Was das Verhandlungsergebnis in der Metall- und Elektroindustrie bedeutet

Für die 4,6 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie hat die IG Metall im Bezirk Küste und Bayern nach einer 18-stündigen Verhandlung am 12.11.2024 ein Pilot-Verhandlungsergebnis erzielt. Der Bezirk Baden-Württemberg und andere haben das Ergebnis bereits übernommen.

Anders als in der Tarifrunde 2022 begannen die Vorbereitungen auf die Tarifrunde bereits im Frühjahr 2024 mit einer Befragung der Beschäftigten, an der über 318.000 Kolleginnen und Kollegen teilnahmen. 30 Prozent der Befragten sprachen sich für eine Entgelterhöhung zwischen 6 und 8 Prozent aus und 34 Prozent für eine Erhöhung von mehr als 8 Prozent. 93 Prozent der Befragten gaben an, dass sie die höheren Lebenshaltungskosten belasten. Die Jugend der IG Metall hatte dies bereits nach der Tarifrunde 2022 erkannt und sich darauf vorbereitet. Sie stellte Anträge auf dem Gewerkschaftstag 2023 für eine überproportionale Erhöhung der Ausbildungsvergütungen und erreichte durch die Überzeugung der Tarifkommissionen eine eigene Forderung. So wurde erstmals seit über zehn Jahren neben der allgemeinen Forderung von 7 Prozent für 12 Monate auch für die 230.000 Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie eine spezielle Jugendforderung von 170 Euro beschlossen.

Das Kapital versuchte jedoch, die Verhandlungsposition der Beschäftigten zu schwächen, indem es den Beschäftigten mit Werksschließungen und Personalabbau drohte und die Deindustrialisierung Deutschlands beschwor. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall forderte auf, „gemeinsam“ für den Wirtschaftsstandort Deutschland einzustehen und auf Lohnerhöhungen zu verzichten. Sie forderten nicht nur eine Nullrunde, sondern brachten ins Spiel, das erkämpfte Weihnachts- und Urlaubsgeld der Kolleginnen und Kollegen zu streichen. Während sie das sagten, verschwiegen sie, dass die börsennotierten Metall- und Elektrobetriebe eine durchschnittliche Rendite von 8,5 Prozent erwirtschafteten. Ein Beispiel: Während die Konzernführung von VW mit Massenentlassungen und Standortschließungen droht, wurde im Jahr 2023 ein Gewinn von 22,6 Milliarden Euro bei einer Netto-Umsatzrendite von 7 Prozent erzielt.

Die IGM-Führung setzte, angespornt durch die inszenierte Drohkulisse der Kapitalseite, auf Sozialpartnerschaft und wollte den Unternehmen nicht wirklich weh tun. Daniel Friedrich, Verhandlungsführer und Bezirksleiter der IG Metall Küste, drückte es so aus: „Wir als Tarifparteien übernehmen damit Verantwortung und geben den Beschäftigten und auch den Betrieben Stabilität in unsicheren Zeiten.“

Die Metallerinnen und Metaller wollen selbstverständlich Stabilität für ihre Arbeitsplätze, allerdings auch Löhne und Gehälter, die zum Leben reichen. Stabilität für die Betriebe und die Sicherheit der Arbeitsplätze werden allerdings nicht durch die Verarmung der Beschäftigten geschaffen.
In Betrieben, wo Lohnzugeständnisse gemacht wurden, um Arbeitsplätze zu erhalten, ging das meist zu Lasten der Kolleginnen und Kollegen aus. Sie verzichteten auf Lohn, Arbeitsplätze wurden trotzdem vernichtet und am Ende war das Arbeitslosengeld entsprechend niedriger. Entlassungen werden von der Kapitalseite entsprechend ihren Interessen entschieden.

 

Mageres Angebot – starker Kampf!

Das erste Angebot, das Gesamtmetall vorlegte, beinhaltete bei einer Laufzeit von 27 Monaten neun Nullmonate, eine Erhöhung der Entgelte um 1,7 Prozent erst ab Juli 2025, weitere 1,9 Prozent ab Juli 2026 bis Ende des Jahres und kein Angebot für die Azubis. Gesamtmetall argumentierte, dass eine überproportionale Erhöhung der Ausbildungsvergütungen nur durch Verzicht bei den allgemeinen Lohnforderungen möglich sei – ein Versuch, einen Keil zwischen die Arbeiter und Auszubildenden zu treiben.

Unter diesen Voraussetzungen führten die Beschäftigten ihren Kampf. Die Tarifrunde wurde begleitet von vielen Aktionen noch während der Friedenspflicht. Innerhalb von zwei Wochen beteiligten sich 632.570 Beschäftigte an den Warnstreiks. Das verdeutlicht, dass die Kolleginnen und Kollegen aus den Betrieben trotz der Angriffe bereit waren, bis zum Ende für ihre Forderungen zu kämpfen. In diesen Arbeitskämpfen stach die Jugend mit ihrer Teilnahme in den vorderen Reihen besonders heraus und führte in einigen Städten die Warnstreiks an.

Das Ergebnis:

  • 600 Euro Einmalzahlung bis Februar 2025
  • Erhöhung der Entgelte:
    • ab April 2025 um 2,0 Prozent
    • ab April 2026 um weitere 3,1 Prozent
  • Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 140 Euro ab 01.01.2025 und eine weitere Erhöhung für die Azubis ab April 2026

Überdies setzte die IG Metall eine Erhöhung der jährlichen Sonderzahlung des Tariflichen Zusatzgeldes (T-ZUG B) von derzeit 18,5 Prozent des Eckentgelts des jeweiligen Tarifgebiets (ca. 630 Euro) um 8 Prozent auf 26,5 Prozent (ca. 900 Euro) durch. Da diese Sonderzahlung an das Eckentgelt gebunden ist, konnte eine „Soziale Komponente“ für die unteren Entgeltgruppen erzielt werden. Allerdings greift diese Erhöhung auch erst ab Februar 2026.

Erfreulich für Beschäftigte, die Angehörige oder Kinder (bis 12 Jahre) pflegen oder teilzeitbeschäftigt sind, ist, dass die Auweitung der Zugangsbedingungen und eine Verbesserung bei der Wahloption zwischen Zeit und Geld beim tariflichen Zusatzgeld (T-ZUG A) erreicht wurde. Sie haben nun häufiger die Möglichkeit, Geld in Zeit umzuwandeln.

 

Nicht akzeptabel: lange Laufzeit

Doch wenn wir dieses Ergebnis bewerten, gibt es einige Schattenseiten. Es fällt auf, dass die Entgelterhöhungen für die Facharbeiter und Angestellten weit entfernt von den eigentlich geforderten 7 Prozent sind. Die tabellenwirksame Erhöhung kommt sechs Monate zu spät und ist mit 2 Prozent zu niedrig. Eine Verlängerung der Laufzeit auf 25 Monate hat außerdem eine massive Auswirkung auf das Gesamtergebnis, denn sie reduziert die erzielten prozentualen Erhöhungen. Die lange Laufzeit verhindert darüber hinaus, auf zukünftige wirtschaftliche Veränderungen wie höhere Inflationsraten durch Arbeitskämpfe in Form von Streiks zu reagieren. Das bedeutet auch, dass die Reallöhne für dieses und nächstes Jahr nicht ausgeglichen werden. Denn anders als die IG Metall kommuniziert, ergibt die tabellenwirksame Erhöhung, gesplittet auf 25 Monate, 2,38 Prozent und keine 5,1 Prozent. Daher ist es für die Zukunft wichtig, in der Gewerkschaft für kurze Laufzeiten von höchstens 12 Monaten zu kämpfen. Mehr noch: Es muss zum Thema in der Gewerkschaft gemacht werden, dass zahlreiche Betrügereien in den Tarifabschlüssen sich der Trickserei um die Laufzeit bedienen. So wurde jetzt in allen Medien behauptet, dass die IG Metall-Führung 5,1 % Entgelt-Plus erreicht hätte, was sich aber nur dadurch vortäuschen lässt, dass die unmäßig lange Laufzeit verschwiegen wird. Die Durchsetzung der Laufzeitforderung wird zu einer zentralen Frage der Tarifkämpfe und darf nicht länger als Nebenschauplatz behandelt werden.

Zudem konnte eine bereits vorhandene Differenzierung einer jährlichen Sonderzahlung nicht verhindert, sondern nur auf eine andere verschoben werden. So können Arbeitgeber entscheiden, dass sie kein Transformationsgeld (ca. 600 Euro) auszahlen, wenn sie eine Nettoumsatzrendite von 2,3 Prozent nicht erreichen.

 

Schnelle Einigung

Schon während der Warnstreiks wiederholte die Gewerkschaftsführung im Sinne der Sozialpartnerschaft immer wieder, eine schnelle Einigung erzielen zu wollen und griff das Narrativ der Arbeitgeber auf, sich in einer wirtschaftlich und politisch schwierigen Situation zu befinden. Anstatt den Druck auf die Arbeitgeber zu erhöhen, die die Profiteure der letzten Jahre waren, nahmen sie immer wieder die Politik in Verantwortung, die Industrie mit Steuergeldern der arbeitenden Bevölkerung zu entlasten, und drängten „in unsicheren Zeiten“ auf eine schnelle Einigung. So sind die lange Laufzeit und die niedrigen Entgelterhöhungen ein Ergebnis der sozialpartnerschaftlichen Politik. Eine „Jobgarantie“ für den Verzicht der Gewerkschaftsführungen gibt es aber nicht. Die „Verantwortung“ schultern einseitig die Kolleginnen und Kollegen.

 

Weiterkämpfen und Organisieren

Es gibt aber keinen Grund zur Entmutigung! Es war die solidarisch vor den Werkstoren demonstrierte Kampfkraft und -bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, die den Druck auf die Arbeitgeber so erhöht haben, dass eine Nullrunde verhindert werden konnte und die Spaltungsversuche zwischen Jugend und Facharbeitern zurückgedrängt wurden. Nur so konnte die Jugend erreichen, dass ihre Forderung um 170 Euro mehr in 2026 übertroffen wird. Das ist beispielhaft für zukünftigte Tarifrunden.

Es liegt jetzt an den Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben, diesen Pilotabschluss im Betrieb zu diskutieren und die Diskussionen aus den Vertrauenskörpern in die örtlichen Tarifkommissionen zu tragen. Denn das ist das Gremium, welches das letzte Wort hat, ob das Verhandlungsergebnis so angenommen wird. Dabei müssen wir gegen solche sozialpartnerschaftlichen Abschlüsse Stellung beziehen und die Weichen für die Zukunft anders stellen.

Es geht um die Zukunft unserer Gewerkschaften. Seit Jahren verlieren Gewerkschaften Mitglieder. Allein die IG Metall weist zwischen August 2023 und August 2024 einen dramatischen Mitgliederschwund von über 45.000 Arbeitern auf. Das schwächt den Druck und den gemeinsamen Kampf für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen und ist ein Syptom der sozialpartnerschaftlichen, zahnlosen und arbeiterfeindlichen Tarifpolitik der DGB-Gewerkschaften im Allgemeinen. In diesem Jahr haben viele, insbesondere junge Arbeiterinnen und Arbeiter, angefangen, sich in der IG Metall zu organisieren. Es gilt, die Gewerkschaften von innen zu stärken, ihren Charakter als Arbeiterselbstorganisationen hervorzugeben und Forderungen zu diskutieren und darauf zu drängen, dass die Mitglieder in den Betrieben wieder die Entscheidungsträger in den Tarifauseinandersetzungen werden. So gilt es nach dem Tarifergebnis in diesem Jahr, die kommende Tarifrunde vorzubereiten. Die Konsequenzen sind klar:

Keine weiteren Reallohnverluste!

12 Monate Laufzeit und nicht mehr!

Konsequente Interessenvertretung der Arbeiter statt Co-Management!