„Und der Vater Staat zeigt dem Volk seine Organe, alles was er hat…“

So heißt es in einem Chanson von Walter Mossmann zu Zeiten
der Kämpfe um das AKW Whyl. Diese Liedstrophe würde auch zu den Ereignissen am
1. Mai in Ulm passen.

Die Vorgeschichte: Die Nachwuchsorganisation der NPD „Junge
Nationaldemokraten“ hatte für den 1. Mai sowohl in Ulm als auch in Neu-Ulm
Demonstrationen angemeldet. Beide Städte sowie der DGB versuchten, den
Aufmarsch der Neonazis durch Verbote zu verhindern. Doch zunächst das Verwaltungsgericht
Sigmaringen (für Ulm) und nach Einspruch durch die Stadt Ulm und den DGB auch
der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hoben das Demo-Verbot auf. Es
verstoße „gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit“.

Dass es da wohl zweierlei Recht gibt, das zeigten die
weiteren Ereignisse.

Denn für die Polizei scheint das „Recht“ der Faschisten auf
freie Meinungsäußerung weit höher zu stehen als das Recht der Antifaschisten
auf Abwehr der braunen Kameraden oder auch nur auf körperliche Unversehrtheit.
Ein recht anschaulicher Augenzeugenbericht wurde im Internet bei „indymedia“
veröffentlicht. Er stammt von den Jusos aus Ludwigsburg und ist damit über den
Verdacht erhaben, aus dem Blickwinkel der Autonomen geschrieben zu sein.

Hier ein paar Auszüge:

        
„Um 9:30 Uhr mussten wir mit ansehen, wie am Bahnhof
ein vermeintlich kommunistischer Demonstrant mit Migrationshintergrund vor dem
McDonald’s gewaltsam von 5 BFE Beamten festgenommen wurde. Der Sohn und zwei
weitere Freunde, die dies mit Entsetzen und leicht unter Panik geraten
mitbekamen, wurden gewaltsam von der Verhaftung und unter Einsatz von
Knüppeldrohung abgedrängt. Ein Grund der Verhaftung, schon gar nicht für die
gewaltvolle Verhaftung, war von Seiten der Polizei nicht zu erfahren…“

        
„ 10:00 Uhr. Die Stimmung war angespannt. Immer mehr
Polizei sammelte sich am Bahnhof, es kamen fast im Minutentakt neue
Einsatzkräfte an….

        
Am Bahnhof wurden die ersten Platzverweise verteilt. Nun
gab es einen Kessel der alle ankommenden Aktivisten in sich aufnahm. Gegen
10:30 Uhr wurden Jusos, Antifa-Aktivisten, aber auch Gewerkschaftler und andere
Zivilpersonen direkt von der Polizei abgefangen und mit einem Platzverweis
davon geschickt….

        
Etwa zeitgleich bekamen wir einen Anruf von der
DGB-Kundgebung, mit dem Bericht, dass unter Einsatz von Tränengas etwa 50-80
Personen am „Weinhof“ gekesselt wurden.“ *)

        
„Um 12:40 Uhr war die Stimmung etwas gereizt, als ein
sogenanntes „Antikonfliktteam“, mit Pistole bewaffnet auftauchte und
Informationsflyer verteilen wollte.“

        
„ 14:20 Uhr Eskalation an der Wegegabelung
Olgastraße/Keltergasse/Wengengasse. Zum Ablauf: Laute Pfiffe, laute Parolen
begleiteten den Aufmarsch der NPD…Die NPD nähert sich der Kurve, nun war die
NPD abgeschottet von zwei Reihen Polizeiautos, Stoßstange an Stoßstange! Einen
Wasserwerfer mit Blick zur Wengengasse, mehrere Hundertschaften BFE-Trupps und
berittene Polizei. Zudem auf voller Breite das Hamburger Gitter!“

Und nachdem Gegendemonstranten
eines der Absperrgitter etwa 3 m weit weggezogen hatten:

        
“Dies veranlasste die Polizei, ihre Sperrung
größtenteils wegzuziehen und ihre Reiter in die Demonstration zu treiben,
gefolgt von der Knüppelgarde“

Und zu einem späteren Zeitpunkt,
als eine „Theatergruppierung“ mit etwa 80 Personen mit Jubel empfangen wurde
und zeitgleich Autonome „Kleingegenstände“ Richtung Polizei geworfen hatten:

        
„Die berittene Polizei trieb die Pferde in die
friedliche Truppe, wieder gefolgt von der Knüppelgarde. Dies hatte zur Folge,
dass Einige niedergerissen wurden, die Leute panikartig die Flucht ergriffen.
Eine Demonstrantin sackte in sich zusammen, als sie von einem Pferdehuf
getroffen wurde.“

Der ganze Bericht ist im Internet
unter http://de.indymedia.org/2009/05/249095.shtml
nachzulesen.

 

Das Vorgehen der Polizeikräfte
war derart brutal, dass sich sogar die bürgerliche Zeitung, die „Südwest Presse
– Ausgabe Ulm“ darüber aufregt und schreibt „Gegen 15 Uhr läuft das ganze aus
dem Ruder: Um den Bahnhofsplatz zu räumen, gehen die schwarz gekleideten
Sonderkräfte brachial dazwischen. Sie setzten Schlagstöcke ein, auch
Wasserwerfer -Fahrzeuge.“ Von den Polizeihunden und der berittenen Polizei ist
hier noch nicht mal die Rede.

 

Nach meiner Meinung geht es hier
einerseits darum, den alten und neuen Faschisten Freiraum für ihre Propaganda
zu schaffen und die Antifaschisten damit zu provozieren.

Andrerseits erprobt hier der
Staatsapparat auch schon die Tauglichkeit seiner „Organe“ für den
Bürgerkriegseinsatz. Je tiefer dieses System in die Krise rutscht, desto
wahrscheinlicher wird die Notwendigkeit solcher Einsätze für die Herrschenden.
Derweilen zeigt der Staat auch schon mal „seine Organe, alles was er hat“,
nicht zuletzt um uns einzuschüchtern. Aber so einfach funktioniert es für sie
auch nicht: Immer mehr Menschen erkennen die Funktion der Staatsorgane und sie
werden es lernen, auch mit ihnen – so oder so – fertig zu werden.

Zu beachten ist insbesondere
auch, dass mehrmals Innenminister Wolfgang Schäuble und neulich auch Kanzlerin
Angela Merkel den Einsatz der Bundeswehr im Inneren und damit eine Änderung des
Grundgesetzes gefordert haben.

 

*) meiner Einschätzung nach waren
es mehr als 100 Personen

 

S.N.