Karikatur: Guido Kühn
„Sozialausgaben auf Rekordniveau“ titelt die „Stuttgarter Zeitung“ vom 16.1.24 auf Seite 2 einen ganzseitigen Beitrag. Sie erklärt dann lang und breit: Ein Drittel jedes in Deutschland erwirtschafteten Euro gingen in Sozialleistungen. Damit soll Propaganda gemacht werden, dass es viel zu viele Sozialleistungen gibt und man da kürzen könne. Ganz neu ist diese Propaganda nicht. Der „Tagesspiegel“ titelte schon 2021, dass die Sozialausgaben 1,1 Billionen Euro kosteten.
Propaganda für Sozialkürzungen!
Doch die Realität sieht anders aus! Denn, um zu der ungeheuren Summe von heute angeblich 1,18 Billionen Sozialleistungen zu kommen, wird kräftig getäuscht und verbogen.
So werden z.B. alle Sozialversicherungen wie Rente, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungen einfach mitgerechnet. Doch das sind keine Sozialleistungen des Staates. Sie werden alle durch Beiträge finanziert und erhalten höchstens in begrenztem Umfang staatliche Zuschüsse, wenn der Staat diesen Versicherungen per Gesetz besondere Aufgaben auferlegt. Doch meist zahlt er gar nicht für alles, was er diesen per Gesetz aufbürdet. Stattdessen müssen die Versicherten das mit Kürzungen der Leistungen finanzieren.
Wenn eine Kollegin oder Kollege krank wird oder in Rente geht, dann haben er oder sie das Krankengeld oder die Rente selbst bezahlt. Es ist ihr Eigentum und keine Sozialleistung von Gnaden des Staates!
Auch die Arbeitgeberbeiträge zu solchen Sozialversicherungen sind Teil ihres Lohnes. So werden diese Zahlungen in den Unternehmensbilanzen als „Lohnkosten“ aufgeführt. Das gilt übrigens auch für die Pensionen und Beihilfen für Beamte. Sie sind Bestandteile des Lohnes. All das wurde von der Arbeiterbewegung erkämpft und ist keine soziale Gnade dieses Staates.
Nimmt man all diese Beträge, die von der Arbeiterklasse selbst erarbeitet wurden und eben nicht „Sozialleistungen“ sind, aus dieser unseriösen Rechnung heraus, dann bleiben ca. 283 Mrd. Euro von der aufgeblasenen Rechnung übrig, also knapp ein Viertel!
Im Übrigen widerspricht sich die „Stuttgarter Zeitung“ unmittelbar innerhalb des Berichtes. Denn laut OECD liegen die öffentlichen Sozialausgaben bei 26,7%, während zu Anfang von über einem Drittel gesprochen wird. Allerdings werden auch bei der OECD, die aus den Löhnen finanzierten Leistungen wie die Rente als „Sozialleistungen“ mitgerechnet.
Das ist grotesk! Denn wenn ein Selbständiger eine private Renten- oder Lebensversicherung abschließt und dafür Beiträge zahlt, dann wird das Ergebnis ja auch nicht als „Sozialleistung“ des Staates verbucht. Warum sollten dann die Renten oder das Krankengeld, die ja selbst bezahlt sind, als „Sozialleistung“ eingestuft werden. Sie sind Eigentum derjenigen, die dafür viele Jahrzehnte geschuftet und gezahlt haben.
Wozu die Tricksereien?
Es ist so offensichtlich, dass mit diesen aufgeblasenen Berechnungen der Eindruck erweckt werden soll, dass die arbeitenden Menschen auf Kosten des Staates leben und eine hohe Belastung darstellen. Was liegt da näher, als Kürzungen zu verlangen. Genau darum geht es! Mit der so genannten „Haushaltskrise“ und den rasant ansteigenden Kriegsausgaben, sucht man nach Möglichkeiten, Sozialausgaben zu streichen. Das muss mit Propaganda vorbereitet werden.
Gibt man bei google „sozialausgaben rekordniveau“ ein, so werden in 0,31 Sekunden über 13.000 Ergebnisse angezeigt. Jahr für Jahr wird getrommelt, dass die Sozialausgaben „zu hoch“ sind. Immer wieder wird den Menschen eingetrichtert, dass mit dem „sozialen Wildwuchs“ Schluss gemacht werden muss.
In der „Stuttgarter Zeitung“ macht das sehr deutlich: „Doch wo kürzen, was streichen? Der Blick richtet sich auch auf die Sozialleistungen.“
Die Realität sieht anders aus!
Auf S.9 derselben Ausgabe berichtet die „Stuttgarter Zeitung“ allerdings dieses Mal nur einer sechstel Seite über den Bericht von Oxfam, indem Fakten veröffentlicht werden, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.
Hier die wesentlichen Aussagen des Berichtes, die in der Stuttgarter Zeitung nur sehr verkürzt dargestellt werden:
- „Die fünf reichsten Männer der Welt haben ihr Vermögen seit 2020 von 405 Milliarden US-Dollar auf 869 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt
- Alle Milliardär*innen zusammen sind heute um 3,3 Billionen US-Dollar (34 Prozent) reicher als 2020. Ihr Vermögen wuchs damit dreimal so schnell wie die Inflationsrate.
- Fast fünf (4,77) Milliarden Menschen, die ärmsten 60 Prozent der Menschheit, haben seit 2020 zusammen 20 Milliarden US-Dollar Vermögen verloren.
- Das Gesamtvermögen der fünf reichsten Deutschen ist seit 2020 inflationsbereinigt um rund drei Viertel (73,85 Prozent) gewachsen, von etwa 89 auf etwa 155 Milliarden US-Dollar.
- 2023 haben Konzerne irrwitzige Gewinne angehäuft. 148 der weltweit größten Konzerne haben in den zwölf Monaten bis Juni 2023 insgesamt 1,8 Billionen US-Dollar an Gewinnen eingefahren. Das entspricht einem Anstieg von 52,5 Prozent gegenüber den durchschnittlichen Nettogewinnen im Zeitraum 2018-2021. Ihre Übergewinne, definiert als Gewinne, die den Durchschnitt von 2018-21 um mehr als 20 % übersteigen, stiegen auf fast 700 Milliarden US-Dollar an.
- Der Aktienbesitz kommt in erster Linie den reichsten Menschen der Welt zugute. Das weltweit reichste Prozent besitzt 43 Prozent des gesamten Finanzvermögens. In Deutschland besitzt das reichste Prozent 41,1 Prozent des gesamten Finanzvermögens.“
Während sich also die Lage der arbeitenden Menschen in den zurückliegenden Jahren weltweit, aber auch in Deutschland dramatisch verschlechtert hat, haben die Reichen und Superreichen von Krisen und Krieg profitiert. Zu Recht fordert Oxfam eine höhere Besteuerung der Reichen.
In Deutschland wäre das einfach. Zuallererst könnte der Staat endlich wieder, die immer noch geltende Vermögenssteuer nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtes umgestalten und wieder erheben. Gegen geltendes Gesetz wird diese Steuer seit vielen Jahren nicht mehr erhoben. Ebenso könnte er die Erbschaftssteuer so gestalten, dass endlich nicht nur die kleinen Vermögen besteuert werden, sondern auch die großen und Riesenvermögen den gleichen Satz wie die kleinen zahlen. Damit könnte die angebliche Haushaltslücke sofort geschlossen werden. Es blieben sogar einige Milliarden übrig, um Bildung, Gesundheitswesen und Pflege zu verbessern.