Vorbemerkung: in einer Reihe von Ländern, in denen in den letzten Jahrzehnten antiimperialistische revolutionäre Kämpfe geführt wurden, haben die Führer dieser Kämpfe die Bevölkerung dadurch hinter sich gebracht, dass sie revolutionäre Programme verkündeten bis hin zur Propagierung des Marxismus-Leninismus. Dieser erklärt die Widersprüche des Imperialismus einleuchtend und für die unter der Ausbeutung leidende Bevölkerung verständlich und zeigt den Ausweg auf. Leider ist es dann immer wieder so gekommen, dass die bis dahin revolutionär auftretenden Führer, nachdem sie von der kämpfenden Bevölkerung zum Sieg getragen worden waren, diese revolutionären Programme und Erkenntnisse über Bord warfen. So geschehen z.B. in Ähtiopien, wo die Bevölkerung mit revolutionären Phrasen von den jetzt dort Herrschenden dazu gebracht wurde, den Diktator Mengistu zu verjagen; so geschehen in Zaire/Kongo, so geschehen auch in Libyen durch Gadaffi, der mit (schein-)revolutionären Phrasen die Bevölkerung im Kampf gegen König Idris hinter sich brachte – auf sie sind auch in anderen Ländern „blauäugige“ Linke hereingefallen, auch in Deutschland. Wir können zur Zeit nicht beurteilen, ob er damals seine revolutionären Phrasen ernst meinte oder ob er im Laufe der Zeit durch die Machtposition, die er errungen hatte, korrumpiert wurde. Übrigens: sogar die CDU hat nach ihrer Gründung in ihrem „Ahlener Programm“ mit an den Sozialismus anklingen Positionen in der Bevölkerung geworben. Nachdem sie so erfolgreich einen Teil der Bevölkerung hinter sich gebracht hatte, hat sie diese Vorstellungen aber schnell verworfen. Bauernfänger… (Damit wollen wir natürlich keine Bevölkerungsgruppe diskreditieren.) Und auch wir haben so unsere Erfahrungen: ehemalige „Genossen“ gingen von uns z.B. zunächst zur inzwischen aufgelösten KPD/AO und weiter bis zur SPD und wurden z.B. als Gesamtbetriebsratsvorsitzende sogenannte Co-Manager…. Ein konsequenter ideologischer Abstieg, natürlich verbunden mit einem ebenso konsequenten finanziellen Aufstieg…
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Die bürgerliche Literaturwissenschaft reiht Georg Büchners Theaterstück „Dantons Tod“ in die Kategorie „realistisches Theater“ ein. Es ist nach Auffassung der bürgerlichen Literaten ein Stück über die französische Revolution. In diesem Stück zeigt sich nach Auffassung bürgerlicher Literaturkritiker auch, welche Verachtung Büchner für die Arbeiterklasse übrig hatte…
Doch: „Dantons Tod“ ist vielleicht das revolutionärste Theaterstück in deutscher Sprache – Bert Brecht wird uns das nicht übelnehmen.
Die Französische Revolution gibt jedoch eher den Hintergrund ab für das eigentliche Thema des Stückes: die ideologische Auseinandersetzung zwischen Robbespierre und Danton über die notwendige Fortführung der Revolution. Danton hatte sich im Verlauf der Revolution als einer ihrer Führer große Verdienste erworben; er vertrat nun die Meinung, die Revolution sei erfolgreich zu Ende gebracht worden und man – sprich: er – habe nun ein Anrecht darauf, ihre Früchte in Ruhe genießen. Robbespierre jedoch erkannte, dass der Feind noch nicht endgültig besiegt war und dass der Kampf weitergeführt werden müsse.
Von der Form her ist „Dantons Tod“ ungewöhnlich. Üblich sind Theaterstücke mit fünf Akten oder auch mit dreien, in der modernen Literatur gibt es auch Einakter. „Dantons Tod“ jedoch besteht aus vier Akten. Es fällt leicht, für jeden Akt einen thematischen Schwerpunkt aufzuzeigen: im ersten Akt wird Danton von Robbespierre verurteilt, im zweiten vom französischen Convent und im dritten vom Volk – im vierten Akt wird er hingerichtet. Was soll da ein fünfter Akt? In einem fünften Akt wäre, wenn es Büchner um ein Theaterstück über die französische Revolution gegangen wäre, Robbespierre hingerichtet worden. Doch das war für Büchner nicht wichtig.
Welche Atmosphäre im Theater für den Zuschauer entsteht, hängt natürlich von der Inszenierung ab. Beim Lesen des Stückes – das übrigens selten aufgeführt wird, aber immerhin ab und zu im Deutsch-Unterricht behandelt wird – fällt jedoch ein merkwürdiger Stimmungsbruch auf: Spiegeln die ersten drei Akte die revolutionäre Begeisterung wieder, so weicht der vierte Akt hiervon durch seine traurige, wehmütige Stimmung ab. Der bis dahin von allen verurteilte Danton tut einem auf einmal leid. Das ist für den Leser zunächst entweder völlig unverständlich oder er kommt zu der Fehldeutung, Büchner stehe doch auf Seiten Dantons; doch dieser Stimmungswandel wird verständlich, wenn man weiß, dass „Dantons Tod“ auch etwas aus dem Leben Georg Büchners widerspiegelt.
Für die Behandlung des Theaterstückes im Deutschunterricht gibt es eine Reihe von „Unterrichtshilfen“. Aus ihnen erfährt man z.B. auch etwas über Georg Büchner. Er gehörte zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einem Zirkel revolutionärer Intellektueller, die gegen den Feudalstaat und für die geistige Erneuerung kämpften. In den „Unterrichtshilfen“ wird auch aus Briefen Büchners zitiert, in denen er sich mit seinen Mitstreitern politisch austauschte. Und hier findet man wieder etwas zunächst Erstaunliches: manche Passagen der Briefe tauchen fast wörtlich im Theaterstück auf, und zwar sowohl als Positionen Robbespierres als auch als Positionen Dantons, so dass man unsicher wird darüber, auf welche Seite in der Auseinandersetzung zwischen den beiden französischen Revolutionären sich denn nun Büchner eigentlich stellt.
Sein Verleger berichtete später, Büchner sei eines morgens – emotional sehr erregt – bei ihm aufgetaucht, habe ihm das Manuskript des Stückes, das er in wenigen Wochen heruntergeschrieben habe, gewissermaßen auf den Tisch geknallt mit der Bitte um baldige Veröffentlichung und sei danach sofort vom hessisch/darmstädtischen Gebiet nach Straßbourg in Frankreich geflüchtet.
Die damalige deutsche Obrigkeit hatte dem revolutionären Treiben der verschiedenen Zirkel natürlich nicht tatenlos zugesehen. Büchner wurde angeklagt, vorgeladen und – als er der Vorladung nicht Folge leistete – steckbrieflich gesucht. Sein Vater hatte eine einflussreiche Position, er hätte seinen Sohn mit „Vitamin B“ herausholen können; Georg Büchner selbst war verlobt mit einer wohlhabenden jungen Frau, die er liebte – er hätte mit Hilfe seines Vaters an ihrer Seite das Leben genießen können – allerdings hätte er dazu seine Überzeugungen verraten müssen. Als sich Büchner mit der Französischen Revolution beschäftigte, erkannte er in der Auseinandersetzung zwischen Robbespierre und Danton seinen eigenen Gewissenskonflikt wieder. Nun versteht man auch, warum aus seien Briefen im Theaterstück Textpassagen sowohl Robbespierre als auch Danton in den Mund gelegt werden. Büchner war sowohl Robbespierre als auch Danton, der Kampf zwischen beiden fand auch in seinem Inneren statt. Nun versteht man auch die unerwartete Wehmut, die im vierten Akt zu spüren ist: es wäre schön, so zu leben, aber es geht nicht! Der Danton in mir muss hingerichtet werden! Und man weiß nun auch, warum das Stück mit der Hinrichtung Dantons endet und der weitere Verlauf der Revolution in Frankreich nicht dargestellt wird.
Abschließend noch etwas zur angeblichen Verachtung, die Büchner für die Arbeiter übrig gehabt haben soll: hier berufen sich die bürgerlichen Kritiker auf den dritten Akt, in dem Büchner die Arbeiter auftreten lässt. Die Art, wie er sie auftreten lasse, zeige, wie sehr er sie verachte, wird argumentiert. Völlig vergessen haben die bürgerlichen Kritiker, dass sie Büchner vorher in die Schublade „Realistisches Theater“ gesteckt haben. Büchner schildert die Arbeiter so, wie sie unter den kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen und der politischen Unterdrückung tatsächlich sind, also realistisch. Er macht für ihr Sosein allerdings nicht die Arbeiter verantwortlich, sondern die herrschende Klasse, die den unterdrückten Menschen solche Lebensbedingungen aufzwingt. Das ist keine „blauäugige“ Interpretation von uns, sondern das bezeugt die Auseinandersetzung zwischen Büchner und seinen Mitstreitern: letztere – fast ausnahmslos Intellektuelle, Industrielle und gutbetuchte Bürger – vertraten die Auffassung, die angestrebte geistige Erneuerung würde aus der geistigen Oberschicht kommen; dem gegenüber vertrat Büchner im „Vormärz“ – schon lange vor Karl Marx – die Auffassung, die geistige Erneuerung werde von den Arbeitern kommen. Er gründete auch eine eigene oppositionelle Gruppe, in der auch Mitglieder aus der armen Landbevölkerung waren. Eindeutig ist ja auch das Motto, unter das er die von ihm herausgegebene Zeitung „Hessischer Landbote“ stellte:
Krieg den Palästen – Friede den Hütten!