Fortsetzung des Berichts „Gewaltbereite Rentnerin?“ aus Arbeit Zukunft, Nr. 1/2012, S. 15
siehe auch: http://www.arbeit-zukunft.de/index.php?itemid=1792
Am 23.07.2010 wurden eine 72Jährige Rentnerin und eine 50jährige Erzieherin vor einer Stuttgarter Polizeiwache Opfer eines brutalen Polizeiübergriffs: Weil sie dort gegen 23:30 Uhr Zeugen einer Festnahme von Jugendlichen und dabei einer brutalen, entwürdigenden Behandlung eines schwarzen Jugendlichen wurden, stellte die Rentnerin die beteiligten Polizisten zur Rede: Weil beide Frauen sich nicht sofort gehorsam auswiesen, wurden sie brutal zu Boden gerissen, mit Handschellen auf den Rücken gefesselt, dabei verletzt und festgenommen!
Über ein Jahr späterer erhielten sie Strafbefehle wegen Beleidigung, gewaltsamen Widerstands gegen Polizisten und Behinderung der Polizei: 45 Tagessätze à 50 Euro( 2250 Euro!) für die Rentnerin, 70(!) Tagessätze à 50 Euro (3500 Euro!) für die Erzieherin. Ihr warf man zusätzlich noch Körperverletzung vor! Angeblich habe sie einen der Polizisten gebissen!
Beide widersprachen, so kam es am 19.12.2011 zur Gerichtsverhandlung. Drei Polizeizeugen widersprachen sich in ihren Aussagen, trotz eingestandener illegaler Absprachen vorm Gerichtssaal! Gewaltsame Handlungen der Angeklagten gegen Polizisten knnten nicht nachgewiesen werden. Trotzdem beharrte die Staatsanwältin uneingeschränkt auf ihren Anklagepunkten. Das Gericht wollte die Beweisaufnahme schon beenden.
Die Verteidigung stellte aber Beweisanträge, von denen Amtsrichterin Burckhardt nur einen zuließ, nämlich zwei Zeugen zu vernehmen, die nicht zur Polizei gehören. Die Richterin vertagte deshalb die Verhandlung auf den 5. Januar 2012.
Am 5. Januar 2012 – wieder kamen 50 Zuhörer/innen und Medienvertreter – wurden eine Frau und ein Mann als Zeugen vernommen. Sie hatten alles als Unbeteiligte beobachtet. Beide entlasteten die Angeklagten in jeder Hinsicht und beschrieben drastisch das brutale Vorgehen der Polizisten. Die hätten die Erzieherin mit einem so lauten Schlag an die Außenwand der Wache „geknallt“, dass die Zeugin entsetzt „Halt!“ geschrien hätte! Beide Zeugen hätten gerufen, die Polizei solle sofort aufhören. Der Mann sei daraufhin selbst mit dem Schlagstock bedroht worden, seine Personalien seien festgestellt worden!! Vom „Einsatz“ der Regenschirme, den die Anklage den Frauen als „Gewalt“ bzw. „Gewaltandrohung“ vorwirft, hatten beide nichts bemerkt. Der Zeuge: „Die Frauen hatten überhaupt keine Chance“.
Die Richterin lehnte dann eine Vernehmung der betroffenen Jugendlichen sowie die Vorführung der Videos aus den Überwachungskameras vor der Wache ab. Das trüge nichts zur Aufklärung bei! Dann sagte sie, es gebe die Videos nicht. „Ich habe in der Zwischenzeit 2 Polizisten der Wache befragt. Die haben gesagt, die Videos seien gelöscht.“ Die Richterin gab grinsend eine Beweisvernichtung zu! Rechtsanwalt Mitschele, der Verteidiger der Erzieherin, forderte, diesen Vorgang zu Protokoll zu nehmen. Die Richterin lehnte diesen Antrag frech mit der Begründung ab, das täte nichts zur Sache! Daraufhin stellten beide Verteidiger gegen sie einen Befangenheitsantrag, der ebenfalls abgelehnt wurde. Die Verteidigung erklärte danach, „von Seiten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft sei keinerlei Interesse an einer Aufklärung“ zu erkennen.
In ihrem Plädoyer ignorierte die Staatsanwältin die entlastenden Zeugenaussagen, stattdessen forderte sie noch Strafverschärfungen!
Die Verteidiger plädierten für Freisprüche. Rechtsanwalt Predeschly (Verteidiger der Rentnerin): „Eigentlich ist ein Plädoyer hier sinnlos!“ Die Staatsanwältin müsse irgendwie an einer anderen Veranstaltung teilgenommen haben! Hier werde nichts andres versucht, als ein unverhältnismäßig hartes Vorgehen der Polizei im Nachhinein zu rechtfertigen.
Rechtsanwalt Mitschele widerlegte juristisch alle Vorwürfe. Er sprach wegen der sich widersprechenden Polizeizeugen von Aussagekomplott…
Es war kaum anders zu erwarten: Die 72Jährige wurde zu 2200 Euro (40 Tagessätzen à 55 Euro), die zurzeit erwerbslose 50jährige Erzieherin, Mutter dreier Kinder zu 1050 Euro Strafe (70 Tagessätzen à 15 Euro) verurteilt. In der mündlichen Urteilsbegründung verschwieg auch die Richterin die Entlastungszeugen.
Angeklagte und Verteidigung kündigten Berufung an. Der Prozess geht also in die nächste Instanz! Arbeit Zukunft wird weiter berichten.
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