Tag der Währungsunion – 1. Juli 1990: Beginn der vollständigen Annexion der DDR

Tag der Währungsunion – 1. Juli 1990: Beginn der vollständigen Annexion der DDR

Mit der Währungsunion: „eröffne die D-Mark die Tür zum Paradies“ (DDR-Pressesprecher Gehler).

Pieroth (CDU): „Bald spricht man vom goldenen Osten“(1990).

Im Januar 1990 hat der sowjetische Ministerpräsident Ryschkow auf dem RGW-Treffen in Sofia erklärt, Moskau beende den gegen­seitigen Handel auf Basis des transferablen Rubels. „Damit war klar: Wir bekommen für unsere Schiffe und die Eisenbahn, die wir liefern, kein Öl mehr und müssen mit harter Währung, also D-Mark zahlen. Aber ob wir unsere Schiffe oder Eisenbahnen für D-Mark im Westen verkaufen können, ist offen.“ Damit seien die Strukturen des RGW, des „realsozialistischen“ Gegenstücks zur „Europäischen Gemeinschaft“ (EG), auseinandergerissen worden.

Mit der Einführung der DM am 1. Juli 1990 wurde die DDR-Wirtschaft schlagartig und ungeschützt der Konkurrenz des bundesdeutschen und des Welt­marktes ausgeliefert. Die Aus­wirkungen der Geldaufwertung waren katastrophal. Die auf Export orientierte Industrie eines ganzen Landes wurde hingerich­tet, im wahrsten Sinne des Wortes gevierteilt.

Für den Erlös eines Exports von einer DM in das Ausland, zu dem bisher auch die BRD ge­hörte, erhielt sie von einem Tag zum anderen bei gleichbleiben­den Kosten nur noch knapp ein Viertel, statt nach dem internen Verrechnungskurs 4,40 Mark der DDR, nur noch 1 DM.

Das war eine Rosskur, die kei­ne Wirtschaft aushält“, schätz­te Karl-Otto-Pöhl, ehemaliger Bundesbankpräsident, 1993 ein. Die Folge: die ostdeutsche Industrieproduktion stürzte im zweiten Halbjahr 1990 im Ver­gleich zu 1989 auf 50,3% und 1991 schließlich auf knapp über 30%. Einen solchen Rückgang hat es in der deutschen Wirt­schaftsgeschichte nicht einmal in Kriegszeiten, ganz zu schwei­gen von Friedensperioden, ge­geben. Wie zum Hohn wurde das Ganze noch mit dem Etikett „Aufschwung Ost“ versehen. Der tiefgreifende radikale Um­bau fast aller wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sozialpoliti­schen und rechtlich-administra­tiven Strukturen folgte Entwick­lungszielen, die vom Westen vorgegeben wurden. Unter de­magogischen Losungen wie der schnellstmöglichen „Anglei­chung der Lebensverhältnisse“ wurde im Wesentlichen die voll­ständige Wiedererrichtung des Kapitalismus betrieben.

Denkwürdig bleiben die Worte Helmut Kohls vom 21. Juni 1990: „Nur die rasche Verwirklichung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bietet die Chance, dass Mecklenburg/Vorpommern, Sachsen/Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen bald wieder blühende Landschaften sein werden… Den Deutschen in der DDR kann ich sagen…: Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor – dafür vielen besser… Für die Deutschen in der Bundesrepublik gilt: Keiner wird wegen der Vereinigung auf etwas verzichten müssen.“ (Texte zur Deutschlandpolitik, Reihe III/Bd. 8a, Bundes Verlag, Bonn 1991)

Das Ergebnis der mit der Privatisierung hergestellten Eigentumsverhältnisse in Ostdeutsch­land war:

  1. 85% der ostdeutschen Ver­mögenswerte (Fabriken, Häuser und Boden) gehörten inzwischen Westdeutschen.

  2. Nur 5% der von der Treu­handanstalt privatisierten Betriebe gingen an Ostdeut­sche, 10% an Ausländer (vor allem US-Firmen und west­europäische Unternehmen) und 85% an Westdeutsche.

  3. Damit nahm Ostdeutschland als europäische Region den letzten Platz in einer Ran­gliste der EU ein. Selbst in den „klassischen“ Abhän­gigkeitsregionen Basken­land und Nordirland ist der Anteil einheimischer Besit­zer und Eigentümer höher.

  4. Bei 87% der im Osten ansäs­sigen Aktiengesellschaften hat ein Westdeutscher den Vorsitz.

Eine historisch beispiellose Um­verteilung der Immobilien und Sachwerte verwandelte Ost­deutschland in wenigen Jahren in ein abhängiges Land, in dem alle wesentlichen ökonomischen und politischen Entscheidungen von der herrschenden Klasse der BRD getroffen wurden.

Roll back Kapital

Mit der Währungsumstellung zum Kurs 1:2 ohne flankierendes Rahmenprogramm wurde die DDR-Wirtschaft einem Wett­bewerbsschock ausgesetzt, der zwangsläufig zu Konkursen der Betriebe führen musste. Durch den massiven Aufwertungsef­fekt der Währung halbierten sich die Exporterlöse schlagartig, die Lohnkosten und Materialkos­ten jedoch blieben stabil. Fast alle Betriebe mussten also in Zahlungsschwierigkeiten kom­men. Rainer Maria Golke, erster Präsident der Treuhandanstalt (THA), erklärte später vor dem THA-Untersuchungsausschuss des Bundestages: „… Tatsache ist, dass im Grund genommen in dem Augenblick, wo die Wäh­rungsunion kam, kein Unter­nehmen mehr wettbewerbsfähig war.“

Der politische Wille, die „deut­sche Einheit“ zu vollziehen, ohne dabei die gesellschaftli­chen Muster der BRD in Frage zu stellen, ließ sich nur in der weitgehenden Zerschlagung und Denunziation der gesellschaftli­chen und ökonomischen Struk­turen der DDR verwirklichen. In diesem Sinne war die Privatisie­rungsarbeit der Treuhandanstalt konsequent. So lautet der erste Satz ihres Auftrags: „Das volks­eigene Vermögen ist zu privati­sieren.“

Um die DDR-Wirtschaft zu zer­schlagen, musste aber auch eine Atmosphäre geschaffen werden, die dies zumindest duldet. Die gesamte Wirtschaft wurde kurz­um als „marode“ bezeichnet, alles war nur noch „Misswirt­schaft“. Die elektronischen Me­dien, die Zeitungen, Illustrierten, die gesamte Meinungsmacherin­dustrie berichteten nur noch von tatsächlichen Missständen oder erfanden neue. Gleichzeitig wur­de an die Aufbruchstimmung der DDR-BürgerInnen angeknüpft. Illusionen, die bereits unter der SED-Herrschaft viele Millionen Menschen über den Kapitalis­mus in der BRD hatten, wurden systematisch weiter geschürt: „Es gibt keine Alternative“ und „da müssen wir durch, dann wird es besser“.

Polit-Demago­gen logen, dass sich die Balken bogen: „Aber niemandem wird es schlechter gehen als bisher. Im Gegenteil“ (Kohl). Und: „er­öffne die D-Mark die Tür zum Paradies“ (DDR-Pressespre­cher Gehler zur Währungsunion 1. Juli 1990). Pieroth (CDU): „Bald spricht man vom golde­nen Osten.“ (1990). Die bewusst verbreiteten Lügen vom „Auf­schwung Ost“ gehörten zum Instrumentarium, die Bürger im Osten ruhig zu stellen. Ein Jahr nach der Währungsunion, als de­ren verheerende Wirkung sicht­bar wurde, spann der Minister­präsident von Sachsen-Anhalt, Gies (CDU): „1994 haben wir in Sachsen-Anhalt Vollbeschäfti­gung“ (Magdeburger Volksstim­me, 29.6.91).

Die Treuhand

Die Zerschlagung der wirtschaft­lichen, politischen und instituti­onellen Strukturen der DDR war für die westdeutschen Eliten die wesentliche Voraussetzung, um den eigenen Machtapparat, die eigene Wirtschaftsordnung zu installieren. Die zentralen Punk­te dieser Bemächtigung waren die Eigentumsfrage, der Verwal­tungstransfer und die damit ver­bundene Besetzung aller wesent­licher Entscheidungspositionen durch westdeutsche Beamte und Manager.

Die Bilanz der Treuhand bis zu ihrer Auflösung am 31.12 1993 war eindeutig:

13.643 Unter­nehmen und Unternehmenstei­le,

18.813 ha Liegenschaften,

34.704 ha landwirtschaftliche Nutzfläche

2.155 ha forst­wirtschaftliche Nutzfläche wur­den privatisiert.

Das heißt: in nicht einmal 4 Jahren vollzog sich ein umfassender roll-back der Eigentumsverhältnisse in Ostdeutschland – über 90% der volkseigenen Betriebe wurden an private Besitzer übereig­net oder in die Liquidation ge­schickt. Entscheidend für diese schnelle Privatisierung war die Zerstückelung der Kombinate. Nur auf dieser Grundlage konn­ten modern ausgestattete und rentable Betriebsteile als Filet­stücke an westdeutsche Unter­nehmen übergeben werden. Nur so konnte für „unwirtschaftli­che“ Bereiche eine Gesamtvoll­streckung eingeleitet werden. Folge des Privatisierungskurses war die nachhaltige Zerschla­gung des industriellen Rückgrats der ostdeutschen Wirtschaft.

Die Treuhandarbeit zielte ganz bewusst auf die Vernichtung der industriellen Basis in Ost­deutschland. Die Wirtschaftsin­tegration war politisch und nicht ökonomisch motiviert, die Pri­vatisierung war für die ostdeut­sche Wirtschaft eine „Therapie auf dem elektrischen Stuhl“, die vor allem das Interesse der west­deutschen Eliten nach Marktbe­reinigung und Abschirmung der BRD vor vereinigungsbedingten Veränderungsimpulsen wider­spiegelt. Machtpolitisch zielte die Arbeit der Treuhand auf die Unterordnung der ostdeutschen Bevölkerung unter das Gesell­schaftsmodell der BRD und die rasche Beseitigung von allen Strukturen und Spuren der DDR auf wirtschaftlichem Gebiet. Birgit Breuels (ehemalige Präsi­dentin der Treuhand) Aussage ist erstaunlich offen: „Die Treuhand lebt in einer gewissen Distanz zur Politik… Die Treuhand ist nach meiner Einschätzung auch ausdrücklich gegründet worden, um diese Distanz zu ermögli­chen. Keine Regierung der Welt hätte so schnell so viele, auch schwierige und bittere Entschei­dungen treffen können“.

Die Treuhandanstalt war also im Kern – zumindest was die ökono­mische Entwicklung anbelangt – eine Schattenregierung, die eine Deregulierung der ökonomi­schen Beziehungen vollzog. Die wesentlichen Akteure der Trans­formation agierten außerhalb der sonst üblichen demokratischen Prozesse, so dass der ökono­mische Umbau Ostdeutschland von einer Quasi-Diktatur durch­gesetzt wurde. Unter dem Druck des politischen Projekts „Deut­sche Einheit“ verzichtete die ka­pitalistische Herrschaft der BRD auf die sonst sorgsam gepflegte parlamentarisch-demokratische Maske.

Die Bilanz eines Raub­zuges: Wie die Treuhand den Osten verkaufte

Februar 1990: In Ostberlin be­schäftigen sich selbsternannte Bürgerrechtler mit der Frage, wem das sogenannte Volksei­gentum einmal gehören soll. Ihr Vorschlag: „Umgehende Bil­dung einer Treuhandanstalt zur Wahrung der Anteilsrechte der DDR-Bürger am Volkseigentum der DDR.“ Die Menschen sollen etwas von dem zurückbekom­men, was sie in 40 Jahren erar­beitet haben. Jeder Bürger soll einen Anteilschein erhalten, der ihn zu einem Eigentümer „von einem Sechzehnmillionstel des DDR-Vermögens“ macht. Doch es kommt ganz anders.

Die Treuhand verscherbelt in­nerhalb von vier Jahren rund 50.000 Immobilien, fast 10.000 Firmen und mehr als 25.000 Kleinbetriebe zu Spottpreisen. Ganze Industriezweige brechen zusammen, fehlende Kontroll­mechanismen führten zu diver­sen Formen von Wirtschaftskri­minalität. Als 1994 der Auftrag der Treuhand endet, bleibt für den Staat ein Schuldenberg von rund 250 Milliarden D-Mark. Von den ehemals sechs Millio­nen Werktätigen verlieren rund 2,5 Millionen ihre Stelle.