In Russland hat sich eine Koalition systemkritischer linker Kriegsgegner „Für eine gerechte Welt“ bzw. „Für einen gerechten Frieden“ [1] gebildet, welche für die Präsidentschaftswahl (15.-17. März) dazu aufruft, ungültig zu stimmen. An der Koalition sind mehrere medial bekannte Politiker wie der Abgeordnete der Moskauer Stadtduma – jedoch aus der KPRF ausgeschlossene – Jewgeni Stupin, der ehemalige KPRF-Kandidat Michael Lobanow und das bekannte linke Youtube-Projekt Westnik Buri um Andrei Rudoy beteiligt. Auch die linkssozialdemokratische Russische Sozialistische Bewegung (RSD) unterstützt die Koalition. Viele, aber nicht alle, der Beteiligten wurden bereits von den russischen Behörden zu „Ausländischen Agenten“ erklärt und mussten wegen Repressionen Russland verlassen. Die Koalition weist auf die Gleichartigkeit aller Kandidaten in der Kriegsfrage und der Frage der repressiven antidemokratischen Gesetzgebung hin und kritisiert die Nichtzulassung oppositioneller Kandidaten. Für die russische antiputinistische und kriegskritische Linke könnte die Präsidentschaftswahl eine Chance darstellen, auf die politischen Prozesse in Russland Einfluss zu nehmen und Protest auf legalem Wege zum Ausdruck zu bringen.
Die Kampagne ruft dazu auf, am 17. März um 12:00 gemeinsam in den Wahllokalen zu erscheinen und eine ungültige Stimme abzugeben, indem das Kreuz bei mehreren Kandidaten gleichzeitig gesetzt wird. Durch die Stimmabgabe am letzten Abstimmungstag soll Wahlfälschung vorgebeugt werden. Auch der elektronischen Stimmabgabe wird misstraut, zumal sie kein Ungültig stimmen erlaubt. Mit dem Erscheinen am 17. März um 12:00 schließt sich die Kampagne offenbar bewusst an ähnliche Aufrufe der liberalen Opposition, inkl. der Nawalny-Anhänger, an.
Ein politisches Manifest der Koalition (gerechte-welt) ist separat auch in deutscher Übersetzung verfügbar. Es stellt ein Minimalprogramm dar und zeigt deutliche Spuren politischer Kompromissfindung zwischen seinen sehr unterschiedlichen Unterzeichnern. So werden die Ursachen für den Ukraine-Krieg im Aufeinanderprallen der Interessen russischer und westlicher Imperialisten zwar angedeutet, aber nicht offen ausgesprochen. Dies dürfte wohl auch der Grund dafür sein, dass einige marxistische Kriegsgegner wie die Nowosibirsker Gruppe „Krasny Poworot“, die Vereinigte Kommunistische Plattform der Internationalisten (OKPI), die Russische Arbeitsfront (RTF) und ihnen nahestehende mediale Figuren wie der Ökonom Oleg Komolow sich der Koalition bisher nicht angeschlossen haben. Die Union der Marxisten und Organisation der Kommunisten-Internationalisten haben sich bisher noch nicht positioniert. Die Idee des aktiven Wahlboykotts wird jedoch unter all diesen Gruppen aus ähnlichen Gründen breit beworben. Einzig der ehemalige KPRF-Abgeordnete der Saratower Duma und bekannte Video-Blogger Nikolai Bondarenko, den man ebenfalls der antiputinistischen Linken zurechnen kann, betreibt Wahlwerbung für den KPRF-Kandidaten Nikolai Charitonow. Weitere bekannte russische Linke wie der Soziologe Boris Kagarlitzki [2] – von den Behörden zum „Agenten“ und Terroristen erklärt – wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Dem Anführer der Linksfront Sergei Udalzow, der jedoch den Krieg auf Seiten Russlands unterstützt, wird derzeit unter ähnlichen Vorwürfen der Prozess gemacht.