Der Kampf der Hamburger Hafenarbeiter

Ein Vorbild für alle, die kämpfen müssen

 

In Hamburg kämpfen die Arbeiter der Hafenbetriebe seit Monaten gegen den Ausverkauf des Hamburger Hafens an die Mediterrainian Shipping Company (MSC). Einen selbstständigen Streik und viele Aktionen später zeigt sich einmal mehr: Der Kampf im Hamburger Hafen ist weit über die Wasserkante hinaus ein beispielhafter Kampf für alle, die sich für den Erhalt guter Arbeitsbedingungen und die Wahrung von Arbeiterrechten einsetzen. Was bisher passiert ist:

 

Ein Kampf mit Vorgeschichte

Die aktuellen Kämpfe begannen im letzten Jahr mit der Bekanntgabe des Deals der Stadt mit MSC – man könnte die Geschichte der Kämpfe im Hafen aber schon viel früher beginnen. Beispielsweise in der Tarifrunde 2022 zeigte der Hafen eine große Kampfbereitschaft. Begleitet wurde die Tarifrunde von polizeilichem Vorgehen gegen Kollegen bei Streikaktionen und einem Angriff auf das Streikrecht durch das Arbeitsgericht Hamburg, das Streikaktionen während der Tarifrunde für einige Wochen verbot. Auch wenn der Abschluss 2022 keinen Inflationsausgleich brachte und mit einer Laufzeit von 24 Monaten die Erwartungen vieler Kollegen nicht erreichte, war der Arbeitskampf ein deutliches Zeichen und demonstrierte die Kampfbereitschaft der Kollegen. Seit Jahren müssen die Hafenarbeiter zudem gegen Arbeitsplatzabbau kämpfen, zum Beispiel bei der Hamburger Traditionswerft Blohm Voss, wo in den letzten Jahren immer wieder Aktionen gegen die Entlassungen von insgesamt mehreren hundert Kollegen stattfanden. Bereits 2021 organisierte verdi zudem eine Demonstration gegen die sich ankündigenden Rationalisierungen, an der sich viele Hafenarbeiter  beteiligten, und reagierte damit auf die zunehmenden Sorgen und die Unzufriedenheit im Hafen.

Es ist also nicht verwunderlich, dass die Reaktion nicht lange auf sich warten ließ, als herauskam, dass die Stadt schon lange an Plänen saß, die noch viel größere Angriffe auf die Arbeiter bedeuten würden…

 

Der Deal mit MSC

Am 13. September 2023 wurde durch den Erste Bürgermeister Hamburgs, den Finanzsenator und die Wirtschaftssenatorin (alle SPD) und einen MSC Vertreter ein Deal veröffentlicht, der mit der Mediterranean Shipping Company (MSC) ausgehandelt wurde. MSC ist die weltgrößte Großreederei mit Sitz in der Schweiz, die mit dem Deal 49,9% der HHLA aufkaufen soll. Die HHLA (Hamburger Hafen und Logistik AG) ist ein zum größten Teil städtisches Hafenlogistikunternehmen, das unter anderem drei der vier Containerterminals im Hamburger Hafen betreibt und daher von entscheidender Bedeutung für den Hafen als Ganzes ist. Seit dem Börsengang 2007, durchgesetzt von der damaligen CDU-Regierung unter Ole von Beust, befinden sich 30,75% der HHLA-Aktien in Streubesitz. Bereits seit Jahrzehnten werden immer wieder Beteiligungen von Unternehmen an Teilen der HHLA ermöglicht und Anfang der 2000er war bereits ein Verkauf im Spiel, der allerdings durch Proteste abgewehrt wurde. Der geplante Deal kam dennoch für viele überraschend und ist ein ganz neuer Schritt: Der Einfluss der Stadt Hamburg würde mit dem Verkauf so großer Anteile erheblich verringert und die Zukunft der Beschäftigten deutlich unsicherer. Die Reaktion aus dem Hafen ließ nicht lange auf sich warten: Am 19. September gingen tausende Arbeiter aus den Hamburger Hafenbetrieben unter dem Motto „Unser Hafen, nicht euer Casino!“ auf die Straße. An der Demonstration beteiligten sich auch Vertreter der Hochbahn, Lufthansa Technik, Pfleger und Erzieher und des Hafens in Bremerhaven. Ein Vertreter der internationalen Gewerkschaft International Transport Workers Federation (ITF) wies auf den internationalen Charakter des Kampfes der Hafenarbeiter auf der ganzen Welt hin und beschwor die internationale Solidarität. Diese Demonstration war mit der großen Beteiligung ein erstes Zeichen dafür, wie breit die Unterstützung der Hafenarbeiter noch werden würde. Die Arbeiter machten nicht nur durch das Motto, sondern auch ihre schnelle Reaktion und die explizit politischen Ansprachen deutlich, dass sie diesen Konflikt nicht als einen rein wirtschaftlichen Kampf begriffen, sondern auch als einen politischen Kampf: Der Hafen gegen eine Politik, die sich gegen das Interesse der Arbeiter und der Stadtbevölkerung als Ganzes richtet.

 

Worum geht es?

Doch warum werden Bereiche, die ja für das gesamte deutsche Kapital aufgrund ihrer Rolle in den Lieferketten so wichtig sind, überhaupt an Investoren verkauft und somit aus der Hand gegeben? Der Staat, der immer wieder mit dem Interesse der „Volkswirtschaft“ argumentiert und meistens das Interesse der deutschen Großkonzerne meint, bringt doch damit auch die Profitinteressen eben dieser Konzerne in Gefahr? Neben Bestechung und Korruption, die beim MSC-Deal auch eine Rolle spielen dürften, ist die Beteiligung von Investoren an deutschen Häfen auch Teil einer Strategie. Man will sich kapitalstarke Partner ins Boot holen, die die dringende Modernisierung der deutschen Häfen mittragen. Der Entwicklungsplan des Senats für den Hamburger Hafen sieht eine Zukunft als Container- und Energiehafen vor, was Teil der größeren Strategie ist, die deutsche Wirtschaft auf Träger wie Wasserstoff umzustellen. Große Deals zum Beispiel mit Namibia verfolgen schon jetzt dieses Ziel – der Hamburger Hafen soll also auf die Neuausrichtung der gesamten deutschen Energiestrategie vorbereitet werden. Dazu soll Kapital in den Hafen geholt werden, was auch jetzt schon durch sogenannte Terminalbeteiligungen passiert, wo Reedereien sich an den Terminals und auch an den Gewinnen beteiligen und somit als Kunden langfristiger gesichert werden sollen. Im Hafen wird jedoch deutlich, wie die immer groß angepriesenen „Transformationen“ der Wirtschaft zu Lasten der Arbeiter gehen und zudem dem Markt überlassen werden – wie in vielen anderen kritischen Bereichen nimmt die Privatisierung immer weiter zu, die Ergebnisse lassen sich zum Beispiel bei der Deutschen Bahn, die in eine Aktiengesellschaft im 100%igen Besitz des Staates umgewandelt wurde und seither nach dem Aktienrecht profitorientiert geführt werden muss. Doch nicht nur, dass die Arbeiter die Zeche mit Rationalisierungen und Stellenabbau zahlen, selbst wenn der Senat sich verzockt und den Hafen zurückkaufen will, wird der Preis mit Steuergeldern und damit von der arbeitenden Bevölkerung gezahlt.

 

Der spontane Streik

Doch die Empörung kochte erst recht hoch, als auf Druck der Arbeiter immer mehr Details bekannt wurden, unter anderem, dass die Beschäftigungssicherung im Deal auf nur fünf Jahre angelegt ist und danach betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen sind. Als Reaktion auf die Zustimmung des Vorstandes der HHLA zu dem Deal traten die Arbeiter des Terminals Burchardkai am 6. November in den selbständigen Streik. Es war sofort klar, wie ernst die Lage und wie dringend Solidarität nötig war: Spontane Streiks, zu denen keine Gewerkschaft aufgerufen hat, sind nicht vom Streikrecht gedeckt und die Kollegen machten sich mit dieser Aktion angreifbar. Natürlich ließ die Reaktion der Arbeitgeber nicht lange auf sich warten, es folgten zahlreiche Abmahnungen. Auch gegen die Kündigung einer Betriebsrätin musste im Nachhinein gekämpft werden. Doch die Solidarität aus der ganzen Stadt, von Organisationen und aus vielen Betrieben ließ nicht lange auf sich warten. Dass der selbständige Streik so glimpflich ausging und die Kündigungen verhindert werden konnten, lag auch an der breiten Unterstützung und der Angst der Konzernleitung, sich die Finger weiter zu verbrennen.

 

Was macht die Gewerkschaft?

Auch im Hafen gibt es, wie in vielen anderen Branchen, teils Enttäuschung oder Unzufriedenheit mit der Rolle der Gewerkschaft. Sei es nach dem Tarifabschluss von 2022, der die Erwartungen vieler nicht erfüllte, oder Aussagen von bundesweiten verdi-Vertretern, die den Deal mit MSC als beschlossen darstellten, während die Arbeiter sich noch mitten im Kampf befanden. Doch während es auch im Hafen Gruppen und Organisationen gibt, die die Spaltung zwischen Gewerkschaftsführung und Belegschaften betonen, fällt diese Haltung allgemein auf wenig Zustimmung: Die Arbeiter begreifen verdi nach wie vor als ihre Organisation im Kampf. Dabei ist es keineswegs selbstverständlich, dass die DGB-Gewerkschaften in einem so dynamischen Kampf, der auch zu Mitteln wie dem spontanen Streik greift, weiter so eine zentrale Rolle spielen wie im Hafen. Woran liegt das? Zum einen ist die klassenbewusste, gewerkschaftliche Tradition im Hamburger Hafen stark und auch die demokratischen Instrumente der Gewerkschaft funktionieren um einiges besser als in anderen Bereichen. Die Kämpfe im Hafen werden immer wieder aus gewerkschaftlichen Gremien heraus organisiert, die direkt aus Vertretern der Betriebe zusammengesetzt sind. Die Strukturen spiegeln dabei auch wider, wie bewusst sich viele der Kollegen im Hafen darüber sind, dass sie es sind, die den Kampf führen und auch leiten müssen, und tun dies in enger Zusammenarbeit mit dem gewerkschaftlichen Hauptamt. Immer wieder hat sich in den Monaten des Kampfes der Hafenarbeiter gezeigt, dass es in Kämpfen wie diesen einer Kampforganisation der Arbeiter bedarf, die es versteht, die bereits gemachten Erfahrungen aus anderen, vorangegangenen Kämpfen weiterzugeben und den kollektiven Erfahrungsschatz der Arbeiterklasse als Ganzes zum eigenen Vorteil zu nutzen. Diesem Charakter konnte ver.di bisher nur bedingt gerecht werden, allerdings ist die Arbeit ver.di im Hafen ein positives Beispiel dafür, wie auch harte Kämpfe ausgetragen werden können, wenn kämpferische Kollegen sich aktiv an der Gewerkschaftsarbeit beteiligen. Erst dadurch werden auch Kämpfe der Gewerkschaft in direktem Konflikt mit unter anderem Regierungsparteien wie der SPD möglich. Anders sah es beispielsweise beim DGB Hamburg aus, der sich dafür ausspricht, die Interessen der Kollegen beim Verkauf zu beachten – kein Wort davon, dass gegen den Verkauf aktuell noch gekämpft wird und dieser als Ganzes gegen die Interessen der Kollegen gerichtet ist. Auch in der IG Metall Hamburg hatte dieses Thema lange einen schwierigen Stand. Trotzdem gelang es letztlich, unter großem Widerstand der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung, eine Positionierung gegen den Verkauf der HHLA-Anteile an MSC durchzusetzen. Gleichzeitig haben einzelne Vertrauenskörper der Stadt sowie Gewerkschaftsjugenden wie die junge BAU Hamburg und die IG Metall Jugend Hamburg ihre Solidarität erklärt.

 

Wer kämpft hier wofür?

Nicht nur unter den Arbeitern, auch in anderen Teilen der Bevölkerung führt der Deal zu Unmut. Bei der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft zum Deal am 20. Juni waren nicht nur die Hafenarbeiter vor Ort, sondern auch Umweltverbände und städtische Initiativen und sogar mittelständische Unternehmen und Kleinaktionäre aus dem Hafen. Hier wird deutlich, dass der Deal zwar in erster Linie gegen die Interessen der Hafenarbeiter geht, aber breite Teile der Bevölkerung bis ins mittlere Unternehmertum hinein den Kampf aus unterschiedlichen Motiven unterstützen, sei es Umweltschutz oder Erhalt der eigenen Umsätze. Die Gegnerschaft gegen den Deal vereint alle: So sprach sich bei der Anhörung von 35 Rednern kein einziger dafür aus.

Gleichzeitig ist natürlich klar, dass auch ein Hafen in öffentlicher Hand und oder der Aufkauf durch einen anderen Investor als MSC keine Sicherheit für die Arbeiter bedeuten würde. Denn auch jetzt, wo sich die HHLA zum größten Teil in städtischer Hand befindet, mussten und müssen die Arbeiter immer wieder kämpfen. Dass das Kapitalinteresse sich in erster Linie gegen die Arbeiterklasse richtet, erfahren die Arbeiter seit Jahren am eigenen Leib. Darum sind sie es auch, die den Kampf anführen. Zwar schließen sich immer mehr Stadtbewohner der Forderung an: „Der Hafen muss uns gehören“, aber nur die Arbeiter beweisen immer wieder: „Wir sind der Hafen und wenn wir wollen, steht er still“. Dennoch schaffen sie es, auch andere Teile der Bevölkerung als Unterstützer zu gewinnen, was dem Kampf nützt. Der Kampf gegen den Ausverkauf des Hafens ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Frage und ein Kampf um Demokratie geworden – und die Arbeiter nehmen darin zu Recht die führende Rolle ein. Für die Stadtbevölkerung und vor allem die Arbeiter ist klar: Der Deal ist entgegen ihrer Interessen und die Regierung handelt wissentlich gegen dieser. Doch wie kann es sein, dass in den Regierungsparteien geschlossen daran festgehalten wird? Ein wichtiger Faktor dürften interne Machtkämpfe sein. Bei den anstehenden Bürgerschaftswahlen im Herbst möchte niemand seinen Listenplatz riskieren, weil man sich dem Fraktionszwang widersetzt hat. Und so wird sich weiter auf den Tag X vorbereitet, an dem der Deal in der Bürgerschaft zur Abstimmung steht.

 

Wie geht es weiter?

Die Hafenarbeiter haben noch lange nicht aufgegeben und die ganze Stadt in Bewegung gesetzt. Dazu kommt die Tarifrunde, die angelaufen ist und in der neben den Forderungen nach Erhöhung der Stundenlöhne um 3 Euro, Erhöhung der Schichtzuschläge inklusive Nachholung der Jahre 2022 – 2024 und einer Laufzeit von 12 Monaten auch der MSC-Deal immer wieder Thema ist. Die ersten Warnstreiks haben bereits stattgefunden und gezeigt, dass die Arbeiter nach wie vor bereitstehen. Seit einigen Monaten wird auch in Solidaritätsbündnissen die weitere Unterstützung aus der Arbeiterschaft Hamburgs mobilisiert – so wurden in verschiedenen Großbetrieben die Vertrauensleute besucht und für die öffentliche Unterstützung des Kampfes der Hafenarbeiter gewonnen. Die Kollegen lassen kein Mittel ungenutzt, von Flyern in Fußballstadien über Einzelgespräche mit Abgeordneten und Veranstaltungen mit den Gewerkschaften. Es ist auch genau diese Öffentlichkeits- und Solidaritätsarbeit, die dem Kampf so eine Kraft verleihen. Der Kampf der Kollegen im Hafen ist noch nicht vorbei, aber schon jetzt kann daraus gelernt werden. Über den politischen Charakter von betrieblichen Fragen, über die Rolle des bürgerlichen Staates, die Möglichkeiten der Gewerkschaften und der Wichtigkeit von Solidarität. Solange das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, gilt es die Kollegen weiter zu unterstützen wo es geht und sich ein Beispiel an ihnen zu nehmen.

 


Infokasten:

Am Montagvormittag, den 3. Juni, versammelten sich etwa 30 bis 40 Menschen, vor allem Arbeiter und Gewerkschafter, vor dem Hamburger Arbeitsgericht in Barmbek. Grund dafür war die an diesem Tag stattfindende Gerichtsverhandlung, bei der es um die Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden Slawa Fur durch das Containerreparatur-Unternehmen „Medrepair“ gehen sollte. Vor wenigen Wochen hatte das Unternehmen dem Betriebsratsvorsitzenden mündlich eine krankheitsbedingte Kündigung ausgesprochen. Gegen dieses willkürliche und vollkommen ungerechtfertigte Vorgehen des Arbeitgebers rief ver.di zu einer Solidaritätskundgebung auf. Dabei gilt diesem Vorfall eine besondere Aufmerksamkeit, da es sich bei dem Unternehmen „Medrepair“ um eine 100-prozentige Tochter der Containerreederei MSC handelt, welche aktuell im Begriff ist, sich durch die Beteiligung an HHLA großflächig in den Hamburger Hafen einzukaufen. Dieser Prozess kann also als ein erster Vorgeschmack darauf verstanden werden, in welche Richtung sich die Zustände im Hafen ändern werden, sollte der Verkauf der HHLA-Anteile an MSC abgeschlossen werden. Die anwesenden Hafenarbeiter nutzten die Kundgebung, um genau diese Verbindung zu ziehen und vor diesem Hintergrund die Wichtigkeit der Solidarität und des Zusammenhalts untereinander, unter den Arbeitern, zu unterstreichen. Außerdem sprachen auch Vertreter aus anderen Hamburger Betrieben wie der Lufthansa Technik und Vertreter von DIDF Hamburg (Föderation Demokratischer Arbeitervereine).