Nach dem Protest vom 3.10.
Über 42.000 Tote in Gaza und israelische Angriffe auf den Libanon und Syrien. Währenddessen sagt Olaf Scholz: „Wir haben Waffen geliefert, und wir werden Waffen liefern“. Hunderttausende Tote in der Ukraine und ein festgefahrener Stellungskrieg. Währenddessen werden die über 50% der deutschen Bevölkerung, die gegen weitere Waffenlieferungen sind, regelmäßig als „Agenten Putins“ beleidigt. Es gibt eine schon lange nicht mehr in weiter Ferne stehende große Eskalation der vielen Konflikte und Spannungen, vor allem zwischen USA und China. Währenddessen werden in Deutschland US-Mittelstreckenwaffen stationiert, die Deutschland im Ernstfall zu einem Hauptschauplatz eines neuen großen Krieges machen würden.
Die Kriege auf der ganzen Welt nehmen zu und Deutschland ist keineswegs unbeteiligt, sondern ein maßgeblicher Player in den Auseinandersetzungen zwischen den imperialistischen Mächten. So liegt auf der Hand, dass eine unserer Hauptaufgaben in Deutschland heute sein muss, die Friedensbewegung zu stärken – sowohl personell als auch inhaltlich – und eine Stimme gegen die Kriegstreiberei zu sein, die nicht so einfach ignoriert werden kann. Ein wichtiger Termin für diese Bestrebungen war der 3. Oktober, die große Friedensdemo in Berlin mit ca. 40.000 Menschen. Die Demonstration zeigte deutlich die großen Potenziale, aber genauso die Probleme, vor denen wir heute im Aufbau einer Friedensbewegung stehen.
Ein breites Bündnis rief auf
Unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklungen rief ein breites Bündnis zur Demonstration auf. Die Erstunterzeichner des Aufrufs waren prominente Figuren der Friedensbewegung wie Peter Brandt oder Reiner Braun, Politiker wie Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen und Organisationen wie DIDF und verschiedene Plattformen der Friedensbewegung. Dass Friedensdemonstrationen in Politik und Medien nicht nur positiv beleuchtet werden, ist klar. Spätestens seit Olaf Scholz Friedensdemonstranten als „gefallene Engel aus der Hölle“ bezeichnete, ist deutlich, was man in Deutschland über sich ergehen lassen muss, wenn man Staatsräson und „wertegeleiteter Außenpolitik“ widerspricht. Doch auch innerhalb der Friedensbewegung gibt es große Unterschiede in den Positionen. Der Aufruf zum Protest hob indessen den gemeinsamen Nenner hervor: Gegen Waffenlieferungen, gegen atomare Teilhabe, gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland, keine Bundeswehr an Schulen oder Wehrpflicht, keine Zwangsrekrutierung, keine Milliarden in Rüstung und keine Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Unter diesen wichtigen Forderungen, die sich maßgeblich auf die Lage in Deutschland und die Beteiligung Deutschlands an den Kriegen weltweit beziehen, kam ein breites Spektrum an Personen zusammen.
Ein Sternmarsch und viel Diskussion
An drei verschiedenen Punkten in Berlin fanden sich Auftaktkundgebungen zusammen, um zum Abschlussprotest an der Siegessäule zu marschieren. Die unterschiedlichen Demonstrationszüge wurden von unterschiedlichen Organisationen bestritten und unterschiedliche Positionen fanden Platz. Gleichzeitig fiel auf, dass wenige Organisationen einen starken Auftritt hatten. Der Block der DIDF, die auch einen der Demonstrationszüge organisierte, war zusammen mit dem Internationalen Jugendverein, dem Migrantinnen Bund, der DIDF-Jugend und verschiedenen gewerkschaftlichen Gruppen stark vertreten. Auch die DKP war präsent, genau wie das Bündnis Sahra Wagenknecht mit Bannern und Schildern vor Ort war, wobei jedoch zwischen seiner realen Mobilisierungskraft und seinen Wahlergebnissen eine Lücke zu klaffen scheint. Auch die Palästina-Bewegung Berlins war sichtbar vertreten. Ansonsten kamen die verschiedensten Organisationen und Plattformen der Friedensbewegung zusammen und viele Personen brachten eigene Transparente und Schilder mit. Der Altersdurchschnitt war allgemein hoch. Redner auf der Abschlusskundgebung waren unter anderen Sahra Wagenknecht (BSW), Ralf Stegner (SPD) und Peter Gauweiler (CSU) – der erste musste Pfiffe und Buhrufe über sich ergehen lassen, nachdem er die Politik der Bundesregierung in Bezug auf Ukraine und Israel verteidigte, was offensichtlich dem Großteil der Teilnehmer missfiel. Dabei ging unter, dass er kritisierte, dass es keine ernsthaften Bemühungen um Verhandlungen gebe. In den Reden, aber auch im Verlauf der Demonstration traten auch weitere Diskussionspunkte hervor. Mit unserem Flugblatt, das wir tausendfach verteilten, konnten wir viele Gespräche und Diskussionen auf der Demonstration führen. Nur selten kam die Perspektive zum Vorschein, den Frieden durch Klassenkampf zu erkämpfen und dass es die arbeitenden Menschen und die Völker weltweit sind, die den Kriegstreibern auf allen Seiten (von Putin bis Selensky) einen Strich durch die Rechnung machen können. Anstatt auf die internationale Solidarität und die Kraft der Arbeiterklasse zu setzen und diese hervorzuheben, wird Vertrauen in Staaten gesetzt. Der Aufstieg Chinas oder auch die Rolle Russlands werden als positives Gegengewicht zum (zweifelsohne aggressivsten) US-Imperialismus betrachtet. In unserem Flugblatt schrieben wir zu diesem Thema: „Die USA sehen ihre Vormachtstellung auf der Welt durch China bedroht, dass mit imperialistischen Projekten wie der Neuen Seidenstraße seinen Einfluss auf der Welt zielstrebig ausbaut. Der Spielraum der großen imperialistischen Länder wird immer kleiner, weltweit haben sich die Profitbedingungen verschlechtert. 3% Wachstum in den USA, 4% in China – das sind heute schon die Höhepunkte der Kapitalverwertung. Die rasanten Veränderungen in der Produktion sowie die knappen Ressourcen bei Energie und Rohstoffen haben den Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Großmächten angefeuert. Diese Konflikte zwischen den Großmächten, seien es die USA, China, Russland oder Deutschland, sind es, die auf dem Rücken der Völker der Erde, im Notfall auch militärisch, schon heute ausgetragen werden und die Auswirkungen dieser Aggressionen werden in Zukunft noch verheerender auf der Welt wüten.“
Häufig wird Deutschland als ein rein von den USA abhängiges Land betrachtet, das mit der Kriegstreiberei gegen die eigenen, nationalen Interessen verstößt – anstatt zu sehen, dass durch Kriegstreiberei gerade die nationalen, imperialistischen Interessen vertreten werden. Es ist nicht das nationale Interesse, sondern das Interesse der Arbeiter und Völker, das wir uns entgegen dem nationalen Interesse auf unsere Fahnen schreiben müssen! So schrieben wir in unserem Flugblatt: „Doch Deutschland ist in all diesen Entwicklungen kein Spielball oder Vasall der USA. Vielmehr sieht Deutschland sich in der internationalen Konkurrenz immer stärkerem Druck ausgesetzt. Auch wenn es noch nicht stark genug ist, um beispielsweise unabhängig von den USA zu agieren, bereitet es sich darauf vor, in Zukunft eine wesentlich eigenständigere und aggressivere Rolle in den weltweiten Verteilungskämpfen einzunehmen. Nichts anderes ist gemeint, wenn Boris Pistorius von „Kriegstüchtigkeit“ spricht. Es ist schon heute mehr als deutlich, auf wessen Rücken diese Kriegstüchtigkeit erreicht werden soll.“
Friedensfrage ist Klassenfrage
Und natürlich, anders als 1918, wo die Arbeiterklasse dem Krieg eigenhändig mit der Novemberrevolution ein Ende setzte, haben wir als Arbeiterbewegung noch einiges an Arbeit vor uns, um sowohl soziale als auch politische Kämpfe eigenständig zu führen, geschweige denn anzuleiten. Doch umso wichtiger ist es, dass wir uns in Bewegungen wie am 3.10. einbringen und durch breite Beteiligung klassenkämpferische Positionen in diese Proteste hineintragen. Die aktuelle Lage gestattet es nicht, dass wir uns raushalten, wenn gerade der Kampf gegen den Krieg eine der zentralen Aufgaben aller klassenkämpferischen Organisationen in Deutschland sein muss – denn es ist der deutsche Imperialismus, der für die Angriffe auf die Arbeiterklasse im Zeichen der internationalen Konkurrenz verantwortlich ist und gegen den in erster Linie gekämpft werden muss. Trotzdem war es auffällig, wie wenige explizit klassenkämpferische Organisationen in der Lage waren, ihre Positionen zu stärken. Der Verdacht liegt nahe, dass es auch die Breite des Bündnisses war, die einige Kräfte davon abhielt, in dem Ausmaß teilzunehmen, wie es notwendig gewesen wäre. Darum liegt es gerade jetzt an uns, überall dort zu sein, wo Risse in diesem Vertrauen entstehen und die entsprechend richtigen, auf dem Klassenstandpunkt fußenden Positionen praktisch hereinzutragen. Es ist nicht die Zeit, wo wir uns herausnehmen können, auf die reine, proletarische, antiimperialistische Friedensbewegung zu warten, die wir uns wünschen. Es ist die Zeit, um so viele Menschen wie irgendwie möglich auf die Straße zu bringen, um die Kriegstreiberei der Bundesregierung zu bekämpfen! Der 3.10. war dafür ein wichtiger Termin, der gezeigt hat, dass es möglich ist, Massen für den Frieden auf die Straße zu bringen. Gleichzeitig sehen wir, dass die Friedensbewegung heute noch nicht in der Lage ist, das große Potenzial, das in Deutschland unzufrieden mit der Kriegspolitik der Regierung ist, zu vereinigen. Bedenken wir, dass bei der zentralen Demo der Friedensbewegung im letzten Herbst schon 20.000 Teilnehmer da waren, wird klar, dass die Eskalation der Lage im Nahen Osten und das immer weitere, aussichtslose Andauern des Krieges in der Ukraine zwar die Empörung vieler Menschen seitdem erhöht haben dürfte, sich dies jedoch noch nicht in maßgeblich höheren Beteiligungszahlen abzeichnet. Umso wichtiger, die Bewegung weiter zu stärken und im nächsten Jahr noch mehr Menschen auf die Straße zu bringen.
Bedeutsam wird es auch sein, den Kampf gegen Aufrüstung und Krieg in die Gewerkschaften hineinzutragen. Zu viele Gewerkschaftsführer bremsen das aus und unterstützen im Rahmen ihres Co-Managements durch ihre Passivität den Kriegskurs. Einige unterstützen diesen auch offen und hoffen auf Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie. Doch gerade die Arbeiterklasse muss mit Lohnraub und Inflation, Sozialabbau, Kürzungen bei Bildung und Gesundheitswesen diesen Kriegskurs bezahlen. Und es werden vor allem Arbeiterjugendliche sein, die für die Herren in den Krieg ziehen müssen. Die Kinder der Reichen werden Wege finden, nicht an der Front zu sterben. Es ist eine bedeutende Aufgabe mit allen Mitteln in der Arbeiterbewegung gegen diesen Kriegskurs zu mobilisieren.