)

Mindestbesetzungsregelungen für nicht-bettenführende-Bereiche,

Regelungen zu altersgerechtem Arbeiten, gesundheitsfördernde Maßnahmen und Ausbildungsqualität.

 

FAZIT

Ein Haustarifvertrag zu Mindestper­so­nal­besetzung und gesundheitsfördernden Maß­nahmen, wie ihn Ver.di und die Betriebsgruppe anstreben, ist ein Novum in der Geschichte der Tarifbewegungen. Seine Ergebnisse werden schon aus diesem Grun­de die Aufmerksamkeit einer breiteren Öf­fent­lichkeit und organisierter Kollegen und Kolleginnen aus anderen Bereichen auf sich ziehen, die unter ähnlich katastrophalen oder noch schwierigeren Bedingungen arbeiten wie die Charité -Kolleginnen und Kollegen.

Es erscheint deshalb wichtig nochmals zu betonen, dass es nach dem unbestritten ersten Teilerfolg der Kolleginnen, jetzt um die Durchsetzung der Forderungen geht – und das ohne Abstriche:

Denn wir vertreten als mit den Kämpfen der Krankenhausbelegschaften solidarische Öffentlichkeit: Die aufgestellten Forde­run­gen der Gewerkschaft entsprechen objektiv den Problemen auf den Stationen und schaffen durch den Mindest-Patienten-Pflegeper­so­nal-Schlüsseln reale Abhilfe. Sie dürfen demnach nicht zur Verhandl­ungs­masse gehören.

Hier darf es also keine Kompro­miss­linien geben!

Da ein politischer Streik in diesem Lan­de – immer noch – gesetzlich verboten ist, eine gesetzliche Regelung der Ar­beits­be­dingungen von Beschäftigten in Kran­kenhäusern der BRD aufgrund der aktuellen und wahrscheinlich auch zukünftigen politischen Kräfteverhältnisse nach der BT-Wahl im September bis auf weiteres nicht durchsetzbar sein wird, ist die Unterstützung der KollegInnen der Charité durch die Genossinnen und Genossen vor Ort eine Ta­ges­aufgabe, die es anzunehmen gilt, auch wenn die Belegschaft der Charité beziehungsweise ihre gewerkschaftlichen und betrieblichen Vertreter die Durchsetzung ihrer Forderungen auf dem Weg eines Haustarifvertrags – also erst einmal für ein Haus – gewählt haben.

Hier gilt es für Kommunisten und Kom­mu­nistinnen, immer wieder die Zusam­menhänge zu verdeutlichen. Zum einen das Instrument der sogenannten DRG-Fallpauschalen („Fallpauschalen“) als Bestandteil eines wirtschaftsliberal ausgerichteten Gesundheitssystems im Kapitalis­mus benennen, dass von Buchhaltern und Fachadvokaten verwaltet wird und dessen ersatzlose Abschaffung zu fordern ist.

Zum anderen müssen die verantwortlichen Akteure hier benannt, ihre Rolle und Spielräume im hier verhandelten Bereich der kapitalistischen Wertschöpfung analysiert und sie fachkundig und ultimativ zu konkreten Änderungsvorschlägen beziehungsweise zu konkreten Interventionen zugunsten der Beschäftigten im Zusammenspiel der Akteure dieses Systems der Selbst­ver­wal­tung aus Krankenkassen, Kranken­häu­sern und Trägern aufgefordert werden. Hierbei dürfte der Berliner Senat ein entscheidender Adressat als rechtlicher Träger des Berliner Charité -Verbundes sein.

Die Wahl der Option zur Führung von Gesprächen für einen Haustarifvertrag durch Ver.di darf jedoch nicht zu Illusionen verleiten. – Nur die erfolgreiche Durch­set­zung der aufgestellten Forderungen durch Gewerkschaften und Beschäftigte wäre ein qualitativ neues Moment, das die Verhand­lungs­position der Gewerkschaft stärken und die notwendige Ausstrahlung haben würde, die geforderten Mindeststandards auch in anderen Häusern des Sektors auf die Tagesordnung zu setzen.

Dafür müssen die Forderungen in den aktuellen Tarifverhandlungen diszipliniert und unter Einbeziehung der breiten Belegschaft, der Unterstützung möglichst anderer Krankenhäuser und Belegschaften, der Solidarisierung auch aus anderen Gewerkschaften und der Gesellschaft durchgesetzt werden – notfalls mit einem unbefristeten Streik des Krankenhaus­per­sonals und der Stationen.

Die Gewerkschaft Ver.di darf nicht – wie so oft schon – an entscheidenden Punkten umfallen.

Dann erst kann sie beweisen, dass diese Tarifverhandlungen eben keine „gewerkschaftspolitische Inszenierung“, sondern ernst zunehmende parteiische Gewerk­schafts­politik zugunsten der von ihr vertretenen Kolleginnen und Kollegen sind.

Von Georg Daniels

 

Anmerkungen:

1 Charité-Presseverlautbarung vom 22.09.2012

2 Die WELT, 06.05.2013, „Personalmangel in Krankenhäusern- Bundesweit fehlen 70 000 Pflegestellen“ von Hannes Heine

3 Prof. Dr. rer. medic. Michael Isfort – Stellungnahme zum Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg u.a. sowie der Fraktion der Partei die Linke – Ausschussdrucksache 17 (14) 0439 (3)…zur öffentlichen Anhörung am 12.06.13_MPB

4 Betriebsgruppeninfo Nr.1, 2013, Ver.di-Betriebsgruppe in der Charité -„Notruf Charité „, März 2013

5 Welt kompakt 19.07.13 „Ver.di will die Charité bestreiken“ von Jan Schapira

6 BG-Info 4 „Notruf Charité „, 20.03.2013

 

Offener Brief an den Vorstand und die Personalräte

„Die Beschäftigten der Stationen 45 und 46 wählen bewusst diesen Weg, um auf unhaltbare Zustände hinzuweisen. Wenn wir dann im Intranet eine erneute Jubelmeldung über die erwirtschafteten Überschüsse lesen, dann ist es um so dringlicher zu kommunizieren auf welche Art und Weise diese Summen erwirtschaftet wurden. Was als Konsolidierung oder turnaround bezeichnet wird, erleben wir vor dem Hintergrund von Arbeitsaufkommen, Arbeitsbedingungen und Patientensicherheit als linearen Abstieg.

Wenn wir dann auch noch die Wirtschaftsziele 2013 und die Konsequenzen für das Centrum 13 berücksichtigen, dann sehen wir aus unserer Perspektive ein Systemversagen, das in unseren wesentlichen Arbeitsbereichen etabliert ist oder kurz bevor steht. Auf der 45 arbeiten derzeit real etwa 12,95 Vollkräfte. Heraus gerechnet sind Stellenanteile, die durch Hauptpraxisanleitungstätigkeit und Personalratstätigkeit stationsfern erbracht werden. Selbst die PPR-Auswertung des Jahres 2012, die aus unserer Sicht unsere Mehrleistungen des letzten Jahres nicht im geringsten abbildet, kommt auf 13,46VK. Vollkräfteberechnungen nach der Arbeitsplatzmethode, mit der entsprechend nötigen Schichtbesetzung, ergeben einen Bedarf von 14,29 VK. Über das darin enthaltene Nachtdienstkonzept ließe sich vor dem Hintergrund von Patientensicherheit trefflich streiten.

Wie soll eigentlich vor diesem Hintergrund eine tarifkonforme Dienstplangestaltung funktionieren? Aspekte von Gesundheitsschutz, Work-Life-Balance und Patientensicherheit scheint die Charité nur in aufwendigen Powerpointpräsentationen und nicht an der Basis zu leben.

Es braucht kein Mathematikstudium oder einen Abschluss in Betriebwirtschaftslehre, um festzustellen, dass die Personalausstattung inadäquat ist und zwangsläufig zu tarifwidriger Überplanung führen muss. Das unter diesen Bedingungen Ausfallzahlen steigen werden, ist mit Sicherheit anzunehmen. Mit Aushang des Dienstplans März stellen wir fest, dass 845 Gesamtsaldostunden vorhanden sind. Dies entspricht 108 Arbeitstagen. Um diese Saldostunden abzubauen wären im Monat März 5,4 Vollkräfte zusätzlich nötig. Pro derzeit existierender nicht stationsfern agierender Vollkraft sind also bereits 65 Saldostunden pro Kopf vorhanden.

Man kann diese Zahlenspiele endlos fortsetzen, sie dokumentieren unserer Ansicht nach ein eklatantes Systemversagen .

Vor dem Hintergrund der Eigenkündigung einer Kollegin (-0,5VK), einer beantragten Arbeitszeitreduzierung einer jungen Leistungsträgerin (-0,4VK), dem Renteneintritt einer weiteren Vollbeschäftigten (-1VK), dem notwendigen Wechsel des Hauptpraxisanleiters auf eine andere Station (-0,5VK), dem zu erwartenden Ausfall einer Vollbeschäftigten durch Mutterschutz (-1VK) und dem Wunsch einer weiteren Kollegin im Rahmen des angekündigten CC-Wechsels die Station zu wechseln (-0,75VK), hinterfragen wir hier kritisch die Personalkonzeption für unsere Station.

Auf der 46 zählen wir nur noch real vorhandene 11,25VK. Die PPR-Auswertung des letzten Jahres ermittelt ein Arbeitsaufkommen für 15,17VK. Nach Stellenberechnung anhand der Arbeitsplatzmethode wären hier 14,29VK nötig. Die Situation ist hier jedoch noch wesentlich desolater. Mit Aushang des Dienstplans des Monat März ermitteln wir 1500 Gesamtsaldostunden. Dies entspricht 192 Arbeitstagen. Um diese Saldostunden abzubauen, wären im Monat März 9,6 zusätzliche Vollkräfte nötig. Pro derzeit existierender und aktiver Vollkraft sind also bereits 133 Saldostunden pro Kopf vorhanden. Auch hier müssen wir die Personalkonzeption kritisch hinterfragen.

Wir mussten in der jüngeren Vergangenheit Zustände erleben, die wir vor Jahren nicht einmal für möglich gehalten hätten. Es kam zur Ableistung von arbeitszeitgesetzwidrigen Doppelschichten. Es kam zum ausbildungsvertragswidrigen Einsatz von Auszubildenden in der Patientenversorgung. Es kam zu Diensten, in denen 2/3 einer Schicht aus externen Leiharbeitnehmern bestand. Qualitätsvorgaben in der Patientendokumentation sind nicht mehr einhaltbar. Interne Überprüfungen ergeben Defizite/Fehlerquoten von 25%-30% bei Assessments zu Sturz- und Dekubitus-Risiko. Pflegepläne werden teilweise tagelang unkritisch fortgeschrieben, da das Stammpersonal die Qualitätsdefizite durch externe Leiharbeit nicht mehr nachbearbeiten kann. Qualitätsvorgaben in der Leitungstätigkeit sind nicht mehr einhaltbar. Sturzereignisse haben zugenommen. Die Personalsituation wird regelhaft durch Patienten und Angehörige gerügt.

Eine interprofessionelle Kommunikation zur Belegungssteuerung, die vorhandene oder eher nicht vorhandene Ressourcen des Pflegedienstes berücksichtigt, findet nicht statt. Es besteht Einvernehmen in beiden Teams diese Situation nicht länger hinzunehmen. Wir formulieren nun mehr Forderungen, um in einen konstruktiven Verhandlungsprozess zu kommen.

Wir haben Maßnahmen verabredet, um diese Forderungen auch durchzusetzen. Wir erteilen dem Klinikpersonalrat hiermit die Vollmacht im Rahmen des Beschwerderechts und der Mitbestimmungsrechte des Berliner Personalvertretungsgesetzes, unsere Interessen zu vertreten. Wir erteilen der Gewerkschaft ver.di die Vollmacht in geeigneter Art und Weise Öffentlichkeit herzustellen. Unsere Forderungen lauten:

1. transparente VK-Konzeption für beide Stationen, die eine tarifkonforme Dienstplangestaltung erlaubt.

2. Ein Leitungskonzept, das eine Steuerung der Prozesse im Bereich Personalplanung, Qualitätsmanagement, Aufnahme-, Termin- und Entlassungsmanagement wieder ermöglicht.

3. Verbindliche Maßnahmen, die zu einer Halbierung der entstandenen Saldostunden bis zum 01.08. führen. Angesichts der desolaten Personalsituation kann dies nur durch temporäre Schließung der Stationen oder Sperrung von jeweils 10 Betten geschehen.

Die Auswirkungen auf die Erlössituation sind vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes der Mitarbeiter, der Personalbindung, der Versorgungsqualität und der Patientensicherheit zu vernachlässigen.

4. Verbindliche interprofessionelle Prozessvereinbarung zu Leistungsreduzierung bei Unterschreiten der Schichtbesetzung (drei Frühdienste+Leitung, drei Spätdienste und 1,5 Nachtdienste) als Maßnahme des Gesundheitsschutzes und der Patientensicherheit.

5. Verbindliche interprofessionelle Prozessvereinbarung zur Belegungssteuerung von pflegeaufwändigen (Kategorie A3) Patienten als Maßnahme des Gesundheitsschutzes und der Patientensicherheit.

6. Eine 75% Quote von Stammpersonal ist vorzuhalten, wenn externe Leiharbeit eingesetzt wird.

Zur Durchsetzung unserer Forderungen haben wir folgende Verabredungen getroffen:

1. Die Verfassung dieses Briefes.

2. Der Klinikpersonalrat ist aufgefordert ab dem 01. Mai seine Mitbestimmungsrechte bezüglich der Dienstplanung der beiden Stationen wahrzunehmen. Sollte nicht umgehend Personen mit Durchgriffsvollmacht mit unseren Teams oder unseren gewählten Sprecherinnen und Sprechern in einen Verhandlungsprozess treten,

1. werden wir ab dem 01. Mai alle unseren Beauftragungen und Zusatzaufgaben ruhen lassen. Das heißt wir werden nur noch unseren engeren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nachkommen. Dies betrifft die Praxisanleitung, die Hygienebeauftragten, die Gerätebeauftragten, die Arbeitssicherheitsbeauftragten, die Dokumentationsbeauftragten also im Prinzip das gesamte Qualitätsmanagement der beiden Stationen auf eine tarifkonforme Einsatzplanung bestehen

2. werden wir ab dem 01. Mai individuell (s. Formblätter) einer Überplanung ohne entsprechenden Nachweis von Saldostundenabbau widersprechen.

Wir fordern den Klinikpersonalrat in diesem Zusammenhang auf, unsere Interessen auch in geeigneter Art und Weise vor dem Verwaltungsgericht geltend zu machen.

3. Ab dem 1. Mai werden wir ärztliche Tätigkeiten in unterbesetzten Schichten konsequent zurückdelegieren. Dies betrifft vor allem Blutentnahmen und die Applikation von Medikamenten und Infusionslösungen.

4. Sollte es auch nur ansatzweise den Versuch geben, die Teams oder einzelne Mitglieder des Teams zu maßregeln, werden wir diesen Vorgang sofort über die Gewerkschaft ver.di in den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses von Berlin einbringen.

Hochachtungsvoll die Teams St. 45/46″