Interview mit einer Palästina Aktivistin – Palästina – Israel: Berichten, boykottieren!

Anne, Gewerkschafterin, Mitglied von PAG 38 („für eine linke Alternative“) und aktiv bei der Linksfront, ist aus Palästina zurück, wo sie bei der „7. internationalen Konferenz der Komitees des Volkswiderstands gegen die Mauer und die Besetzung“ dabei war. Ihr Bericht ist ein dringlicher Appell an die Solidarität.

 

La Forge: Die Konferenz fand an verschiedenen Orten statt, die für die israelische Besetzung und den Volkswiderstand in Palästina sinnbildlich sind.

Anne: Der Widerstand gegen die Mauer und in der Folge gegen die Kolonisierung hat sich zuerst in den Dörfern der Westbank entwickelt, wo die Mauer errichtet wurde und beiläufig die Siedlungen einschloss, um sie zu „beschützen“. Es gibt zwei Typen dieser Siedlungen: „wirtschaftliche“ Siedlungen, wo sich die neu in Israel angekommenen Immigranten niederlassen und „religiöse“ Siedlungen, deren fanatische und aggressive Bewohner nur eine Obsession haben: die Palästinenser verjagen! Die Siedlungen sind regelrecht befestigte Camps ,die nur über Straßen, welche für die Palästinenser verboten sind, zugänglich sind. Einige werden durch die Mauer geschützt, die eine neue Grenze weit jenseits der „grünen Linie zieht, welche Israel und die Westbank vor dem Krieg von 1967 trennte. In Bili’n gelang es den Einwohnern, einen Teil des konfiszierten Landes zurückzugewinnen und die Mauer mehrere hundert Meter zurückzudrängen. Sie setzen mutig ihren Kampf fort und seit sieben Jahren versammelt sich jeden Freitag die ganze Einwohnerschaft, von den Ältesten bis zu den jüngsten Kindern, am Fuß der Mauer. Jedes mal werden sie von Gas-Geschossen, die ihnen die Atemwege verbrennen, zurück getrieben. Im Rahmen der Konferenz sind wir auch ins Jordantal gegangen, einen anderen sinnbildlichen Ort für die Besetzung. Das Szenario ist immer das gleiche: Zerstörung, Enteignung, Provokation, willkürliche Verhaftungen. Die hohen Umzäunungen, welche die Siedlungen schützen, trennen zwei Welten: auf einer Seite schöne Häuser, grüne Anbauflächen, gut sichtbare Wasserzisternen, die aber für die Beduinen unzugänglich sind, die ihrer besten Böden und des Wassers beraubt sind und jedes mal, wenn ihre Tiere die Straßen überqueren, mit hohen Geldbußen belegt werden. Auf einer Seite eine prachtvolle Talmudschule, auf der anderen eine Zeltplane, wo „Internationale“ recht und schlecht ein paar Schulstunden abhalten.

 

La Forge: Und in den Städten?

Anne: In Hebron haben wir die stärksten Spannungen zwischen den Siedlern und den Palästinensern gespürt. Theoretisch liegt Hebron in einer Zone unter palästinensischer Verwaltung, aber die israelische Armee ist dort allgegenwärtig, weil ca. 500 ultrareligiöse Siedler beschlossen haben, sich hier niederzulassen. Sie sieht ohne einzugreifen den Provokationen der Siedler gegen die palästinensische Bevölkerung zu. Sie kaufen Stockwerke, manchmal ganze Häuser auf und drangsalieren dann die Bewohner, die bleiben, um sie zum fortgehen zu nötigen. Die Wahrzeichen der Stadt sind das Wachhäuschen auf der Terrasse der von den Siedlern erworbenen oder gestohlenen Häuser und die Gitter, mit denen die Palästinenser versuchen, ihre Geschäfte und Straßen gegen die Wurfgeschosse aller Art ( von Steinwürfen und Abfällen bis zu Schüssen aus Feuerwaffen) zu schützen.

In Ostjerusalem ist die Lage nicht besser. Israel will „Großjerusalem“. Sein Ziel ist es, den ganzen palästinensischen Teil der Stadt (Ostjerusalem, das seit dem Krieg von 1967 besetzt ist) zu besiedeln und vom Rest der Westbank abzutrennen. Die bewaffneten oder von der Armee beschützten Siedler haben immer die gleichen Methoden: sie vertreiben die Einwohner, errichten einen Sicherheitsposten und besetzen dann die Häuser. In dem Stadtteil Silwan, am Fuß des Platzes der Moscheen und der Klagemauer, will Israel die Palästinenser verjagen und einen großen Teil der Wohnungen zerstören, um einen nationalen Park, die „City of David“ zu errichten. Die Siedler graben Stollen unter Häusern und arabischen Schulen, um sie zum Einsturz zu bringen. Ich habe im Kopf das Bild jenes Mannes, seine Enkelin an der Seite, der dabei ist, hartnäckig sein Haus wieder aufzubauen, das schon mehrmals von den Siedlern zerstört worden ist. Auch das ist der Volkswiderstand!

 

La Forge: Welche Hoffnungen gibt es für das palästinensische Volk?

Anne: Viele Palästinenser wollen wollen weder von Verhandlungen noch vom „Friedensprozess“, der für sie gestorben ist, mehr was hören. Sie verlangen nichts anderes als „ihre Rechte“. Man spürt ein gewisses Misstrauen gegenüber der „palästinensischen Führung“ (die politischen Parteien und die palästinensischen Behörden), die noch Hoffnungen auf hypothetische Verhandlungen setzt. Die Spaltung (Hamas – PLO) tut weh und die Aktivisten der Komitees des Volkswiderstands rufen inständig zur Vereinigung auf. Marwan Barghouti, der seit seinem Gefängnis zu einer „Intifada des Volkswiderstands“ aufruft, ist extrem populär. Sein Portrait ist überall zu sehen. Könnte er nicht das Symbol der wiedergefundenen politischen Einheit des palästinensischen Widerstands werden? Die Antwort müssen die Palästinenser geben. Die grundlegenden Forderungen, die man immer wieder hört, sind immer die gleichen: Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr, Freilassung der Gefangenen, Schluss mit der Kolonisierung, Rückgabe der gestohlenen Ländereien und Häuser, ein Staat in den Grenzen von ’67, Ostjerusalem als Hauptstadt!

 

La Forge: Was können wir tun?

Anne: Wir sind in der Mehrzahl Aktivisten in der palästinensischen Frage. Aber wenn wir an Ort und Stelle ankommen, entdecken wir Dinge, die wir uns nicht einmal vorstellen können. Das ist eine barbarische Politik. Es scheint mir zwei dringende Dinge zu geben: den Kampf der palästinensischen politischen Gefangenen, die im Hungerstreik sind, bekannt zu machen und zu unterstützen und mehr denn je die Kampagne BDS („Boykott, Desinvestierung, Sanktionen“) zu entwickeln, die darauf abzielt, Israel ökonomisch, aber auch kulturell und administrativ, zu isolieren.

 

Das Interview mit einer Palästina-Aktivistin ist La Forge / Mai 2012, der Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs, entnommen.