Vom 22.10. bis zum 26.10.2023 fand in Frankfurt am Main der 25. ordentliche Gewerkschaftstag der Industriegewerkschaft Metall statt. Mit etwas über 400 Delegierten aus dem gesamten Bundesgebiet wurde unter dem Motto „Zeit für Zukunft“ über die IG Metall der kommenden Jahre diskutiert. Der Gewerkschaftstag setzte ein klares Signal, an der Standortpolitik der Gewerkschaften festzuhalten und ein einheitliches Bild nach außen zu vermitteln, sowohl als Gewerkschaft als auch im Bündnis mit der Bundesregierung.
Auf dem Gewerkschaftstag kommen wichtige Delegierte, entweder Ehrenamtliche aus den Betrieben oder Hauptamtliche mit Spitzenfunktionären und geladenen Gästen zusammen. Durch die Schlüsselpositionen der Delegierten ist der Gewerkschaftstag ein wichtiges Gremium, um die Leitlinien der Gewerkschaft in die Betriebe weiterzuleiten und in der Basis zu verbreiten. Der Gewerkschaftstag ist ein Event, das um die 9,5 Millionen Euro kostet – gut investiertes Geld, wenn man bedenkt, welchen Dienst er der Führung und ihrem Rückhalt in der Mitgliedschaft leistet.
Einigkeit und Einigkeit und noch mehr Einigkeit
Mit diesem Gewerkschaftstag gibt die IG Metall ein Zeichen der Einheit nach außen, sowohl was die Positionierung zu fast allen der diskutierten Themen angeht, als auch die Personalentscheidungen. Die Anträge, welche eine Positionierung zum Ukrainekrieg und der Situation in Nahost festlegen, wurden ohne nennenswerte Diskussion mit überwältigenden Mehrheiten beschlossen. Das ist jedoch nicht besonders überraschend, da beide Anträge vom Vorstand gestellt wurden und somit bereits kompromissreich ausformuliert und „zur Annahme empfohlen“ waren. Von vier Tagen wurden nur 1,5 für die Antragsdebatten genutzt, der Rest war durch lange Reden, die Vorstellung und Bewerbung von Einzelpersonen und so weiter gefüllt. Bei den Vorstandswahlen wurden, mit jeweils über 95% der Stimmen, Christiane Benner zur ersten, sowie Jürgen Kerner zum zweiten Vorsitzenden gewählt. Der Vorsitz der IG Metall wird dadurch zum ersten Mal durch eine Frau gestellt.
Standort über alles
Am Sonntag eröffneten die Am Sonntag eröffneten die Begrüßungsreden der bis dato zweiten Vorsitzenden Christiane Benner und der DGB Vorsitzenden Yasmin Fahimi die Konferenz. Zusätzlich zu den 421 Delegierten waren auch zahlreiche Gäste eingeladen, darunter neben vielen Weiteren, Robert Habeck (Wirtschaftsminister), Oliver Zander (Geschäftsführer von Gesamtmetall), Rainer Dulger (Arbeitgeberpräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände), Andrea Nahles (Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit), Hubertus Heil (Arbeitsminister) und nicht zuletzt Bundeskanzler Olaf Scholz. Allein die hochrangige Gästeliste zeigt den Anspruch, sich auf diesem Gewerkschaftstag in Diskussion sowohl mit Arbeitgeberseite als auch Regierung gesprächsbereit und offen zu zeigen, was in der Begrüßung noch einmal betont wurde.
Der Inhalt dieser Kooperation wurde dann auch in den Beiträgen der Regierungsvertreter Habeck und besonders Scholz deutlich. In diesen sowie über den gesamten Gewerkschaftstag ist thematisch vor allem der Bedarf nach Standortsicherung hervorgestochen, der sich vor allem in den Debatten über den sogenannten Brückenstrompreis/Industriestrompreis gezeigt hat. Bereits seit August setzt sich die IG Metall in einem Bündnis mit der Arbeitgeberseite in Form der Branchenverbände der energieintensiven Industrie für eine Senkung des Strompreises für Industrieunternehmen ein. Begründet wird die Forderung damit, dass man die energieintensiven Industrien davon abhalten wolle, ihre Produktionsstandorte in andere Länder zu verlagern um Produktionskosten zu sparen. Der Strompreis soll auf 5ct/kWh gesenkt werden. Die Unternehmen, die diese Subventionen erhalten, sollen sich im Gegenzug zu Investitionen in den Umbau der eigenen Produktion sowie Standort- und Tariftreue verpflichten.
Habeck positionierte sich nicht erst auf dem Gewerkschaftstag dafür, sondern gilt im Rahmen des „Bündnisses für Industrie“ als Initiator des Brückenstrompreises. Gespannt wurde darauf gewartet und auch in einer symbolischen Aktion an Scholz herangetragen, er solle ebenfalls auf die Forderung der IG Metall eingehen und sich zu dem Vorschlag bekennen. In seiner Rede blieb dieses klare Bekenntnis zwar aus, wurde jedoch betont, dass man sich im grundsätzlichen Ziel der Standortsicherung einig sei. Die gesamte Diskussion um den Brückenstrompreis ist ein gutes Beispiel für die sozialpartnerschaftliche Art, Politik zu machen: Es wird nicht einfach Beschäftigungs- und Lohnerhalt gefordert, sondern es werden Forderungen im Interesse der Unternehmen aufgestellt, damit die Beschäftigten davon am Ende auch etwas abbekommen könnten. Diese Forderungen sind jedoch nichts, was gegen die Kapitalseite durchgesetzt werden muss, sondern mit und für sie. In dieser Politik kommt die Gewerkschaft mit der Regierung zusammen, die versucht, die deutsche Wirtschaft als Ganzes zu erhalten und eine Politik im Interesse der Profitsicherung zu verfolgen. Dass Scholz sich bisher nicht zu der Forderung bekannt hat lässt sich also nicht auf unterschiedliche Ziele zurückführen – wahrscheinlich hat die Ampelregierung noch nicht final geklärt, mit welchen Mitteln und Gesetzen genau die Unterstützung der deutschen Wirtschaft in Zukunft gewährleistet werden soll. Dass die Standortsicherung und die Rettung der Profite der deutschen Wirtschaft Ziel jeder politischen Strategie sein muss, dem setzt auch die Gewerkschaft mit ihrer Kampagne nichts entgegen. Die Arbeiterklasse wird durch diese Politik immer wieder in eine Position der Machtlosigkeit versetzt – sie soll abwarten und auf ihr Stück vom Kuchen warten. Die Beschäftigten werden somit immer wieder vom Schicksal der Kapitalseite abhängig gemacht und haben in diesem Spiel nur die Wahl zwischen Lohneinbußen oder Arbeitsplatzverlust. Dass eigentlich mit einer klassenkämpferischen Haltung ein Stück vom Kuchen oder gar der ganze Kuchen von denen, die ihn erarbeitet haben, erkämpft werden müsste, bleibt unerwähnt – sowohl bei den Regierungsvertretern als auch bei den Spitzenfunktionären der Gewerkschaft.
Die Besuche von Regierungspolitikern trugen also nicht nur ein Bild der Einheit nach außen, sondern sicherten auch die Unterstützung und den Rückhalt der Delegierten für die herrschende Politik. Dies auch erfolgreich, wenn man die allgemeine Zustimmung und großen Beifall unter den Teilnehmern beachtet. Diese allgemeine Zustimmung wird sich über die Delegierten, die in Schlüsselpositionen in den Betrieben sitzen, wohl in den nächsten Monaten auch in größere Teile der Arbeiterklasse hineingetragen werden.
Positive Überraschung
Verhältnismäßig positiv hervorzuheben sind die Beschlüsse zum Krieg im Nahen Osten sowie in der Ukraine. Zum Krieg Israels heißt es:
„Wir dürfen die Grundlage für echten und dauerhaften Frieden nicht aus den Augen verlieren: Die Israelis müssen ihre legitimen Sicherheitsbedürfnisse, die Palästinenser*innen ihre legitimen Hoffnungen auf einen unabhängigen Staat verwirklichen können. Die ewige Gewaltspirale kann nur durchbrochen werden, wenn die Welt sich geschlossen dazu durchringt, sich für Frieden und Völkerverständigung einzusetzen. (…) Der Konflikt hat auch Auswirkungen in Deutschland. Klar ist: Es ist völlig inakzeptabel, wenn Menschen das Massaker der Hamas feiern und Antisemitismus schüren. Wenn jüdisches Leben angegriffen und gefährdet ist, treten wir dem entschlossen entgegen. Es ist ebenfalls inakzeptabel, wenn pauschal alle Muslime, Palästinenser*innen, Menschen mit arabischem Migrationshintergrund oder arabisch aussehende Menschen unter Generalverdacht gestellt oder mit der Hamas gleichgesetzt werden. Die Hamas spricht nicht für die Palästinenser – und die Palästinenser sind nicht die Hamas.“
In Zeiten der staatlich proklamierten „bedingungslosen Solidarität“ mit Israel ist dieser Antrag überraschend differenziert. Im Vergleich zu Veröffentlichungen aus anderen Gewerkschaftskreisen, beispielsweise von der DGB-Jugend, die die unkritische Haltung der Regierung einfach übernehmen, setzt dieser Beschluss dennoch eine Note der internationalen Solidarität und des Strebens nach friedlichen Lösungen.
Zum Ukrainekrieg wurde hervorgehoben, dass die Fixierung auf Waffenlieferungen den Krieg verlängert und die Forderung nach Rüstungskonversion hervorgehoben – natürlich eine milde Position, die die Interessen hinter dem Krieg und die imperialen Bestrebungen Deutschlands nicht verurteilt. Auch dass Waffenlieferungen nicht mehr prinzipiell ablehnt, sondern „kritisch betrachtet“ werden, ist natürlich eine Verwässerung der früheren Position der IG Metall. Doch die Gewerkschaft positioniert sich mit dem Beschluss immer noch links von der Regierung und großen Teilen des gesellschaftlichen Diskurses und lässt zumindest Raum für Diskussionen um diplomatische Lösungen und Verhandlungen.
Unvereinbarkeit mit wem?
Auch die gesellschaftliche Debatte rund um Migration und Rechtsruck fand Platz auf dem Gewerkschaftstag. So wollte ein Antrag den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der MLPD aufheben, dem aber nicht zugestimmt wurde unter dem Vorwand, die Satzung der MLPD gebe dies nicht her. Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit Funktionären der AfD oder der rechten Konkurrenzgewerkschaft Zentrum Automobil wurden jedoch mit der Begründung abgelehnt, diese seien juristisch schwer zu rechtfertigen. Eine schwache Haltung, die auch durch eine antifaschistische Aktion nicht wettgemacht wurde. Als Scholz den Saal betrat, wurden Schilder gegen seine jüngsten Aussagen zur Migrationspolitik hochgehalten. Seinen rechtfertigenden Ausführungen wurde misstrauisch begegnet, als er sie zu einem späteren Zeitpunkt jedoch noch einmal abgemildert im Ton vorbrachte, hemmte dies den Applaus nicht.
Alles in allem hat dieser Gewerkschaftstag die gesellschaftlichen Debatten und Fragen aufgegriffen und die jeweilige Regierungspolitik konsensfähig gemacht, teils in abgemilderter Form wie bei den Anträgen zu Krieg oder der Haltung zu Migration. Die kritischen Reaktionen und der Protest aus der Teilnehmerschaft waren schwach ausgeprägt angesichts der Lage der Arbeiterklasse, die von Krise und weiterer Verarmung geprägt ist und in den letzten Jahren durch Tarifergebnisse kaum verbessert wurde. Dies verwundert zwar vor dem Hintergrund, dass die Teilnehmerschaft sich nicht aus der Basis der Gewerkschaft, sondern in großen Teilen auch aus Funktionären zusammensetzt, nicht besonders. Trotzdem hat dieser Gewerkschaftstag noch einmal die Festigkeit gezeigt, mit der die Regierung nach wie vor auch in den DGB-Gewerkschaften im Sattel sitzt, und die Notwendigkeit für kritische und klassenkämpferische Diskussionen mit den Kollegen in den Betrieben und Gewerkschaften unterstrichen.