Buchvorstellung: Stephane Hessel- „Empört Euch!“

Stéphane Hessel, Empört Euch!Korrespondenz: Ein kleines Büchlein mit gerade mal vierzehn Seiten ist Ende letzten Jahres in Frankreich eine Million Mal verkauft worden. Nun ist das Büchlein mit dem Titel „Empört Euch!“ vom 93-jährigen Autor Stephane Hessel Anfang Februar auch in deutscher Übersetzung erschienen. [1]

Stephane Hessels Titel trifft den derzeitigen Zeitgeist von Millionen Menschen. Erschienen ist die Streitschrift während der Proteste in Frankreich, gegen die Rente mit 62. Dort war im Vorweinachsgeschäft das Büchlein, das in einem kleinen Verlag erschien [2], Ende Oktober vielerorts ausverkauft und avanciert mittlerweile als ein Bestseller. Doch nicht nur in Frankreich fühlten sich die Menschen vom Titel des Buches angesprochen. Weltweit stieß es inzwischen auf die Aufmerksamkeit der Leser und Verlage. Ob nun die derzeitigen Aufstandsbewegungen in der arabischen Welt, der Kampf der Menschen gegen Sozialkahlschlag in Europa oder die Protestbewegungen gegen umstrittene Bauvorhaben, wie z.B. Stuttgart 21 in Deutschland, der Titel spricht aus, was immer mehr Menschen empfinden und was diese auf die Straßen und Plätze weltweit bewegt. In Deutschland haben inzwischen die großen Tageszeitungen über Hessel und sein Buch berichtet. Der Kultursender Arte hat eine Biographie über Hessels schicksalhaftes Leben gesendet. [3]

Die kleine Schrift richtet sich gegen soziale Ungerechtigkeit, Faschismus und Fremdenhass, die Verletzung der Menschenrechte, gegen Umweltzerstörung und gegen die Diktatur des Finanzkapitals. Der 93-Jährige Autor hat ein bewegtes Leben hinter sich, das von vielen leidvollen Erfahrungen, aber auch von glücklichen Umständen geprägt ist, was für Hessel lebensrettend war. Der 1917 in Berlin geborene Stephan Hessel zog 1924 mit seinen Eltern nach Paris, seit 1939 französischer Staatsbürger, war Mitglied der Resistance und hat nach der Gefangennahme durch die Gestapo die Barbarei in deutschen Konzentrationslagern durch viel Glück überlebt. Nach dem Krieg war Hessel Mitautor der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen und als Diplomat tätig.

Stephan Hessels Identifikationsfiguren sind Jean Moulin, General de Gaulle, später auch der Dalai Lama und Nelson Mandela. Hessels Weltanschauung ist also von bürgerlich-konservativen Persönlichkeiten geprägt worden . Wenngleich er sich in seinen Büchlein in knappen Worten gegen die Politik Stalins ausspricht, unternimmt Hessel keine Hasstiraden gegen den Kommunismus, so wie diese in Deutschland von bürgerlichen Kräften zumeist mit angeführt werden. Seinen allgemeinen Aussagen kann man vielfach zustimmen, z.B. wenn er schreibt: „Man wagt uns zu sagen, der Staat könne die Kosten dieser sozialen Errungenschaften nicht mehr tragen. Aber wie kann das Geld dafür fehlen, da doch der Wohlstand so viel größer ist als zur Befreiung, als Europa in Trümmern lag?“ [4] Stephan Hessel wendet sich ebenso gegen die Kolonialpolitik Frankreichs in der Vergangenheit, als auch gegen die Politik Israel gegen die Palästinenser. Als er in Paris seine Schrift vorstellen wollte, ist gar auf ministerielle Anordnung und auf Antrag des französischen Zentralrats der Juden, eine geplante Veranstaltung untersagt worden. Hessel sieht sich mittlerweile Vorwürfen des Antisemitismus und des intellektuellen Terrorismus ausgesetzt. Doch jeder der das Büchlein liest kann feststellen, dass sich Hessel, dessen Mutter selbst jüdischer Abstammung war, gegen die Besatzungspolitik Israels ausspricht und einsetzt und in keiner Weise gegen das jüdische Volk gerichtet ist. Auch wird von ihm keinerlei Gewaltanwendung gepredigt, vielmehr könnte man ihn als einen Pazifisten bezeichnen. Hessel setzt seine Hoffnungen einerseits auf den Protest der Menschen, anderseits darauf, dass die Herrschenden eines Tages zur Einsicht gelangen werden. Hier trifft man auch schon auf die Schwächen dieses Büchleins. Natürlich ist im schmalen Bändchen kein Platz für ökonomische Analysen und Hessels Kritik an kapitalistischen Auswüchsen verbleibt auch letztendlich im Rahmen der bürgerlichen Ordnung. Hessel hofft mit humanistisch-moralischen Ansprüchen und Forderungen lasse sich letztendlich das System demokratisch und sozial reformieren. In einem Interview äußerte sich Hessel auf die Frage, was ist ihr Buch nun: Rhetorik, Revolte oder Revolution: „Weder das eine noch das andere. Auch kein Programm der Revolution. Es ist ein Plädoyer für wirkliche Demokratie. Eine Streitschrift für die Rechte und die Würde der Menschen.“ [5] Stephan Hessel verbleibt also bei seinen Bekundungen im bürgerlichen Rahmen, dennoch ist es eine Anklage gegen das kapitalistische System und man wünscht sich beim Lesen seiner kurzen Schrift, es möge auch bei uns mehr von diesen bürgerlichen Kräften wie Stephan Hessel geben!

 

Anmerkungen und Quellenangaben

1 Die deutsche Übersetzung ist am 10. Februar im Handel erschienen (Ullstein-Verlag, 32 S.,

broschiert, 3,99 €) Die eigentliche Textlänge beträgt gerade mal 15 Seiten!

2 Der Verlag wird von ehemaligen Maoisten der „Gauche proletarienne“ geführt

3 Mein Leben- Stephane Hessel, gesendet vom Kultursender Arte am 13. Februar. Angelehnt an seine

Lebensgeschichte ist auch ein Spielfilm unter dem Titel „Jules et Jim“. Die Regie führte Truffaut.

4 Stephan Hessel, Empört Euch!, S.9

5 ND, 12./13.02.2011, Rhetorik, Reformen, Revolution?, Interview mit Stephan Hessel