Großer „Schacher“ um das Leben von Migranten

Am 11. Juni begleitete die italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, nach Tunis, um sich mit Kaïs Saïed zu treffen. Meloni, die bereits zwei Kurzreisen nach Tunesien unternommen hat, spielt eine interessierte „Vermittlerrolle“ gegenüber dem tunesischen Regime, da eine große Anzahl von Migranten von der tunesischen Küste aus starten und viele Tunesier sich auf die sehr gefährlichen Überfahrten begeben, bei denen Tausende von Menschen sterben. Diese Überfahrten stiegen zwischen Januar und Mai 2023 um fast 300 %.

Das Vorgehen gegenüber dem tunesischen Autokraten ist eine Mischung aus Zynismus und Unterstützung des reaktionären tunesischen Regimes. Der Chefdiplomat der EU hatte dies bereits angedeutet, als er im März sagte, es sei „zwingend notwendig, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch Tunesiens zu verhindern“, was Von den Leyen mit „die Notwendigkeit für die EU, in Stabilität und Wohlstand zu investieren“ übersetzte. Tatsächlich erinnert das Vorgehen der EU-Kommissionschefin an das der Troika (Europäische Kommission, IWF, EZB) gegenüber Griechenland im Jahr 2015, wo es bereits darum ging, der griechischen Regierung die Bedingungen der Banken und Finanzmärkte aufzuzwingen, indem Hilfen, Kredite usw. „im Austausch“ gegen drastische Sparmaßnahmen für die Arbeiterklasse und das Volk in Griechenland versprochen wurden.

Diesmal ist es die Erpressung mit einem IWF-Kredit von 1,9 Milliarden im Gegenzug für unsoziale Maßnahmen, wie die Einstellung der staatlichen Subventionen für Konsumgüter. Auf Seiten der EU ist es ein Hilfsversprechen von 900 Millionen Euro mit einer sofortigen Finanzhilfe von 150 Millionen Euro im Gegenzug für eine strengere Kontrolle der Grenzen, Strände und tunesischen Hoheitsgewässer sowie die Zustimmung zur Rückführung „irregulärer“ tunesischer Migranten, die in der EU leben, und von „in Tunesien lebenden Bürgern aus Subsahara-Afrika in ihre Herkunftsländer…“. Frankreich steht dem in nichts nach. Darmanin 1), der am 19. Juni Tunis besuchte, kündigte mit großem Pomp die Bereitstellung von 26 Millionen Euro an Hilfsgeldern für Tunesien an. Georgia Meloni verhandelt ihrerseits über die Möglichkeit, abgelehnte Asylbewerber „in sichere Länder“ zurückzuschicken, d. h. die tunesische Regierung zu verpflichten, abgelehnte Asylbewerber, die Tunesien nur passiert haben, wieder aufzunehmen.

Dies ist ein Freibrief für die rassistische Politik, die bereits von Kais Saïed umgesetzt wurde, der die Jagd auf Migranten organisiert. Der Untergang eines Bootes vor der Küste von Sfax, der von der tunesischen Küstenwache am 29. Juni verursacht wurde, ist ein weiteres Beispiel dafür. Angesichts der jüngsten Äußerungen des tunesischen Präsidenten ist nicht damit zu rechnen, dass sich dieses Phänomen bessert. Kais Saïed bekräftigte am 26. Juni seine Ablehnung der Anwesenheit von Migranten aus der Subsahara, die seiner Meinung nach die tunesischen Bürger „terrorisieren“. Die Berichte über diese Fehlentwicklungen vor der tunesischen Küste bestätigen die Warnungen, die NGOs und humanitäre Verbände bereits im Dezember ausgesprochen hatten. In einem Tribunal prangerten etwa 50 von ihnen die Gewalt der Küstenwache bei Abfangaktionen im Mittelmeer an und erklärten, dass sie Tunesien nicht als sicheres Land für im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge betrachteten. Sie forderten die Europäische Union auf, „die Abkommen“ mit den tunesischen Behörden zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung zu widerrufen. Eine Position, die von den demokratischen Kräften Tunesiens, insbesondere der Schwesterpartei, der Arbeiterpartei, unterstützt wird. Sie verurteilen diesen „Kuhhandel“ auf dem Rücken der tunesischen und subsaharischen Migranten und organisieren die konkrete Unterstützung der Migranten.

Anmerkungen:

1) Darmanin: französischer Innenminister

(aus „La Forge“ Juli/August 2023, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs)