Sozialproteste – wann, wo, mit wem?

Im Juli dieses Jahres sprach Annalena Baerbock in einer Talkshow im Zusammenhang mit ausbleibenden Gaslieferungen von potenziellen „Volksaufständen“ in Deutschland. Viele waren empört, die Ministerin würde etwas „heraufbeschwören“, andere freuten sich, dass ihre Wut zumindest ein bisschen Unruhe in der Politik auslöste. Unter welchem Kalkül auch immer diese Warnung zustande gekommen war – seit Juli haben sich die Debatten und Streits rund um den „heißen Herbst“ vervielfacht. Die Gründe für die seit einigen Wochen wirklich vielerorts stattfindenden Demonstrationen sind klar: Teuerungen, die sich auf die Privathaushalte so extrem auswirken, dass selbst diejenigen, die vorher gut verdient haben, unter Druck geraten und die, die vorher schon am Existenzminimum lebten, in den Ruin getrieben werden. Vor allem Arbeiter, die von Einkommen zu Einkommen leben, sind von den Teuerungen betroffen, aber auch Selbstständige gehen zurzeit auf die Straße. Und das mit jedem Recht, ist es doch die Politik dieses Staates, die allein die Interessen des Kapitals schützt und die Verarmung der Menschen dabei noch vorantreibt.


Protestaktion in Stuttgart/ Bild oben: Hamburg

Genau dieser Staat hat auch ordentlich Schiss bekommen. Dies lässt sich zumindest aus den Reaktionen diverser Staatsmänner ableiten, die versucht haben, die Proteste von vornherein zu diskreditieren. Grünen-Chefin Ricarda Lang beispielsweise warnte davor, dass „bestimmte Kräfte“ die „soziale Situation für ihre eigenen Interessen ausnutzen“ wollten. Nancy Faeser, SPD-Ministerin, prophezeite einen Missbrauch der Krise durch „Populisten und Extremisten“ und das NRW-Innenministerium bezeichnete gleich „neue Staatsfeinde“, die demokratiefeindlich und sicherheitsgefährdend seien und jedes Thema aufgreifen würden, das gegen den Staat gehe. Es wird sich größte Mühe gegeben, alle Proteste im Vorhinein als rechts abzustempeln oder alle, die auf die Straße gehen, mit Rechten in einen Topf zu werfen. Es ist offensichtlich, dass man als Demonstrant schlecht dran ist, wenn man sich Warnungen von denjenigen hingibt, gegen die man faktisch auf der Straße ist. Genau das ist jedoch passiert – teilweise auch unter fortschrittlichen Kräften, die sich jetzt die Frage stellen, ob sie zu Sozialprotesten gehen können oder ob sie dort sofort mit rechten Kräften auf der Straße stehen würden.

Und natürlich gibt es rechte Kräfte, die zur Zeit auf die Straße gehen. Die AfD, aber auch rechte Splittergruppen, mobilisieren zu Protesten gegen die Regierung. Die AfD ist dabei in einer denkbar guten Position. Immer mehr Menschen verlieren den Glauben in die Regierung aus Grünen, SPD und FDP, die ein Sinnbild für Verarmungspolitik mit fortschrittlichem Anstrich ist. Die AfD hat sich in dem Kulturkampf, auf den sie sich gerne konzentriert, schon immer als Gegner genau dieses „links-grünen“ Klientels positioniert und stößt in ihrer Position nun auf immer mehr Verbündete. Das liegt vor allem daran, dass die Partei laut und provokant auftritt – tatsächlich unterscheidet sich ihre Sozialpolitik wenig von der der Regierungsparteien. Statt für den „kleinen Mann“ tritt die AfD programmatisch für Steuerentlastungen für Reiche sowie den Abbau des Sozialstaates ein. Auch die Russland-Politik der AfD spielt ihr in die Karten: Während die Regierung sowie CDU und in Teilen auch die Linkspartei den Kurs der „vollen Solidarität mit der Ukraine“ fahren, bei dem ihnen kein Mittel zu schade ist, um die Aufrüstung und den Krieg zu befeuern, nimmt die AfD eine andere Haltung ein. Sie ist gegen die derzeitige Politik gegenüber Russland und plädiert beispielsweise für die Öffnung von Nord Stream 2. Das bedeutet aber keinesfalls, dass die AfD einen antimilitaristischen Kurs fährt – bei der Abstimmung über die 100 Milliarden für die Bundeswehr brachte sie einen Änderungsantrag ein, der die Verteilung des Geldes lediglich besser überwachen wollte. Die AfD ist keinesfalls eine Friedenspartei, ihre Haltung gegenüber Russland begründet sich viel eher darin, dass sie die Interessen der russischen Lobby vertritt, die zwar nicht besser oder schlimmer ist als beispielsweise die US-Lobby, der AfD aber ermöglichen, hier eine „Gegenposition“ zur Regierung darzustellen.

Die AfD schafft es also zurzeit, den Unmut der Bevölkerung in Teilen aufzufangen, jedoch nicht inhaltlich, sondern nur im Wort. Dies wird noch dadurch bestärkt, dass Organisationen wie der DGB durch ihre Kollaboration mit der Regierung, zum Beispiel in Form der Konzertierten Aktion, sowie durch ihre schwache Kampfbereitschaft in den derzeitigen Tarifauseinandersetzungen an Glaubwürdigkeit verlieren. Somit sind die Gewerkschaften, eigentlich wichtiger Träger von sozialen Bewegungen, teils gelähmt in ihrer Reaktion auf die Krise.

Wie nun also umgehen mit den rechten Bewegungen? Zwar befinden wir uns gerade nicht einer Situation, in der große Teile der herrschenden Klasse faschistische Parteien unterstützen und ihnen zur Regierungsmacht verhelfen, wie dies vor dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Dennoch ist der Einfluss der Rechten ein Problem. Denn zusätzlich zu der Tatsache, dass diese die Wut der Menschen auffangen und für ihre Zwecke nutzen, die jedoch die Lage der Bevölkerung nicht verbessern werden, schüren rechte Kräfte Spaltung und Hass, beispielsweise zwischen migrantischen und nicht-migrantischen Arbeitern, und mindern damit die Kampfkraft und die Solidarität unter den Kollegen. Es ist also offensichtlich, dass wir die rechten Kräfte nicht stärken dürfen, wenn wir unsere Forderungen auf die Straße tragen, sondern ihnen viel eher den Boden unter den Füßen entziehen müssen. Das funktioniert am besten, indem unser Protest sich klar von rechts abgrenzt – jedoch nicht nur durch Distanzierungen, sondern vor allem in den Inhalten. Denn wir sind diejenigen, die Antworten auf die Fragen der Menschen haben. Wir fordern, dass die Reichen zur Kasse gebeten werden, dass die Krise nicht von den Arbeitern gezahlt wird, dass die Aufrüstung und Kriegstreiberei gestoppt werden. Diese Forderungen sind unser Kernanliegen und sie allein sind unsere beste Abgrenzung gegen rechts – kein Kulturkampf um Worte oder Formulierungen, sondern eine Abgrenzung in den Inhalten. Statt Migranten zum Sündenbock zu machen gewinnen wir sie als Verbündete und kämpfen für gleiche Rechte für alle – denn der Feind ist das Kapital.

Darum ist es auch wichtig, Proteste zu organisieren, die nicht „gegen die rechten Proteste“ auf die Straße gehen, sondern eigene Forderungen stellen, für die wir demonstrieren. Dabei dürfen wir uns auch nicht davon einschüchtern lassen, ob in der Presse versucht wird, Proteste zu diskreditieren. Es sind viel eher die Zeiten, in denen wir noch offensiver nach vorne gehen und Menschen von unserem Standpunkt überzeugen müssen. Darum zeigt uns die ganze Debatte um die Frage, mit wem man demonstrieren darf vor allem eins: Es kommt auf die Forderungen an. In der Weimarer Republik war es eine gängige Praxis unter Kommunisten, auf die Proteste der Nationalsozialisten zu gehen, sie auf dem Rednerpult herauszufordern und die eigenen Positionen zu verbreiten. Mit derselben Überzeugungskraft und demselben Selbstbewusstsein müssen auch wir gegen Krieg, Krise und Kapital auf die Straßen gehen – egal, was das Kapital davon hält.