In den letzten Monaten wurde von Protestbewegungen immer wieder die Forderung der Verstaatlichung hervorgebracht, zum Beispiel im Bereich Wohnen oder Energie. Die Grundidee ist, dass lebenswichtige Bereiche der Versorgung nicht dem Markt überlassen werden können und darum in Staatshand gehören, wo sie dem Gemeinwohl unterstellt sind. Dass es nicht ganz so einfach ist zeigen jedoch Beispiele aus der letzten Zeit, zum Beispiel die Verstaatlichung des Energiekonzerns Uniper.
Uniper: Wie funktioniert die Verstaatlichung?
Uniper ist eines der Energieunternehmen, welches in der derzeitigen Energiekrise schlecht dran war. Die Preise, die an der Energiebörse ins Unermessliche hochspekuliert werden, können von Uniper nicht an die Kunden weitergegeben werden, zum Beispiel, weil noch andere Verträge bestehen. Auch die Gasumlage, die Konzernen bei genau dieser Abwälzung helfen sollte, hätte Uniper nicht retten können. Somit ist der Staat eingeschritten und hat den Konzern übernommen, also 99% der Anteile erworben, womit er die Verfügungsgewalt über die Geschäfte von Uniper gewinnt. Die Verstaatlichung von Uniper wird so schonend für den Konzern wie möglich umgesetzt – schließlich wurde er vollständig entschädigt, er wurde aufgekauft. Eine andere Option wäre gewesen, Uniper pleite gehen zu lassen und dann staatlich zu übernehmen. Die Kosten für die „Rettung“ wären deutlich geringer ausgefallen.
Wozu die neue Verfügungsgewalt genutzt wird, macht Wirtschaftsminister Robert Habeck klar: „Der Staat wird, das zeigen wir ja, alles Nötige tun, um die Unternehmen immer stabil am Markt zu halten.“ Die Rettung Unipers soll das Überleben des Konzerns sichern. Das trage zum Gemeinwohl bei, so die Rechtfertigung, die auch nötig ist, schließlich kostet die Verstaatlichung weit über acht Milliarden aus der Staatskasse. Doch kann man sagen, dass das „stabil am Markt halten“ eines Konzerns, gerade zu so hohen Preisen, automatisch dem Gemeinwohl dient? Schließlich gibt es viele große deutsche Unternehmen, die „stabil am Markt“ sind, den Arbeitern und dem Gemeinwohl bringt das erstmal recht wenig. Unternehmen sind für ihre Konkurrenzfähigkeit auf Ausbeutung angewiesen – ihr Erfolg am Markt steht damit in direktem Zusammenhang mit einer verschärften Ausbeutung. Die Verstaatlichung von Uniper wird dieses grundlegende Prinzip nicht aufheben, sondern viel eher die Konkurrenzfähigkeit stabil halten, indem sie mit riesigen Summen an Steuergeldern eingreifen und den Konzern retten wird, um ihn danach wieder in private Hand zu geben. So deutet der Vorsitzende der Monopolkommission, Jürgen Kühling, bereits an: „Ziel darf nicht sein, dauerhaft ein staatliches Gasmonopol zu schaffen.“ Der Wettbewerb sei wichtig, damit die Energiemärkte funktionierten.
Wir sehen also, dass der Staat durch die Übernahme einzelner Bereiche das Prinzip der Konkurrenz und der Profitmaximierung nicht bricht, nicht einmal in diesem spezifischen Bereich. Dies lässt sich nicht nur im Bereich Energie beobachten: Es gibt viele Kliniken in Deutschland, die in kommunaler Hand sind. Die Bedingungen vor Ort unterscheiden sich jedoch häufig nicht von denen der großen Krankenhauskonzerne, das Prinzip der Fallpauschalen und das Sparen an der Gesundheit sind auch hier verbreitet. Dass ein Unternehmen in Staatshand ist, bedeutet also nicht automatisch, dass es nach dem Gemeinwohl ausgerichtet ist und die Profitmaximierung keine Rolle mehr spielt.
Warum also Verstaatlichung?
Dass die Forderung nach Verstaatlichung trotzdem so oft als Allheilmittel angesehen wird liegt an einem falschen Verständnis des Staates. Die grundlegende Argumentation ist, dass der Staat demokratisch sei und im Wohle aller handeln würde. Darum muss ein Unternehmen, das in staatlicher Hand ist, ebenfalls nach diesen Prinzipien funktionieren. Die Realität zeigt, wie falsch dieses Verständnis ist. Der Staat spielt dem Markt gegenüber keine oppositionelle Rolle. Vielmehr verwaltet er ihn auf nationaler Ebene. Der deutsche Staat hat die Aufgabe, die deutsche Wirtschaft zu verteidigen. Am deutlichsten sieht man das, wenn Regierungsvertreter diplomatische Beziehungen pflegen, um wirtschaftlichen Einfluss oder Handelsdeals zu erreichen, oder sogar die Armee in andere Länder schicken, um deutsche Interessen und Einflusszonen zu verteidigen. Doch natürlich gibt es nicht das eine Interesse der deutschen Wirtschaft. Zwar tritt der Staat nach außen hin als nationale Einheit auf, aber auch im inneren gibt es Widersprüche zwischen einzelnen Unternehmen und Monopolen, Kartellen und Branchen. Der Staat hat hier die Rolle, auf diese Konflikte so Einfluss zu nehmen, dass die Gesamtentwicklung der deutschen Wirtschaft vorangeht. Das kann zum Beispiel bedeuten, zu große Monopole zu zerschlagen, wenn deren Preise andere Bereiche in den Ruin treiben. Lenin nannte den Staat, der den Kapitalismus einer Nation so verwaltete, den „ideellen Gesamtkapitalisten.“ Verstaatlichungen heißen hier also erstmal nur eine zentralere Verwaltung und eventuell eine Vergesellschaftung der Verluste wie im Falle von Uniper.
Dass die Forderung nach Verstaatlichung trotzdem so häufig gestellt wird liegt auch daran, dass der Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten eher eine gegenteilige Richtung eingeschlagen hat. Mit dem Neoliberalismus ging eine Periode der Privatisierung von ganzen Bereichen, beispielsweise der Bahn, einher, was die Lage in diesen Bereichen häufig verschlechtert hat. Es liegt also nahe, die Privatisierung als das grundlegende Übel anzusehen und die Verstaatlichung als Alternative zu fordern. Gerade Parteien wie die Grünen oder die SPD kritisieren gerne den Neoliberalismus und plädieren für einen stärkeren Sozialstaat. Doch Konzerne in die Hände eines kapitalistischen Staates zu legen, wird sie dem Kapitalismus nicht entreißen und den Kapitalismus nicht beenden. Während des ersten Weltkrieges beispielsweise wurden weite Teile der Industrie sowie der Infrastruktur des Kaiserreiches verstaatlicht, um jede wirtschaftliche Anstrengung auf das Gewinnen des Krieges zu richten und zu zentralisieren. Zu argumentieren, das Kaiserreich hätte aufgrund dieser Verstaatlichung mit der Logik des Kapitalismus gebrochen und auf der Schwelle zum Sozialismus gestanden, wäre absurd.
Also keine Verstaatlichung?
Die Verstaatlichung von Unternehmen bedeutet also nicht automatisch, dass diese Unternehmen im Sinne des Gemeinwohls funktionieren. Trotzdem ist die Forderung der Verstaatlichung sinnvoll, denn sie verbessert die Voraussetzungen für den Kampf. Die KPD diskutierte auf ihrem Gründungsparteitag 1918/19 die Forderung nach einer Planwirtschaft. Allen war klar, dass die zentralisierte und verstaatlichte Industrie nach dem Ersten Weltkrieg noch kein Sozialismus war. Doch die Bedingungen für eine Planwirtschaft waren denkbar gut, da die nötige Zentralisierung und Verwaltung strukturell bereits gegeben war. Der Aufbau eines sozialistischen Staates an der Stelle des bisherigen Staates würde vereinfacht. Paul Lange formulierte damals: „… daß alle diese vielen technischen Maßnahmen und Eingriffe, die da vorgenommen worden sind, daß die in gewissem Sinne die Basis dafür bieten, daß die Vergesellschaftung der Produktionsmittel herbeigeführt werden kann.“
Auch heute, wo der Aufbau eines neuen Staates weit entfernt scheint, kann man sagen, dass die Forderung nach Verstaatlichung die Voraussetzungen des Kampfes verbessert. Durch die zentrale Verwaltung eines Betriebes oder einer Branche können politische Forderungen an diesen Bereich formuliert und technisch einfacher umgesetzt werden. Die Möglichkeiten, das Prinzip der Profitmaximierung zumindest stellenweise einzuschränken, sind im Vergleich zum freien Markt zumindest besser.
Trotzdem müssen wir unsere Forderungen präzisieren: Statt Verstaatlichung, also Aufkauf von Konzernen durch den Staat, brauchen wir eine entschädigungslose Enteignung, die nicht wie im Fall von Uniper auch noch Gelder darauf verwendet, die Eigentümer zu entschädigen. Zudem muss immer klar sein, dass die Verstaatlichung allein kein Allheilmittel ist. Den Charakter dieses Staates nicht zu verschleiern und die Grenzen der Verstaatlichung in diesem System aufzuzeigen, ist somit wichtig und muss mit der Forderung nach Enteignung einhergehen.