Gesundheitsreform?
Wettbewerbsstärkungsgesetz! Freie Bahn für Medizinkonzerne!
Vorstandschefs des Rhönklinikums Wolfgang
Pföhler: „Erstmals können wir die industrielle Produktionstechnik in
Deutschland in einem Uni-Klinikum umsetzen“.
Ärztestreiks, Honorarreform, Beitragserhöhung,
Leistungskürzungen, Zusatzbeitrag, Fallpauschale… die Gesundheitsreform, die
Anfang 2009 in Kraft trat, ist heftig umkämpft und in der öffentlichen
Diskussion. Sie ist jedoch nur ein weiterer Schritt in einer langen Kette von „Reformen“,
die den lukrativen Gesundheitsmarkt stärker für Großkonzerne öffnen sollen.
Nach der offiziellen Propaganda der Bundesregierung ist die
Gesundheitsreform ein voller Erfolg. Laut Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD)
macht sie „soziale und gesellschaftliche
Teilhabe möglich, (ist) Garant des sozialen Friedens und stütz(t) die
Binnennachfrage unserer Volkswirtschaft…“
Das von Ulla Schmidt (SPD) geführte Gesundheitsministerium preist
an: „Mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen
bringt vor allem mehr Bedarfsgerechtigkeit, eine bessere Qualität, mehr
Effizienz, geringere Kosten sowie weniger Bürokratie.“
Dieses hohe Lied auf den kapitalistischen Markt, auf
Privatisierung kennen wir von der Post und der Bahn zur Genüge. Die Ergebnisse
sind ebenso bekannt: Massenentlassungen, Rationalisierung, Einsparungen bei der
Sicherheit (wie z.B. jetzt bei der Bahn im Bereich Fahrzeugkontrollen, bei den
Achsen usw. – in Berlin mussten massenweise S-Bahn-Züge als unsicher aus dem
Verkehr gezogen werden.), Abbau bei der Versorgung, schlechter Service,
Preiserhöhungen bei schlechterer Leistung. Erstes Ziel ist dann immer die
„Börsenfähigkeit“.
Angeblich können sich also sowohl die Beschäftigten im
Gesundheitswesen wie auch die Patienten glücklich schätzen, dass sie nun Schritt
für Schritt auch in so einem tollen System leben dürfen.
Die Realität sieht anders aus. Mit der Gesundheitsreform
wird vor allem die Privatisierung des Gesundheitswesens vorangetrieben und wurden
kapitalistische Marktgesetze stärker zur Geltung gebracht als bisher. Nicht
umsonst hat das Gesetz zur Gesundheitsreform den offiziellen Titel
„Wettbewerbsstärkungsgesetz“ – also mehr Markt. Darauf ist die Bundesregierung
stolz! So können nun Krankenkassen Einzelverträge mit Arzneimittelherstellern
wie auch mit Arztgruppen abschließen. Je billiger der Anbieter, umso eher
erhält er einen Vertrag mit Krankenkassen. Der Konkurrenz nach unten sind keine
Grenzen gesetzt. Geiz ist geil – auch in der Medizin! Damit wird der Druck auf
Arztpraxen, möglichst rationell und kostengünstig zu arbeiten, in den nächsten
Jahren allmählich erhöht werden. Zunehmend wird, wie bereits in Krankenhäusern mit
der Fallpauschale geschehen, eine Quartalspauschale auch an Praxen gezahlt.
Dadurch werden Ärzte ökonomisch gezwungen, Patienten noch schneller und im
Blick auf wirtschaftliche Zwänge zu behandeln. Die Einzelverträge von
Krankenkassen mit Pharmakonzernen verschaffen einzelnen Großkonzernen eine
Monopolstellung und setzen die Ärzte unter Druck, für Patienten nur noch
Medikamente dieses Konzerns zu verschreiben.
Die gleichzeitig durchgeführte Honorarreform hat zu Verschiebungen zwischen einzelnen
Arztgruppen geführt. Gut verdienen kann nun ein Arzt, der seine Patienten schnell
abfertigt und so möglichst viele Pauschalen kassiert. Ärzte die gründlich
arbeiten und sich Zeit lassen, verlieren dabei. Einzelne kleine Praxen geraten
in existentielle Not. Das ist gewollt. Denn auch Arztpraxen sollen zukünftig
Teil eines profitabel durchorganisierten kapitalistischen Gesundheitsmarktes
werden. Deshalb wurde die Möglichkeit geschaffen, dass sich so genannte
Medizinische Versorgungszentren (MVZ) bilden und ein Arzt mehrere Zulassungen
erwirbt und andere Ärzte anstellt. Die grundsätzlich gute Idee der
Medizinischen Versorgungszentren, die Zusammenarbeit verschiedener Arztgruppen,
die rationelle Ausnutzung von teuren medizinischen Geräten wird hier
kapitalistisch pervertiert. Obwohl sie geringere Kosten haben, erhalten
Medizinische Versorgungszentren mehr Geld als einzelne Arztpraxen, damit sie
schneller wachsen und profitabler wirtschaften können. Denn hinter den MVZ
stehen große Kapitalgruppen, die den Gesundheitsmarkt aufrollen und ihren
Profitinteressen unterordnen wollen. Wie schon bei der Privatisierung von
Krankenhäusern und Reha-Kliniken wollen sich diese einen möglichst großen und
einträglichen Teil des Milliardenkuchens einverleiben. Arztpraxen erhalten
heute fast monatlich „verlockende“ Angebote, ihre Praxis und Zulassung an „private
Investoren“ zu verkaufen, die damit langfristig große Praxenketten aufbauen
wollen.
Der private Klinikmarkt wird mittlerweile von vier großen
Konzernen beherrscht: die Rhön-Klinikum AG (31.800 Beschäftigte), die
Fresenius-Helios Gruppe (30.000), die Asklepios Kliniken (28.200) sowie die
Sana Kliniken AG (14.500). Hamburg hat
2005 gleich sechs Kliniken mit 11.000 Beschäftigten der Asklepios GmbH verkauft
und damit die Einwohner einer Großstadt und ihres Einzugsgebietes in
Abhängigkeit von den Profitinteressen eines Medizin-Großkonzerns gebracht.
Hessen folgte 2006 mit dem Verkauf des Universitäts-Klinikums in Hessen für 112 Mill. € (Verkehrswert der Kliniken: 500 – 700 Mill. €). Die
vorher erst fusionierten Häuser in Gießen und Marburg gehören seitdem der Rhön
Klinikum AG. Deren Vorstandschef Pföhler strebt – wie bereits oben erwähnt – „industrielle
Produktionstechnik“ für seine Kliniken an. Über die Folgen der Privatisierung
in Hessen informiert eine Internetseite http://www.pro-patient-mittelhessen.de,
auf der unter anderem Patienten ihre Erfahrungen mit der schönen neuen
hessischen Privatklinikwelt schildern.
In Deutschland ist der Anteil von Privatkliniken angesichts
der Gesundheitspolitik von SPD/CDU/CSU mit 14,1% höher als in den USA. Der
Anteil öffentlicher Krankenhäuser ist mittlerweile unter 50% gefallen.
Übrigens ist der SPD-„Gesundheitsexperte“ Dr. Karl
Lauterbach, der bereits in der Rürup-Kommission an der Ausarbeitung von Hartz
IV und ähnlichen „Wohltaten“ mitgewirkt hat, Mitglied im größten Klinikkonzern,
der Rhön-Kliniken AG, die sich nun auch massiv daran macht, Arztpraxen
aufzukaufen, um damit große MVZ und eine Gesundheitskette aufzubauen.
Lauterbach „berät“ Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Man kann sich schon
denken, für wessen „Gesundheit“ er sich da einsetzt – für die „Gesundheit“ der
Aktien der Rhön-Kliniken AG. So wie sich ja auch Ulla Schmidt ihren Dienstwagen
durch Europa bringen lässt, um ihre Gesundheit und ihre Nerven beim
Spanienurlaub zu schonen. Hier zeigt sich auch deutlich, wie eng Kapital und
Politik in unserer Kapitalokratie verschmolzen sind und wie eindeutig sich die
SPD trotz aller sozialen Propaganda zu einem Vertretungsorgan der Großkonzerne
entwickelt hat. Dr. Lauterbach ist nebenher auch Mitglied von ver.di, obwohl er
eindeutig auf die Kapitalseite gehört. Das zeigt, wie die Gewerkschaften von
Freunden des Kapitals unterwandert sind.
Verdi-Experte Niko Stumpfögger: „Wer heute Krankenhäuser verkauft, weiß nicht mehr, wem sie morgen
gehören“. Das gilt natürlich ebenso für Arztpraxen. Er verweist auf
die Gefahr, dass Investorengruppen in Zukunft Kliniken genauso wie Kaufhäuser
(siehe Karstadt-Quelle) oder Produktionsbetriebe (siehe Opel usw.) aufkaufen,
Monopole bilden, diese ausschlachten und verwerten können, um Profite zu
machen. Das Gesundheitswesen wird damit mehr als bisher zur Ware auf dem
kapitalistischen Markt.
Damit das auch klappt, werden öffentliche Kliniken seit
Jahren wie z.B. in Baden-Württemberg unterfinanziert. Durch das jetzt in
Eintracht von CDU/CSU/SPD verabschiedete Haushaltskonsilidierungsgesetz werden
Länder und Kommunen in den kommenden Jahren immer mehr gezwungen, öffentliche
Einrichtungen wie Kliniken zu privatisieren, weil sie dann immer weniger Geld
für Soziales haben. Das Geld wurde ja in Milliardenbündeln den Banken in den
Rachen geworfen – und nun muss „gespart“ werden – bei Bildung, Renten,
Arbeitslosen, Pflege, Gesundheit.
Die Großkonzerne freuen sich bereits, weil sie dann bei den
Ländern und Kommunen, die am Rande der Pleite stehen, billige Schnäppchenkäufe
machen können und so ihren Marktanteil und ihre Macht auf dem Gesundheitsmarkt
weiter ausbauen können.
Wie stehen die Ärzte
zu der Marktöffnung im Gesundheitswesen?
In den letzten Monaten gab es viele, teilweise radikale
Protestaktionen von Ärzten wie Praxisschließungen, Streiks. Es ist
offensichtlich, dass inzwischen viele Ärzte von der Entwicklung im
Gesundheitswesen bedroht sind. Vor allem die selbständigen Praxen merken den heftigen
Gegenwind. Ihre Existenz wird angesichts ständig neuer Reformen und Öffnung des
Marktes immer unsicherer.
Doch leider verteidigt die große Mehrheit der Ärzte ihre
ständischen Interessen mit einer rückwärts gewandten Politik. Sie wollen ihr
Privateigentum gegen die Enteignung durch die Großkonzerne verteidigen. Viele
von ihnen suchen dazu ihr Heil in mehr Markt und Konkurrenz und graben sich
somit ihr eigenes Grab. Statt die großen Konzerne, die zum Sturm auf den
Gesundheitssektor ansetzen, wirksam zu bekämpfen, wird diesen so Tür und Tor
geöffnet. Und da die Konzerne eine größere Marktmacht besitzen, ist bereits
jetzt absehbar, wer diesen Kampf gewinnen wird.
Einige Beispiele:
MEDI,
ein großer Verbund von Ärzten und Psychotherapeuten kämpft schon seit langem
für mehr Markt und mobilisiert damit tausende Ärzte zu Protestaktionen.
Wichtigstes Ziel von MEDI: „Der Wettbewerb wird es richten.“ (aus einem
Rundschreiben von MEDI-Vorsitzendem Dr. Baumgärtner vom 31.7.09, in dem er zu
einer erneuten Protestaktion am 15.9.09 aufruft. In einem Schreiben vom 20.5.09
an Haus- und Fachärzte meint MEDI, dass in den nächsten Jahren die
Privatzahlungen der Patienten deutlich zunehmen müssen: „Diese Einnahmen werden
in den nächsten Jahren in allen Praxen zunehmen, sonst haben Sie etwas falsch
gemacht.“ MEDI fordert mehr Konkurrenz durch Einzelverträge zwischen
Arztgruppen und Krankenkassen. MEDI-Vorsitzender Dr. Baumgärtner meinte im
Interview mit der Stuttgarter Zeitung vom 7.4.08 bereits, „dass die Medizin in
den kommenden Jahren immer mehr kann und die Frage sein wird, wie viel
individuell und wie viel solidarisch finanziert wird.“ Er steht also für mehr
„Eigenverantwortung“, wie das beschönigend von FDP, CDU/CSU, SPD und
Unternehmern genannt wird. Im Klartext: Du sollst mehr zahlen.
In
das gleiche Horn stößt der Bundesverband der ärztlichen Genossenschaften. In
der Zeitschrift „im dialog“ des Gesundheitsnetzes Süd, das zu diesem
Bundesverband gehört, vom März 2008 wird z. B. auf S.7 eine reine Privatpraxis
als Modell propagiert. Auf S.14 spricht der Bundesvorsitzende für „den Ausstieg
aus dem GKV-System“.
Auf
dem 112. Ärztetag hat Ärztekammerpräsident Hoppe sich für eine „Priorisierung“
ärztlicher Leistungen ausgesprochen. Dieses Wortungetüm soll den schrecklichen
Inhalt verbergen: nämlich die Selektion (Auswahl) von Kranken. Hoppe will
nämlich eine Rationierung medizinischer Leistungen. Mitglieder der gesetzlichen
Krankenkassen sollen nur noch Grundleistungen erhalten. Wer mehr will, soll
dafür zahlen. Patienten werden bei der „Priorisierung“ in Rangreihen
aufgeteilt. Bei wem lohnt sich ein Eingriff noch? Wer ist zu teuer? Hoppe
wendet sich gegen „das unbegrenzte Leistungsversprechen“. „Priorisierung“
bedeutet im Endeffekt nichts anderes als eine Auswahl nach dem Geldbeutel. Denn,
wer Geld hat, kann auch weiterhin alle teuren medizinischen Eingriffe an sich
vornehmen lassen. Wer kein Geld hat und auf die Leistungen der gesetzlichen
Krankenkassen angewiesen ist, kann nur hoffen, dass sich die Behandlung bei ihm
nach der „Priorisierung“ noch lohnt. Ein moralischer Unterschied zur Selektion
der Nazis besteht da bereits nicht mehr. Nur dass die Menschen, bei denen es
nicht mehr lohnt, nicht offen umgebracht werden, sondern „nur“ durch die
ökonomische Verweigerung medizinischer Leistungen früher sterben müssen.
Viele
Ärzte hoffen, auf dem Weg der Privatisierung, des Marktes ihre Praxen über
Wasser halten zu können. Doch das ist eine Illusion im Kapitalismus! Das
Kapital freut sich über die „nützlichen Idioten“, die ihm Tore für mehr Markt
öffnen. Auf diesem Wege werden zahllose Ärzte am Ende zu spüren bekommen, wie
sie durch die großen Konzerne enteignet und schrittweise zu „Arbeitern“ in
einer industrialisierten Medizin gemacht werden.
Was
dieser Weg für die Patienten bedeutet, kann jeder bereits im Bereich der
Zahnmedizin und der Augenoptik sehen. Dort wurde schon vor längerer Zeit
„priorisiert“. Krankenkassen zahlen in der Regel keine Brillen mehr. Nur noch
bei sehr schwerwiegenden Defekten werden Minimalkosten übernommen. Alles andere
muss teuer privat gezahlt werden. Wer kein Geld hat, muss entweder auf
Sehhilfen ganz verzichten oder auf das primitivste Modell zurückgreifen. Aldi,
LIDL und andere bieten so genannte „Sehhilfen“ an. Das ist zwar optischer
Schrott und bei ernsthaften Augenerkrankungen kann es sogar schädlich sein,
aber es ist billig und man kann sogar
noch dran verdienen. Im Bereich der Zahnmedizin übernehmen die Krankenkassen
nur noch eine Minimalversorgung. Am Ende der Kette stehen das Ziehen der Zähne
und ein zahnloser Mund. Zahnersatz und Zahnprothesen sind teuer. Die Kassen
zahlen nur noch einen kleinen Zuschuss. Eine Zahnkrone kostet gern mal 600-1000
Euro und die Kasse gibt 150 Euro dazu. Der Rest muss privat aufgebracht werden.
Die Sanierung eines gesamten Gebisses kann gut und gern mal auf 30-40.000 Euro
kommen. Viele Zahnärzte bieten schon Ratenzahlung an. Aber selbst dann gibt es
zahllose Menschen, die sich eine solche Behandlung nicht leisten können. Die
Zahl der Menschen, die mit Zahnlücken herumlaufen nimmt rasant zu.
Das
ist die „Eigenverantwortung“, die gemeint ist.
Immer mehr Menschen haben Angst um ihre
Gesundheit in diesem System
Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes
Allensbach im Auftrag des
Finanzdienstleisters MLP und der Deutschen Ärzteschaft, die austesten wollten,
wie viel Geld man den Menschen aus der Tasche ziehen kann, hatte für diese Fans
der Marktwirtschaft katastrophale Ergebnisse:
72% gehen davon aus, dass es immer mehr zu einer
Zwei-Klassen-Medizin kommt.
67% erwarten, dass die Ärzte sich immer weniger Zeit für die
Patienten nehmen.
63% befürchten, dass die Krankenkassen nur noch eine
Grundversorgung übernehmen.
63% denken, dass sie in Zukunft, Kosten für Arztbesuche,
Operationen usw. selbst zahlen müssen.
Und eine große Mehrheit geht davon aus, dass eine solche
Schmalspurmedizin dazu noch teurer werden wird:
80% erwarten steigende Krankenkassenbeiträge.
78% sehen höhere Zuzahlungen beispielsweise für Medikamente
auf sich zukommen.
Die Menschen schätzen also sehr realistisch ein, was das
Kapital und sein Staat ihnen in den kommenden Jahren zumuten wollen.
Leider ist den Menschen nicht so klar, wie die Fronten in
dem Grabenkampf der Macht- und Interessengruppen im Kampf um ihr Geld (denn bei
den Versicherungsbeiträgen und den inzwischen beträchtlichen Zuzahlungen
handelt es sich um ihr Geld) verlaufen. So haben hunderttausende
Protest-Aufrufe von MEDI unterschrieben, ohne dabei zu ahnen, dass gerade MEDI
mehr Markt und eine Grundversorgung, also Begrenzung medizinischer Leistungen
auf ein Minimum vorantreiben möchte. Auf den Protest-Aufrufen von MEDI stand
allerdings auch nichts von diesen Zielen. Den Patienten wurde vorgegaukelt,
dass es um ihre Gesundheit und nicht um die Gesundheit der Geldbeutel von MEDI ging.
Schwer zu durchschauen ist auch für viele die dunkle Rolle
der SPD. Viele sehen zwar die scheinbar chaotische Politik von Ulla Schmidt und
lehnen diese ab, merken aber nicht, dass dahinter große Medizinkonzerne wie die
Rhön-Kliniken AG stehen, die das derzeitige Gesundheitswesen zerschlagen
wollen, um dann auf den Trümmern eine „Neuordnung“ angeblich „im Interesse der
Patienten“ einzufordern, in Wirklichkeit aber um sich ein größeres Stück vom
Milliardenkuchen Gesundheitsmarkt einzuverleiben. Zudem wirft sich die SPD noch
in die Pose eines Kämpfers gegen die Pharmakonzerne, die die Medikamentenpreise
durch Konkurrenz senkt – natürlich wieder nur „im Interesse der Patienten“.
Verschwiegen wird dabei, dass es sich um einen Machtkampf zwischen
verschiedenen Kapitalgruppen handelt. Denn die großen Versicherungsmonopole,
die inzwischen auch den Markt der gesetzlichen Krankenkassen erobern (wie z.B.
die Allianz, die die Ersatzkasse KKH geschluckt hat), möchten gern auf Kosten
ihrer kapitalistischen Brüder bei den Chemiemonopolen sparen. Und natürlich hat
die gesamte Unternehmerschaft ein Interesse daran, die Kosten für das
Gesundheitswesen möglichst weit zurückzufahren, zumindest solange sie noch über
einen Teil des Beitrags daran beteiligt sind.
Auch wenn sich die FDP oder Teile der CDU/CSU gegen die von
der SPD vorangetriebenen Gesundheitsreformen stellen, so schreiben sie immer
die Interessen der Patienten und einer „guten medizinischen Versorgung“ auf
ihre Fahnen. Sie reden geschwollen, von Alterspyramide, Kostenbegrenzung,
Eigenverantwortung und meinen damit, dass die Menschen mehr zahlen sollen (das
ist die „Eigenverantwortung“) und zugleich weniger Leistung erhalten sollen
(das ist die Kostenbegrenzung).
Hier findet also ein Kampf aller gegen alle statt. Wer aber
verstehen will, worum es geht, der muss die ökonomischen Interessen analysieren
und durchschauen.
Und da geht es im Kapitalismus um die Eroberung von Märkten.
Was bisher etwas staatlich reguliert und geschützt war, wie das
Gesundheitssystem soll reif geschossen werden für ungebremsten Profit.
„Vorbild“ USA
In den USA sind circa 45 Millionen Menschen (rund 15,3% der
Bevölkerung) ohne Krankenversicherung, weitere zig Millionen sind
unterversichert, weil sie sich nur einen Billigtarif leisten können. Denn in den
USA ist das Gesundheitssystem weitgehend privat und folgt ohne jede Regulierung
den Marktgesetzen. Trotzdem ist es mit Ausgaben von 15,3% des Bruttoinlandsproduktes
das teuerste auf der Welt. Laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) liegen die
USA beim Gesundheitszustand der Bevölkerung aber nur auf Platz 72 der
Weltrangliste – weit hinter vielen Staaten der so genannten Dritten Welt. In
der Gesamtqualität der medizinischen Versorgung liegen die USA nur auf Platz 37
der WHO-Rangliste. In den USA gibt es nur 2,4 Ärzte auf 1.000 Einwohner, in
Deutschland 3,4. Auf tausend Einwohner entfallen in den USA 3,1
Krankenhausbetten, in Deutschland 8,2.
Hier zeigt sich also, was die von FDP, CDU/CSU, SPD so hoch
gepriesene „Eigenverantwortung“ und der kapitalistische Markt anrichten. Je
mehr dereguliert wird, umso schlechter für die Menschen und umso besser für das
Kapital!
Besonders krass zeigen sich die Auswirkungen in den USA bei
den Menschen, die keinerlei Krankenversicherung haben oder unterversorgt sind,
also nur einen Basistarif mit einer Grundversorgung haben, wie sie ja nun auch
in Deutschland angestrebt wird. Menschen ohne Krankenversicherung haben
lediglich Anspruch auf eine minimale Notfallversorgung in einem staatlichen
Krankenhaus. Haben sie beispielsweise einen akuten Herzinfarkt, muss das
staatliche Krankenhaus sie soweit behandeln, dass sie überleben – mehr nicht.
In den USA gibt es Hilfsorganisationen, die solchen Menschen
minimale medizinische Hilfe leisten. Ein Beispiel dafür ist Remote Area Medical
(RAM), eine Hilfsorganisation, die ursprünglich gegründet wurde, um in Staaten
wie Mexiko, und Guatemala medizinische
Hilfe anzubieten. Der RAM-Gründer Stan Brock erklärt, dass RAM mittlerweile
zwei Drittel seiner Einsätze in den USA durchführt. So führt RAM z. B. einmal
im Jahr für drei Tage eine solche Hilfsaktion in Wise County, einem abgelegenen
Grubenrevier mit verarmten Bergarbeiterfamilien, viele davon arbeitslos, in den
Appalachen Virginias durch. Unter einer riesigen Zeltplane werden dann endlose
Reihen von Klappliegen für Zahnbehandlungen aufgestellt. Wie die Stuttgarter
Zeitung (1.8.09, S.2) berichtet bekam dabei der 51-jährige John Bryant 24 Zähne
gezogen. Er litt unter einer Kieferkrankheit, die hätte behandelt werden
können. Ihm fehlte das Geld dafür. Nun hofft er darauf, bei der jährlichen
Lotterie, die RAM durchführt, ein kostenloses Gebiss zu gewinnen. Das bekäme er
ein Jahr später mitgebracht. Er kann sich keines leisten. In einem anderen
Bereich des Zeltes werden alte Spenderbrillen verteilt und, so gut es geht,
umgeschliffen. Auf der Wiese steht ein mobiler Röntgenwagen, der über einen
Generator mit Strom versorgt wird. In einer baufälligen Scheune werden
chronisch Kranke behandelt. Täglich werden 1600 Patienten zugelassen. Viele in
der endlosen Warteschlange erhalten kein Behandlungsticket und müssen
unverrichteter Dinge wieder gehen. Mittlerweile stehen auch Menschen aus der
Mittelschicht und Rentner in der Schlange und hoffen auf eine Gratisbehandlung
oder Medikamente. Die Stuttgarter Zeitung berichtet über Deborah Honaker, deren
Mann 30 Jahre im Staatsdienst und dann lange bei einer Eisenbahngesellschaft
arbeitete. Das Ehepaar gibt an, dass es eine gute Pension bezieht. Sie sind
krankenversichert, aber die deckt nicht viel ab. Frau Honaker muss jeden Monat
allein 700 Euro Eigenanteil für ihre Medikamente zahlen. Sie hofft deshalb auf
eine Medikamentenspende und eine
kostenlose Zahnbehandlung.
Hier ein Videobericht über die Arbeit von RAM http://www.youtube.com/watch?v=t9JmEHsCv4c
Welche Zukunft für
das Gesundheitswesen?
Es ist klar, dass das Gesundheitswesen dringend
Veränderungen braucht. Bereits heute gibt es in Deutschland eine
Zwei-Klassen-Medizin. Bereits heute steigen die Lasten für die Versicherten
durch Zuzahlungen und Leistungen bzw. Medikamente, die von den Krankenkassen
nicht mehr übernommen werden, ständig an, während umgekehrt das Kapital von den
„Lasten“ befreit wird. Krankenhausbetten und Arbeitsplätze werden abgebaut.
Rationalisierung und Arbeitshetze für das Personal steigt. Ärzte wandern ins
Ausland ab. Pharmakonzerne bereichern sich. Medizinkonzerne sind dabei sich
nach den Rehakliniken nun die Krankenhäuser und die Arztpraxen einzuverleiben.
Die Privatisierung mit all ihren negativen Folgen schreitet voran.
Patienten, Ärzte, Krankenschwestern und anderes
medizinisches Personal werden immer unzufriedener. Waren beispielsweise 1994
noch 82% mit dem Gesundheitssystem in Deutschland zufrieden, sind es aktuell
nur noch 64%. Dafür ist die Zahl der Unzufriedenen von 15% auf 35%
hochgeschnellt. 65% der Menschen halten eine umfassende Veränderung für nötig.
Doch in welche Richtung soll eine solche Veränderung gehen?
Soll es die Richtung zu mehr Profit sein? Oder die Richtung
zu besserer Gesundheitsversorgung und besseren Arbeitsbedingungen für die
Beschäftigten?
Beides gleichzeitig geht nicht! Denn mehr Profit lässt sich
nur durch Einsparungen, Leistungskürzungen, Rationalisierung, Erhöhung des
Arbeitsdruckes erzielen.
Zugleich hat sich im medizinischen Bereich eine riesige
Veränderung durch die moderne Technik und Wissenschaft ergeben. Mit neueren
Geräten lassen sich Krankheiten erkennen und behandeln, die man früher
Schicksalsergeben ertragen musste. Dieser Fortschritt darf durch
Profitinteressen nicht eingeengt und begrenzt werden. Zugleich sind aber
private Einzelpraxen immer weniger in der Lage, diese teuren Geräte
anzuschaffen und auch sinnvoll auszunutzen. Oft werden unnötige Untersuchungen
vorgenommen, damit die Anschaffung der Geräte sich rechnet. Zudem ist das
Fachwissen so rasant angestiegen, dass ein einzelner Arzt nicht mehr den
Überblick über sein Fachgebiet haben kann.
Daher sind Zusammenarbeit und Kooperation ein dringendes
gesellschaftliches Bedürfnis. Medizinische Versorgungszentren, wie sie z. B. in
der DDR üblich waren, sind objektiv ein Fortschritt. Hier kommt Fachwissen aus
unterschiedlichen Bereichen zusammen und kann so im Interesse der Patienten
besser genutzt werden. Hier wird die Anschaffung teurer Geräte möglich und ihr
Einsatz sinnvoll. Hier können durch die gemeinsame Nutzung von Geräten und
Einrichtung sowie von Personal sinnvoll Kosten für die Gesellschaft gespart
werden.
Dieses gesellschaftliche Bedürfnis nach einer modernen und
hochwertigen Medizin kann jedoch nicht privatwirtschaftlich, kapitalistisch
erfüllt werden. Denn die Vorteile der Konzentration verwandeln sich hier zum
Fluch für die Patienten und die Beschäftigten: Massenabfertigung, mehr
Arbeitshetze, Rationierung der Leistungen usw.
Wenn viele Ärzte zur Verteidigung ihrer ständischen
Interessen und im Kampf gegen ihr Absinken zu „industriellen
Gesundheitsangestellten“ mehr Privatisierung und mehr Privatzahlung durch die
Patienten verlangen, dann öffnen sie dem Kapital Tür und Tor und beschleunigen
so ihre Enteignung durch dieses und ihren eigenen Untergang.
Deshalb gibt es nur zwei mögliche Wege für eine
gesellschaftliche Lösung:
Entweder ein allgemeines und staatliches Gesundheitswesen
mit angestellten Ärzten oder eine genossenschaftliche Lösung, wo sich die Ärzte
in freien Praxen auf freiwilliger Grundlage zusammenschließen, um so selbst den
notwendigen Fortschritt voranzutreiben. Zugleich müssten die Ärzte sich gegen
Organisationen aus ihren Reihen wenden, die den Patienten immer mehr Lasten
aufbürden wollen und damit das Kapital von seiner finanziellen Verantwortung in
diesem Bereich entlasten. Im Gegenteil! Um ein fortschrittliches Bündnis
zwischen Ärzten, anderen Beschäftigten und den Patienten herzustellen, müsste
gemeinsam die völlige Übernahme der Kosten durch das Kapital gefordert werden.
Auch diese Schritte wären zunächst nur Maßnahmen innerhalb
des bestehenden Systems. Auch sie würden innerhalb der kapitalistischen
Marktwirtschaft stattfinden und wären damit ständig durch dieses System
gefährdet. Langfristig ist daher eine andere Gesellschaftsordnung, der
Sozialismus, notwendig, in dem die Profitwirtschaft völlig abgeschafft wird und
die gesamte Wirtschaft, auch das Gesundheitswesen, nach den Bedürfnissen der
Arbeiter, Angestellten und des Volkes ausgerichtet und geleitet wird. In einem
solchen System hätte sowohl ein staatliches Gesundheitswesen als auch ein
genossenschaftliches eine dauerhafte Grundlage und würden allen Beteiligten
Sicherheit geben, aber auch Fortschritt und notwendige Veränderung ermöglichen.
Weitere Artikel von „Arbeit Zukunft“ zu dem Thema:
„Ärztepräsident fordert Zweiklassenmedizin“, Mai 2008 http://www.arbeit-zukunft.de/index.php/item/844
Monopolisierung auf dem Gesundheitsmarkt, September 2006 http://www.arbeit-zukunft.de/index.php/item/549
„Krankenkassenvertreter für ‚sozialistisches System’“,
November 2005 http://www.arbeit-zukunft.de/index.php/item/426
„Propaganda-Lüge: Gesundheitswesen wird immer teurer“, Mai
2003 http://www.arbeit-zukunft.de/index.php/item/59
„Zukunft für unsere Gesundheit!“, Mai 2003 http://www.arbeit-zukunft.de/index.php/item/55
„Wirtschaftsforscher: Zweiklassen-Medizin in Deutschland“,
Mai 2003 http://www.arbeit-zukunft.de/index.php/item/54