Drei Jahre hat sich die „Fortschrittskoalition“, wie sie von den beteiligten Parteien zu Anfang getauft wurde, mühsam durchgeschleppt. Nun ist sie zerbrochen, nachdem Bundeskanzler Scholz den Finanzminister Lindner vor die Tür gesetzt hat. Sofort begannen Schuldzuweisungen von Scholz an Lindner und umgekehrt. Die Medien schlachteten die persönlichen Eitelkeiten und den offensichtlichen Karrierismus aus und deuteten sie als Ursache für das Scheitern der „Fortschrittskoalition“. Selbstverständlich hat das einen Anteil an dem Untergang der Ampel, aber die wesentliche Ursache ist es nicht.
Unter dem Druck zusammengebrochen
Die Regierung war schon lange nicht mehr in der Lage, ihre inneren Widersprüche zu überwinden, um die Interessen der deutschen Wirtschaft in dieser sich zuspitzenden Weltlage nach innen sowie nach außen geschlossen zu verteidigen. Die zunehmenden Herausforderungen, vor denen sich das deutsche Kapital sieht, werden ganz offen ausgesprochen. „Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, der Wahlsieg von Donald Trump, eine neue Europäische Kommission, offene Handelsfragen mit China und der nicht wettbewerbsfähige Zustand des Wirtschaftsstandorts Deutschland (…)“ – so benennt die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, die dringendsten Probleme. Und tatsächlich macht es die verschärfte weltweite Situation immer schwieriger für das deutsche Kapital, sich gegen die Konkurrenz auf den Märkten durchzusetzen und seine Rolle zu behaupten. Umso wichtiger wäre eine Regierung, die Geschlossenheit und Stärke vermittelt und die Profitbedingungen der Unternehmen besser verteidigt als es die Ampel die letzten Jahre getan hat. Dies drückt sich auch in den Aussagen vieler Kapitalvertreter aus. Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), sagte in einer schriftlichen Erklärung: „Der Standort Deutschland braucht jetzt einen Neuanfang. Die weltpolitische Lage und der jeden Tag an Wettbewerb verlierende Standort braucht so schnell wie möglich eine handlungsfähige Politik. Eine stabile parlamentarische Mehrheit ist nun offenbar nicht mehr gegeben. Die Unternehmen brauchen aber jetzt Planungssicherheit und Stabilität. Dies erfordert vor allem ein gemeinsames Handeln für einen wettbewerbsfähigen Standort. Lediglich parteitaktische Pirouetten schaden dem Wirtschaftsstandort. Es darf keine weitere Verzögerung zu Lasten des Standortes geben. Bundesregierung, Parlament und Bundesrat müssen so schnell wie möglich zurück ins Handeln kommen zum Wohle unseres Wirtschaftsstandortes.“ Stefan Wolf, Gesamtmetall-Chef, sagte gegenüber BILD: „Angesichts der dramatischen Lage der deutschen Wirtschaft braucht es einen Befreiungsschlag mit großen, ambitionierten Maßnahmen. Die FDP hat das erkannt und sehr gute Vorschläge gemacht. SPD und Grüne waren offensichtlich nicht bereit, darüber ernsthaft zu diskutieren. Deutschland braucht eine Wirtschaftswende. Dafür braucht es eine Richtungsentscheidung und handlungsfähige Mehrheiten. Daher sollten so schnell wie möglich Neuwahlen stattfinden.“
Die Ampel hat ganze Arbeit geleistet – aber es reicht nicht
Eines wird aus den Statements deutlich: Die Ampel hat es nicht mehr geschafft, die Interessen der deutschen Unternehmen ausreichend einheitlich und kräftig zu vertreten. Dabei könnte man meinen, dass sie eigentlich ganze Arbeit geleistet hat: Nach den tollen Versprechungen am Anfang hat die „Fortschrittskoalition“ schnell alle Seifenblasen platzen lassen. Statt Fortschritt gab es in vielen Bereichen Rückschritt und massive Verschlechterungen für die Arbeiterklasse – zu Gunsten der Unternehmen. Die Sozialhilfe wurde in „Bürgergeld“ statt „Hartz IV“ umbenannt, aber es gab keinen Schutz vor Armut. Die Zahl der Menschen, die in Deutschland in Armut leben, ist auf 17,7 Millionen (21,2 Prozent der Bevölkerung) angestiegen. Die Koalition, die behauptete, „Kinderarmut zu beenden“, führte eine „Kindergrundsicherung“ ein, ohne deren Finanzierung zu sichern, versprach die Finanzierung und den Ausbau von Frauenhäusern – das Gegenteil geschah! Trotz des Versprechens, die „flächendeckende Gesundheitsversorgung“ durch eine Krankenhausreform zu sichern, wurden unter der Ampel 80 Krankenhäuser geschlossen. Unter dem Deckmantel der Sparsamkeit werden die Krankenhausschließungen 2025 fortgesetzt! Trotz des Versprechens, den gesetzlichen Mindeststundenlohn auf ein Niveau anzuheben, das ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, wurde dieser auf 12,41 Euro begrenzt. Auch das Versprechen, die Renten zu sichern und Altersarmut zu verhindern, ist in der Luft hängen geblieben. Millionen von Rentnerinnen und Rentnern sind gezwungen, zusätzlich zu ihrem Lohn zu arbeiten oder Sozialhilfe zu beziehen, um über die Runden zu kommen. „Fortschritt“ gab es nur bei Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen sowie bei den vielen Milliarden Subventionen für das Kapital. Doch offensichtlich reicht das nicht. Der Kapitalismus ist in einer Situation, in der er der großen Masse der Menschen nichts mehr bieten kann, außer Kürzungen im Sozialbereich, Bildungsmisere, Wohnungsnot, katastrophalem Gesundheitswesen. Wie wir mehrfach aufgezeigt haben, ist inzwischen weltweit Kapital in Höhe von 1,2 Billiarden Dollar aufgehäuft, dass sich aber weiter vermehren will und muss. Denn eine Schrumpfung würde zwangsläufig zu einer tiefen Krise, möglicherweise Zusammenbruch führen. Doch mit der aktuellen weltweiten Produktion ist noch nicht einmal eine 3%ige Verzinsung drin. Das reicht dem Kapital nicht und gleicht kaum die gleichzeitige Inflation aus. Daher hat sich weltweit der Kampf der verschiedenen kapitalistischen Gruppen und imperialistischen Mächte verschärft. Rohstoffe, Absatzmärkte, Einflussgebiete – alles ist heftig umkämpft. Das schlägt sich auch in den zunehmenden kriegerischen Auseinandersetzungen nieder, die es schon lange auf allen Kontinenten gibt, sich aber immer weiter ausdehnen und immer gefährlicher werden. Die Folge: Überall muss gekürzt werden, um dem Kapital mit ungeheuren staatlichen Subventionen eine weitere Verwertung zu ermöglichen. Die steigenden Militärausgaben machen es nicht mehr möglich, die Menschen mit sozialen Reformen zu besänftigen. Um all die Angriffe noch weiter zu verschärfen, wie es schon in den letzten Jahren immer wieder besonders von FDP und CDU gefordert wird, und eine noch hemmungslosere Politik gegen die arbeitende und arme Bevölkerung sowie Geflüchtete und Migranten zu machen, muss eine neue Regierung her. Für die grüne Partei, die beachtliche Teile ihrer Jugendorganisation über die letzten Monate verloren hat, und die SPD, die jetzt die letzte Chance nutzt, die asoziale Politik der letzten Jahre vollständig Christian Lindner in die Schuhe zu schieben, um das Gesicht vor der eigenen Basis zu wahren, ist diese Lösung vielleicht verkraftbar. Es sind die arbeitenden Menschen, die jetzt nach drei Jahren Ampel vor einer Phase der noch offeneren Angriffe stehen.
Wohin geht es jetzt?
Jede andere Regierung, die nun kommen wird, wird sicher viel versprechen, aber ebenfalls nichts davon halten können. Der Kurs Richtung Sozialabbau, Verschlechterung in vielen Bereichen, dafür mehr Aufrüstung wird weitergehen müssen. Dabei ist es egal, wenn die CDU/CSU in irgendeiner Koalition in die Regierung kommen. Auch eine Regierung unter AfD-Beteiligung würde diesen Kurs weiterverfolgen. Nicht umsonst wollen alle „Deutschland“ stark machen. In klaren Worten bedeutet das: Die Reichen noch reicher, die Armen noch ärmer machen!
Es ist auch bezeichnend, dass alle den Wahlsieg von Trump nutzen, um zu fordern, Europa müsse mehr für seine „Sicherheit“ tun, also mehr Rüstung und Militär. Unisono fordern das SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP. Die AfD hat in ihren Wahlprogrammen schon lange stehen, dass „Deutschland“ stärker und die Bundeswehr ausgebaut werden müsse.
In dieser Situation ist es nicht entscheidend, wer regiert. Keine Regierung kann die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus aushebeln, selbst wenn sie wollte. Entscheidend ist, dass sich die Arbeiterklasse und mit ihr alle fortschrittlichen Teile des Volkes auf einen harten Kampf einstellen müssen. Wenn die bürgerlichen Parteien noch nicht einmal ansatzweise etwas vorantreiben können, dann ist es dringend notwendig, selbst für seine Interessen zu kämpfen. Auf der Tagesordnung steht eine Stärkung der Arbeiterbewegung, nicht eine Wahlempfehlung!