Das Industriegebiet Gaziantep Baspinar (OSB – “Organisiertes Industriegebiet”) umfasst vier verschiedene Industriezonen in denen insgesamt mehr als 70.000 Arbeiter in 690 Fabriken arbeiten. Die Arbeiter aus verschiedenen Produktionsbereichen kämpfen seit vielen Jahren um die Organisierung. Nach langen Vorbereitungen, tagte schließlich am 14. Juli der Arbeiterratschlag des OSB mit Vertretern aus 22 Fabriken. Aus den Bereichen Textil-, Teppich- und Plastikproduktion nahmen 100 Arbeiter an der Ratsversammlung teil und unterstrichen die Wichtigkeit der gemeinsamen Organisierung im Betrieb und im gesamten Industriegebiet.
Es gibt keinen anderen Weg, außer dem gemeinsamen Weg
Die Eröffnungsrede des Arbeiterratschlages hielt Halil Gümüstekin von der Gewerkschaft Petrol-Is Gaziantep. Gümüstekin sagte in seiner Rede: „Wir haben gesehen, dass der Widerstand innerhalb einer Fabrik allein nicht ausreicht, um gegen die Missstände zu kämpfen. Genauso, wie wir uns innerhalb der einzelnen Fabriken unter den Arbeitern einig sein müssen, um gegen die kleinsten Probleme anzugehen, müssen wir auch innerhalb des größeren Rahmens in Baspinar fabrikübergreifend Einigkeit zwischen den Arbeitern erreichen.“
Er betonte, dass dieser Arbeiterratschlag auch branchenübergreifend organisiert wurde. Gümüstekin berichtete: „Einige Arbeiter fragen: `die Gewerkschaften der Textilbranche interessieren sich nicht für unsere Sorgen, sie unterstützen uns nicht. Warum seid ihr so engagiert und verausgabt euch, obwohl der Textilbereich nicht in euren Bereich gehört?´ Wir unterstützen diesen Widerstand, weil wir an die Einigkeit der Arbeiterklasse glauben. Wir machen keine Unterschiede zwischen verschiedenen Produktionsbereichen, wir arbeiten für die Einigkeit der Arbeiter und ihren Kampf. Denn wir wissen, egal in welchem Bereich, wenn Arbeiter einen Kampf erfolgreich abschließen, ist das der Erfolg der gesamten Arbeiterklasse und nicht allein der jeweiligen Arbeiter. Insofern ist der Widerstand von Arbeitern einer konkreten Fabrik, der Widerstand der gesamten Arbeiterklasse.“
Der Widerstand in Ünaldi sollte unser Vorbild sein
Auf der Versammlung sprachen die Arbeiter verschiedene Problem an. Unter anderem wurde berichtet, dass die Arbeiter ihres Rechtes auf Abfindung beraubt werden, dass die Gehälter zu gering und dass die Arbeitsbedingungen in Baspinar unzumutbar seien. Gegen diese Missstände riefen sie zum Widerstand auf. Ein Arbeiter, der 1996 auch im Kampf in Ünaldi aktiv war, schilderte wie der Kampf damals organisiert wurde und welche Erfolge sie erreicht haben. Die Gesamtsituation heute sei viel schlechter als damals und dies würde die Grundlage dafür bieten einen viel stärkeren und erfolgreicheren Widerstand zu organisieren, schätzte er ein. „Dieser Arbeiterratschlag, an dem wir heute beteiligt sind, erinnert mich an die Vorbereitungsversammlungen von 1996 in Ünaldi.“ Auch nach dem Treffen des Arbeiterratschlages müssen die Versammlungen weitergehen, sagte er. „Dieser Arbeiterratschlag muss sich um mindestens je einen Vertreter einer Fabrik erweitern. Jeder Kollege, der an diesen Widerstand glaubt und Verantwortung übernehmen möchte, sollte hier sein können“, sagte der ehemalige Ünaldi Widerständler.
Trotz allem Gewerkschaft
Ein Textilarbeiter, der Verantwortung innerhalb des Arbeiterratschlages trägt, sagte, dass das größte Problem der Arbeiter in Antep sei, dass sie nicht organisiert seien. Die Verantwortung hierfür trügen zum größten Teil die Gewerkschaftsleitungen des Textilbereiches in Antep, die Arbeiter trauten ihnen nicht. Derselbe Arbeiter berichtete auch, dass frühere Widerstandsbewegungen und vorangegangene Streiks aufgrund der Verantwortungslosigkeit ihrer Gewerkschaften und der Kooperation dieser mit den Arbeitgebern erfolglos geblieben waren. Trotz dieser Umstände würden sie ihren Kampf um gewerkschaftliche Organisierung nicht aufgeben, betonte er.
Ein Arbeiter einer anderen Fabrik sagte, „Lasst uns endlich aufhören über unsere Gewerkschaften zu meckern. Sollen wir jetzt aufhören uns gewerkschaftlich zu organisieren, weil die Gewerkschaftsleitungen so sind, wie sie sind? Sind die Gewerkschaften nicht unsere Organisationen, Organisationen der Arbeiterklasse?“ Dieser Aussage seines Vorgängers schloss sich ein weiterer Teilnehmer an: „Die Gewerkschaft sind wir. Wenn wir uns einig sind, uns organisieren, unseren Widerstand ernst nehmen, gibt es nichts, was wir nicht erreichen können. Zur Not können wir unsere eigene Gewerkschaft gründen“.
Der erste Schritt im gemeinsamen Widerstand
Der letzte Redner war der Vertreter der EMEP Gaziantep, Mehmet Türkmen. Er unterstrich ebenfalls die fortwährende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in dem OSB. In seiner Rede sagte Türkmen: „Wenn wir uns nicht zusammentun, Einigkeit herstellen und Widerstand leisten, kommt auf uns der regionale Mindestlohn zu. Wenn es nach der AKP-Regierung ginge, die jedem Wunsch der Arbeitgeber gerne nachkommt, dann stehen uns noch schlimme Zeiten bevor. Deswegen muss dieser Arbeiterratschlag als ein Anfang begriffen werden, der zum Ziel hat, ausgehend von den einzelnen Fabriken, den Kampf aller Arbeiter in Antep zu organisieren. Wir werden und müssen entsprechend der Beschlüsse und dem Willen dieses Arbeiterratschlages handeln.“ sagte Türkmen.
Einige Beschlüsse, die im Arbeiterratschlag gefasst wurden:
- Eine Unterschriftenkampagne gegen die Umwandlung der Abfindung in einen Fond, der strategisch gesehen Grundlage für die Beraubung des Rechts auf Abfindung ist.
- Zusatzzahlungen wurden in allen Fabriken eingestellt. Selbst in der Teppichproduktion, in der die Vergütung traditionell relativ hoch war, stagnieren oder sinken die Gehälter. Es werden Aktionen geplant und durchgeführt um die Erhöhung der Gehälter und die Einhaltung unseres Rechtes auf vier jährliche Zusatzzahlungen durchzusetzen.
- Die unterste Einkommens- und finanzielle Existenzgrenze einer vierköpfigen Familie wird heute bei 1200 TL angesetzt. Der Mindestlohn liegt jedoch unter dieser Grenze. Noch bevor sich unsere Mindestlohnkommission trifft, hat dieser Arbeiterratschlag beschlossen, dass der Mindestlohn mindestens verdoppelt werden muss und dahingehende Kampagnen durchgeführt werden.
- Der durchschnittliche Arbeitstag eines Arbeiters in der OSB beträgt immer noch 12 Stunden. Selbst in Fabriken, in denen normalerweise der 8-Stunden-Tag gilt, bestehen Arbeitssysteme, die zur Folge haben, dass mindestens zwei Mal in der Woche 12 bis16 Stunden gearbeitet werden muss. Unser Recht auf einen freien Sonntag wird uns in sämtlichen Fabriken vorenthalten. Die historischen Rechte auf den 8-Stunden-Tag und arbeitsfreie Wochenenden existieren in der gesamten OSB faktisch nicht mehr. Um die baldige Beendigung dieser unzumutbaren Arbeitsbedingungen zu erreichen, ist beschlossen worden in der gesamten OSB Widerstand zu organisieren. Die Erhöhung der Gehälter und die Aufhebung des 12-Stunden-Tages und der Sonntagsarbeit werden die wichtigsten Forderungen unseres Widerstandes sein.
- Ein weiterer Beschluss dieses Arbeiterratschlages ist, dass wir uns für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von jungen Arbeitern einsetzen werden, die in Antep und in anderen Industriegebieten 12 bis16 Stunden täglich, größtenteils unversichert, unter extrem schlechten und ungesunden Arbeitsbedingungen arbeiten.
In den letzten Monaten sind in vielen Fabriken spontane Aktionen durchgeführt worden. Diese Aktionen in Form von Arbeitsniederlegungen oder Überstundenverweigerung sind zum größten Teil erfolglos geblieben, weil sie unorganisiert und ohne vorherige gemeinsame Absprachen stattgefunden haben. Um solche Aktionen zum Erfolg führen zu können, bedarf es in allen Produktionsstätten Arbeiterkomitees, die sich dafür einsetzen, dass der Widerstand koordiniert und organisiert wird. In diesem Sinne beschließt dieser Arbeiterratschlag, dass in den eigenen Produktionsstätten beginnend Arbeiterkomitees gegründet werden, die sich regelmäßig treffen.
Quelle: http://evrensel.net/news.php?id=32729