In den letzten Wochen haben sich die Nachrichten überschlagen.
Da kämpfen Menschen in Istanbul gegen ein Megabauprojekt für den Erhalt des Gezi-Parkes. Daraus entwickelt sich innerhalb weniger Tage eine Massenbewegung für den Rücktritt des Ministerpräsidenten Erdogan und die zunehmende Beschneidung demokratischer Rechte.
Kurz darauf beginnen Massenaktionen in Brasilien zunächst gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr. Aber wie ein Flächenbrand breiten sie sich über das ganze Land aus und richten sich zunehmend gegen die gesamte verhasste Politik zugunsten des Kapitals – gegen die Privatisierungen, gegen Korruption, gegen Milliarden für Großprojekte wie teure Sportstadien für den Confed Cup und die WM2014. Denn die Brasilianer erleben täglich, wie Menschen aufgrund mangelnder Gesundheitsversorgung sterben oder das Bildungswesen verrottet.
In Ägypten gehen Hunderttausende auf die Straße. Sie wollen ihre gestohlene Revolution aus den Klauen der Islamisten befreien, die das Land zunehmend in einen rückständigen Albtraum verwandeln. Sie wollen Freiheit, Bildung, ein funktionierendes Gesundheitswesen – dasselbe wie die Menschen in Brasilien, in der Türkei.
Aber auch in Weltgegenden, wo die Massenmedien bereits kaum noch hinschauen, breitet sich der Aufruhr aus. Über Bangladesh, wo vor ein paar Wochen eine Kleiderfabrik zusammenbrach und hunderte Arbeiterinnen in den Trümmern starben, wird zwar kaum noch berichtet. Aber es gibt nun eine breite Proteststimmung gegen die tödliche Ausbeutung. Die Menschen wollen wenigstens leben und überleben in diesem grausigen System der Ausbeutung!
Wo überall versuchen die imperialistischen Großmächte, allen voran die USA, aber immer eifrig dabei die EU mit Frankreich, England und Deutschland „Ordnung und Ruhe“ in ihrem Sinn herzustellen? Und wie wenig Erfolg haben sie dabei? Ob Irak, Afghanistan, Syrien, Mali usw. – sie richten Chaos und Verwüstung an. Sie zerstören und morden. Aber sie haben nichts mehr richtig im Griff.
Bis in die Kernzentren der imperialistischen Großmächte dringt dieser Aufruhr vor. Es vergeht kein Tag, an dem nicht in Europa Menschen gegen die Verarmungspolitik, gegen das Spardiktat, gegen die Lohn- und Rentensenkungen, gegen die Zerstörung des Bildungs- und Gesundheitswesens auf die Straße gehen. Und in einigen Staaten Europas wie beispielsweise in Griechenland sind manche Bereiche wie das Gesundheitswesen gar nicht so weit von Brasilien weg. Nur, wer Geld hat, kann sich noch eine angemessene Behandlung leisten.
Verzweiflung und Wut haben sich überall angestaut. Nur mühsam kann das Kapital die Funken des Aufruhrs austreten, indem es kleine Zugeständnisse macht und neue Hoffnungen weckt, dass es mal wieder besser werde. Doch alle Illusionen zerschellen an der brutalen Realität dieses Systems und bald flackern neue Brandherde auf.
Und überall zeigt sich, dass das Kapital immer stärker zu Gewalt und Terror greift. In der Türkei wie in Brasilien wurden Menschen, die für Fortschritt und Freiheit, für Bildung, ein gutes Gesundheitswesen, für anständige Arbeit kämpften, von den so genannten staatlichen „Sicherheitskräften“ ermordet. Empört brachten unsere Medien Bilder von schwarzen Robocops, die wie Kampfmaschinen wirkten. Doch der Unterschied ist nur graduell. Dieselben Kampfroboter waren in Frankfurt im Einsatz gegen die Blockupy-Demonstranten, die bei einer legalen Demonstration geprügelt, erniedrigt, mit Tränengas attackiert wurden (siehe den separaten Bericht). Dass es keine Toten gab, ist nur den Demonstranten und ihrer Besonnenheit zu verdanken. Verletzte gab es bereits genügend. Wie ähnlich war es in Stuttgart bei den Protesten gegen Stuttgart 21, wo bei der Räumung des Schlossgartens Menschen durch scharfe Wasserwerferstrahlen erblindeten und hunderte verletzt wurden. Noch sind die Kämpfe nicht so scharf, weil auch die soziale Lage noch etwas besser ist als in der Türkei, Brasilien usw. Doch das Kapital bemüht sich nach Kräften, Bildung, Gesundheitswesen, Löhne, Renten zu ruinieren.
Doch schon bei diesen relativ harmlosen Konflikten müssen sie ihre gesamte Staatsgewalt mobilisieren. Wie schwach sind die Herrschenden?
Wie schrieb Bertolt Brecht in seinem Lied „Im Gefängnis zu singen“?
„Sie haben Geld und Kanonen,
Die Gummiknüppel zählen wir nicht.
Polizisten und Soldaten.
Ja, wozu denn?
(Haben sie denn so mächtige Feinde?)
Sie glauben, da muss doch ein Halt sein,
Der sie, die Stürzenden stützt.
Eines Tages, und das wird bald sein,
Werden sie sehen, dass ihnen alles nichts nützt.
Und dann können sie noch so laut Halt schrei’n,
Weil sie weder Geld noch Kanonen mehr schützt.“
Dazu mobilisiert die herrschende Klasse – wie schon so oft – auch ihre reaktionären Hilfskräfte. In zahlreichen europäischen Ländern werden rechtsradikale und faschistische Organisationen nicht nur geduldet, sondern gefördert – in Griechenland z.B. haben sie in vielen Gebieten die Aufgaben der Polizei übernommen. In Ägypten prügeln und morden reaktionärste Salafisten.
Ja – selbst der Kern dieses System verfault und wird brüchig. Da ist der Fall von Wikileaks und Julian Assange. Nach der Veröffentlichung geheimer Dokumente, die die aggressive Außenpolitik der USA aufdeckten, musste er fliehen und versteckt sich vor der Rache dieser Herren in der ecuadorianischen Botschaft in London. Der US-Soldat Bradley Manning, der die Geheiminformationen (unter anderem ein Video, das zeigt, wie US-Soldaten im Irak Zivilisten aus Lust am Töten aus einem Kampfhubschrauber heraus niedermetzeln) sitzt bereits im Militärgefängnis. Ihm wird seit dem 3. Juni 2013 der Prozess gemacht und ihm droht die Todesstrafe. Es zeigt die abgrundtiefe moralische Verkommenheit des kapitalistischen Systems, dass die Mörder, die auf dem geheimen Video zu sehen sind, in Freiheit leben, während der, der diese Morde aufgedeckt hat, in der Haft gefoltert und wie in Guantanamo gehalten wurde und nun von der Todesstrafe bedroht ist. Sämtliche menschlichen Werte werden von diesem System auf den Kopf gestellt.
Doch selbst das schreckt nicht genug ab. Erneut hat Edward Snowden, der an der massenhaften Bespitzelung der ganzen Welt beteiligt war, ausgepackt. Trotz eines komfortablen Lebens konnte er die Verbrechen des US-Imperialismus nicht länger mitmachen. Und praktisch zeitgleich kommt heraus, dass der Vier-Sterne-General James Cartwright, der zweithöchster Offizier des US-Militärs war, über die geheimen und illegalen Virenangriffe der USA auf den Iran (Stuxnet) geplaudert hat. Auf was sollen sich die Herren in Washington bei ihren Plänen zur Beherrschung der Welt noch verlassen können? Ihr ganzes Geld, ihre Waffen, ihr Militär, ihr Überwachungs- und Polizeistaat, ihre ungeheure Macht reichen nicht aus, um den Menschen ihr Gewissen und ihre Gefühle auszutreiben.
Wie sagte doch wiederum Bertolt Brecht in seinem Gedicht „General, dein Tank ist einer starker Wagen“?
„General, der Mensch ist sehr brauchbar.
Er kann fliegen und er kann töten.
Aber er hat einen Fehler:
Er kann denken.“
Und die Menschen wachen auf und denken nach. Sie denken nach über ein System, das sich um das Wohl der Banken und einer Handvoll Reicher kümmert, während die Masse der Menschen, insbesondere die Arbeiter/innen und kleinen Angestellten, die den größten Teil der materiellen Reichtümer herstellen, immer tiefer versinken. Weltweit breiten sich Armut und Elend, Hunger und Tod aus. Die Menschen fragen: Soll das unsere Zukunft sein?
Und sie haben eine Antwort! Sie stehen auf – wie in der Türkei, wie in Brasilien, wie Ägypten, wie in Bangladesh, aber auch in Europa und in den USA. Sie alle vereint: So kann es nicht weitergehen! Schluss mit Gewalt und Krieg! Schluss mit der Verarmungspolitik, die sich gegen die Arbeiter/innen, Angestellten und das Volk richtet und der Ansammlung ungeheurer Reichtümer bei einer winzigen Minderheit dient.
Diese kleine Minderheit weiß, dass sie keine Dankesschreiben und Blumen erwarten, wenn die Menschen gegen diese Ungerechtigkeit, gegen dieses mörderische System aufstehen werden. Sie weiß, dass sie tief stürzen wird, da kann „sie noch so laut Halt schrei’n“. Wenn die denkenden Menschen begreifen, wer sie da in Elend, Hunger und Not stürzt, wenn sie verstehen, dass sie international solidarisch zueinander stehen und sich gegenseitig in ihrem Streben nach Freiheit, Fortschritt und Frieden unterstützen müssen, dann werden sie eine Kraft, die die ganze Welt umkrempeln kann. Dann werden sie die Kraft haben, die die Dinge wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen und das Unterste nach oben zu kehren. Dann werden sie sich von dieser kleinen Minderheit und ihrer Gewalt- und Geldherrschaft befreien und eine Gesellschaft aufbauen, in der wirklich das Volk und vor allem die arbeitenden Menschen herrschen. Eine Gesellschaft, die die Bedürfnisse der Menschen befriedigt, statt das Bedürfnis aus Kapital immer mehr Kapital zu machen zu seinem obersten Prinzip zu haben. Dann wird nicht mehr tote Materie, eben das Geld über die lebendigen Menschen herrschen, sondern die Menschen werden die tote Materie, die sie geschaffen und gestaltet haben wie Maschinen, Häuser, Fabriken nutzen, um dem Leben zu dienen.
Es ist ermutigend, dass die Welt in Aufruhr ist. Was die Herrschenden zutiefst erschreckt, erschreckt uns nicht. Im Gegenteil! Wir freuen uns auf den Tag, an dem diese Herrschaften stürzen.
dm