Mittlerweile wollen nach einer Umfrage des Rasumkow-Instituts 44% der Menschen in der Ukraine die Aufnahme von Verhandlungen mit Russland. 35% sind dagegen, viele unentschlossen. Dabei hatte Selenski ein Dekret erlassen, wonach Gespräche mit Russland verboten sind. Unter dem Druck der wachsenden Kriegsmüdigkeit machte er nun eine Kehrtwende und will, dass Russland an einem von ihm im November organisierten „Friedensgipfel“ dabei ist.
Das Ausmaß der Kriegsmüdigkeit zeigt sich auch darin, dass 46% Kriegsdienstverweigerung für keine Schande halten; nur 29% sind dagegen. Dabei ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine seit März 2022 ausgesetzt. Kriegsdienstverweigerer werden zwangsrekrutiert und bestraft.
Es zeichnet sich hier eine Entwicklung ab, wie sie auch in vielen imperialistischen Kriegen zu beobachten ist. Am Anfang sind viele durch nationale Hetze, Rassismus und die Hoffnung auf einen schnellen Sieg begeistert dabei. Doch im Krieg lernen die Menschen, dass es da nicht um Ehre und Ruhm, die stolze Nation oder andere Propagandaphrasen geht, sondern um Zerstörung und Mord. So ging es den USA im Vietnam-Krieg und im Irak-Krieg. Am Ende war die Armee zersetzt und keine Kampfkraft mehr. Die Menschen hatten die Schnauze voll von ihrem mörderischen Handwerk und wollten auch selbst nicht mehr sterben. „Soldaten sind Mörder“, sagte Kurt Tucholsky. So weit ist es in der Ukraine nicht, dass die Menschen so denken. Aber die Menschen zweifeln zunehmend am Sinn dieses Krieges und haben genug von Zerstörung und Töten. Das war unter anderem der Boden auf dem 1917 die russischen Soldaten dem Krieg ein Ende bereiteten, den Zaren stürzten und den Weg der Oktoberrevolution gingen. Das war ebenfalls der Boden, auf dem 1918 in Deutschland die Soldaten ihre Gewehre gegen die kaiserliche Staatsmacht richteten, die sie in den Krieg gehetzt hatte, und die Novemberrevolution durchführten.
Wann und wie die Menschen in Russland und in der Ukraine die Nase von ihren Herren, die sie in den Krieg hetzen, so voll haben, dass sie diese davon jagen und den Krieg beenden, können wir nicht vorhersagen. Aber wir sehen, die Stimmung kippt. Wir sind solidarisch mit den arbeitenden Menschen in Russland und der Ukraine, die gegen den Krieg ihrer Herren sind.