Bereits im Juni richtete der griechische EU-Parlamentsabgeordente Nikolaos Chountis eine – in den Medien nicht beachtete – Anfrage an die EU-Kommission. Darin stellt er das Problem wie folgt dar:
„Infolge der Inanspruchnahme des Stabilitätsmechanismus werden Griechenland, Irland und Portugal…von der Kommission und vom IWF in beträchtlichem Maße unter Druck gesetzt, erhebliche Änderungen in Bezug auf die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern und die Tarifverhandlungen einzuführen, wodurch staatliche Schutzmaßnahmen zugunsten der Arbeitnehmer ausgehebelt werden.Beispielsweise heißt es im Memorandum für Griechenland: „Die Regierung stellt sicher, dass auf der Ebene von Unternehmen geschlossene Vereinbarungen Vorrang vor Sektorvereinbarungen haben, die ihrerseits wieder Vorrang vor auf Ebene von Berufsverbänden geschlossenen Vereinbarungen haben. Die Regierung hebt zudem die Bestimmung auf, wonach das Arbeitsministerium den Geltungsbereich von Sektorvereinbarungen auch auf Arbeitnehmer ausweiten kann, die nicht in den Verhandlungen vertreten waren.“
Im Klartext bedeutet diese gestelzte EU-Sprachregelung: Die EU presst die griechische Regierung, die im Lande geltenden Regelungen für Tarifverträge aufzuheben, und den Kapitalisten das Recht zu geben, die eigentlich zwingend geltenden Tarifverträge großzügig zu übergehen!
Letzte Woche melden Vinizelos und Papandreou Vollzug, wie die FAZ zu vermelden weiß. Nachdem die FAZ mit verhaltenem Zorn über die neuesten griechischen Massenproteste, den siebten Generalstreik, berichtete, heißt es in ihrem Bericht:
„Weitere Sparmaßnahmen beschlossen
Am späten Dienstagabend hatten im Parlament 156 Abgeordnete für weitere Sparmaßnahmen gestimmt, 130 votierten gegen sie. Die griechische Regierung hatte sich dazu verpflichtet, um in den Genuss(????- die Redaktion) des Rettungspakets der EU und des Internationalen Währungsfonds von 110 Milliarden Euro zu kommen.
Ein Gesetz sieht die Kürzung der Löhne und Gehälter der Beschäftigten in den hoch defizitären öffentlichen Betrieben um 10 Prozent vor… Ein zweites Gesetz hebt für die Unternehmen den Zwang auf, einem Tarifvertrag zu folgen.“
Wie heiß es doch so schön in der Europäischen Sozialcharta unter Artikel 28?
„Artikel 28
Recht auf Kollektivverträge und Kollektivverhandlungen
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen haben nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen.“
Diese Sozialcharta ist Teil des um den Lissabonvertrag von 2007 gruppierten Vertragswerks, das an die Stelle der gescheiterten EU-Verfassung trat. Sie wird gerne von allen Propagandisten der EU als Beweis für den hohen menschenrechtlichen Standard, für die grundsätzliche Gerechtigkeit all der EU-Bestimmungen hinaus posaunt.
Wie Arbeit Zukunft bereits in der seinerzeitigen Kritik des EU-Verfassungsprojekts herausarbeitete, hier haben wir es schwarz auf weiß: Wie die Menschenrechtscharta ist auch die Sozialcharta ihr Papier nicht wert, wenn es um die despotischen Interessen des Finanzkapitals geht! Auf den erpresserischen Druck aus Brüssel hin werden die schönen Tarifvereinbarungen halt in den Müll geschmissen, Sozialcharta hin oder her. Schärfer noch: Die in dem schönen Artikel 28 auch erwähnten Arbeitgeber, die sich ja noch vereinbaren sollten – sie werden von ihren Verpflichtungen aus Artikel 28 (Ein „Kollektivvertrag“ ist doch normalerweise verpflichtend!!?) einfach freigestellt. Das nennt man ganz einfach Klassenrecht!
Du kannst die Sozialcharta den Hasen geben, oder das schöne Papier getrost – um ein Bonmot von Karl Marx zu zitieren – „der nagenden Kritik der Mäuse überlassen“. Es schützt nichts und niemanden, der diesen Schutz benötigt!
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