Die Massenarbeit ist eines der wichtigsten Betätigungsfelder eines Revolutionärs. Nicht nur ist sie ein Prüfstein dafür, wie nah sich die eigene Weltanschauung und die politische Praxis an der tatsächlichen Lebensrealität der Arbeiterklasse befinden. Die Massenarbeit bildet auch die notwendige Grundlage für jeden revolutionären Umbruch. Ohne die bedingungslose Unterstützung eines großen Teils der Bevölkerung und ohne die Sympathie – mindestens aber der wohlwollenden Neutralität – der übrigen Volksmassen lässt sich kein revolutionäres Aufbegehren in einen stabilen, sich selbst erhaltenden Zustand überführen. Um diese Unterstützung und Sympathie der breiten Bevölkerung – im Besonderen die der Arbeiterklasse – zu gewinnen, müssen Revolutionäre ihre Weltanschauung aktiv in die arbeitenden Massen hereintragen und die Gültigkeit dieser Weltanschauung im alltäglichen Leben der arbeitenden Massen unter Beweis stellen. Revolutionäre müssen dort arbeiten, wo die Massen sind – aber vor allem dort, wo die Arbeiterklasse ist.
Wie auch dieses Jahr, ist die Metall- und Elektrotarifrunde der IG Metall immer wieder ein Anlass dafür, dass innerhalb der revolutionären Bewegung die Frage rund um das Verhältnis zu den Gewerkschaften und der politischen Arbeit innerhalb derselben aufkommt. Sollten Revolutionäre in den reformistischen und von der Sozialdemokratie vereinnahmten Gewerkschaften arbeiten? Wie kann eine solche Arbeit aussehen, wenn sie doch innerhalb des bürokratischen Gewerkschaftsapparats stattfinden soll? Kann man dort überhaupt revolutionäre Arbeit leisten?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, ist es jedoch zunächst nötig nachzuvollziehen, warum sich die Diskussion immer wieder am Thema der Gewerkschaften entzündet.
Grund dafür ist in erster Linie die Gewerkschaft als solches. Ihres Wesens nach ist die Gewerkschaft die Organisation, in der sich Arbeiter auf der Grundlage von Einheit und Solidarität als Klasse zusammenschließen, um unter den konkreten Bedingungen des Klassenkampfes ein Gegengewicht gegen die besitzende Klasse zu bilden. Auf dieser Grundlage verteidigt sich die Arbeiterklasse nicht nur gegen die fortwährenden Angriffe der Kapitalisten, sie geht auch zu direkten Angriffen auf die Kapitalistenklasse über, indem sie neben Verbesserungen der grundlegendsten Arbeitsbedingungen wie Lohn, Arbeitszeit und Urlaub, auch allgemeine Rechte erkämpft. Die Gewerkschaften entstanden aus konkreten Notwendigkeiten der Arbeiterklasse innerhalb des Klassenkampfes und stellen die grundlegendste Ebene der Arbeiterselbstorganisationen dar.
Diese zentrale Rolle haben Gewerkschaften in Deutschland bis heute inne. Allein in den Gewerkschaften des DGB sind aktuell etwa 5,7 Millionen Arbeiter Mitglieder. Außerdem gibt es in den Reihen des DBB weitere 1,3 Millionen Gewerkschaftsmitglieder. Bei 45,7 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland entspricht der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder also über 15 Prozent. Damit stellen Gewerkschaften in Deutschland beträchtliche Massenorganisationen dar, in denen (neben vereinzelten Beamtengewerkschaften) in allererster Linie die Arbeiterklasse organisiert ist. Speziell die Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie ist diesbezüglich besonders anschaulich, da diese etwa 3,9 Millionen Arbeiter direkt betrifft. Im Rahmen dieser Tarifverhandlungen hat die IG Metall einen Einfluss, der die Zahl ihrer Mitglieder in dieser Branche um mehr als das Doppelte übersteigt. Wer also einen Einfluss auf die Arbeiterklasse in Deutschland gewinnen möchte, der kommt um die Gewerkschaften nicht herum. Nicht nur sind die Gewerkschaften wie keine andere Organisation innerhalb der Arbeiterklasse verankert; durch ihren über 100 Jahre gewachsenen Apparat besitzen sie auch die notwendigen Mittel, um den Kampf der Arbeiterklasse auf möglichst vielen Ebenen zu unterstützen. Ein Beispiel dafür ist die Streikkasse der IG Metall, die nach äußeren Einschätzungen etwa ein Finanzvolumen von 2,5 Milliarden Euro umfassen dürfte. Andere Beispiele abseits der finanziellen Mittel sind: eigene Publikationen, eigene Räumlichkeiten, eigene Bildungs- und Tagungsstätten, eine eigene Stiftung, eigene Hochschulen, eigene Rechtsabteilungen und vieles mehr. Wie könnte ein Revolutionär also daran zweifeln, dass es völlig notwendig ist, innerhalb der Gewerkschaften zu arbeiten? Ist die Tatsache, dass es sich um reformistische, sozialdemokratisch-vereinnahmte Gewerkschaften handelt, eine ausreichende Begründung dafür?
Ein Teil der Antwort soll mit einer Gegenfrage beantwortet werden: Was passiert, wenn Revolutionäre nicht in den Gewerkschaften arbeiten?
Auch die Bolschewiki waren sowohl vor als auch nach der Revolution vor dieselbe Diskussion gestellt; Lenin beantwortet sie wie folgt:
„Nicht in den reaktionären Gewerkschaften arbeiten, heißt, die ungenügend entwickelten oder rückständigen Arbeitermassen dem Einfluß der reaktionären Führer, der Agenten der Bourgeoisie, der Arbeiteraristokraten oder der verbürgerten Arbeiter überlassen. “ (Lenin – Linker Radikalismus [1920])
Und ebenso stellt es sich heute dar. Es liegt nicht in der Hand des Revolutionärs, OB Klassenpolitik innerhalb der Gewerkschaft gemacht wird. Innerhalb der Gewerkschaften findet zwangsläufig Politik im Interesse einer Klasse statt. Worauf ein Revolutionär allerdings Einfluss nehmen kann, ist in WESSEN Klasseninteresse Politik gemacht wird. Momentan werden die Gewerkschaften ideologisch durch die Sozialdemokratie dominiert. In diesem Licht gediehen und gedeihen die Auswüchse des Bürokratismus, des Karrierismus, des Opportunismus im Allgemeinen. Diese zersetzen die Gewerkschaft von innen. Sie schwächen ihre Kampffähigkeit, sie untergraben den Klassengegensatz, sie kooperieren offen und vorsätzlich mit dem Kapital, sie marginalisieren die Gewerkschaften auf betrieblicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene. Sich dieser Tatsachen bewusst zu sein und sich daraufhin „bewusst“ von den Gewerkschaften abzuwenden, ist jedoch nichts anderes, als vor den grundlegendsten Aufgaben und Konflikten eines Revolutionärs davon zu laufen. Wenn wir nicht mal die ältesten Arbeiterorganisationen, die aus der täglichen Lebensrealität der proletarischen Klasse in direkter Konfrontation mit dem Klassenfeind entstanden sind, aus den Händen der Bürgerlichen und ihrer Agenten entreißen können, wie wollen wir ihnen dann die ganze Gesellschaft und die Produktion entreißen? Wie kann ein Revolutionär es verantworten, sich der Gewerkschaft als Betätigungsfeld zu verweigern, wenn diese alle ein bis zwei Jahre den ökonomischen Klassenkampf führt und dabei direkten Einfluss auf das Leben von mehreren Millionen Arbeitern hat? Wo steht die revolutionäre Bewegung in Deutschland, dass sie sich diese Haltung erlauben können sollte?
Ist es nicht INSBESONDERE die fehlende Verankerung in der Klasse, die seit der Zerschlagung der KPD durch den Faschismus zu einer völligen Ziellosigkeit der revolutionären Bewegung in Deutschland geführt hat?
Wer die Masse und die Klasse überzeugen und anführen möchte, der muss dort arbeiten, wo sich Masse und Klasse befinden. Es ist die Verantwortung der bewussten Kräfte, sich mit den Unbewussten zu verbinden, ihnen eine Alternative aufzuzeigen, sie zu gewinnen und wiederum zu bewussten Kämpfern für die Sache der Arbeiterklasse zu entwickeln. Wer sich dieser Realität verschließt, sich ihr verweigert und sie leugnet, der läuft vor der Verantwortung und vor den Aufgaben eines Revolutionärs davon. Dessen „Bewusstsein“ verkommt zu seiner Floskel, einer hohlen Phrase und kehrt sich ins Gegenteil um.
Wer innerhalb der Masse und innerhalb der Klasse arbeiten möchte, der darf sich nicht vor der Arbeit innerhalb der Gewerkschaft scheuen. Noch mehr als durch ihren proletarischen Wesenskern wird die Unverzichtbarkeit der Gewerkschaften für den revolutionären Kampf durch ihre aktuelle Stellung innerhalb der Arbeiterklasse bedingt.
„Denn die ganze Aufgabe der Kommunisten besteht darin, dass sie es verstehen, die Rückständigen zu überzeugen, unter ihnen zu arbeiten und sich nicht durch ausgeklügelte, kindische „linke“ Losungen von ihnen abzusondern.“ (Lenin – Linker Radikalismus [1920])
Wie soll also revolutionäre Arbeit innerhalb der Gewerkschaften aussehen?
Zunächst sollte die Bedeutung des Wortes „revolutionär“ bestimmt werden. Unter den Bedingungen des bürgerlichen Systems, das heißt der kapitalistischen Produktionsweise, stellt die Arbeiterklasse das revolutionäre Subjekt dar, denn die Arbeiter werden mittels der kapitalistischen Produktionsweise ausgebeutet und unterdrückt. Kraft ihrer Rolle innerhalb des Produktionsprozesses treten sie in einen grundlegenden Widerspruch mit dem Kapitalismus, der sich von allen übrigen arbeitenden Klassen oder unterdrückten Schichten unterscheidet. Die Errichtung einer neuen Gesellschaft – das bedeutet nicht nur das Zerschmettern des politischen Systems, sondern eben auch und vor allem die Vernichtung der kapitalistischen Produktionsweise – kann nur mittels der proletarischen Klasse gelingen. Sie ist aufgrund ihrer materiellen Lebensbedingungen das revolutionäre Subjekt in unserer aktuellen Gesellschaft.
Wer „revolutionär“ sagt, meint also „im Interesse der Arbeiterklasse und zugunsten der proletarischen Revolution“. Nichts weniger kann es bedeuten Revolutionär zu sein und revolutionäre Arbeit zu leisten.
Konkret bedeutet das: Ein Revolutionär muss zur Vermehrung des revolutionären Potentials, zum Aufbau einer revolutionären proletarischen Partei, zur Verankerung der revolutionären Theorie und der revolutionären Organisationen innerhalb der Arbeiterklasse, zur Steigerung des Klassenbewusstseins im Allgemeinen und zur Emanzipation der Arbeiterklasse beitragen. Diese Arbeit kann und muss auch in den Gewerkschaften geleistet werden. Selbst unter dem Einfluss der Sozialdemokratie sammeln sich innerhalb der Gewerkschaften insbesondere die fortschrittlichen und aktiven Elemente der Arbeiterklasse. Sie sind es, die zuerst durch revolutionäre Politik gewonnen werden können und gewonnen werden müssen. Sie sind es auch, die bereits jetzt wichtige Positionen im alltäglichen Geschehen des Klassenkampfes einnehmen, zum Beispiel in gewerkschaftlichen Ehrenämtern oder als Vertrauenskörper und Betriebsräte in den Betrieben. Natürlich erschleichen sich auch immer wieder Karrieristen und Selbstdarsteller Positionen in diesen Gremien. Wer Aufschluss über die Aufrichtigkeit von Personen gewinnen möchte, der sollte sie an ihrer praktischen Arbeit messen. Dies gilt für den Betriebsratsvorsitzenden und für den Gewerkschaftssekretär, genauso wie auch für den Revolutionär.
Dass die Gewerkschaften von Opportunisten durchsetzt sind, kann kein Argument für einen Revolutionär sein, sich von den fortschrittlichen, aktiven und ehrlichen Elementen der Arbeiterklasse abzuwenden. Im Gegenteil verpflichtet es ihn, sich ihnen im Besonderen zuzuwenden, den sozialdemokratischen Einfluss auf diese Kräfte zu brechen und sie für die proletarische Sache zu gewinnen. Welche Umgebung könnte sich dafür besser eignen, als der ökonomische Klassenkampf, der jeden Tag in den Betrieben in ganz Deutschland stattfindet und der die Klassenfrage an der direkten Lebensrealität der Arbeiter beantwortet? Der den Klassenfeind klar erkennbar macht und auch den bürgerlichen Staat immer wieder zur Selbstenttarnung zwingt. Nirgendwo sonst lässt sich der Opportunismus der Gewerkschaftsbürokratie so gut aufdecken und zur Schau stellen, wie in den konkreten Arbeitskämpfen und vor den Augen mehrerer Millionen Arbeiter jedes Jahr. Die Arbeit in den Gewerkschaften ist daher unverzichtbar und eine wichtige Grundlage für den Aufbau einer revolutionären Massenbewegung.