Als es im Februar 2022 zum Angriff Russlands auf die Ukraine kam, rückte das Thema Krieg schlagartig in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte. Viele Menschen in Deutschland reagierten mit Angst und Erschütterung auf den Ausbruch eines Krieges, nur einige hundert Kilometer von uns entfernt. Ein rücksichtsloser Überfall einer Großmacht auf einen kleineren, vermeintlich wehrlosen Staat zur Sicherung der eigenen nationalen Interessen: eine Zäsur, oder?
Für viele Menschen in Deutschland schien Krieg etwas längst Vergangenes und zum Teil sogar etwas Unvorstellbares zu sein. Sicherlich: Vor etwa 20 Jahren mussten wir Deutschen kurz im Kosovo den Frieden sichern, danach war die Bundeswehr so nett, ein paar Brunnen und Mädchenschulen in Afghanistan zu bauen und vor kurzem wurde irgendwo im Nahen Osten mal der Islamische Staat bekämpft. Aber Krieg? So richtiger Krieg? Mit Toten und Verletzten, mit Gewalt, Zerstörung und Flucht? So was schien für viele, gerade jüngere Menschen, sehr weit entfernt. Schließlich hatte man hier in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg ausschließlich „Friedensmissionen“, „humanitäre Einsätze“ und „kollektive Selbstverteidigung“ miterlebt.
Krieg? Kein Ende in Sicht
Doch spätestens die jüngsten Eskalationen im Nahostkonflikt machen klar deutlich, dass Kriege – und damit auch Tod, Zerstörung und Leid – auch im 21. Jahrhundert noch lange nicht die Ausnahme sind, sondern vielmehr die Regel. Die Durchsetzung von Staatsinteressen mit Hilfe militärischer Gewalt hat nie aufgehört. Der Grund dafür, dass dieser Umstand vor dem Krieg in der Ukraine so gut wie keine mediale oder staatliche Aufmerksamkeit genossen hat, ist ganz einfach der, dass die militärischen Interventionen, die Angriffe und Kriege der letzten Jahrzehnte zum größten Teil nicht gegen die Interessen des deutschen Staates gerichtet waren. Sie wurden entweder im direkten Interesse des deutschen Staates oder im Interesse seiner engen Verbündeten, wie der USA, Großbritannien, Frankreich, der Türkei, Saudi-Arabien, und dergleichen mehr, geführt. Diskussionen über das Selbstbestimmungsrecht der Völker oder über das Recht auf Selbstverteidigung waren weder in Afghanistan oder im Irak, noch im Jemen, in Libyen oder in Syrien von Bedeutung.
Krieg ist Tagesgeschäft im Kapitalismus. Denn Krieg ist nicht erst, wenn hunderttausende Soldaten an einer Front aufeinander treffen und jeder Meter Schützengraben und jedes einzelne Gebäude unter Einsatz von Menschenleben erobert werden muss. Krieg ist auch 20 Jahre militärische Besetzung durch NATO-Truppen. Krieg ist auch Drohnenterror. Krieg ist auch unter dem Vorwand einer Flugverbotszone Bombardements durchzuführen und nichts als einen “failed state” zu hinterlassen. Krieg ist auch Seeblockade und Hungersnot. Krieg ist auch der Einsatz von Söldnern und die Bewaffnung islamistischer Gruppen. Und Krieg ist auch die Ermordung von 15.000 Menschen innerhalb von sieben Wochen durch das gezielte Bombardieren von Zivilisten.
Doch warum das alles? Wem nützt Krieg? Scheint es doch, als gäbe es auf allen Seiten immer nur Verlierer.
Nicht nur Verlierer
Verlierer gibt es in diesen Kriegen viele. Doch es gibt auch einige Wenige, die Nutzen aus Kriegen ziehen. Aus Kriegen, in denen sie nicht selber kämpfen, die aber in ihrem Interesse geführt werden. Die Kriegsprofiteure.
Hört man dieses Wort, so denken die meisten vermutlich direkt an die Waffen- bzw, Rüstungsindustrie, denn niemand profitiert so direkt von Tod, Zerstörung und Leid wie sie. Jede verkaufte Waffe, jede verschossenen Kugel, Granate oder Rakete, jeder Tag, nein, jede Sekunde eines Krieges beschert den Waffenproduzenten sprudelnde Gewinne. Betrachtet man zum Beispiel den Aktienkurs der Rheinmetall AG – dem zweitgrößten Rüstungskonzern Deutschlands, so lässt sich feststellen, dass der Aktienkurs in der Woche des Kriegsausbruches in der Ukraine einen enormen Sprung nach oben machte und sich gegenüber dem Vorkriegsniveau mittlerweile um 193 Prozent gesteigert, also beinahe verdreifacht hat. Auch der Krieg in Palästina hat die kühnsten Träume der deutschen Rüstungsindustrie erfüllt, denn er sorgte für die augenblickliche Verzehnfachung deutscher Rüstungsexporte nach Israel. Und wenn zum Beispiel allein der Abschuss einer Rakete des Patriot-Systems, welches unter anderem durch Deutschland an die Ukraine geliefert wurde, den Herstellern Raytheon und Lockheed etwa vier Millionen US-Dollar Umsatz in die Kasse spült, dann stellt sich kaum noch die Frage, wie ernsthaft die Friedens”bemühungen” der Regierungen zu bewerten sind, die doch nicht mehr als die Interessenvertreter der Banken und Konzerne ihres eigenen Landes sind.
Und natürlich steigen Umsatz und Gewinn nicht nur bei solchen Konzernen, die Waffen und Munition produzieren. Überall wo gekämpft wird, da braucht es auch Kleidung, sprich Uniformen, dort braucht es Schutzausrüstung wie Helme und Schutzwesten. Dort braucht es Feldverpflegung, medizinische Ausrüstung und Logistik. Und es braucht auch eine Menge Treibstoff, um die tausenden Tonnen Kriegsmaterial – von Panzern über Flugzeuge und Hubschrauber, bis hin zu Kriegsschiffen – zu bewegen. An jedem Krieg hängt also ein gewaltiger Rattenschwanz, der für gewisse Kapital-Sparten und einzelne Konzerne enorme Gewinne bedeuten kann. Denn im Krieg muss gekauft werden, koste es was es wolle – im wahrsten Sinne des Wortes.
Gewinne, Gewinne, Gewinne
Doch auch in anderen Bereichen kann aus dem, was der Krieg mit sich bringt, Profit geschlagen werden. Denn alles, was während des Krieges der umfassenden Zerstörung durch Bomben, Raketen und Granaten zum Opfer fällt, muss spätestens nach dem Krieg wieder aufgebaut werden. Neben einfachen Wohnhäusern betrifft dies besonders die Energie-, Versorgungs-, Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur. Während der Wiederaufbau von einfachen Gebäuden in erster Linie durch lokale Unternehmen bewerkstelligt wird, so ist der Wiederaufbau der Infrastruktur unter Umständen auch für internationale Konzerne interessant, zum Beispiel Konzerne westlicher Staaten. Ein Beispiel: Im Juni 2023 kam es in der Ukraine zur Sprengung eines Staudammes bei Cherson. Ein solches Bauwerk bedarf natürlich besonderer Technik, unter anderem Wasserturbinen und Generatoren zur Stromerzeugung. Unter den fünf Marktführern in Europa im Bereich Wasserturbinen befinden sich auch zwei deutsche Unternehmen, nämlich die Voith Group (4,2 Milliarden Euro Jahresumsatz) und die Siemens AG (86 Milliarden Euro Jahresumsatz). Vielleicht kann sich eines der beiden Unternehmen – infolge der “unverbrüchlichen Solidarität” der deutschen Bundesregierung mit der Ukraine – nach dem Krieg ja über Auftragseingänge aus der Ukraine freuen. Das bleibt abzuwarten. Ob jedoch beim Wiederaufbau von Wasserkraftwerken, von Sendemasten oder auch von teilbeschädigten Atomkraftwerken: In Fragen komplexer technischer Anlagen bedarf es häufig der Expertise von internationalen Konzernen, die ihren Firmensitz nicht selten in den imperialistischen, westlichen Staaten haben. Nehmen wir dazu noch die Kredite, die ein kriegsführender Staat zwingend benötigt, um die enormen Kosten so schlagartig decken zu können und welche sich die kriegsführenden Staaten nicht selten bei den Banken ihrer treuen Verbündeten holen, so wird schnell klar, dass Krieg nicht nur profitabel für einige wenige Unternehmen in der Rüstungsindustrie ist, sondern einer ganzen gesellschaftlichen Klasse zur Vermehrung ihrer Profite verhilft – der Klasse des Kapitals.
Wird also davon gesprochen, dass die Imperialisten dieser Welt Kriege für Einflussgebiete und Absatzmärkte führen, dann ist auch dieser Umstand damit gemeint. Doch geht es nicht nur um die Absatzmärkte während des Krieges oder im Rahmen des Wiederaufbaus. Der Krieg in der Ukraine hat bereits jetzt dazu geführt, dass sich die Importmärkte nicht nur in der Ukraine selbst, sondern beinahe in ganz Europa für russische Konzerne vollkommen geschlossen haben. Diese Lücken werden nun durch andere internationale Konzerne gefüllt. Ein Beispiel ist der deutsche Import von Gas, der spätestens durch die Sprengung von Nord Stream 1 und 2 unter völligem Ausschluss russischer Konzerne stattfindet. Das Ganze geschah zugunsten US-amerikanischer Gaskonzerne, die heute teures Fracking-Gas per Schiff nach Deutschland liefern. Ein Geschäft, das sich nicht gelohnt hatte, als russische Konzerne noch billigeres Gas per Pipeline liefern konnten.
Wir gegen sie!
Es sind jedoch nicht nur Konzerne, Unternehmen und Aktionäre, für die ein Krieg ein günstiger Weichensteller ist. Neben Absatz- und Gewinnsteigerungen für eine ganze Bandbreite an Kapitalisten, hat ein Krieg auch eine andere “angenehme” Nebenwirkung, nämlich den gemeinsamen Feind von außen. Ob es der Burgfrieden während des Ersten Weltkrieges in Deutschland oder die Einheitsregierung in Israel heutzutage ist: Kommt es zum Krieg, dann verlangt die vaterländische Pflicht, dass alle Konflikte im Inneren zunächst ruhen, bis die äußere Gefahr für die gemeinsame Nation vorüber ist. Soweit zumindest die Überzeugung der Herrschenden. So können im Windschatten der “gemeinsamen, nationalen Kraftanstrengungen” ganz gelassen Angriffe auf die Rechte der Arbeiter vorgenommen werden. Das sei schließlich der Preis, den der treue Staatsbürger zahlen müsse, um nicht von fremdem Kapital ausgebeutet werden zu müssen. So konnten wir zum Beispiel im Zuge des russischen Angriffskrieges beobachten, wie sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer Seite, fortschrittliche Parteien und Medien und auch Gewerkschaften verboten wurden, während außerdem grundlegende demokratische Rechte – wie zum Beispiel Streik- und Versammlungsrecht – im Handumdrehen abgeschafft wurden. In Israel beobachten wir aktuell, wie die rechtsextreme Netanjahu-Regierung die antidemokratische Justizreform wieder in Stellung bringt, obwohl vor dem Krieg hunderttausende Israelis gegen diesen Volksbetrug auf die Straße gegangen sind. Und auch in Deutschland weiß die herrschende Politik die Kriege in der Ukraine und in Palästina für sich zu nutzen. Ob mit der Hetze gegen Geflüchtete und Migranten oder mit der Hetze gegen fortschrittliche politische Kräfte, die sich gegen die Interessen des deutschen Kapitals für Frieden in der Ukraine und in Gaza aussprechen.
Wir enden also bei der einfachen Faustregel: Krieg nützt den Herrschenden, also dem Kapital und seiner Politik. Wir Arbeiter sind die Verlierer des Krieges, jedes imperialistischen Krieges. Für uns bedeuten die Kriege der Herrschenden in jedem Fall Tod, Zerstörung, Leid, Repression und Entrechtung, während einige Wenige auf den Trümmern unserer Häuser und auf den Gräbern unserer Klassenbrüder- und schwestern tanzen und sich unentwegt an uns bereichern.