Anfang Juni findet zum zehnten Mal die Wahl zum Europäische Parlament statt. Viel wird in diesen Tagen in der bürgerlichen Presse über die Wichtigkeit der Wahl geschrieben und über die Notwendigkeit, den Völkern Europas vor Augen zu führen, dass sie ohne EU schlechter dran wären als mit. Vermeintliche europäische Demokratie hier, vermeintlicher Kampf gegen den Rechtsruck in den Staaten der EU dort. Hinter den Kulissen des politischen Theaters in Brüssel, werden bereits seit Jahren Vorbereitungen getroffen, die EU als imperialistischen Akteur zu stärken. Wohlgemerkt nicht erst seit dem Ukraine-Krieg. Doch haben die langwierigen strategischen Bemühungen insbesondere in den letzten Jahren schlagartig zugenommen. Ob eine gemeinsame Rüstungspolitik, der Ausbau einer EU-weiten Chip-Strategie oder die Absicherung von infrastrukturellen Projekte gegenüber den Konkurrenten in Peking und Washington. Die EU stellt sich neu auf. Und das ist kein Zufall.
Seit dem Ukraine-Krieg haben sich die Bemühungen in der EU, eine gemeinsame Rüstungs- und Verteidigungspolitik in Form von Programmen und Fonds zu forcieren, vervielfacht. Zu nennen ist hierbei die Ausweitung der technologischen und industriellen Basis der europäischen Verteidigung (EDTIB). Die EDITB ist eine bereits seit 2007 bestehende Strategie der Zusammenlegung der militärisch-industriellen Komplexe der Mitgliedstaaten, um insbesondere die Rüstungsbeschaffung und entsprechende Lieferketten besser zu koordinieren. Auch wenn diese Strategie anfänglich scheiterte, gewann sie in den Folgejahren wieder an Bedeutung.
Für Frankreich und Deutschland scheint es immer notwendiger zu werden, die Gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik (GVSP) auszubauen. Macron spricht bereits von einer „Kriegswirtschaft“, welche die Wirtschaft Frankreichs werden müsse. Und auch Habeck versammelt Rüstungsindustrie und andere Vertreter der deutschen Wirtschaft hinter verschlossenen Ministeriumstüren, um ein ähnliches Ziel für Deutschland zu erreichen. Die Auseinandersetzung zwischen Washington, Moskau und Peking ruft die EU auf den Plan mehr für die „eigene Verteidigung“ zu tun. Die Signale verstärken sich auch von der anderen Seite des Atlantiks aus, zu versuchen, die Aufteilung der Finanzierungslasten für die NATO neu zu ordnen.
In der GVSP stellt die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) ein entscheidendes Feld dar. Denn in den Projekten der PESCO werden die strategischen Ziele in Form von konkreten Projekten realisiert. Als aktuelles Beispiel ist die sogenannte Military Mobility zu nennen, die unter anderem die militärische Logistik vereinfachen und beschleunigen soll. Berlin unterzeichnete erst kürzlich gemeinsam mit Amsterdam und Warschau in diesem Zusammenhang eine Absichtserklärung, um einen „Musterkorridor für grenzüberschreitende Truppenbewegungen von Westen nach Osten“ einzurichten, wie die Bundeswehr mitteilte. Die Kriegsvorbereitungen nehmen somit immer mehr Form an, auch wenn sie noch am Anfang sind.
Die militärische Mobilmachung und die Möglichkeiten ihrer Umsetzung, von der Planung über die Produktion bis hin zur Anwendung, erfordern den Zugriff auf Hochtechnologie. Seit einigen Jahren steht die Halbleitertechnologie im Fokus. Die entsprechenden Halbleiter-Chips stellen das Rückgrat der industriellen, aber auch militärischen Produktion dar. Nicht zufällig verabschiedete Washington 2022 den CHIPS and Science Act, um mittels 50 Milliarden US-Dollar die Finanzierung und Ausgestaltung der Halbleiterindustrie voranzutreiben. Die Initiative der Herrschenden in Washington ist im Rahmen des sogenannten „Chip-Kriegs“ zu betrachten. Hierbei geht es nicht zuletzt darum, den Zugriff auf besagte Hochtechnologie zu sichern und etwaige Konkurrenten auszustechen. Der „Chip-Krieg“ als spezieller und entscheidender Teil des globalen Handelskrieges, der von Washington losgetreten wurde, richtet sich in erster Linie gegen Peking. China versucht in der Halbleiterindustrie enorme Sprünge hinzulegen, indem die Produktion direkt vor Ort angekurbelt werden soll. Bisher bleibt Peking der größte Importeur von Halbleitertechnologie und steht damit in großer technologischer Abhängigkeit zu den übrigen imperialistischen Konkurrenten, namentlich Washington und Brüssel.
In diesem Fahrwasser imperialistischer Konkurrenz schwimmt natürlich auch die EU mit. Mit einer eigenen gesetzlichen Initiative, des sogenannten Europäischen Chip-Gesetzes, soll die „Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz“ in der Halbleiterindustrie gewahrt und ausgebaut werden. Von bisher unter zehn Prozent Marktanteil, soll der EU-Anteil am Halbleitermarkt auf bis zu 20 Prozent ansteigen. Insbesondere Berlin und Paris als Kernländer ihres imperialistischen Bündnisses stellen sich neu auf und mobilisieren ungeheure Subventionen für den Bau von Halbleiterfabriken. Die geplante „Smart Power Fab“ in Sachsen stellt die zunehmende Bedeutung Deutschlands als Halbleiterproduzent dar.
Die zwischenimperialistische Konkurrenz drängt die imperialistischen Mächte innerhalb der EU dazu, die eigenen globalen Tentakeln zu erweitern und auszubreiten. Das beinhaltet nicht zuletzt den Zugang zu Rohstoffen, seltenen Erden und Metallen, aber auch die zunehmende Kontrolle von Produktions- und Lieferketten. Mit der Infrastruktur-Initiative Global Gateway reagiert die EU auf die bereits seit elf Jahren existierende Neue Seidenstraße Pekings und das von Washington ins Leben gerufene Build Back Better World. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die imperialistischen Bestrebungen mittels Global Gateway realisiert werden können. Fakt ist, dass in den abhängigen und armen Regionen der Welt der Grad an Abhängigkeit und Ausbeutung wachsen wird. Als „Partnerschaft auf Augenhöhe“ gepriesen, ist die knappe Mehrheit der Projekte von Global Gateway auf den afrikanischen Kontinent und die Ausbeutung seiner Rohstoffquellen angelegt. Das prominenteste Beispiel stellt die Schaffung des Lobito-Korridors dar, der mittels einer Eisenbahnlinie Zugang zu den Kobalt- und Kupferminen schaffen soll. Für Deutschland speziell ist jedoch auch der Zugang und die Produktion von grünem Wasserstoff von Relevanz.
Die EU als imperialistisches Zweckbündnis und mit ihr die imperialistische Hauptakteure Paris und Berlin befinden sich in einem verschärften Konkurrenzkampf um den Zugang zu kritischen Ressourcen und Rohstoffen, um die Produktion und Verfügungsgewalt über hochtechnologische Bereiche wie der Halbleiterindustrie und um den militärischen Aufrüstungswettbewerb, der diesem Kampf entspricht. Dabei darf man sich keine Illusionen machen, dass die EU mit ihrer vermeintlichen Demokratie eine bessere Herrscherin der Welt sein würde als die übrigen Räuber.