Das Luxemburg-Liebknecht-Wochenende – eine Einschätzung

Wie an jedem zweiten Januarwochenende kamen im Berlin auch dieses Jahr tausende Menschen am 11. und 12. Januar zusammen, um den Arbeiterführern Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu gedenken. Sowohl die Rosa-Luxemburg-Konferenz (RLK) am Samstag als auch die Demonstration am Sonntag geben Anlass für eine Einschätzung über den Stand derjenigen politischen Kräfte in Deutschland, die sich auf den Sozialismus beziehen.

RLK – Verwirrung, aber auch Diskussion 

Wie jedes Jahr richtete die Tageszeitung „junge welt“ die RLK aus – dieses Mal in den Wilhelm Studios Berlin. Dabei gab es wie jedes Jahr viele Unterstützer, von denen nicht wenige auch mit eigenen Informationsständen vertreten waren. Mit über 3.000 Teilnehmern bleibt die RLK ein wichtiger Bezugspunkt für Menschen aus ganz Deutschland, die gegen Krieg, Aufrüstung und Militarisierung Stellung beziehen möchten.

Gleichzeitig stellte der Aufruf der diesjährigen Konferenz bereits ein zentrales Problem heraus.  Das Motto der Veranstaltung war dieses Jahr: „Das letzte Gefecht – wie gefährlich ist der Imperialismus im Niedergang?“ Zitieren wir kurz aus dem Aufruf: „Der Konferenztitel erinnert an die Zeilen »Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht« aus der weltbekannten Hymne von 1871. Doch während die darin beschworene Revolution zur Befreiung der Arbeiterschaft und zur Errichtung des Sozialismus hierzulande nicht absehbar ist, werden wir im Weltmaßstab Zeugen des Aufstiegs des globalen Südens, allen voran der Volksrepublik China. Die multipolare Weltordnung eröffnet Chancen zur Abschüttelung neokolonialer Fesseln und politischer Abhängigkeiten.“

Offener kann kaum formuliert werden, was sich seit Jahren schon auf der RLK abzeichnet: statt die Parole „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ (Karl Liebknecht) und die Kämpfe in Deutschland gegen Krieg, Aufrüstung und Militarisierung in den Mittelpunkt zu stellen, beschwört der Aufruf andere Kräfte die es für uns richten sollen: aufstrebende imperialistische Mächte wie China oder Russland, oder andere sich entwickelnde Länder, die sich aufgrund ihrer eigenen Interessen aus dem Einfluss der USA lösen möchten. Natürlich gilt es, die aggressive Politik des US-Imperialismus zu entlarven und die Beteiligung auch der Bundesregierung an der Aufrüstung im Rahmen der NATO-Vorgaben anzugreifen. Nicht jedoch um ein angebliches „Gleichgewicht“ der Mächte im Rahmen einer „multipolaren“ Weltordnung zu schaffen – eine falsche Auffassung, die sich durch viele der Redebeiträge auf der Bühne durchgezogen hat und behauptet, die Imperialisten dieser Welt könnten in Frieden leben, wenn ihre jeweiligen Interessen berücksichtigt werden würden. Dass das Gegenteil der Fall ist, zeigt sich aber z.B. im Krieg in der Ukraine, wo genau dieses Aufeinanderprallen imperialistischer Interessen zu Tod und Zerstörung führt – auf Kosten der ukrainischen und russischen Bevölkerung auf beiden Seiten. Eine ausführlichere Positionierung zu diesen Themen finden sich auf der Internetseite „theorieundpraxis.org“, sowohl zur Diskussion rund um die Frage des „Multipolarismus“, als auch zur Frage des imperialistischen Charakter Chinas.

Dagegen sind positiv herausgestochen das Jugendpodium, auf dem junge Gewerkschafter und Vertreter der Jugendorganisationen SDAJ und DIDF-Jugend über die betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfe junger Arbeiter und Auszubildender diskutiert und die Notwendigkeit unterstrichen, diese mit dem Kampf gegen Krieg, Aufrüstung und Militarisierung zu verknüpfen. Die Vertreterin der DIDF-Jugend hob dabei die Rolle der Arbeiterklasse als die Kraft hervor, auf die die Jugend sich in ihrem Kampf für eine lebenswerte Zukunft stützen muss. Ebenso wurde im Rahmen eines Parallelprogramms der DIDF-Jugend und des IJV eine Gegenposition zu dem im Aufruf vertreten Standpunkt formuliert, in dem unterstrichen wurde, dass die Arbeiter und Jugendlichen sich in ihrem Kampf für ein Leben ohne Krieg und Ausbeutung nicht auf andere imperialistische Mächte wie China oder Russland stützen können und die Kraft entwickeln müssen, den Kriegstreibern im eigenen Land das Handwerk zu legen. Diese Diskussionen führen und sie mit einem breiteren Publikum teilen zu können, sind wichtige Gelegenheiten dafür, den Kampf für eine starke Friedensbewegung in Deutschland zu führen und allen die Hand zu reichen, die ehrlich daran mitarbeiten möchten – um anhand gemeinsamer und breiter Forderungen die noch vorhandene Kriegsgegnerschaft in der deutschen Bevölkerung zu mobilisieren und alle die gegen Krieg, Aufrüstung und Militarisierung sind zusammenzubringen.

LL-Demo: Klassenkampf oder Parade?

Ein sehr viel negativeres Bild bot jedoch – mit wenigen Ausnahmen – die traditionelle Gedenkdemonstration am darauffolgenden Sonntag. Aneinandergereihte und geschlossene Blöcke verschiedener Organisationen, militärisches Auftreten und Vermummung, Parolen auf Bannern, die nicht die dringendsten Probleme der Arbeiter und Jugendlichen in Deutschland adressieren, sondern viel mehr das Bedürfnis nach möglichst revolutionärer Wortwahl widerspiegeln. Wer nicht eingeweiht ist, scheint auf dieser Demonstration nichts verloren zu haben.

Dabei ist der Kampf von Luxemburg und Liebknecht aktueller denn je und geht dutzende Millionen Menschen in Deutschland etwas an. Krieg, Aufrüstung und Militarisierung lasten stark auf den Schultern von sehr vielen Menschen und sind spürbar in steigenden Preisen, sinkenden Löhnen und sozialen Kürzungen in allen Lebensbereichen. Entsprechend können Forderungen aufgestellt werden, die das, wofür die beiden großen Führer der deutschen Arbeiterbewegung ihr Leben gelassen haben, nämlich ein Deutschland ohne Krieg und Ausbeutung, in dem die Arbeiter selbst das Sagen haben, in den kleinen und großen Kämpfen heute am Leben halten. Doch das Gegenteil ist der Fall – die Demonstration in ihrer diesjährigen Form trägt leider aktiv dazu bei, dieses Gedenken zu einer ausschließlichen Angelegenheit einiger Tausend zu inszenieren.

Dabei sind es vor allem Jugendliche, die an der Demonstration teilnehmen. Jugendliche, die z.B. in kleinen und großen Kämpfen von ihren Interessensvertretungen in Betrieb, Schule und Universität, über breite Jugendorganisationen, bis hin zu noch im Entstehen begriffenen Jugendbewegungen breitere Massen an jungen Menschen erreichen könnten, um sie an den Kampf von Karl und Rosa heranzuführen. Ein starkes Gedenken könnte dann anders aussehen. Ein starkes Gedenken könnte es der Presse schwer machen, die Demonstration als Ansammlung der Verirrten darzustellen, weil die Aktualität des Gedenkens unmissverständlich in Aufruf, Parolen und Bannern zum Ausdruck kommt. Ein starkes Gedenken könnte dadurch zustande kommen, dass wir zumindest die fortschrittlichen Kollegen aus dem Betrieb zum Wochenende nach Berlin einladen können, um über aktuelle Fragen zu diskutieren und ein politisches Zeichen zu setzen. Ein starkes Gedenken könnte dadurch zustande kommen, die Demonstration Schritt für Schritt wieder zur Angelegenheit breiterer Teile der deutschen Arbeiterklasse zu machen. Würde das dem Gedenken an Karl und Rosa nicht mehr gerecht werden und dem Klassenfeind nicht mehr weh tun als der aktuelle Zustand?

Es ist wichtig, dass sich mehr und mehr junge Menschen auf der Suche nach Orientierung befinden und das Andenken von Karl und Rosa wahren möchten. Die Herausforderung besteht darin, die Wege zu öffnen, die Kämpfe der Arbeiterklasse und der Jugend voranzutreiben und sie zu einem realen Potential für den Klassenkampf in Deutschland zu machen. In geduldiger Arbeit im Kleinen – und den ideologischen Auseinandersetzungen auch im Großen. In dem Versuch, dem Andenken von Karl und Rosa am besten gerecht zu werden.