Buchbesprechung: Inside Moria
Gerade jetzt, wo die Regierung mit Hochdruck an verstärkten Abschiebungen, Abfertigung von Flüchtlingen an den Außengrenzen der EU oder gar in Drittstaaten in Afrika arbeitet, kommt dieses Buch zur rechten Zeit: Zeigt es doch, wie verlogen und unmenschlich EU-Flüchtlingspolitik schon lange ist.
Katrin Glatz Brubackk, auf Traumata spezialisierte Kinderpsychologin, kommt nur durch Zufall 2015 mitten in das Flüchtlingsgeschehen auf der griechischen Insel Lesbos. Sie wollte an einer Fortbildung teilnehmen und hatte sich auf ein paar entspannte Tage mit viel Sonne und Meer gefreut. Doch gerade ist die sogenannte Flüchtlingskrise, wo die damalige Kanzlerin den Satz „Wir schaffen das!“ sagte. Doch in Moria ist das Gegenteil der Fall. Bei einer Fahrt über die Insel trifft sie auf ein Meer von Zelten, vollgestopft mit Flüchtlingen. Sie schildert in dem Buch, das sie zusammen mit der Journalistin Guro Kulset Merakaräs verfasst hat, wie sie an einem Kreisverkehr auf drei kleine Mädchen im Grundschulalter trifft, die vor ihrem Zelt hocken. Die Eltern waren im Syrien im Krieg getötet worden. Ein Verwandter hatte ihre Reise nach Europa organisiert. Hier standen sie völlig allein, hilflos und ohne jede Sprachkenntnis da. Das war der Startpunkt, dass sie sich bis heute auf Lesbos und mittlerweile auch in Gaza um Kinder kümmert.
In dem Buch beschreibt sie, wie mit Wissen und Unterstützung der EU, der deutschen Bundesregierung Flüchtlinge, darunter tausende Kinder gequält, schikaniert werden. Sie beschreibt illegale Push-backs der griechischen Küstenwache, wo Gummiboote vollgestopft mit Menschen aufs Meer gezogen und dort sich selbst überlassen werden. Flüchtlinge, die zumeist im Norden der Insel stranden, müssen zu Fuß quer über die Insel nach Moria zur Registrierung. Wer sie aus Mitleid im Auto mitnimmt, kann als „Schlepper“ vor Gericht und im Knast landen, selbst wenn er oder sie nur drei kleine Mädchen zum Aufnahmelager bringt. Selbst wer den Menschen nur ein paar Schuhe, Kleidung, Wasser oder Lebensmittel gibt, kann vor Gericht landen. Küstenwache und Wachpersonal haben nicht die Aufgabe, Menschen in Not zu helfen, sondern sie abzuschrecken oder wie in einem Gefängnis zu bewachen.
Die beiden Autorinnen beschreiben auch, wie Geschäftemacher die Not der Flüchtlinge ausnutzen, ihnen uralte Gummiboote und nicht funktionierende Rettungswesten verkaufen. Sie beschreiben ebenso, wie die türkische Küstenwache Boote zum Sinken bringt, indem sie nahe an den Booten vorbeifährt, Schüsse abgibt. Dafür bekommt das Erdogan-Regime Geld von der EU – „zur Sicherung der Seegrenze“.
Die Politik der europäischen Union, einer „Wertegemeinschaft“, wurde immer schrecklicher. Nachdem Moria 1 nach einem verzweifelten Aufstand der Flüchtlingen abbrannte, wurde ein neues Lager aufgebaut. Dort hatten Helfer kaum noch Zugang und Presse gar nicht. Ein „kleines“ Detail unter der Unmenge unmenschlicher Entscheidungen ist der Beschluss der Lagerleitung vom 16.Mai 2023, Kindern keine Schutzimpfungen mehr zu gewähren. Zugleich wurde die Essensversorgung für Flüchtlinge, die eine Aufenthaltsgenehmigung oder einen Ablehnungsbescheid erhalten hatten eingestellt. Auch wenn diese keine neue Unterkunft oder noch Rechtsmittel gegen die Ablehnung eingelegt hatten, sie bekamen kein Essen mehr. Tausende hungerten noch mehr als zuvor bei den schlechten Versorgung. Manche Flüchtlinge teilten ihre schmalen Portionen mit den Betroffenen. Sie waren menschlicher als die EU-Flüchtlingspolitik. Die beiden Autorinnen berichten auch, dass immer mehr Seenotretter auf der Anklagebank landeten. Auch sie selbst mussten fürchten, weil sie traumatisierten Kindern halfen, vor Gericht gestellt zu werden.
Die Autorinnen haben auf ihrem Weg viel gelernt. Sie mussten auch ihre Hoffnungen auf eine menschliche EU begraben. Sie argumentieren von einer zutiefst humanistischen Position und man spürt ihre Illusionen, dass es in diesem System doch einen menschlichen Weg geben muss. Die Bedeutung dieser unmenschlichen Asylpolitik der EU, an der auch die deutsche Bundesregierung aktiv und durch Wegschauen mitwirkt, für das kapitalistische System werden nicht beleuchtet. Auch die Einordnung in den imperialistischen Kampf um die Beherrschung der Welt, den Zusammenhang der Flüchtlingsströme mit der immer krasser werdenden Umweltzerstörung ist nicht ausreichend. Aber der tiefe Humanismus der beiden Autorinnen ist mit seinen Grenzen doch tausendmal besser als das menschenfeindliche Regime der EU. Wer glaubt, dass so ein System nur nach aussen so brutal und unmenschlich ist, der irrt. Gerade erleben wir, wie auch im Inneren für Aufrüstung und Krieg, für die Profite der Konzerne Errungenschaften wie Gesundheitsversorgung, Bildung, Renten, ausreichende Löhne geschleift werden. Warum sollte eine herrschende Klasse, die andere Länder zerstört, die Flüchtlinge bekämpft und sie zugleich innenpolitisch als Buhmann für den rasanten Sozialabbau nutzt, im Inneren auf einmal menschlich und solidarisch sein. Das Buch „Inside Moria“ macht, wenn man es aufmerksam liest und Zusammenhänge herstellt, sehr deutlich, dass wir Arbeiterklasse und Völker vom Kapitalismus nichts Gutes erwarten können.
Ungeheuer eindrucksvoll sind auch die vielen schwarz-weiß und teilweise farbigen Fotos, die zum Teil illegal aufgenommen wurde. Das zum Thema Pressefreiheit in Europa.
Um fit bei den aktuellen Diskussionen über Flüchtlingspolitik zu sein, kann dieses Buch wertvolle Hilfe leisten.
Katrin Glatz Brubackk und Guro Kulset Merakaräs, Inside Moria, 367 Seiten, ISBN 978-3864894367 , Westend Verlag, 26 €