Ein Kollege von Daimler schickte uns die folgende lebendige Reportage: Wie auch in den weniger bekannten Werken eines bekannten Konzerns gekämpft wird und über den Alltag dort: „Co-Management“ der Gewerkschaftsführungen und der Betriebsräte, Ausbeutung der Leiharbeitskolleg/innen, Bruch von Vereinbarungen, kleine Achtungserfolge, weil die Belegschaft kämpft! Auch „beim Daimler“ gilt: Ohne Kampf wirst du nur noch mehr beschissen als sowieso schon!
Daimler bezieht Nachfolgegeneration des NSG 2 von ZF Friedrichshafen
Auf einer außerordentlichen Betriebsversammlung wurde Ende November die Belegschaft darüber in Kenntnis gesetzt, dass der PKW-Vorstand den Einstieg in den Ausstieg aus der leichten Getriebebaureihe beschlossen hat. Die Nachfolgegeneration des NSG 2 (Neutrales Schaltgetriebe), ein PKW-Heckschaltgetriebe, wird nicht im Murgtal gebaut. Am 08.11.10. hat der BR in einem Schreiben die technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten dargelegt und so auch daran erinnert, dass im Rahmen der Unimog-Verlagerung nach Wörth im Jahr 2001 eine Zusage für die Ausrichtung des Werks Gaggenau als weltweites Kompetenzzentrum für manuelle und automatisierte Schaltgetriebe gegeben wurde. So wurde auch die Nutzung von bis zu 17 Schichten vom BR festgeschrieben. In der Gesamtbetriebsratsvereinbarung „Bezugsartenfestlegung“ ist klar geregelt worden, dass vor einem Beschluss zur Fremdvergabe mit dem BR beraten und dem Standort die Möglichkeit gegeben werden muss, ein Angebot zur wirtschaftlichen Produktion abzugeben („Last Call“).
Aus Sicht der Arbeitnehmer ist dies ein klarer Vertragsbruch gegen die Vereinbarung zur Neuausrichtung und Bezugsartenfestlegung sowie ein klarer Affront gegen die Beschäftigten im Murgtal. Mit der aktuellen Entscheidung, das NSG 2 nicht aus Gaggenau zu beziehen, werde die oben genannte Vereinbarung auf den Kopf gestellt. So etwas kann und darf sich eine engagierte Belegschaft nicht bieten lassen.
Die Werksleitung ihrerseits sieht natürlich durch den Verlust des neuen Getriebes den Standort nicht geschwächt. Aktuell gehe es doch nur um rund 80.000 Getriebe pro Jahr, die ab Ende 2013 nicht mehr in Gaggenau gefertigt werden. Die getroffene Entscheidung sei ein ganz normaler Vorgang. „Wir werden immer konfrontiert mit Wettbewerbungsangeboten“. Das Getriebe-Kompetenzzentrum Gaggenau sei „viel mehr als nur ein einzelnes Getriebe“. Angesichts einer Jahresproduktion von einer Million Wandler sei der Verlust überschaubar.
Welch ein Zynismus seitens der Werksleitung gegenüber der Belegschaft! Betroffen seien gerade mal 34 Beschäftigte im Jahr 2015 und 50 Beschäftigte 2018. Insgesamt seien im leichten Getriebebereich am Standort lediglich 450 Mitarbeiter beschäftigt – von derzeit insgesamt knapp 6.500 Mitarbeitern – inklusive 255 Leiharbeitern. Als seien 50 Kollegen „Peanauts“, wie man bekanntlich in Kapitalistenkreisen zu sagen pflegt!
Was sagt der Betriebsrat?
Den Ausführungen der Werksleitung widerspricht der BR auf der Betriebsversammlung mit folgender Aussage:
„Unterm Strich wird durch den Verlust von 80.000 Getrieben bei einer Gesamtjahresproduktion von 400.000 leichten Schaltgetrieben in Gaggenau die Wirtschaftlichkeit des Standorts in Frage gestellt. Heute ist es das NSG 2, morgen das Frontschaltgetriebe und übermorgen die Achse…“
.De facto geht es laut IG Metall Gaggenau in dieser Auseinandersetzung um etwa 100.000 Getriebe für PKW mit Heckantrieb. Diese Getriebeart findet unter anderem in der Mercedes-C-Klasse Verwendung.
Protestdemonstration!
Nach dem Redebeitrag des Betriebsrats haben 3.000 Beschäftigte spontan die Betriebsversammlung verlassen, um gegen die geplante Produktionsverlagerung zu protestieren. Sie demonstrierten lautstark durch die Gaggenauer Innenstadt zum Marktplatz.
Auf der Kundgebung gab es folgende Redebeiträge:
BR Vorsitzender Brecht: Betriebsrat und IG Metall sehen aufgrund derartiger Produktionsverlagerungen die Zukunftssicherung des Standorts Gaggenau mittel- bis langfristig gefährdet. Brecht verwies in seiner Ansprache auf das Jahr 2001, auf die
im Zuge der Unimog-Verlagerung nach Wörth mit dem Management getroffenen Vereinbarungen. „Ohne den Bau leichter Schaltgetriebe ist die Ausrichtung unseres Werkes zu einem weltweiten Kompetenzzentrum für manuelle und automatische Schaltgetriebe eine Farce geworden. Dies ist auch eine politische Entscheidung, die wirtschaftlich keinen Sinn ergibt.“
Stefan Schwaab, Betriebsrats- und Aufsichtsratsmitglied der Daimler AG: „Diese Entscheidung wurde ohne wirtschaftliche Sachargumente, allein gegen die Interessen der Beschäftigten in Gaggenau gefällt. – Was wiederum von einer in jeder Hinsicht engagierten Belegschaft nicht kampflos hingenommen werden kann!“
IGM Bevollmächtigter Zitelsberger: „Kluge Unternehmen treffen ihre Entscheidungen mit der Belegschaft und nicht gegen sie. Das etwas weniger kluge Management erlebt das, was hier und heute in Gaggenau begonnen hat“.
Nachdem die kurze Kundgebung am Marktplatz zu Ende war, begab sich der Zug wieder zurück ins Werk.
Was allerdings auf der Betriebsversammlung und auf der Kundgebung verschwiegen wurde, ist, dass ZF Friedrichshafen dieses Getriebe um 10 Euro kostengünstiger anbietet als Daimler in Eigenproduktion. Um der Forderung richtig Nachdruck zu geben, wäre es richtig gewesen, nicht ins Werk zu gehen, sondern die Arbeit für den Tag ganz niederzulegen und das Werk gemeinsam zu verlassen. Dem war aber nicht so, sondern es gab bewusst zu diesem Zeitpunkt Post von der Werksleitung.
Jede Abteilung des Werks bekommt Post vom ihren Führungskräften
In allen Abteilungen kursierte dann ein Schreiben der Führungskräfte mit folgendem Inhalt: „Anbei die rechtliche Ansage aus Sicht des Unternehmens zu einem möglichen Verlauf der Betriebsversammlung: Die Mitarbeiter sind darauf hinzuweisen, dass die Teilnahme an einer möglichen Arbeitsniederlegung während einer Unterbrechung der Betriebsversammlung oder unmittelbar im Anschluss an die Betriebsversammlung einen Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten darstellt. Die an der Arbeitsniederlegung beteiligten Mitarbeiter erhalten für die Dauer der Arbeitsniederlegung daher kein Entgelt.“
Diese Zurechtweisung ist als Drohung zu bezeichnen und deshalb als Frechheit zurück zu weisen.
Fortsetzung der Betriebsversammlung
Die Betriebsversammlung war unterbrochen worden und konnte deshalb jederzeit wieder aufgenommen werden. Am 03.12.10. fand die Fortführung der unterbrochenen Betriebsversammlung für Gaggenau und seine Werksteile statt. Nun wurde den Mitarbeitern folgende Nachricht unterbreitet:
„Erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen“. Zusage zur „Weiterentwicklung“ des Kompetenzzentrums Getriebe!
Dazu der Gaggenauer IG Metallchef Zitzelsberger: „Die nun getroffenen Vereinbarungen sind ein sehr gutes Ergebnis. Fakt bleibt aber nach wie vor, dass die Fertigung der Nachfolgegeneration des PKW-Getriebes bei ZF bleibt. Da gab es keinen Verhandlungsspielraum.“ Aber im Hinblick auf die künftigen Themen in der Antriebstechnologie, wie z. B. das Getriebe für Elektro-Fahrzeuge, gebe es erfreuliche Nachrichten. Der Standort werde auch in dieser Liga mitspielen.
Etwa in der Oberliga Baden Württemberg oder gar in der Bundesliga?
Die Werksleitung frohlockt mit dem Angebot: „Gaggenau werde weltweites Anlauf- und Vorbereitungszentrum der Getriebeproduktion.“ Außerdem gebe es Zusagen für die Hybridtechnologie im Nutzfahrzeugbereich.
Nun, Fakt ist aber dies: „Daimler wird ab dem Jahr 2014 das NSG 2 Getriebe von ZF Friedrichhafen für Autos mit Heckantrieb einsetzen. Auch die Nachfolgegeneration des leichten Schaltgetriebes für C- und E- Klasse wird nicht mehr am Standort Gaggenau gefertigt.“
Das bedeutet doch: Die Karten in diesem Spiel werden auf der ganzen Welt gemischt, und Aufträge gehen dahin, wo sie am besten und am günstigsten erledigt werden.
Jetzt einige Auszüge aus dieser ganzen Rahmenbetriebsvereinbarung, die man der engagierten Belegschaft zu verkaufen versucht wie sauer Bier:
Kein Ausstieg aus der leichten Baureihe. Die Getriebestrategie aus der erwähnten Vereinbarung unter dem Titel „Gaggenau ist weltweites Kompetenzzentrum für mechanische und automatisierte Schaltgetriebe“ wird vom Vorstand bestätigt und mit den im Folgenden beschriebenen Ergänzungen fortgeführt:
Transporterschaltgetriebe (TSG): Zusage für die ständige technische Weiterentwicklung des TSG, um auch für zukünftige Veränderungen ein wettbewerbsfähiges Getriebe anbieten zu können. Das Nachfolgefahrzeug Vito / Viano mit Heckanschaltgetriebe wird definitiv mit unserem TSG ausgestattet.
Frontschaltgetriebe (FSG): Die Erweiterung auf kleinere und größere Drehmomente ( Auf- und Ablastung ) des FSG 310 wird geprüft.
Aggregate-Lieferung an Dritte:
Weitere Aggregate – Lieferungen an „Dritte “ werden aktiv geprüft und angestrebt. Die Belieferung an Nissan ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.
Hybridtechnologie im NFZ:
Die Hybridtechnologie ist auch im Truck- und Busbereich eine zukunftsweisende Antriebsform. Wird ein Hybridgetriebe (Applikation des Elektromotors direkt ans Getriebe) in die Serienfertigung kommen, wird dies in Gaggenau montiert und angepasst.
Einstellungen/ Leiharbeit /Azubis:
Übernahme der befristet übernommenen 31 Jungfacharbeiter der Übernahmejahrgänge
2009-2010 in unbefristete Arbeitsverhältnisse.
22 Kolleginnen und Kollegen, die vor der Krise bei Daimler in Leiharbeitsverhältnissen beschäftigt waren und eine Wiedereinstellungs-„Garantie“ bekommen haben, werden in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen. Alle anderen Beschäftigten im Leiharbeitsverhältnis bekommen eine Verlängerung um weitere 3 Monate.
Dies bedeutet: Leiharbeiter die jetzt im Werk sind, sind beschäftigt bis September 2011. Na ja, immerhin etwas für die Leihkolleg/innen!
Vorgezogene Lohnerhöhung von 2,7 Prozent ab Februar!
Noch eine Anmerkung zu der vorgezogenen Lohnerhöhung von 2,7 Prozent ab Februar 2011:
Tatsache ist doch: Die Beschäftigten zahlen auf jedem Fall drauf. An anderer Stelle wird uns schon wieder Geld weggenommen. Zum einen haben die Stromkonzerne mal wieder saftige Preiserhöhungen angekündigt. Zum anderen beschlossen die Schwarz-Gelben Kassenwarte des Kapitals, dass die Krankenkassenbeiträge in diesem Jahr auf 15,5 % steigen. Davon zahlen die Beschäftigten 8,2 Prozent. Der Skandal: jede weitere Steigerung soll ausschließlich von den Arbeitern bezahlt werden! Die Unternehmen werden davon befreit. Die Kassen dürfen auch feste Zusatzbeiträge erheben, ab diesem Jahr unbegrenzt. Auch da gilt es wieder: die Unternehmen müssen nichts dazu zahlen. Damit muss endgültig Schluss sein!
Ergebnisbeteiligung für 2010
Der Gesamtbetriebsrat und der Konzern haben eine Ergebnisbeteiligung von 3150 Euro für 2010 vereinbart. Erstmals teilanspruchsberechtigt sind Auszubildende ab dem zweiten Lehrjahr, Studenten der Dualen Hochschule und Doktoranden. Die Auszahlung erfolgt Ende April 2011.
Jubiläumssonderzahlung für das 125 Jährige Jubiläum der Erfindung des Automobils von Daimler und Benz
Diese einmalige Sonderzahlung wurde für alle beschäftigten weltweit vereinbart. Die Höhe dieser Jubiläumszahlung hängt aber von der Betriebszugehörigkeit ab. Stichtag für diese Ermittlung war der 31.12. 2010. Der Grundsockelbetrag ist berechnet worden von einem Jahr gleich 200 Euro. Für jedes weitere Jahr der Betriebszugehörigkeit steigt dies um 20 Euro also 220 Euro Bei 5 Jahren ist dies gleich 280 Euro. Bei 8 Jahren ist dies gleich 340 Euro usw. Hat man aber 25 Jahre und mehr erreicht bekommt man die volle Auszahlung gleich 1000 Euro. Wohlgemerkt: Dieser Betrag egal in welcher Höhe wird auf das Monatsgeld drauf gesattelt. Also greift der Finanzminister wieder mal kräftig zu. Zahltag ist die Februarüberweisung.
Leihkolleginnen und Kollegen bekommen von alledem nichts. Und wie gezeigt bekommen nur die langjährig Beschäftigten die pompös angekündigte Zahlung voll. Also ist wieder mal mit Hilfe der „Juniorpartner“ der Konzerne eine Spaltung erreicht worden.
MRg