Ein neues Schlagwort ist in der Diskussion um das Gesundheitswesen aufgetaucht: Priorisierung (d.h. Prioritäten setzen). Ein Wort das vor allem verbergen soll, was dahinter steckt sowie schön wissenschaftlich und positiv klingen soll. Wer möchte nicht gern bei seinem Arzt Priorität haben?
Doch Priorisierung meint etwas anderes: Es bedeutet die Einschränkung von ärztlichen Leistungen und deren Verwaltung. Die „Fachleute“, die der so genannten Priorisierung das Wort reden, behaupten, dass die Gesellschaft nicht mehr alle medizinisch notwendigen Leistungen bezahlen könne. Mit den angeblich knapper werdenden Ressourcen müsse deshalb „intelligent“ umgegangen und diese „effektiv“ verteilt und angewendet werden. Etwas offener wird auch von Rationierung medizinischer Leistungen geredet.
Dabei wird richtig darauf hingewiesen, dass es diese Rationierung und Priorisierung bereits heute gibt. Auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) im Februar 2010 in Berlin (Quelle: Deutsches Ärzteblatt, 3/2010) wurde beispielsweise darauf verwiesen, dass bereits heute die sehr langen Wartezeiten bei Psychiatern und Psychotherapeuten zu einer Auswahl der Patienten, zu einer Selektion führen würde. Dies treffe vor allem gesetzlich Versicherte. Zur Rationierung gehöre auch die chronisch unzureichende Personalausstattung in Krankenhäusern. Jeder kennt die teilweise langen Wartezeiten auf OP-Termine in Krankenhäusern. Das ist tatsächlich eine Selektion, denn wer später operiert wird, trägt ein höheres Risiko schwerer zu erkranken, nicht mehr ausreichend wieder hergestellt zu werden oder gar vorher zu sterben.
Solche Tatsachen sind eine Schande für ein reiches Land wie die Bundesrepublik Deutschland. Doch in der Diskussion um die Priorisierung geht es etwa nicht um die Beseitigung dieses untragbaren Zustandes. Sondern es geht darum, diesen Zustand als gegeben darzustellen und seine ökonomisch möglichst effektive Verwaltung zu verlangen.
Auf dem oben erwähnten Kongress forderte Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel: „Wir dürfen uns nicht scheuen, schlafende Hunde zu wecken“ und forderte eine offene Diskussion über Priorisierung statt der bisher verdeckt stattfindenden Priorisierung. Und zugleich meinte er: „Keinesfalls dürfen Entscheidungen zulasten psychisch Kranker getroffen werden.“ Doch das ist bei jeder Form von Priorisierung, ob offen oder verdeckt, ein frommer Wunsch.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe ist seit langem ein Verfechter einer Priorisierung. Er prangert demagogisch die derzeitige verdeckte Rationierung medizinischer Leistungen an, um die Einführung einer offenen Rationierung zu verlangen. Auf dem oben genannten Kongress der DGPPN verkündete er: „Es ist nicht mehr alles bezahlbar, und deshalb muss das Geld so gerecht wie möglich verteilt werden.“ Er fordert die Schaffung eines Gesundheitsrates, der festlegen soll, wo und wie Leistungen gekürzt werden soll.
Der so genannte Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der festlegt, welche Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen erbracht werden müssen, hat bereits eine Arbeitsgruppe „Versorgungsorientierung/Priorisierung“ eingerichtet. Der Vorsitzende des Ausschusses, Dr. Rainer Hess meinte, es sei eine „Strukturdebatte erforderlich“.
Die Diskussion um Rationierung medizinischer Leistungen wird bereits breit unter die Ärzte getragen, um diese auf ihre neue Rolle vorzubereiten. Sie sollen in Zukunft entscheiden, wer noch eine teure Behandlung erhalten soll und bei wem es sich nicht mehr lohnt, weil, wie Ärztepräsident Hoppe so harmlos klingend sagt, angeblich „nicht mehr alles bezahlbar“ ist. So werden bereits vor Ort Fortbildungsveranstaltungen und Vorträge für Ärzte angeboten. Ein Beispiel: Das Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart im April einen Vortrag von Prof. Dr. Dietrich Engelhardt über „Medizin zwischen Allokation und Ethik“ an. Allokation ist wieder ein nettes, wissenschaftlich klingendes Wort, mit dem die wahre Bedeutung verschleiert wird. Im Einladungstext heißt es dazu: „Allokation, ursprünglich ein Begriff aus der Wirtschaft, hat inzwischen auch Anwendung in der Medizin gefunden. Zu verstehen ist darunter die effiziente und gerechte Verteilung beschränkter Ressourcen“.
Es geht also um die offene Einführung ökonomischer Kosten-Nutzen-Rechnungen im Gesundheitswesen. Entscheidend soll nicht mehr sein, ob eine Heilung einer Krankheit möglich ist, sondern ob sie sich wirtschaftlich lohnt! Das ist der Hintergrund, wenn von „gerechter Verteilung“ sowohl von Ärztepräsident Hoppe als auch bei diesem Vortrag die Rede ist.
Worum es geht wird in einem Interview mit Gesundheitsminister Rösler, ebenfalls im Deutschen Ärzteblatt 3/2010, klar, indem er sich zwar scheinheilig gegen Priorisierung ausspricht, während gleichzeitig, wie er als zuständiger Minister sehr wohl weiß, die ersten Kommissionen dazu ihre Arbeit aufnehmen. Zugleich weist er aber darauf hin, „dass für Patienten mit einem kleinzelligen Bronchialkarzinom (Lungenkrebs, die Redaktion) – einer Krankheit, bei der alle wissen, wie es ausgeht (zumeist tödlich, die Redaktion) – am Lebensende 30.000 Euro ausgegeben werden.“
Es ist klar: Die herrschende Klasse möchte eine scheinheilige Diskussion über Leistungskürzungen. Dazu wird zuerst einmal so getan, als seien die Mittel knapp. Diese Diskussion um knappe Mittel gibt es bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr oder bei Hilfsaktionen für die Banken nicht. Doch wenn es um existentielle Dinge wie die Gesundheit der Menschen geht, dann gibt es auf einmal begrenzte Ressourcen. Nachdem die angeblich „knappen Mittel“ als „Tatsache“ hingestellt werden, fordert man eine „gerechte Verteilung“, was im Klartext bedeutet: Kürzungen bei Alten und Schwerkranken!
Real wird damit die Zweiklassenmedizin, die heute bereits existiert, vorangetrieben! Denn für Privatpatienten gibt es eine solche Diskussion um Rationierung nicht! Da gibt es alles!
Was jetzt schon in den Hinterzimmern der Herrschenden diskutiert wird, ist äußerst bedrohlich für die arbeitenden Menschen. Diese Pläne bedeuten einen früheren Tod für jeden, der ein hartes Arbeitsleben hinter sich hat und genau deswegen nicht privat zahlen kann. Und mit dem, was an der Arbeiterklasse gespart wird, kann der Bundeshaushalt „entlastet“ werden damit mehr Geld für die Banken oder für Steuersenkungen für die Reichen da ist.
Über diese Pläne muss die Öffentlichkeit breit informiert und dagegen der Widerstand organisiert werden!
dm