Seit Wochen diskutiert die deutsche Öffentlichkeit über ein angebliches Antisemitismus-Problem in der Partei DIE LINKE. Doch der Vorwurf der Judenfeindschaft wird instrumentalisiert: Hinter dem Streit verbirgt sich eine Kampagne der Parteirechten, die ihren Kurs auf Regierungsbeteiligung durchsetzen will.
Spätestens seit dem 19. Mai 2011 fliegen die Fetzen, wenn es um die LINKE geht. Und das scheinbar völlig zu Recht, geht es doch um die Frage, ob Antisemiten in der Partei das Sagen haben. Eine Studie zweier Sozialwissenschaftler, so war an diesem Tag in der Frankfurter Rundschau zu lesen, habe dafür Beweise zutage gefördert.
Diese Studie hatten Sebastian Voigt und Samuel Salzborn verfasst. Voigt ist Gründungsmitglied des dem äußersten rechten Flügel der LINKEN zuzurechnenden Bundesarbeitskreises „Shalom“ in der Jugendorganisation der Partei. Der widmet seine Aktivitäten dem Kampf gegen „Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressivem Antikapitalismus“. Was darunter zu verstehen ist, kann jeder auf der Internetseite des Arbeitskreises nachlesen: Ja zum israelischen Gaza-Krieg von 2008/2009, ja zum amerikanischen „Krieg gegen den Terror“, ja zum Libyen-Krieg und eine klare Absage an den Antiimperialismus. Ähnliche Positionen vertritt auch Salzborn, der auf der Homepage der „Achse des Guten“ um den Rechtspopulisten Henryk M. Broder regelmäßig die LINKE angreift.
Dass die Autoren der Studie Propagandisten des „War on Terror“ sind, hat die Presse freilich verschwiegen. In den Tagen nach der Veröffentlichung des Artikels überschlug sie sich förmlich mit Meldungen über „Antisemitismus in der LINKEN“, und sogar der Bundestag widmete dem Thema eine „aktuelle Stunde“. Abgeordnete der CDU (der Partei also, die mit Hans Globke, Hans Filbinger oder Kurt Georg Kiesinger stramme Alt- und Ex-Nazis unter ihren Spitzenpolitikern hatte) und der anderen Parteien konnten ihrer Verachtung für den „Antisemitismus von links“ freien Lauf lassen. Mehr Zynismus geht kaum.
Statt aber vehement zu protestieren, fasste die Bundestagsfraktion der LINKEN den Beschluss, „Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern“, „Boykottaufrufe gegen israelische Produkte“ sowie die diesjährige Fahrt einer „Gaza-Flottille“ als „antisemitisches Gedankengut und rechtsextremistische Handlungen“ zu betrachten. Statt der Gleichsetzung von Israel, Zionismus und Juden sowie der Unterstellung, Gaza-Flottille und Boykottaufrufe seien rechtsextrem und antisemitisch, entschieden entgegenzutreten – wie man es von einer linken Partei hätte erwarten können –, übernahm die Fraktion genau diese demagogischen Positionen.
Dass die LINKE „mit ihrer Resolution sogar noch die bürgerlichen Parteien von rechts überholt hat – keine von diesen hat offiziell einen vergleichbaren Beschluss gefasst –, lässt sie zur Lachnummer der sich höhnisch die Hände reibenden deutschen Politszene verkommen“, kommentierte der Tel Aviver Historiker Moshe Zuckermann. Zur Lachnummer wurde die Partei aber nicht, weil sie gut Gemeintes schlecht gemacht hat. Zur Lachnummer wurde sie, weil die Parteilinke zuließ, dass die rechten Kräfte in der Partei sich mit ihrer Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfes durchsetzen konnten.
Der Fraktionsbeschluss fiel einstimmig – offenbar weil einige linke Abgeordnete den Saal verlassen hatten. Das passt ins Bild: Seit Jahren schweigt der linke Flügel zu den Umtrieben des Arbeitskreises „Shalom“, seiner „antideutschen“ Verbündeten und seiner Unterstützer in der Partei wie Petra Pau, Katja Kipping oder Bodo Ramelow. Er schweigt zu deren Angriffen auf linke Juden wie Moshe Zuckermann oder Norman Finkelstein, denen absurderweise vorgeworfen wird, sie seien Antisemiten. Und er schweigt auch zum Rassismus dieser Klientel, in der Palästinenser und Muslime als „Barbaren“ und „Nazis“ bezeichnet werden.
Stattdessen suggerieren die Linken in der LINKEN immer noch, es ginge wirklich um Antisemitismus oder die Lage in Nahost. So schrieb Norman Paech, der ehemalige außenpolitische Sprecher der LINKEN, in der Jungen Welt, hinter dem Vorwurf des Antisemitismus, „der wie eine Sichtblende hochgezogen wird, verschwindet die erschreckende Barbarisierung israelischer Politik“. Es ist ja nicht so, dass Paech Unrecht hätte, aber Stellungnahmen wie seine zeugen angesichts der Kampagne und ihrer Träger von einer Naivität, die an Wirklichkeitsabstinenz grenzt.
Fraktionsmitglied Sevim Dağdelen, die als eine von wenigen in der Partei ausdrücklich betont, „dass bestimmte Leute in der Fraktion die Debatte ausschließlich führen, um innerparteiliche Geländegewinne zu erzielen“, setzt den Vorwürfen keine Rechtfertigungen entgegen, sondern geht in die Offensive: „Kriegsvorbereitung und die Befürwortung von Kriegen sollten zu keiner Zeit Platz in unserer Partei haben“, sagte sie der Jungen Welt. Damit bringt sie den eigentlichen Hintergrund der Kampagne auf den Punkt: 2013 ist Bundestagswahl. Will die LINKE als Koalitionspartner für Rot-Grün infrage kommen, muss sie Kriegseinsätze der Bundeswehr mittragen. So überrascht es auch nicht, dass die „Antisemitismus-Studie“ von Voigt und Salzborn den vielsagenden Titel „Antisemiten als Koalitionspartner?“ trägt.
Scharfe Worte findet daher der Hamburger Landesverband der LINKEN-Jugendorganisation [’solid]: Der Beschluss der Fraktion sei eine „Kapitulation vor den Regierungsambitionen der Parteirechten“, es gehe „um die Beteiligung der LINKEN an der politischen Macht im Staate, um Karrieren, Geld und Reputation“. Und wie zum Beweis sprach der Parteirechte Stefan Liebich, der für die LINKE im Bundestag sitzt, gegenüber der Süddeutschen Zeitung unmissverständlich aus, wohin die Reise gehen soll. Wolle man die Nato verändern, sei es falsch, sich militärisch aus dem Bündnis zurückzuziehen. Und weiter zitierte die Süddeutsche: „Falsch sei auch die pauschale Ablehnung jeglicher Kampfeinsätze der Bundeswehr.“
„Für uns“, so die Hamburger Linksjugend, „ist damit ein Punkt erreicht, an dem das Projekt DIE LINKE selbst zur Disposition gestellt worden ist.“ Noch schärfere Kritiker des Rechtskurses der Partei wie der Journalist Thomas Immanuel Steinberg rufen bereits dazu auf, der Partei den Rücken zu kehren. Gelingt es der Parteilinken nicht, den Angriff des Realoflügels abzuwehren – und es sieht mit all ihrer Abwiegelei und ihren halbherzigen Rechtfertigungsversuchen so aus, als habe sie daran gar kein Interesse –, steht die deutsche Linke spätestens 2013 vor der Aufgabe, eine neue – linke – Linkspartei zu schaffen. Eine LINKE, die deutsche Kriege unterstützt und mit der Hartz IV-SPD gemeinsame Sache macht, kann jedenfalls kein Bündnispartner für sie sein.
Werner Erdmann
Anmerkung der Redaktion:
Wir danken dem Genossen für die eindrückliche Schilderung der Entwicklung in der Linkspartei. Seine Schlussfolgerungen teilen wir bis auf einen Punkt. Unserer Meinung nach ist es nicht an der Zeit, eine neue – linke – Linkspartei aufzubauen. Stattdessen benötigen wir dringend eine starke, in der Arbeiterklasse verankerte Kommunistische Partei mit einem klaren Programm, dass nicht verwässert und verdreht werden kann.